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09.03.2006
 

Theodor Ickler
Viel Spaß mit den neuen Regeln!

Das Paket der »Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung« besteht aus einem Regelwerk, einem Wörterverzeichnis und einem Bericht nebst »Handreichung«.

Der Rat selbst hat zwar die Regeln beschlossen (wobei er stets nur die zu ändernden Teile vor sich hatte); das Wörterverzeichnis hat er aber vor der Verabschiedung durch die KMK so wenig gesehen wie den Bericht. Das Wörterverzeichnis haben die drei privilegierten Wörterbuchredaktionen zusammen mit der Geschäftsführerin des Rates angefertigt, den Bericht die Geschäftsführerin allein, vermutlich zusammen mit dem IDS-Direktor, der zwar nur Vorgesetzter der IDS-Angestellten Kerstin Güthert ist, jedoch von Anfang an ohne besondere Legitimation die Funktion des eigentlichen Leiters der Geschäftsstelle ausübte, allen Arbeitsgruppen vorsaß und als rechte Hand des Vorsitzenden tätig war. Deshalb ist der Bericht in der Fußnote auch von der „Geschäftsführung“ und nicht von der „Geschäftsführerin“ unterzeichnet.

Der Bericht erwähnt „Leitlinien, die in Zusammenarbeit mit den Wörterbüchern und unter Beratung durch die Arbeitsgruppe Getrennt- und Zusammenschreibung entstanden“ und für die Anwendung der revidierten Regeln gelten sollen. Der Rat als ganzer hat diese Leitlinien nicht gesehen, die „Arbeitsgruppe“, der ein solcher allgemeiner Auftrag nicht erteilt wurde, steht de facto für Peter Eisenberg, der denn auch bei jeder Gelegenheit auf seinen maßgeblichen Anteil an der Revision hinweist. (Eisenberg war als einziger Privatmann schon in der Arbeitsgruppe und im Rat tätig, bevor er – von der vierten Sitzung an – ordentliches Ratsmitglied im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wurde. Der Rat bestand von Anfang an aus Grüppchen, die in besonders intimer Beziehung standen und gelegentlich veritable Alternativvorlagen ausarbeiteten, stets unter Beteiligung der Geschäftsführerin, die hier eine besonders effiziente Möglichkeit der Reformdurchsetzung wahrnahm.)

Im „Bericht“ der Geschäftsführung heißt es: „Der Rat nahm nach seiner Installierung und der Bekanntmachung der Satzung am 17. Dezember 2004 seine Arbeit auf. Die erste Sitzung fand in Anwesenheit der damaligen Vorsitzenden der KMK, Frau Ministerin Ahnen, statt und war neben der nötigen Klärung von Geschäftsordnungsfragen und der Wahl von Herrn Staatsminister a. D. Dr. h.c. Hans Zehetmair zum Vorsitzenden des Rats der ersten Klärung des Vorgehens gewidmet. Dabei wurde als Konsens festgestellt, dass auf der Basis der Regelungen vom Juni 2004 ein Vorschlag erarbeitet werden sollte, mit dem der Kritik an insbesondere vier Punkten der vorliegenden Regelung Rechnung getragen werden sollte. Es handelt sich dabei um folgende, von Frau Ahnen in diesem Zusammenhang nochmals in Erinnerung gerufene Punkte: 1) Getrennt- und Zusammenschreibung, 2) Wortttrennung am Zeilenende, 3) Zeichensetzung und 4) Fremdwortschreibung. Relativ früh stellte sich zudem heraus, dass schon aufgrund eines engen sachlichen Zusammenhangs ein gewisses Ausgreifen in den Bereich Groß- und Kleinschreibung nötig sein würde. Der Rat, der auf sechs Jahre eingesetzt ist, beschloss, sich konzentriert um die Teile zu kümmern, bei denen Konsequenzen für die Regelformulierung zu erwarten waren. Das gilt eigentlich nicht für den Bereich Fremdwortschreibung, bei dem daher die Tendenzen der Schreibung beobachtet werden sollen, wobei die Ergebnisse, wie in der Vergangenheit auch, in die Nachführungsarbeit der Wörterbücher eingehen können.“

Daraus geht nochmals hervor, daß der Rat sich aus freien Stücken eine Themenbegrenzung auferlegte, die den Wünschen der KMK entsprach. Im Statut des Rates ist von einer solchen Begrenzung nicht die Rede; nur in einer „Vereinbarung“ der beteiligten Staaten über die Einrichtung des Rates wird eine wünschenswerte Rangfolge der zu behandelnden Gebiete aufgestellt. Der Rat war nicht daran gebunden, der Vorsitzende betonte in den ersten Sitzungen vielmehr immer wieder die Unabhängigkeit des Rates in seiner Themenwahl und Terminplanung, bevor er sich ab Herbst 2006 und dann besonders Anfang 2006 völlig den Wünschen der KMK ergab. Wie frei der Rat tatsächlich war, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß er den von der KMK erwähnten Bereich der Fremdwortschreibung ausdrücklich nicht behandelte, wohl aber den in der „Vereinbarung“ vom Juni 2005 nicht erwähnten Bereich der Silbentrennung, vor allem aber die Groß- und Kleinschreibung, von der die KMK vorsorglich behauptet hatte, hier seien keine Änderungsvorschläge zu erwarten, weshalb sie diesen Teil auch bereits zum 1. August 2005 für die Schulen verbindlich machte. Wiederum stammt die Begrenzung auf einen Teil der GKS dem freien Entschluß des Rates. Die Laut-Buchstaben-Entsprechung kam in Gestalt der Heyseschen s-Schreibung kurz auf die Tagesordnung, wurde dann aber fallengelassen, weil keine Mehrheit für eine Änderung in Aussicht stand, nicht aber weil sie grundsätzlich nicht hätte diskutiert werden können.

Alles in allem ist festzustellen, daß der Rat befugt gewesen wäre, alle sechs Bereiche der Reform in sachgemäßer Weise und ohne Zeitdruck durchzuarbeiten. Er hat es nicht gewollt, weil die Mehrheit der Mitglieder dieselben Ziele hatte wie die KMK. Aus diesem Grund haben auch die z. T. sehr ausführlichen Voten, die zum ersten Paket der Empfehlungen eingegangen sind, keinerlei Änderungen zur Folge gehabt; auch die KMK hatte zwischendurch ihre Absicht bekundet, die Empfehlungen ohne nochmalige Diskussion am 2. März 2006 anzunehmen. Die erste Anhörung war damit eine reine Alibiveranstaltung, die zweite wurde folgerichtig, wenn auch satzungswidrig, gar nicht erst durchgeführt.

Die tatsächliche Fremdbestimmtheit des Rates wird mit folgender Wendung angedeutet: „Alle Mitglieder des Rats ließen sich letztlich darauf verpflichten, dass es die Aufgabe des Rats sei, eine entsprechende konsensuelle Lösung auf der Basis des vorliegenden Regelwerks zu entwickeln.“ Sie beschlossen also nicht nur oder verpflichteten sich, sondern „ließen sich verpflichten“.

Der Bericht sagt ferner: „Der Umfang der gemachten Vorschläge entspricht dem Auftrag der staatlichen Stellen, die Erweiterung in die Groß- und Kleinschreibung wurde auf das systematisch Nötige (vor allem im Hinblick auf Getrennt- und Zusammenschreibung) beschränkt und beschreibt den existierenden Gebrauch präziser.“ Ein verbindlicher „Auftrag staatlicher Stellen“ existierte nicht, und das „systematisch Nötige“ wird auf die Abgleichung mit der geänderten Getrennt- und Zusammenschreibung beschränkt. Hinter dem „vor allem“ verbirgt sich, daß weitere Änderungen wie die Höflichkeitsgroßschreibung überhaupt nichts mit der GZS zu tun haben, daß daher auch weiteren Änderungen im Bereich der GKS nichts entgegengestanden hätte. Sogar „auf der Basis des vorlegenden Regelwerks“ wäre alles möglich gewesen, was die Sache selbst erfordert, KMK und Rat wollten es aber gar nicht erst versuchen, sondern erstrebten eine (wie es mehrmals genannt wurde) „minimalinvasive“ Reparatur. Das ist der Grund für die Unzulänglichkeit der Empfehlungen.

Der Bericht erwähnt „wortartmäßig unklares bankrott in bankrottgehen“; dazu kommt noch pleite, von dem der Rat ebenfalls behauptet, es sei „wortartmäßig unklar“ – ein Armutszeugnis, dem auch die Grammatiker im Rat nicht zu widersprechen wagten, obwohl sie imstande sein dürften, ein ganz normales Adjektiv zu identifizieren.

In die „Handreichung“ sind Regeln eingearbeitet, deren Formulierung bei der Arbeit am eigentlichen Regelwerk versäumt wurde. Dazu gehört gleich zu Beginn die Zusammenschreibung der Doppelpartikelverben, die ich im Sondervotum sowie im Votum des P.E.N. angemahnt hatte. Im Regelwerk selbst kommt weiterhin weder der Begriff noch die Sache vor.

Der Bericht enthält eine tabellarische Synopse zur Getrennt- und Zusammenschreibung nach Duden 1991, Regelwerk 2004 und „Empfehlungen“ 2006. Leider fehlt das Regelwerk 1996, an dem man die unglaubliche Verfehltheit der Reform am deutlichsten sehen könnte. Dem „alten“ Duden wird in dieser Tabelle immer wieder seine Unzulänglichkeit vorgeworfen: „es gibt keine Regel“ usw. Die Regeln, die es jetzt gibt, sind allerdings unbrauchbar. So wird zwar als neue Regel (nach § 34(1)) aufgestellt: „ausnahmslose Zusammenschreibung von Partikel + Verb“, aber der Begriff der Partikel ist nicht definiert. Folgende Beispiele werden aufgelistet: abändern, anbeten, abhandenkommen, anheimfallen, aufarbeiten, aufeinanderstapeln, dahinfliegen, (sich) querstellen, zunichtemachen, zuteilwerden. Hieraus läßt sich kein trennscharfer Begriff von „Partikel“ gewinnen. Beispiele mit der „Partikel“ quer sind im Rat überhaupt nicht erörtert worden und in den Regeln nicht enthalten; nur das neue Wörterverzeichnis enthält die Anweisung der Zusammenschreibung, aber nicht ausnahmslos, sondern nur bei reflexiver Verwendung. Während sich querlegen nur bei übertragenem Gebrauch („sich widersetzen“) zusammengeschrieben werden soll, gilt dies anscheinend bei sich querstellen nicht, denn es wird auf § 34 (1.2) verwiesen, wo eine solche Beschränkung nicht vorgesehen ist. Eine Sonderschreibung für Reflexiva findet sich im Regelwerk allerdings auch nicht. Der Fall bleibt äußerst unklar und ist keinesfalls besser geregelt als im alten Duden.

Zur Zusammenschreibung mit Adjektiven bescheinigt die Synopse dem alten Duden „zahlreiche Ausnahmen“. Die Neuregelung hingegen gebiete „ausnahmslose Zusammenschreibung bei neuer Gesamtbedeutung“. Hier ist aber die ganze Unvorhersagbarkeit bestimmter Schreibweisen in den vagen Begriff der „neuen Gesamtbedeutung“ verlagert, denn es ist durchaus umstritten, wann eine solche vorliegt. So ist die Metapher jemanden kaltstellen überhaupt nur solange als Metapher erkennbar, wie keine neue Bedeutung angenommen wird; aber wann tritt eine solche ein?

Die „Handreichung“ zur Schreibweise von „Redewendungen“ dokumentiert besonders deutlich das vollständige Scheitern der Revision:

„Die Einstufung als Redewendung übt keinen Einfluss auf die Schreibung aus, d. h., auch in diesem Falle finden die Paragrafen 34(2) bzw. (4) und E7 Anwendung. Infolgedessen ist jeweils zu überprüfen, ob nach § 34(2.1) ein resultatives Prädikativ vorliegt oder nach § 34(2.2) bzw. E7 das Adjektiv bzw. das Verb zusammen mit dem Verb eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet. Regelgeleitet ergeben sich demgemäß z. B. folgende Schreibungen: ‚die Pferde scheumachen/scheu machen (= jmdn. in Aufregung versetzen)’ nach § 34(2.1), ‚jmdm. die Hölle heißmachen’ nach § 34(2.2).“

Innerhalb der Wendungen, deren Bildlichkeit die Schreibweise nicht beeinflussen soll, handelt es sich um gleichgebaute Resultativzusätze, die unterschiedliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt. Nach dem alten Duden wurde in beiden Fällen getrennt geschrieben. Dabei war im Duden grundsätzlich anerkannt, daß die Zusammenschreibung adjektivischer Verbzusätze eine nicht festzulegende Übergangszone bildete. In Band 9 wurde zutreffend festgehalten: „Bei den Verbindungen aus Adjektiv + Verb wirken Einflüsse verschiedenster Art. Die Verbindungen werden zusammengeschrieben, wenn es sich um Zusammensetzungen, um übertragene Bedeutungen oder sachlich bestimmte Begriffe handelt. In vielen Fällen erschweren Reihenbildungen die klare Unterscheidung (...) Im Zweifelsfalle schreibe man getrennt.“ (Richtiges und gutes Deutsch. 1985, S. 788)

Deskriptiv adäquat wäre die völlige Freigabe gewesen, wie in der Synopse unter § 34(2.2) in Aussicht gestellt (und in meinem Wörterbuch „Normale deutsche Rechtschreibung“ längst durchgeführt). Stattdessen gibt die Revision vor, präzise Regeln für unendliche Mengen von Ausnahmefällen aufgestellt zu haben, die sich aber beim ersten Versuch ihrer Anwendung als unbrauchbar erweisen. Das Ergebnis ist ein immenser Nachschlagebedarf, der die Neuregelung unbeherrschbar macht.

Die unterschiedliche Behandlung von „die Maske fallen lassen nach § 34(4) und die Muskeln spielen lassen/spielenlassen nach § 34 E7“ ist ebenfalls nicht gerechtfertigt, da ein unterschiedlicher Idiomatisierungsgrad nicht festgestellt werden kann; auch ist die Zusammenschreibung von spielenlassen völlig unüblich. Ähnlich der Eintrag zu kommen lassen: Getrenntschreibung, wenn man die Feuerwehr kommen läßt, aber auch Zusammenschreibung, wenn man die Kupplung oder einen Gegner kommenläßt. Ebenso platzenlassen (eine Veranstaltung, aber nicht einen Luftballon!), setzenlassen (ohne Erläuterung), sprechenlassen (Blumen), steigenlassen (Partys, aber nicht Drachen!), sterbenlassen (Projekte, nicht Patienten!), vermissenlassen (Feingefühl). Im Rat ist all dies nicht besprochen und erst recht nicht so entschieden worden. Es handelt sich um forcierte Extrapolationen aus § 34 (4) E7, an die gewiß kein Mitglied gedacht hat, als der Rat die traditionelle Zusammenschreibung von bleiben und lassen mit Positions- und Fortbewegungsverben wiederherstellte. (Für bleiben sind solche Zusammenschreibungen im Wörterverzeichnis übrigens nicht vorgesehen.) Die Wörterbuchgruppe und ihre Berater haben keinen Begriff von dieser Beschränkung. Damit werden die berüchtigten Haarspaltereien des alten Duden noch überboten, weit über das Sprachübliche hinaus. Daß jemand Feingefühl vermissenließ und daher Blumen sprechenläßt, ist einigermaßen gewöhnungsbedürftig.

Neu ist die Regel, daß nur Objektsprädikative, nicht aber Subjektsprädikative zusammengeschrieben werden; dies soll aus den Beispielen hervorgehen, ist aber im Rat nicht diskutiert oder gar beschlossen worden. Es entspricht auch nicht der Sprachentwicklung, die vielmehr auch bei warmlaufen usw. zur Zusammenschreibung strebt. Das Beispiel sich satt essen ist unglücklich gewählt, da in der Reflexivkonstruktion ebenfalls ein Objektsprädikativ gesehen werden kann; ein Subjektsprädikativ zu sich essen ist ja nicht plausibel. Aus dem Regelwerk geht übrigens hervor, daß sich kranklachen zusammengeschrieben werden muß; es ist genauso gebaut wie sich satt essen. Man darf kaputt machen oder kaputtmachen schreiben, aber nur kaputtgehen und sich kaputtmachen. Nur die „idiomatisierte Gesamtbedeutung“ bleibt als unterscheidendes Merkmal allenfalls übrig, aber mit solchen Subtilitäten wird der Ratsuchende nichts anfangen können und sich daher gleich an die Öffnungsklausel nach E5 halten.

So wird auch bei klar werden/klarwerden (mit eindeutigem Subjektsprädikativ) im Wörterverzeichnis sofort auf E5 verwiesen. Sollen etwa auch fernhalten und sich fernhalten unterschiedlich behandelt werden?

Mit diesen Beobachtungen sind wir bereits bei der Neufassung des eigentlichen Regelwerks, dem die folgenden Anmerkungen gelten sollen.

Kernstück der Revision sind Teile des Kapitels „Getrennt- und Zusammenschreibung“, das bereits von der inzwischen aufgelösten Kommission in grundlegender Weise verändert worden war. Viele Ungereimtheiten sind aber erhalten geblieben, z. T. deshalb, weil zwar neue Gesichtspunkte und eine stärkere Orientierung am Sprachgebrauch hinzugekommen, die ursprüngliche Anlage und Intention aber nicht aufgegeben worden sind. (Zu weiteren Einzelheiten verweise ich auf mein Sondervotum.)

Die zirkuläre Definition der Verbzusammensetzungen als derjenigen Verbindungen, die zusammengeschrieben werden, weil sie Zusammensetzungen sind, ist immer noch nicht überwunden.

Die Einträge zu brustschwimmen/Brust schwimmen usw. sind unklar. Nach § 33 E wären möglich: ich brustschwimme, du delfinschwimmst, er marathonläuft. Auf die Problematik dieser Beispiele hatte ich in meinem Sondervotum aufmerksam gemacht, ebenso auf die Halbzusammensetzungen, die weiterhin ungeachtet ihrer orthographischen Relevanz nicht erwähnt sind (notgelandet, notzulanden vs. gebrandmarkt, zu brandmarken usw. nach § 33 (1)). Auf der anderen Seite finden sich ebenso breite wie irrelevante Darlegungen über die Wortart der mit den Verbzusätzen „formgleichen“ Lexeme; die Verbzusätze selbst werden aber – nach der im Jahre 2004 vorgenommenen Öffnung der Liste – gleichwohl weder extensional noch intensional ausreichend definiert.

Während eine Tür offen bleibt, soll eine Frage offenbleiben; entsprechend das Kausativum offen halten/offenhalten. Hier wird also entgegen dem Vorsatz der Reformer die übertragene Bedeutung zum Anlaß unterschiedlicher Schreibweisen genommen und damit ein Unmenge von Haarspaltereien in schlechter Dudentradition wiedereingeführt. Manchmal ist bei übertragener Bedeutung eine Unterscheidungsschreibung möglich (sitzenbleiben vs. sitzen bleiben), manchmal nicht (abwärtsgehen nur zusammen, genau entgegen der ursprünglichen Reform). Für bereitstehen wird Zusammenschreibung angeordnet (nach § 34 (2.2)), aber wer keine besondere Idiomatisierung zu erkennen vermag, wird ebenfalls nach E5 verfahren. Wozu also der ganze Aufwand, der außerdem der Sprachentwicklung entgegenläuft?

Die obligatorische (!) Zusammenschreibung bei übertragener oder idiomatischer Bedeutung nach § 34 (2.2) setzt außerdem in wirklichkeitsferner Weise die Dudentradition fort (flüssigmachen usw.). Nach den Regeln müßte übrigens nervös machen zusammengeschrieben werden, das Wörterverzeichnis schreibt mit nicht nachvollziehbarer Berufung auf § 34 (2.3) Getrenntschreibung vor, während publikmachen mit Berufung auf § 34 (2.1) auch zusammengeschrieben werden darf. In der Bedeutung ‚in Ohnmacht fallen’ muß schwach werden getrennt geschrieben werden, in der Bedeutung ‚nachgeben’ hingegen zusammen. Hier öffnet sich ein breites Feld willkürlicher Einzelfallentscheidungen, die weder Sinn haben noch lernbar sind.

Die Reform schreibt aus unerfindlichen Gründen Zusammenschreibung bei irrewerden vor; das ist nicht korrigiert worden. Eine kleine Revolution bedeutet die halbe Rücknahme der Unterscheidung großschreiben (‚mit großem Anfangsbuchstaben schreiben’) vs. groß schreiben (‚besonders schätzen’); hier hatte die Reform die Dudenregeln geradezu auf den Kopf gestellt. Die nunmehr vorgelegten Empfehlungen geben dieses Prunkstück auf; es soll in beiden Bedeutungen zusammengeschrieben werden. Der Rat hat das nicht so beschlossen, es ist nachträglich eingeschleust worden.

Viele Festlegungen weichen vom Sprachgebrauch ab und wirken willkürlich. Man darf z. B. nur Rad fahren und Ski laufen und nur eislaufen schreiben, aber im Partizip auch radfahrend. Auf die Auflistung weiterer Fälle soll hier verzichtet werden.

Die ganze Gruppe, deren wahren Umfang erst die Wörterbücher zeigen werden, ist unlernbar. Die Ausnahmeregel für Verbindungen aus Infinitiv + bleiben und lassen greift zu kurz; die Einschränkung auf übertragene Bedeutung ist unberechtigt und außerdem systemwidrig; bei kennenlernen ist eine nichtübertragene Bedeutung überhaupt nicht vorstellbar. Auch spazierengehen usw. hätte anerkannt werden müssen. Die Sonderregel für die Gruppe fest-, tot- und voll- ist im Rat nicht beschlossen worden, sondern stammt aus einer Vorlage der AG Getrennt- und Zusammenschreibung, d. h. Peter Eisenbergs. Sie beruft sich u. a. auf den Schreibbrauch (der bei anderen Sonderregeln übergangen wird).

Während das amtliche revidierte Wörterverzeichnis von 2004 bereits wieder die Einträge beisammengewesen und zurückgewesen nebst dazugehöriger Begründung („adjektivischer Gebrauch“) enthielt, sind sie nun wieder gestrichen worden, offenbar um das dogmatische und sprachwidrige Verbot der Zusammenschreibung und Zusammensetzung mit sein nicht zu durchlöchern. Allerdings ist dagewesen neu ins Wörterverzeichnis aufgenommen, was sich nur schwer als Versehen erklären läßt. Vielleicht soll es ein Schlupfloch sein, durch das der unsinnige Paragraph 35 eines Tages aufgehoben werden kann.

Der undefinierte und folgenreiche Begriff „adjektivisch gebraucht“ kam im Wörterverzeichnis von 2004 über 90mal vor, im neuen ist er ganz beseitigt, nicht aber in den Regeln, wo er weiterhin für Verwirrung sorgt. Im Wörterverzeichnis fehlt wie schon 1996 und 2004 gut tun/guttun. Aus dem Musterwort gutschreiben kann wohl auf obligatorische Zusammenschreibung geschlossen werden, sicher ist es aber nicht. Gestrichen wurde wohl tun (1996 und 2004 nur getrennt); für weh tun wird die Variante wehtun angegeben (1996 und 2004 nur zusammengeschrieben). Das grammatisch falsche Not tun ist zugunsten der bisher unüblichen Zusammenschreibung nottun aufgegeben worden; das ebenso falsche Not sein scheint in letzter Minute (von der informellen Wörterbuch-AG?) durch das altbekannte not sein ersetzt worden zu sein. Diese Fälle drehen sich von Revision zu Revision wie auf einem Karussell, und man weiß nie, wie sie nach der nächsten Runde aussehen werden.

Auch jdm. feind sein usw. ist entgegen der Erwartung an die AG GKS wiederhergestellt, überflüssigerweise ergänzt durch den Eintrag jemandes Feind sein – als wenn es hier etwas zu regeln und nicht nur zu reparieren gäbe. Obwohl die herkömmliche und sinnvolle Zusammenschreibung von spazierengehen usw. im Rat diskutiert worden ist, haben sich die Blockierer durchgesetzt; die Getrenntschreibung bleibt obligatorisch, ohne Rücksicht auf den Sprachgebrauch, an dem man sich doch wieder mehr orientieren wollte. Bei recht haben ist neuerdings die grammatisch falsche Großschreibung nur noch als Variante möglich: wie Recht du hast. Man muß sich geradezu wundern, daß nicht Zusammenschreibung angeordnet wird wie bei leidtun. Für beiseiteschieben usw., zugutehalten usw. wird jetzt, genau entgegengesetzt zur Revision von 2004 und zum alten Duden, Zusammenschreibung angeordnet. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum beiseite und zugute aus der Beispielliste im Regelwerk gestrichen wurden – eine weitere Entscheidung, die ohne Beteiligung des Rates getroffen wurde. Für zustande kommen und weitere Fälle, die sich nicht vorhersagen lassen, ist Zusammenschreibung aber keineswegs zugelassen. Das dürfte den Nachschlagebedarf und die Fehlerhäufigkeit stark erhöhen. Während die Zulassung von beiseiteschieben usw. (freilich nicht die obligatorische Zusammenschreibung!) einen Fortschritt gegenüber dem alten Duden bedeutet, behält die Revision die strikte Getrenntschreibung von ernst nehmen bei, entgegen dem Sprachgebrauch. Der Eintrag „übrigbleiben (keine andere Wahl haben)“ ist sinnlos, denn diese Bedeutung hat der Verbkomplex nie. Außerdem soll wieder die kaum eindeutig feststellbare Idiomatisierung zu unterschiedlicher Schreibweise führen.

Die unterschiedliche Regelung von hochbegabt/hoch begabt und hochbetagt wird niemandem einleuchten. Man kann die Beispielreihe auch nicht selbständig verlängern. Hier entsteht enormer Nachschlagebedarf. Dasselbe gilt für Zusammensetzungen mit wohl-; aus Regeln und Wörterverzeichnis ist noch immer nicht ableitbar, wie z. B. wohlbekannt geschrieben werden soll. Während die Revision von 2004 durch den Duden so ausgelegt wurde, daß sogar offengesagt, offengestanden zusammengeschrieben wurden, scheint das nun nicht mehr zu gelten. Beibehalten ist die irreführende Auskunft, daß weitgehend und weit gehend lediglich Variantenschreibungen ohne unterschiedliche Verwendungsmöglichkeit seien. Bei zuhause und nachhause ist die bisher vermerkte Beschränkung auf Österreich und die Schweiz nun aufgegeben.

Bei Armvoll, Handvoll, Handbreit, Mundvoll, Zeitlang hat sich der Rat nicht zur umstandslosen Wiederherstellung der seit Jahrhunderten bekannten Zusammensetzungen aufraffen können, sondern läßt sie nur als Varianten neben der Aufspaltung gelten: zwei Arm voll Reisig usw. – mit gewöhnungsbedürftigen Pluralformen. Hier wie auch sonst wird niemals zugegeben, daß die Reform fehlerhaft war, sondern die Reparatur wird immer nur als eine gewisse Verschiebung der Gesichtspunkte verbrämt. Übrigens greift das Wörterverzeichnis und damit die Gruppe der im Rat vertretenen Wörterbuchverlage mit diesen Einträgen in die Paragraphen 38 und 39 ein, die vom Rat wegen ihrer hoffnungslosen Verworrenheit überhaupt nicht mehr bearbeitet worden sind.

Anderseits fehlt aber weiterhin die Antwort auf manche Fragen, z. B. nach der revidierten Schreibweise von Hohe(r)priester, Hohe(s)lied (im Jahre 2004 aus dem Wörterverzeichnis gestrichene Fälle). Bleibt es bei unter der Hand, aber vorderhand? Das Allerweltswort jedesmal bleibt verboten, ebenso ein paarmal. Die Behandlung von mal/Mal ist weiterhin sehr unbefriedigend. Auch bei irgend greift die Begründung der obligatorischen Zusammenschreibung (irgendetwas) nicht.

Da Fremdwortschreibung und Bindestrich ausgeklammert wurden, bleiben auch die unzweckmäßigen Schreibungen wie Sitin erhalten. Die widersprüchliche Bindestrichsetzung vor dem Suffix –fach (das 8-Fache usw.), eine Neuerung von 2004 mit falschem Verweis auf § 40 (3), bleibt erhalten.

Bei der Groß- und Kleinschreibung wollten und durften die Ratsmitglieder nur einen Teil der bisherigen Irrtümer zurücknehmen. Unter § 58 wird weiterhin behauptet, daß bei sie war die klügste meiner Zuhörerinnen und von fern klein geschrieben werde, obwohl die betreffenden Wörter „formale Merkmale der Substantivierung aufweisen“. Welche Merkmale sollen das sein? Die Darstellung bringt es mit sich, daß ganz normale und erwartbare Schreibungen wie von fern oder für dumm (verkaufen) nun als buchenswerte Ausnahmen erscheinen. Mit den seit 2004 geltenden Großschreibungen im Allgemeinen, des Öfteren, die Meisten, von Weitem usw. kehrt die Reform ins 19. Jahrhundert zurück. Die Großschreibung der Tageszeiten wird nicht korrigiert: gestern Abend. Erhalten bleibt auch das grammatisch falsche Diät leben.

Die (unveränderte) Regel § 58 E2 führt zwar durch konsequentere Anwendung in einigen Fällen wieder zu besseren Ergebnissen (es heißt wieder jenseits von Gut und Böse), ist aber ungemein kompliziert: „Substantivierungen, die auch ohne Präposition üblich sind, werden nach § 57(1) auch dann großgeschrieben, wenn sie mit einer Präposition verbunden werden.“ Hier muß zuerst ermittelt werden, ob es sich überhaupt um eine Substantivierung handelt, dann muß der Präpositionstest durchgeführt werden. Trotzdem bleibt weiterhin unklar, warum es heißt schwarz auf weiß, grau in grau (nach 3.1), aber auf Rot, in Grau (nach E2) usw. In Wirklichkeit hat die Groß- und Kleinschreibung nichts mit der Präposition zu tun. Der Test ist daher sachfremd und widerspricht der Intuition der Sprecher.

Zu den vermeintlichen Ausnahmen gehört weiterhin die Kleinschreibung von Pronomina, „auch wenn sie als Stellvertreter von Substantiven gebraucht werden“- eine linkische und sprachwissenschaftlich unhaltbare Formulierung. Bei grüß mir die Deinen und jedem das Seine war die Großschreibung allgemein üblich, die Einführung der fakultativen Kleinschreibung scheint überflüssig. Seit der Revision von 2004 können manche „Zahladjektive“ auch groß geschrieben werden, „wenn der Schreibende zum Ausdruck bringen will, dass das Zahladjektiv substantivisch gebraucht ist“ (5). Das ist wieder eine von den problematischen Bezugnahmen auf Intentionen, die kein normaler Sprecher haben kann. Die fakultative Kleinschreibung des Substantivs Dutzend (angesichts dutzender von Augenzeugen) nach E5 ist ebenfalls unnötig.

Die Großschreibung von Nominationsstereotypen und Antonomasien kann nicht abschließend geregelt werden. Der Eigennamenbegriff ist so unklar wie seit je, die umfangreichen Listen mit verschiedenen Typen von Eigennamen sind wenig hilfreich. Der Schwarze Kontinent zum Beispiel wurde bisher überwiegend klein geschrieben, soll aber nur noch groß geschrieben zulässig sein. Welche Großschreibungen die privilegierten Wörterbuchverlage in ihren Produkten noch vorschreiben oder untersagen werden, ist nicht abzusehen. § 60 E2 ist überflüssig, da solche Schreibweisen (konkret als Zeitschriftentitel usw.) nicht zum Regelungsbereich einer allgemeinen Orthographie gehören, sondern wie die Werbetextgestaltung frei bleiben müssen. Die vielkritisierte Neuregelung der von Eigennamen abgeleiteten Adjektive (nur noch goethesche oder Goethe'sche Gedichte) nach § 62 soll unverändert bleiben. Während 1996 und auch noch 2004 der Paragraph 63 sich zu § 64 ungefähr wie die Regel zur Ausnahme verhielt, behandeln nun beide großenteils dasselbe. Außerdem ist § 63 in sich unklar. Zunächst wird Kleinschreibung für „feste Verbindungen“ von Substantiven mit Adjektiven verordnet, unter E jedoch mit einer unklaren Kann-Bestimmung Großschreibung für zulässig erklärt, wenn „eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung“ vorliegt. Was ist der Unterschied zwischen einer festen Verbindung und einer idiomatisierten? Die Beispiele geben keinen Aufschluß, denn die festen Verbindungen bunter Hund, schöne Bescherung oder graue Maus sind ebenso idiomatisiert wie das Schwarze Brett oder der Weiße Tod. Der Paragraph schließt mit dem Satz: „Kleinschreibung des Adjektivs ist in diesen Fällen der Regelfall.“ Als Tatsachenbehauptung ist das sicher falsch, denn das Schwarze Brett zum Beispiel wird meistens groß geschrieben, und dasselbe gilt für unzählige andere Ausdrücke dieser Art. Was soll der Ratsuchende überhaupt mit einer solchen Bemerkung anfangen?

Mit § 64 (3) wird überraschenderweise ein Abschnitt wiederaufgenommen, der 2004 schon gestrichen war: „fachsprachliche Bezeichnungen bestimmter Klassifizierungseinheiten, so von Arten, Unterarten oder Rassen in der Botanik und Zoologie“. Es ist nicht einzusehen, warum einzelne Fachgebiete eigens erwähnt werden, denn die Großschreibung der Nominationsstereotype beschränkt sich nicht auf Fachsprachen. Dem Benutzer ist mit den Hinweisen und Beispielen unter E nicht gedient, da er in jedem Einzelfall das Wörterbuch konsultieren muß.

Bei der Worttrennung am Zeilenende widerspricht die Revision erwartungsgemäß dem Running gag des Vorsitzenden Zehetmair, daß Trennungen wie Urin-stinkt und Anal-phabet nicht mehr zulässig sein sollen. Im übrigen bleibt leider die nichtmorphologische Trennung der Fremdwörter (inte-ressant) als gleichwertige Möglichkeit erhalten, was aus verschiedenen Gründen abzulehnen ist und den Schülern und Wenigschreibern geradezu einen Bärendienst erweist. Die Nichttrennung von ck (Da-ckel) widerspricht der Trennung nach Sprechsilben und dem Paragraphen 3 des Regelwerks.

Die Laut-Buchstaben-Entsprechungen, ein Kernbereich der Rechtschreibreform, sind nicht bearbeitet worden. Daher bleiben die vielkritisierten „volksetymologischen“ Neuschreibungen erhalten, ebenso die bereits erwähnten Fremdwortschreibungen: Grislibär, Hämoriden, Schikoree, Kommunikee u. a. (aber weiterhin nur Attaché u. a.). Den Thunfisch kann man auch Tunfisch schreiben (was so wenig angebahnt war wie die Spagetti), die Thuja aber nicht Tuja. Hinzu kommt die unerhört schwierige Regel zur Großschreibung innerhalb mehrgliedriger Fremdwörtern: Herpes Zoster, Ultima Ratio, Commedia dell’Arte, Café au Lait, aber, wenn man den neuesten Wörterbüchern glauben kann, weiterhin Café crème, L’art pour l’art u.v.a. Erhalten bleiben auch die fehlerträchtige, aber hochsymbolische s-Schreibung und die Dreibuchstabenregel.

Bei der Zeichensetzung ist nur der Kommagebrauch leicht verändert; das überflüssige Komma als drittes Satzzeichen nach wörtlicher Rede bleibt verpflichtend erhalten.

Fazit: Wie die Altreformer durchaus zutreffend erkannt haben, erlaubt die nochmals revidierte Fassung es in einer wachsenden Zahl von Fällen nicht mehr, Schreibweisen von Regeln abzuleiten. Ganz nach Belieben werden semantische („begriffliche Einheit“, „idiomatisierte Gesamtbedeutung“, „übertragener Gebrauch“), formalgrammatische, Betonungsmerkmale oder auch der Sprachgebrauch herangezogen, um einzelne Schreibweisen zu begründen, und wenn Zweifel bleiben, darf man so oder so schreiben. Zweifel sind aber gerade der Anlaß, warum man überhaupt nachschlägt. Der Zweck der ganzen Reform wird daher gründlich verfehlt. Die Neufassung ist aber auch regeltechnisch höchst unbefriedigend; die Umsetzung in Wörterbüchern sieht sich einem weiten Spielraum gegenüber, der von den Redaktionen nach eigenem Ermessen ausgefüllt werden muß. Während im großen und ganzen eine ungeahnte Fülle von Variantenschreibungen eröffnet wird, die offenbar der Kritik die Spitze nehmen sollen, kommt es auf der anderen Seite zu unerhört restriktiven Vorschriften, die mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch nichts zu tun haben. Diese neue Rechtschreibung läßt sich ohne ständiges Nachschlagen in den noch nicht vorliegenden, ohne Mitwirkung des Rates verfaßten Wörterbüchern und Rechtschreibprogrammen weder anwenden noch unterrichten. Die Nachrichtenagenturen arbeiten bereits intensiv an einer „gemeinsamen Hausorthographie“; Bücher wie „Was Duden empfiehlt“ bieten sich als Hilfe an – insgesamt ein Rückschritt in die Zeit vor der Erringung der deutschen Einheitsorthographie von 1901.

Auf eine gewisse Hast bei der Anfertigung dieser Texte deuten die Fehler und Versehen hin: Die Sitzung vom „3. Juni 2006“ hat noch nicht stattgefunden, gemeint ist 2005. Im „Bericht“ heißt es: ich habe oft daran gedacht, Dich an deinem neuen Wohnort zu besuchen. Ein weiterer Druckfehler ist die Hand voll Rreis. Die „substantivische und nichtsubstantivische Verwendungen bei Wörtern wie z.B. Feind/feind“ hat nichts mit den „Konsequenzen aus den Regelungen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung“ zu tun (Bericht)

Ein Abschnitt des Berichts, der das undurchsichtige Verfahren rechtfertigen soll, enthält ungrammatisches Gestammel: „Der Rat unter der Leitung seines Vorsitzenden hat auch auf eine andere Art von Kritik zu reagieren, die auch schon zur neuen Besetzung des Rats geführt haben.“ „Der Rat hat zudem bereitwillig den Anträgen bzw. Vorschlägen zugestimmt, den Rat um stimmberechtigte Mitglieder aus weiteren Staaten, in denen das Deutsche eine offizielle Rolle spielt, aufzunehmen.“



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Kommentare zu »Viel Spaß mit den neuen Regeln!«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.04.2020 um 00.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#11100

Sie haben recht: "office" und "büro" sind dissoziierte Wörter, d.h. sie haben im Gegensatz zu "Arbeit" keine Wortfamilie, auch in ihren Herkunftssprachen (Englisch, Französisch) nicht. Deshalb kann man mit ihnen im Deutschen nicht viel anfangen.


Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 18.04.2020 um 21.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#11099

Wenn ich sage, daß ich im Moment »Heimarbeit« mache, denkt niemand, daß ich neuerdings zu Hause Prospekte falte oder Kugelschreiber montiere. Meistens sage ich aber nur, daß ich zu Hause arbeite (»von zu Hause aus« erscheint mir fast hyperkorrekt). »Feldarbeit« bezeichnete ursprünglich nur die Arbeit auf dem Feld, irgendwann ist die aus dem Englischen entlehnte Bedeutung hinzugekommen, da hat man auch nicht gesagt: geht nicht, ist schon vergeben. Die anderweitige Belegung von »Heimarbeit« (es gibt sogar ein Heimarbeitsgesetz, inklusive Legaldefinition von »Heimarbeiter«) mag manche gehemmt haben, das Wort auch auf die Ausübung von Bürotätigkeiten in der eigenen Wohnung statt im Gebäude des Arbeitgebers anzuwenden, erklärt aber noch nicht das geradezu reflexhafte Ausweichen auf englische Wortbrocken. »Homeoffice« ist übrigens nicht nur ein Pseudoanglizismus, sondern klingt auch irreführend vornehm. Viele meiner Kollegen haben zu Hause jedenfalls kein Büro im Sinne eines Arbeitszimmers oder eines Computerarbeitsplatzes auf dem Dachboden, sondern sitzen recht unergonomisch den ganzen Tag am Küchentisch und tippen unentwegt Texte in ihre viel zu kleine Tablet-Tastatur.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.04.2020 um 20.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#11098

Deutsch "Arbeit" heißt engl. "work", und "housework" und "homework" sind anderweitig belegt.
Engl. "office" heißt deutsch "Büro". "Heimbüro" scheint mir schöner als "Hausbüro".


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2020 um 04.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#11096

Heimarbeit und Hausarbeit sind anderweitig belegt, sonst wäre man vielleicht darauf gekommen. Aber der Wortschatz entwickelt sich in unvorhersehbarer Weise.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.04.2020 um 22.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#11095

Engl. "home" entspricht deutsch "Heim";
deutsch "Haus" entspricht engl. "house".
"Daheim" klingt schöner als "zuhause".


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2020 um 04.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#11094

In der FAZ (17.4.20) fragt sich eine Übersetzerin, warum die Deutschen den Pseudoanglizismus „Homeoffice“ so lieben, und kommt darauf, daß niemand mehr weiß, wie er „zu Hause“ schreiben soll. Das Hin und Her der Reformer um diese hochfrequente Wendung hat in der Tat zu einer großen Unsicherheit und besonders vielen Anfragen bei Beratungsstellen geführt.



Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.09.2014 um 21.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9989

Betr.: Verb-Zusammensetzungen mit Substantiven, hier: Partizip ("Mittelwort") Perfekt.
Heute In WISO mehrmals "gesandstrahlt". Als technischen Begriff kenne ich nur "sandgestrahlt". Habe ich recht mit der Meinung, daß bei verbalem Gebrauch "gesandstrahlt" und bei adjektivischem Gebrauch "sandgestrahlt" benutzt wird? Ähnlich verbal "gehandarbeitet" und adjektivisch "handgearbeitet". Aber eine allgemeingültige Regel gibt es wohl nicht.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2014 um 05.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9983

Kann es sein, daß die "Zusammenfassung" der neuen Regeln von 2006 noch nicht dokumentiert ist? Auf den Seiten des Rechtschreibrats finde ich sie auch nicht. Hier ist sie (ohne Kursivierung der Beispielwörter):

"Zusammenfassung der wichtigsten Vorschläge des Rats für
deutsche Rechtschreibung

Die Vorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung betreffen die Bereiche der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, der Zeichensetzung und der Worttrennung am Zeilenende.

1. Getrennt- und Zusammenschreibung:

Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung wird der den Traditionen des Deutschen entsprechenden Tendenz zur Zusammenschreibung Rechnung getragen. Als wichtiges Kriterium wird das Akzentmuster benannt: Zusammenschreibung korreliert mit (einem zusammenfassenden) Wortakzent.

Die wesentlichen Änderungsvorschläge betreffen:

a) Schreibung von Partikel + Verb

Partikeln werden mit Verben grundsätzlich zusammengeschrieben. An die Stelle der formalen Regel, nach der Elemente wie z.B. aufeinander und abwärts immer getrennt vom folgenden Verb zu schreiben sind, tritt das Kriterium des einheitlichen Wortakzents. Liegt ein einheitlicher Wortakzent vor, dann ist zusammenzuschreiben, zum Beispiel: abhandenkommen, abwärtsfahren, anheimfallen, aufeinanderstapeln, querlesen

Anderenfalls, d.h. bei adverbialem Gebrauch, ist getrennt zu schreiben, zum Beispiel: aufeinander achten, quer (im Bett) liegen, rückwärts einparken

b) Schreibung von Adjektiv + Verb

Die vorgeschlagene Hauptänderung besteht darin, daß bei einer neuen, idiomatisierten Gesamtbedeutung generell Zusammenschreibung eintritt. Formale Regeln, wie insbesondere die Regel, nach der Adjektive auf -ig, -isch und -lich stets vom folgenden Verb getrennt zu schreiben sind, entfallen. Beispiele: müßiggehen, (sich) näherkommen, schwerfallen (= Mühe verursachen), (jmdn.) zufriedenlassen (= in Ruhe lassen), seligpreisen

Bei den sog. Resultativa (= Verbindungen, bei denen das Adjektiv eine Eigenschaft des Objekts bezeichnet) ist grundsätzlich Zusammen- wie Getrenntschreibung möglich, zum Beispiel: eine Wand) blau streichen/blaustreichen, (Zwiebeln) klein schneiden/kleinschneiden, (Essen) warm machen/warmmachen

c) Schreibung von Substantiv + Verb

Der Rat schlägt vor, die Liste der Zusammensetzungen aus Substantiv + Verb, bei denen die ersten Bestandteile die Eigenschaften selbständiger Substantive weitgehend verloren haben, um eislaufen, kopfstehen und nottun zu erweitern und leidtun entsprechend einzustufen (d.h. die Variante Leid tun zu streichen).

Weiterhin sollen in vier Übergangsfällen Doppelschreibungen zulässig sein: achtgeben/Acht geben, achthaben/Acht haben, haltmachen/Halt machen, maßhalten/Maß halten. Ansonsten gilt die Regel, nach der in Verbindungen aus Substantiv + Verb das Substantiv groß- und getrennt vom Verb geschrieben wird (z.B. Rad fahren)."

d) Schreibung von Verb (Infinitiv) + Verb

Verbindungen aus Verb (Infinitiv) + Verb werden prinzipiell getrennt geschrieben. Die Zusammenschreibung soll aber ermöglicht werden bei übertragen gebrauchten Verbindungen mit zweitem Bestandteil bleiben oder lassen (wie z.B. bei "in der Schule sitzenbleiben", "die Freundin stehenlassen") sowie bei kennen lernen.

e) Schreibung von Verbindungen mit Adjektiven als ersten Bestandteilen

Bei Verbindungen mit einem einfachen unflektierten Adjektiv als graduierender Bestimmung ist Getrennt- wie Zusammenschreibung möglich, zum Beispiel: eng verwandt/engverwandt, schwer krank/schwerkrank.

f) Schreibung mehrgliedriger Anglizismen

Die Schreibung mehrgliedriger Anglizismen aus Adjektiv + Substantiv wird an das Akzentmuster gekoppelt: Zusammenschreibung, wenn der Hauptakzent auf dem adjektivischen Bestandteil liegt, Getrenntschreibung, wenn beide Bestandteile einen Akzent tragen. Beispiele: Freestyle, Hightech, Shootingstar; Golden Goal, Private Banking, Round Table

Sind beide Akzentmuster möglich, dann kann getrennt- wie zusammengeschrieben werden, zum Beispiel: Big Band/Bigband, Hot Pants/Hotpants, Small Talk/Smalltalk

2. Groß- und Kleinschreibung

Die Änderungsvorschläge im Bereich der Groß- und Kleinschreibung werden auf das systematisch Nötige (vor allem im Hinblick auf Getrennt- und Zusammenschreibung) beschränkt und beschreiben den existierenden Gebrauch präziser.

Die wesentlichen Änderungsvorschläge betreffen
a) Einzelne Schreibweisen

- zwecks Unterscheidung zwischen substantivischem und nichtsubstantivischem Gebrauch ist in einigen Fällen Kleinschreibung vorgesehen:

zu eigen machen, geben (versus sein Eigen nennen) jmdm. feind sein versus jmds. Feind sein (er ist ihm feind versus er ist mein (ärgster, größter, schlimmster ~) Feind; ebenso: freund, klasse, spitze, not u. a. in Verbindung mit den Verben sein/bleiben/werden

- aufgrund des unklaren Wortartstatus:

Zusammenschreibung von bankrottgehen, pleitegehen (versus in den Bankrott gehen)

Groß- wie Kleinschreibung bei recht/Recht und unrecht/Unrecht in Verbindung mit Verben wie geben, haben, tun

b) Regeln

- Dem Schreibgebrauch entsprechend ist bei Verbindungen aus Adjektiv + Substantiv mit einer neuen, idiomatisierten Gesamtbedeutung die Großschreibung des Adjektivs möglich, zum Beispiel: der Blaue Brief (= Mahnschreiben), der Runde Tisch (in der Politik), das Schwarze Brett (= Anschlagtafel)

- Die Schreibung von Verbindungen mit fachsprachlichem oder terminologischem Charakter richtet sich nach dem Gebrauch in dem jeweiligen Bereich, zum Beispiel: die Erste Hilfe (bei Unglücksfällen), die Rote Karte (im Sport), die Große Kreisstadt; seltene Erden, die eiserne Lunge

- dem Wunsch nach einer "Höflichkeits"-Großschreibung beim Pronomen Du und den dazugehörigen Fällen in Briefen wird durch Zulassung der Großschreibung Rechnung getragen

In weiteren Bereichen (Pronomina/Zahlwörter) schien in dem vorgegebenen Rahmen keine Lösung möglich, die weniger Variation erzeugt hätte, so daß auf Änderungsvorschläge verzichtet wurde.

3. Zeichensetzung

Bei der Zeichensetzung zielt der Vorschlag des Rats auf Änderungen im Bereich der Kommasetzung, um das eindeutige Textverstehen zu sichern.

Die wesentlichen Änderungsvorschläge betreffen:

a) Komma bei selbständigen Sätzen, die mit "und", "oder" usw. verbunden sind

Der Vorschlag des Rats bringt eine wesentliche Änderung mit sich: die Beschränkung auf "selbständige" Sätze. Dies hat zur Folge, daß in Sätzen wie "Es war nicht selten, daß er sie besuchte(,) und daß sie bis spät in die Nacht zusammensaßen, wenn sie in guter Stimmung war" (amtliches Regelwerk 2004, § 73) ein Komma nach "besuchte" nicht mehr zulässig ist.

b) Komma bei Infinitivgruppen

Der Rat bestätigt grundsätzlich die Regelung der Rechtschreibreform, nach der Infinitivgruppen, die von einem Korrelat oder Verweiswort abhängen, durch Komma abgesetzt werden (z.B. Anna hat es nie bereut, diese Ausbildung gemacht zu haben). Er schlägt aber vor, dieses Komma bei einem bloßen Infinitiv freizustellen (z.B. Thomas dachte nicht daran(,) zu gehen).

Darüber hinaus spricht er sich für ein obligatorisches Komma bei Infinitivgruppen aus, die mit "um", "ohne", "statt", "anstatt", "außer" oder "als" eingeleitet sind (z.B. Sie öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen) bzw. von einem Substantiv abhängen und mehr als den bloßen Infinitiv umfassen (z.B. Er wurde beim Versuch, den Tresor zu knacken, vom Nachtwächter überrascht).

4. Worttrennung am Zeilenende

Für den Bereich der Worttrennung am Zeilenende empfiehlt der Rat an der Oberfläche nur eine Änderung: die Abtrennung von Einzelvokalen am Wortanfang und -ende prinzipiell auszuschließen (nicht: E-sel, Feiera-bend, Bi-omüll; bisher bereits nicht zugelassen: Klei-e).

Darüber hinaus plädiert er für eine Umstrukturierung der Regeln, um deutlicher darauf hinzuweisen, dass es beim Trennen um sinnvolles Trennen eines komplexen Wortganzen geht. Demnach soll zuerst die Trennung nach Wortbestandteilen (z.B. voll-enden, Pro-gramm) und dann die Trennung im Inneren von Wörtern (z.B. Bau-er, ros-ten) dargestellt werden. Diese Regeln gelten auch für fremde Wörter; wo das zu erwartende Wissen über die Wortteile von fremden Wörtern enden soll, ist nicht auf der Regelebene zu klären."


Kommentar von Friedhelm Klein, verfaßt am 09.09.2012 um 16.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9091

Völlig richtig, Germanist! Beim "spazierengehen" gibt's eben keine zwei aufeinanderfolgenden Handlungen, deshalb bleibt hier das Auseinanderschreiben falsch – darauf kam es mir an.

Auf welchem Planeten "du marathonläufst" gesagt wird, ist auch noch nicht erforscht worden...


Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.09.2012 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9090

Wenn andere Sprachen deutsche Wörter übernehmen, geht das oft mit einer Präzisierung einher: polnisch: spacerowac = spazierengehen; isc na spacer = auf einen Spziergang gehen; jechac na spacer = zum Spaziergang fahren.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.09.2012 um 11.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9089

Die Bedeutungsveränderung zu nacheinander stattfindenden Fortbewegungen betrifft auch "spazieren fahren" = zum Spazieren irgendwo hinfahren, "spazieren reiten" u.a.


Kommentar von Friedhelm Klein, verfaßt am 09.09.2012 um 11.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9088

"Zwei Arm voll Reisig"? Gibt's eine neue physikalische Maßeinheit "das Arm"? Wikipedia weiß noch nichts davon!

"Spazieren gehen" – heißt das, daß ich erst losgehe und dann spaziere?

Es ist mir unbegreiflich, wie halbwegs gescheite Menschen, die unsere Mutterprache in Wort und Schrift gelernt haben, derart blühenden Unfug in die Welt setzen konnten!


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 09.09.2012 um 04.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9087

Zum Schatten aus aktuellem Anlaß: www.newyorker.com/.../an-open-letter-to-wikipedia.html


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 09.09.2012 um 04.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9086

Die präzise Suche können Sie durch Anführungszeichen erzwingen: "abhanden kommen" site:http://de.wikipedia.org. Allerdings sind die Diskussionsbeiträge auf diese Weise immer noch nicht ausgeschlossen.

Im übrigen wechseln bei Wikipedia Licht und Schatten. Manches ist hervorragend, anderes scheint von Schülern geschrieben zu sein. Auch orthographisch stößt man immer wieder auf echte Klopse, und nur bei "daß" oder "muß" usw. ist die Wiki-Rechtschreibpolizei in Rekordzeit vor Ort.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 09.09.2012 um 04.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9085

Bei der Wikipedia-Suche mit Hilfe von Google kommen höhere Zahlen heraus. Es werden auch irgendwelche Diskussionsseiten und ähnliches ausgewertet. Zwischen diesem spontanen Geschreibe und den sorgfältig geprüften, für die Öffentlichkeit bestimmten Artikeln in Wikipedia gibt es einen großen Qualitätsunterschied. Außerdem werden, wenn ich es richtig sehe, beim Umweg über Google auch ähnliche Schreibweisen gefunden, so daß etwa bei der Suche nach einer Getrenntschreibung zugleich die Zusammenschreibung ausschließen muß. Deshalb ist die Suche direkt in Wikipedia vorzuziehen.

Die Idee dieses Ansatzes ist: "Was der Verfassergemeinschaft von Wikipedia nicht gelingt, das kann der Rest der Bevölkerung auch nicht beherrschen." Wenn die Recherchen in Google immer wieder das Versagen der Reform belegen oder zu belegen scheinen, ist so mancher Zweifel möglich: Wie kommen die Zahlen zustande? Welche Texte werden da zusammengemischt? Hatten die Schreiber Anlaß, reformiert und korrekt zu schreiben? Wikipedia ist mit einem gewaltigen Bemühen auf korrekte Umsetzung der Rechtschreibreform getrimmt, deshalb greifen diese Ausreden hier nicht mehr. Alle Artikel wurden im Zeitalter der Reform geschrieben, die große Masse erst nach 2006. Relativ wenige Artikel sind älter als 2006, aber auch diese wurden seither erweitert und überarbeitet, und es gab jeden Tag die Möglichkeit der Korrektur.


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 09.09.2012 um 00.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9084

Man kann Wikipedia auch von Google durchsuchen lassen, und zwar mit Hilfe des "site"-Parameters, also z.B.: "abhanden kommen site:http://de.wikipedia.org" (ohne Anführungszeichen).


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 08.09.2012 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9083

Meine Auswertung und die Schlußfolgerung, die neue Schreibung könne sich nicht durchsetzen, bezog sich natürlich nur auf das ausgewählte Beispiel. Sie illustriert aber gerade wegen der scheinbaren Ausnahmestellung die Fehlerträchtigkeit der Reform insgesamt. Denn die von Herrn Mahlmann genannte Generalisierung von vorgefundenen Schreibungen führt ja gerade zu den typischen Reformfehlern, wenn auch meistens auf der Seite der Getrenntschreibung: *zurück gehen, *zu Gute kommen usw.

Insgesamt sind die von der Reform geforderten Schreibungen uneinheitlicher oder unsystematischer als die vormaligen. Das Bemühen, die Neuschreibung anzuwenden, hat sicher nicht abgenommen, sehr wohl aber die Fähigkeit, dies im Sinne der Regelung korrekt zu tun. Und dafür ist abhandenkommen – eine von sehr vielen insgesamt unsystematischen Festlegungen – durchaus ein Beispiel. Man könnte sogar argumentieren, daß Vorschriften wie abhandenkommen sich segensreich auf die Fehlerzahlen auswirken dürften, weil sie dem allgemeinen Irrtum entgegenwirken, es sei so viel wie möglich getrennt zu schreiben.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.09.2012 um 16.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9082

Es könnte daran liegen, daß es bei "abhandenkommen" vs. "abhanden kommen" keine Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen modaler und resultativer Tätigkeit gibt, beidesmal wird das Ergebnis bezeichnet. In Anlehnung an andere resultative Zusammenschreibungen halte ich hier diese für konsequenter. Ein guter Schreiber hält seinen Stil von Anfang bis Ende durch.


Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 08.09.2012 um 15.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9081

Das Beispiel "abhanden gekommen" scheint mir unbrauchbar zu sein. Hier ist zufällig mal die unreformierte Schreibung auf der Linie der Reform, die vielfach Getrenntschreibung vorsieht, wo es sie vormals nicht gab.
Die um reformgerechte Schreibung bemühten Wikipedia-Autoren generalisieren einfach, daß in solchen Fällen getrennt zu schreiben ist. Das beweist nicht, daß sich die Reformschreibung nicht durchsetzt; das beweist allerdings, daß die Reformschreibung nicht so stringent und folgerichtig ist, wie die Reformer behaupten, sondern dem gutwillig reformiert Schreibenden Fallen aufstellt.


Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 08.09.2012 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#9080

Eine interessante Möglichkeit, den tatsächlichen Schreibgebrauch zu prüfen, bietet Wikipedia. Beispiele anhand von abhanden kommen (traditionelle Schreibweise) bzw. abhandenkommen (reformierte Schreibweise):

abhanden gekommen: 262
abhandengekommen: 55
abhanden kam: 233
abhandenkam: 3
(Beim Infinitiv ist kein Vergleich möglich, weil abhandenkommen zu einem eigenen Wikipedia-Artikel führt.)

Google liefert diese Anzahlen:
abhanden gekommen: 1.260.000
abhandengekommen: 80.800
abhanden kam: 45.800
abhandenkam: 7.470

Auswertung:
Die Vergleiche zwischen der sogenannten alten Schreibung und der sogenannten neuen Schreibung zeigen, daß sich die neue Schreibung nicht durchsetzen kann. Das Übergewicht der "alten", in Wirklichkeit nach wie vor dominierenden Schreibung liegt irgendwo zwischen 5:1 und 15:1 (das zweite Vergleichspaar bei Wikipedia ist wegen der kleinen Zahl 3 nicht aussagekräftig).

Der Nachteil von Wikipedia liegt in den relativ kleinen Zahlen. Der Vorteil besteht darin, daß diese im Gegensatz zu Google kaum durch Doppelungen und Verweise verfälscht sind. In diesem Fall liegen die Ergebnisse aus beiden Quellen ungefähr auf derselben Linie; das könnte ein Hinweis darauf sein, daß Prüfungen mit Google nach wie vor zu brauchbaren Erkenntnissen führen.

Bei Wikipedia schreiben (im Gegensatz zur Masse aller Texte, die bei Google erfaßt werden) in aller Regel geübte, um Korrektheit und um die neue Rechtschreibung sehr bemühte Verfasser. Eine Neuschreibung, an der diese fähigen Schreiber jahrelang scheitern, kann sich in der Breite erst recht nicht durchsetzen.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.09.2009 um 10.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#7965

Man müßte mal einem der Kultusminister oder gleich Herrn Zehetmair einige Reihen wie die folgende vorlegen (natürlich ohne die Jahreszahlen) und fragen, was heute gilt:
verschüttgehen (1991) – verschütt gehen (1996) – verschüttgehen (2006)
bankrott gehen (1991) – Bankrott gehen (1996) – bankrottgehen (2006).

Sollte daraus nicht etwas für die Notengebung in den Schulen folgen?


Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.03.2006 um 13.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3623

Die "Antonomasie" ist also das verselbständigte "Epitheton ornans", das "schmückende Beiwort", das zunächst (wie schon bei Homer) zu einer festen Formel und später zu einem zweiten Namen geworden ist.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.03.2006 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3616

Ableitung ist nicht nötig und nutzt auch nicht viel, man muß einfach wissen, was es heißt. Leider gibt es keine gebräuchliche deutsche Entsprechnung, sonst hätte ich sie schon benutzt. Also, typische Antonomasien sind "die Hugenottenstadt" für Erlangen oder eben, und hier wird es einschlägig, "die grüne Insel" für Irland, der "Rote Planet" (Neuschreibung) usw.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.03.2006 um 22.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3614

Ohne mein dickes altgriechisches Wörterbuch hätte ich mir "ant-onomasia" = "Anders-Benennung" nicht ableiten können.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2006 um 16.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3607

Daß die Groß- und Kleinschreibung der Nominationsstereotype ("festen Begriffe") und Antonomasien tatsächlich nicht abschließend geregelt werden kann, zeigen die enormen Veränderungen, die man mangels Wörterbuch nur andeutugnsweise darstellen kann. Hier einige Beobachtungen:

§ 63 E erweist sich als ein Tor, durch das nicht nur herkömmliche Großschreibungen (der Weiße Tod - 1991 nur groß, bis 2004 nur klein, seit 2006 beides zulässig) wieder eingelassen werden, sondern gleich noch eine Menge neuer hereindrängt wie der Blaue Brief, die Grüne Lunge, die Grüne Grenze, der Weiße Sport und viele andere. Die Gelbe Karte soll sogar anders als 1991 und 2004 nur noch groß geschrieben werden, die Grüne Insel seit 1996 ebenfalls. Unklar ist noch, ob auch die grüne Hölle, die grüne Welle, die grüne Hochzeit, die grüne Witwe und weitere Verbindungen dieser Art groß geschrieben werden dürfen. Das werden erst die Wörterbücher unter sich ausmachen. Die gelben Rüben wurden 1991 klein geschrieben, 1996 bis 2004 groß, aber was heute gelten soll, ist noch unklar. Der blaue und der rote Planet sowie der große Teich wurden 1991 klein geschrieben, sind aber seit der Reform nur noch groß geschrieben zulässig, während die blaue Blume der Romatik klein bleibt. Die Hohe Schule des Reitens (1991) soll seit 1996 klein geschrieben werden, im neuen Wörterverzeichnis fehlt sie, während das Hohe Haus und die Große Kreisstadt (seit 1996 klein geschrieben) erstmals wieder in der traditionellen Großschreibung verzeichnet sind.


Kommentar von R. M., verfaßt am 19.03.2006 um 14.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3604

Obligatorische Zusammenschreibung nach § 34 (1.3):

abhanden-, anheim-, bevor-, dar-, einher-, entzwei-, fürlieb-, hintan-,
inne-, überein-, überhand-, umhin-, vorlieb-, zurecht-
(Regelwerk)

hops-, kehrt-, reine-, verschütt-, vonstatten-, zugute-, zunichte-, zupass-, zustatten-, zuteil- (Wörterverzeichnis)

Ferner nach E4:
fehl-, feil-, heim-, irre-, kund-, preis-, wahr-, weis-, wett-

Obligatorische Getrenntschreibung (und fakultative Groß- und Getrenntschreibung) nach § 39 E3(1):

außerstand -, außerstande -, imstande -, infrage -, instand -, zugrunde -, zuhause -, zuleide -, zumute -, zunutze -, zurande -, zurate -, zuschanden -, zuschulden -, zustande -, zutage -, zuwege -

Also: abhandenkommen, aber infrage kommen usw.


Kommentar von R. M., verfaßt am 19.03.2006 um 11.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3600

Alle Hoffnung fahrenlassen, aber einen fahren lassen? Da das Lemma Furz fehlt, kann man da nicht ganz sicher sein.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2006 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3598

Weitere Beobachtungen:

Nach der Revision soll man Getränke kaltstellen oder kalt stellen, Politiker aber nur kaltstellen. Für kaltlassen ist in jeder Bedeutung nur Zusammenschreibung angegeben, für kalt bleiben auch im übertragenen Sinn nur Getrenntschreibung. Essen kann man warmmachen oder warm machen, sich selbst aber nur warm machen. Überraschenderweise kann man mit jemandem nur warmwerden, auch wenn er dabei kalt bleibt und nicht etwa kaltbleibt (s. o.).
Das Prinzip der Unterscheidungsschreibung bei übertragener Bedeutung, eine wirklichkeitsferne Konstruktion des alten Duden, wird durch die Revision radikalisiert, nur mit dem Unterschied, daß für die wörtliche Bedeutung nur noch fakultative Zusammenschreibung eintritt. Man kann also Gegenstände weichklopfen oder weich klopfen, Personen aber nur weichklopfen, obwohl es keinen grammatischen Unterschied gibt. Das Wörterverzeichnis sagt zwar nichts über dichtmachen, aber aus dem Duden 2004 läßt sich schon vermuten, daß man ein Faß dichtmacht oder seit 2006 auch dicht macht, einen Laden aber nur dichtmacht.
drausbringen muß man zusammenschreiben, wird es aber mangels Gelegenheit selten tun, jedenfalls außerhalb von Österreich.
Den schwarzen Peter beim Kartenspiel kann man auch wieder groß schreiben, aber in der Wendung jdm. den schwarzen Peter zuschieben muß man ihn klein schreiben. Zur Begründung wird auf die vage Formulierung unter § 63 E verwiesen, aus der gar nichts Bestimmtes folgt.

Die "Vereinfachung" schreitet, wie man sieht, unaufhaltsam fort.



Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.03.2006 um 16.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3512

Wie im Rat gearbeitet wurde, geht auch aus folgendem Text hervor; meine Anmerkungen vom Sommer 2005 sind unverändert wiedergegeben.

Beratungsvorlage Zeichensetzung (mit Kommentaren von Th. I. in eckigen Klammern)

E Zeichensetzung
§ 73 Bei der Reihung von selbstständigen Sätzen zu einem Ganzsatz, die durch und, oder, entweder – oder bzw. weder – noch. verbunden sind, kann man ein Komma setzen um die Gliederung des Ganzsatzes deutlich zu machen.
Ich fotografierte die Berge, und meine Frau lag in der Sonne. Er traf sich mit meiner Schwester, und deren Freundin war auch mitgekommen. Wir warten auf euch, oder die Kinder gehen schon voraus.
E: Ist die Gliederung zweifelsfrei, kann es auch weggelassen werden.
Das Feuer brannte endlich(,) und sie machten es sich gemütlich. Hast du ihn angerufen(,) oder wirst du es erst am Sonntag tun? Entweder du kommst(,) oder du schreibst einen Brief. Weder schrieb er einen Brief(,) noch kam er selbst.

[Schon in den vorhergehenden Paragraphen und im Vorspann bahnt sich das grundsätzlich Verfehlte der Neuregelung an. Ich weiß gar nicht, warum die Lehre vom „Ganzsatz“, die Mentrup noch 1993 als für Deutschland ziemlich unüblich bezeichnete, auf einmal zum Schlüssel der Schulgrammatik und der Interpunktion gemacht worden ist. Die Zeichensetzung innerhalb der Neuregelung ist weitgehend auf diesen Begriff gegründet, teilweise auch die Großschreibung.

Wie problematisch der Begriff „Ganzsatz“ ist, zeigt sich an folgendem: Gallmann und Sitta definieren: „Ganzsatz = zusammengesetzter Satz.“ (Schülerduden-Grammatik 1990; ebenso in der Neufassung 1998, mit Roman Looser) In der amtlichen Neuregelung hingegen, die sie mitverfaßt haben, umfaßt der Begriff auch einfache Sätze. In der Neubearbeitung von Renate Bauduschs „Zeichensetzung klipp & klar“ (Bertelsmann 2000) spielt der Begriff des „Ganzsatzes“ ebenfalls eine große Rolle, ist allerdings weder im Glossar noch im Register angeführt. Die Erklärung S. 15 läuft darauf hinaus, daß alles, was durch die „Satzschlusszeichen“ Punkt, Frage- und Ausrufezeichen abgegrenzt ist, Ganzsatz sein soll, also auch der einfache Satz.

Eine Satzreihe besteht aus mehreren selbständigen Sätzen und ist daher ein Stück Text und kein „Satz“, daher auch kein Ganzsatz. Die Selbständigkeit besteht gerade darin, daß die Sätze keine grammatisch definierbare Beziehung zu einander oder zu einem übergeordneten Ganzen haben. Nur die Kommatierung kann (zirkulär) zu dem Eindruck geführt haben, daß es sich hier um einen Ganzsatz aus „Teilsätzen“ handeln müsse.

Gallmann und Sitta analysieren die Satzreihe in der Schülergrammatik so, daß sie schon durch „geringfügige Veränderungen der Satzzeichen“ vom Ganzsatz zum Textstück aus mehreren Sätzen gemacht werden können:

Früher hatten wir oft Ärger mit dem Computer, er war dauernd kaputt.
Früher hatten wir oft Ärger mit dem Computer. Er war dauernd kaputt.

Die beiden Gebilde sind syntaktisch identisch.

In der Neubearbeitung der Schülerduden-Grammatik kommen die Verfasser auch zu folgender Begriffsbestimmung: „Der einfache Satz ist ein Satz, der aus einem einzigen Teilsatz besteht.“ (S. 308) Diese offenbar auf Systemzwang beruhende Definition dürfte für Schüler eine unnötige Erschwerung bedeuten, da es intuitiv nicht plausibel ist, mit „Teilsätzen“ zu operieren, wo gar kein größeres Ganzes gegeben ist.

In der großen Dudengrammatik (2005), deren Syntaxteil Gallmann verfaßt hat, wird auf den Begriff „Ganzsatz“ völlig verzichtet, er scheint überhaupt nur für die Schule erfunden worden zu sein. Der korrespondierende Begriff des „Teilsatzes“ ist allerdings übernommen, und auch die genannte Komplikation findet sich wieder: „Ein einfacher Satz besteht aus einem einzigen Teilsatz.“ (S. 1028)

Während die falsche Analyse der Satzreihe auch der amtlichen Neuregelung zugrunde gelegt ist, geht Gallmann in der Dudengrammatik 2005 ausdrücklich andere Wege. Die Satzreihe wird korrekt als Textstück behandelt (S. 1030f., unter Hinweis auf die Zirkelhaftigkeit der früheren Definition mit Hilfe der Satzschlußzeichen). In die Revision der Rechtschreibreform vom Jahre 2004 hat diese bessere Einsicht aber noch nicht Eingang gefunden. Soll man sie deshalb nun ignorieren?

Das Zudecken fundamentaler Unterschiede durch das Begriffspaar „Ganzsatz/Teilsatz“ führt nicht nur zu einer Verkennung der Satzreihe, sondern zur (fakultativen) Kommatierung zwischen gleichrangigen, konjunktional verbundenen Nebensätzen:

Dass die Betten zu weich waren, und dass das Essen schlecht war, ärgerte die Urlauber sehr. (Baudusch a.a.O., S.109)
Das ist widersinnig, denn es handelt sich ja um koordinierte Satzglieder (bzw. Gliedteile), zwischen denen sonst niemals ein Komma zusätzlich zur Konjunktion steht.

Im gleichen Band versucht Gallmann, die satzwertigen Infinitiv- und Partizipialgruppen abzugrenzen und dafür seine – an sich begrüßenswerte – konservative Lösung der Kommasetzung zu empfehlen, doch bleibt die Darstellung bezeichnenderweise fragmentarisch. Gallmann bricht sie kurzerhand ab: „Wir können die zugrunde liegenden grammatischen Gesetzmäßigkeiten und die damit zusammenhängenden Regeln der Kommasetzung hier nicht weiter ausführen.“ (S. 322) Damit gibt er zu, daß die von ihm in Augst et al. vorgestellte Darstellung der Infinitivgruppen auf der Grundlage des Kohärenzbegriffs nicht schultauglich ist. Wie sollen die Schüler in der Interpunktionslehre etwas begreifen, was ihre Schulgrammatik zu erklären außerstande ist?]

(Aus systematischen Gründen wurde die Reihenfolge der Paragraphen 75 und 76 vertauscht:)
§ 75 Erweiterte verbale und nichtverbale Wortgruppen (Infinitiv-, Partizip-, und Adjektivgruppen) grenzt man mit Komma ab, wenn sie satzwertig sind.
Dies betrifft:
(1)satzwertige Konstruktionen mit einem infiniten erweiterten verbalen Bestandteil:
(1.1) Infinitivgruppen
Er hatte keine Gelegenheit, mich zu grüßen. Sie fuhr in die Stadt, um einzukaufen.
E1: Kein Komma steht, wenn der erweiterte Infinitiv von Hilfsverben- und modalisierenden Verben wie sein, haben, brauchen, pflegen, scheinen abhängt. Die Spur war deutlich zu sehen. Sie haben nichts zu verlieren. Sie pflegt einen Abendspaziergang zu machen. Du scheinst schlecht gelaunt zu sein. Der Kranke drohte daran zu ersticken. (Aber: Der Kranke drohte, sich umzubringen.) Die Sache verspricht ein Erfolg zu werden. (Aber: Er versprach hoch und heilig, ein anständiger Mensch zu werden.)
E2: Kein Komma steht, wenn der Infinitiv nicht erweitert und nur mit zu eingeleitet ist: Er versprach zu gehen. Sie wusste zu gefallen.

[Das letzte Beispiel ist unpassend, weil auch bei Erweiterung kein Komma stehen dürfte.]

(1.2) Partizip- und Adjektivgruppen
Durch den Tod seiner Frau erschüttert, zog er sich ganz zurück. Zurückgewiesen, versuchte er es immer wieder. Der Auseinandersetzung überdrüssig, verließ er den Saal.
(2)satzwertige Konstruktionen ohne verbalen Bestandteil. Auf Satzwertigkeit deutet hin, dass die Konstruktion
(2.1) durch eine Konjunktion eingeleitet wird:
Obwohl kein Freund fauler Kompromisse, stimmte der Gewerkschaftsvertreter letztendlich zu. Wenn schon Studium, dann auch richtig.
(2.2) exponiert am linken oder rechten Rand steht und durch habend, seiend bzw. werdend oder geworden ergänzt werden kann:
Immer in Bereitschaft, konnte sie sich eine Auszeit gar nicht mehr vorstellen. Immer kecker, kamen die Spatzen bis an den gedeckten Tisch. Endlich wieder allein, setzten sie ihre Lektüre fort. Schon seit Stunden müde, hatte sie keine Lust zu der Feier. Reich an Erfahrung, führte er den Auftrag zur Zufriedenheit aller durch.

[Wahrscheinlich ist eine Fassung möglich, die von der „exponierten“ Stellung absieht. Soweit die Vorfeldstellung in Betracht kommt, liefert sie wegen der bekannten Beschränkung einen unabhängigen Grund, der eine gesonderte Nummer rechtfertigen würde. Interessant ist folgende Passage aus der Schülerduden-Grammatik von Gallmann/Sitta/Looser (1998, S.314):
„Das Komma ist bei satzwertigen Infinitiv- und Partizipialgruppen teilweise fakultativ. Wir haben hier das Komma der deutlichen Darstellung halber immer gesetzt.“
Damit ist zugestanden, daß die Weglassung des Kommas grundsätzlich die Deutlichkeit und damit die Qualität des Textes mindert.
Zum Partizipialsatz vgl.: Fünf Jahrzehnte war es, gezwungen, Teil der Sowjetunion. (FAZ 20.6.05, über Litauen)]

(2.3) im Mittelfeld steht und dadurch Missverständnisse entstehen können. Das paarige Komma macht hier die Konstruktion deutlich.
Sie suchte, den etwas ungenauen Stadtplan in der Hand, ein Straßenschild.
Sie ging endlich wieder allein arbeiten (nicht mit anderen). Sie ging, endlich wieder allein, arbeiten (die Person ist allein).

[Die Konstruktion macht das Komma erforderlich, unabhängig von der Möglichkeit des Mißverständnisses.]

(2.4)durch eine Zäsur (Pause) markiert ist:
Endlich wieder allein, setzten sie ihre Lektüre fort. Schon seit Stunden müde, hatte sie keine Lust zu der Feier. Reich an Erfahrung, führte er den Auftrag zur Zufriedenheit aller durch.
§ 76 Bei formelhaften Nebensätzen kann man das Komma weglassen.
Wie bereits gesagt(,) verhält sich die Sache anders. Ich komme(,) wenn nötig(,) bei dir noch vorbei
§ 97 Man kann den Apostroph setzen, wenn bei der schriftlichen Wiedergabe gesprochener Sprache Auslassungen gekennzeichnet werden sollen.
der Käpt’n, mit’m Fahrrad
Bitte, nehmen S’ (= Sie) doch Platz! Das war ’n (= ein) Bombenerfolg!
E: Von dem Apostroph als Auslassungszeichen zu unterscheiden ist der gelegentliche Gebrauch dieses Zeichens zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens vor dem Adjektivsuffix -sch: Einstein’sche Relativitätstheorie, Bernoulli’sche Gleichungen
Siehe auch § 49 und § 62.

[Das Beispiel Einstein'sche ist ungünstig, weil kein Verdeutlichungsbedarf besteht; außerdem sollte der Anweisungscharakter auch dieser Regel deutlicher werden, oder alle Regeln müßten als Beschreibungen eines Brauchs formuliert werden.
Vom Apostroph als wirklichem Auslassungszeichen sollte wieder mehr Gebrauch gemacht werden. Ich finde tus doch! (DUW heute) schlechter als tu's doch! (DUW vor der Reform)]


Nachtrag 13.3.2006: Die letzen beiden Beispielsätze unter § 75 (1) sind ungeschickt gewählt, weil es für die Kommatierung von Einschüben gleichgültig ist, welche Form sie haben.



Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.03.2006 um 09.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3504

Das führt zu der alten Frage, ob die Schreibweise den Unterschied zwischen "schwarz" als Ergebnis der Handlung (Farbe) und als Art der Handlungsausführung (ohne Steuer) ausdrücken sollte.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2006 um 07.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3503

Wenn man verstehen will, warum die Empfehlungen so wirr ausgefallen sind, und zwar gerade im zentralen Bereich, der GZS, muß man sich an frühere Darstellungen des Hauptverantwortlichen erinnern. Ich setze darum ein aufschlußreiches Dokument noch einmal hierher und empfehle den Vergleich mit der Endfassung 2006:

Peter Eisenberg:

Getrennt- und Zusammenschreibung

(Entwurf für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 7.5.04; Tippfehler sind korrigiert, Kursivierung ist zu ergänzen.)


1Vorbemerkungen

Wortformen werden im laufenden Text durch Spatien (Leerstellen) getrennt. Schreibt jemand sehr alt, handelt es sich um zwei Wortformen, nämlich um ein Adverb gefolgt von einem Adjektiv. Schreibt er steinalt, handelt es sich um eine Wortform, nämlich um ein zusammengesetztes Adjektiv. Im Zweifelsfall zeigt der Schreiber durch die Verwendung von Spatien an, was als eine Wortform und was als mehrere Wortformen verstanden werden soll.

Bei den Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung geht es in den meisten Fällen um die Frage, ob zwei Einheiten eine Wortform bilden oder nicht. Ob getrennt oder zusammengeschrieben wird, richtet sich danach, was jeweils gemeint ist und was den Regularitäten des Sprachbaus entspricht. Die Bedingungen dafür sind bei den einzelnen Wortarten unterschiedlich. Der Gesamtbereich läßt sich übersichtlich danach gliedern, ob das zweite der beiden Elemente verbal (Abschnitt 1), adjektivisch (Abschnitt 2), substantivisch (Abschnitt 3) oder einer anderen Kategorie zugehörig ist (Abschnitt 4).


2Verb

Verben sind häufig aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt, die aber auch getrennt auftreten. In einem Satz wie Helga zieht einen Mantel an besteht die Verbform aus den getrennten Teilen zieht und an. Der Bestandteil an wird Verbpartikel genannt. In den Infinitiven (anziehen, anzuziehen), im Partizip I (anziehend), im Partizip II (angezogen) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (wenn Helga einen Mantel anzieht) geht die Verbpartikel dem Rest der Verbform unmittelbar voraus und wird mit ihr zusammengeschrieben. In den übrigen Verwendungen wie im Aussagesatz (Beispiel oben) oder im Aufforderungssatz (Zieh einen Mantel an) ist die Verbpartikel vom Rest der Verbform getrennt und folgt ihm nach. Die Verbpartikel ist betont, sie trägt den Hauptakzent der gesamten Verbform.

Bei der typischen Verbpartikel ist die Getrennt- und Zusammenschreibung eindeutig geregelt, Schreibprobleme treten nicht auf. Es gibt jedoch eine Reihe von Einheiten, die den Verbpartikeln in vieler, aber nicht in jeder Hinsicht gleichen. Im Verb lahmlegen wird der adjektivische erste Bestandteil wie eine Verbpartikel behandelt, man schreibt lahmzulegen, lahmlegend, lahmgelegt und wenn der Smog den Verkehr lahmlegt. Andererseits gibt es keinen Grund, müde reden (wenn er die Studenten müde redet) zusammenzuschreiben. Die Einheiten sind nicht zu einem Wort geworden. Vergleichbare Fälle gibt es bei substantivischem ersten Bestandteil (kopfrechnen vs. Klavier spielen) und bei verbalem ersten Bestandteil (kennenlernen vs. baden gehen).

§ 34


Betroffen sind also Verbpartikeln, adjektivische, substantivische und verbale erste Bestandteile.


1.Verbpartikeln als erster Bestandteil

Typische Verbpartikeln sind Einheiten, die

0.1formgleich sind mit Präpositionen; z.B. ab (abändern), an (angeben), auf (aufstellen), aus (ausgehen), bei (beisitzen), unter (untersetzen), zu (zurechnen)

E1 Der Unterschied zwischen einer Präposition und einer Verbpartikel ist im allgemeinen sofort ersichtlich, z.B. auf der Brücke (Präposition auf) und Die Sonne geht auf (Verbpartikel auf).

0.2formgleich sind mit Adverbien; z.B. daneben (danebenlegen), dazu (dazulegen), herab (herabsteigen), herunter (herunterlaufen), runter (runterladen), weg (wegbringen), wieder (wiedersehen)

E2 Eine Reihe von Adverbien mit dem Bestandteil dar wirft das a beim Übergang zur Verbpartikel ab, z.b. darin > drin (drinsitzen), ähnlich dran (dranbleiben), drauf (draufhauen), drauflos (drauflosreden).

E3 Der Unterschied zwischen der Verbpartikel und dem Adverb wird daran deutlich, daß das Adverb vom Verb getrennt stehen kann, die Verbpartikel nicht. So fungiert dazu im Satz Sie hat dazu ein Glas Wein getrunken als Adverb, im Satz Er ist erst vor einem Monat dazugestoßen als Verbpartikel.

0.3bei Verben nur als Verbpartikel vorkommen, d.h. nicht formgleich mit frei vorkommenden Wörtern sind; z.B. anheim (anheimfallen), fürlieb (fürliebnehmen), überhand (überhandnehmen), einher (einhergehen), überein (übereinkommen), dar (darstellen), entzwei (entzweibrechen), fehl (fehlgehen), feil (feilbieten), kund (kundgeben), ein (eingehen).


2.Adjektivischer erster Bestandteil

Hier sind drei Fälle zu unterscheiden.

2.1 Das Adjektiv wird getrennt vom Verb geschrieben. In einem Satz wie Karl streicht den Zaun grün bezeichnet das Adjektiv grün eine Eigenschaft, die das vom direkten Objekt (den Zaun) Bezeichnete durch die Verbalhandlung (streichen) erhält. Man spricht hier vom Objektsprädikativ. Weitere Beispiele: etwas klein schneiden, kurz mähen, glatt hobeln, blank putzen. Eine verwandte Form des Objektsprädikativs kommt mit Verben vor, die überwiegend oder ausschließlich reflexiv gebraucht werden; z.B. sich müde arbeiten, sich dick essen, sich blutig kratzen, sich wach trinken.

2.2Sowohl Getrenntschreibung als auch Zusammenschreibung ist möglich. In einem Satz wie Helga ißt den Teller leer ist den Teller nicht direktes Objekt zu essen (Helga ißt nicht den Teller), sondern zur Verbindung aus leer und essen. Hier sind die Schreibungen leer essen und leeressen möglich. Ähnlich voll gießen/vollgießen, fest nageln/festnageln. In zahlreichen Fällen wird die Zusammenschreibung vor allem bei einer abgeleiteten Gesamtbedeutung verwendet, z.B. etwas fest nageln vs. jemanden festnageln.
Im Satz Karl stellt seinen Chef zufrieden bezeichnet stellen nicht die Verbalhandlung, die zur Zufriedenheit führt, vielmehr wird diese von der Verbindung aus zufrieden und stellen bezeichnet. Es sind die Schreibungen zufrieden stellen und zufriedenstellen möglich. Ähnlich kaputtmachen/kaputt machen, übriglassen/übrig lassen.
Im Satz Helga lacht sich krank bezeichnet krank nicht die Eigenschaft, zu der die Verbalhandlung lachen führt, vielmehr wird sie von der Verbindung aus krank und gelacht bezeichnet. Es sind die Schreibungen sich krank lachen und sich kranklachen möglich. Ähnlich sich schwarz ärgern/sich schwarzärgern, sich tot freuen/sich totfreuen, jemanden voll quatschen/vollquatschen.

2.3Es wird zusammengeschrieben. Im Satz Der Doktor schreibt den Prüfling krank bezeichnet nicht schreiben, sondern krankschreiben die Verbalhandlung des Doktors, und es bezeichnet nicht krank, sondern krankgeschrieben die Eigenschaft des Prüflings. Man schreibt krankschreiben. Ähnlich etwas feststellen, jemanden freisprechen, jemanden fertigmachen, jemanden kaltstellen sowie Verben ohne direktes Objekt wie schwerfallen, fernliegen, nahebringen.

E4 Zusammenschreibung ist generell auf einfache Adjektivstämme beschränkt. Möglich ist beispielsweise etwas vollgießen, aber nicht etwas randvollgießen. Wörter mit komplexen Adjektivstämmen wie zufriedenstellen, heiligsprechen, fertigmachen, übriglassen sind stark idiomatisiert oder der Adjektivstamm ist gar nicht mehr zerlegbar (z.B. zufrieden, fertig). Sie verhalten sich deshalb wie einfache Stämme.

E5 Die in 2.1 bis 2.3 unterschiedenen Typen stellen den Normalfall für die Schreibung dar. Eine über 2.1 hinausgehende Tendenz zur Zusammenschreibung haben wir etwa in den Hasen totschießen, die Schraube festdrehen und das Paket vollpacken. Diese Tendenz ergibt sich aus der Neigung zur Reihenbildung von tot, fest und voll.
Wörter wie hochrechnen, hochstapeln, gutschreiben, neubilden und (ein Wort) kleinschreiben gehören eigentlich zu 2.2. Sie werden trotzdem stets
zusammengeschrieben, weil sie aus Substantiven wie Hochrechnung, Hochstapler, Gutschrift, Neubildung und Kleinschreibung rückgebildet sind.
Generell läßt sich also feststellen, daß es in dem gesamten Bereich eher Tendenzen zur Zusammen- als zur Getrenntschreibung gibt.


3.Substantivischer erster Bestandteil

Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden.

3.1Das Substantiv wird getrennt vom Verb geschrieben. Im Satz Karl bläst Horn können an der Stelle von blasen andere Verben wie üben oder lernen auftreten. Zu Horn können ein Artikel und ein Attribut treten (Er bläst ein altes Horn), und im Nebensatz mit Endstellung des Verbs kann Horn vom Verb getrennt werden (weil er Horn gern bläst). Das zeigt, daß Horn sich hier weitgehend wie ein selbständiges Substantiv und nicht wie ein Bestandteil des Verbs verhält. Es wird groß und getrennt geschrieben. Ähnlich Klavier spielen, Auto fahren, Rad fahren, Radio hören, Pfeife rauchen.

3.2Es wird zusammengeschrieben. In einem Satz wie Helga läuft eis hat eis nicht die Eigenschaften eines Substantivs und ist nicht direktes Objekt zu laufen. Insbesondere kann eis nicht mit Artikel und Attribut stehen, Sätze wie Helga läuft ein festes Eis sind nicht möglich. Auch die Trennung vom Verb wie in weil Helga eis gern läuft ist nicht möglich. Das zeigt, daß eis hier nicht ein selbständiges Substantiv, sondern Bestandteil der Verbform ist. In den Infinitiven (eislaufen, eiszulaufen), im Partizip I (eislaufend), Partizip II (eisgelaufen) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (weil Helga gern eisläuft) wird zusammengeschrieben. Ist eis vom Rest der Verbform getrennt, wird es kleingeschrieben, etwa im Aussagesatz (Beispiel oben) und im Fragesatz mit Erststellung des Verbs (Läuft Helga eis?). Ähnlich wie eislaufen verhalten sich achtgeben, brustschwimmen, haltmachen, maßhalten, notlanden, teilnehmen.

E6 In vielen Fällen spielen andere Eigenschaften wie das Gewicht des ersten Bestandteils eine Rolle. So wird etwa ein langer und in diesem Sinn gewichtiger substantivischer Bestandteil gelegentlich von der Verbform abgetrennt. Es folgt dann auch die Großschreibung, z.B. Sie ist Schlittschuh gelaufen oder Er hat Schlange gestanden.

E7 Es gibt zahlreiche Verben mit substantivischem Bestandteil, der nicht vom Verb trennbar ist. Beispielsweise kann vom Verb bausparen niemals Sie spart bau gebildet werden. Die Frage nach der Getrenntschreibung Bau sparen oder bau sparen stellt sich deshalb nicht. Es wird immer zusammengeschrieben. Ähnlich bergsteigen, ehebrechen. Viele solcher Wörter entstehen in speziellen Sprachvarietäten wie der gesprochenen Sprache, der Werbesprache, der Jugendsprache oder in Fachsprachen, z.B. bauchlanden, bauchreden, bruchlanden, eierlaufen, fotokopieren, kunststopfen, punktschweißen, radschlagen, sackhüpfen.

E8 Die in 3.2 charakterisierte Konstruktion darf nicht mit der Konstruktion von Partei ergreifen verwechselt werden. Hier ist Partei Substantiv und fungiert als direktes Objekt. Möglich ist beispielsweise Sie ergreift seine Partei oder weil er die Partei des Verlierers ergreift. Ähnlich Kritik üben, Rücksicht nehmen, Ersatz leisten,
Farbe bekennen.


4.Verbaler erster Bestandteil

Im Vergleich zu den bisher besprochenen sind Ausdrücke mit verbalem ersten Bestandteil selten. Bezüglich Getrennt- und Zusammenschreibung sind drei Fälle zu unterscheiden.

4.1 Das erste Verb wird getrennt vom zweiten geschrieben. In einem Satz wie Helga lernt laufen bezeichnet laufen das, was Helga lernt. Möglich ist auch der Satz Helga lernt zu laufen. Laufen bzw. zu laufen ist eine selbständige Verbform und wird auch in den Infinitiven (laufen lernen, laufen zu lernen), im Partizip I (laufen lernend), Partizip II
(laufen gelernt) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (weil Helga laufen lernt) getrennt geschrieben. Ähnlich schwimmen üben, sprechen lehren, baden gehen.

4.2 Getrennt- und Zusammenschreibung ist möglich. Bei den Verben bleiben und lassen als zweitem Bestandteil wird im allgemeinen getrennt geschrieben, z.B. weil sie auf der Brücke stehen bleibt; weil er den Teller fallen läßt. Bei abgeleiteter (‚übertragener‘) Gesamtbedeutung der beiden Verbformen wird häufig zusammengeschrieben (z.B. auf einem Lernniveau stehenbleiben, in der Schule sitzenbleiben, jemanden fallenlassen, sich gehenlassen).

4.3 Es wird zusammengeschrieben. Das Verb kennenlernen ist ein Wort und wird zusammengeschrieben. Es gibt nur eine Gesamtbedeutung und kennen bezeichnet, anders als bei laufen lernen, nicht das, was jemand lernt. Die alternative Formulierung mit zu (entsprechend Er lernt zu laufen) gibt es nicht: Er lernt sie zu kennen ist nicht möglich. Das Verb spazierengehen ist ein Wort und wird zusammengeschrieben. Es gibt nur eine Gesamtbedeutung. Wer spazierengeht muß nicht unbedingt spazieren und
wer spazierenfährt spaziert auf keinen Fall.

E9 In einer Reihe von Fällen ist nicht ohne weiteres klar, welcher Kategorie der erste Bestandteil angehört. Die Schreibung ist hier Fall für Fall geregelt; z.B. pleite gehen, not tun, leid tun, recht haben. Das Verb erscheint in solchen Ausdrücken nicht in seiner Grundbedeutung.



Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2006 um 06.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3502

Noch eine weitere ergänzende Betrachtung:

Ist es relevant, daß jemand, der den Zaun „grün streicht“, zugleich den Zaun streicht („und zwar grün“), während jemand, der den Teller „leer ißt“, nicht den Teller ißt? Streicht man das Papier, wenn man es „glattstreicht“? Eisenberg gelangt 2004 zur Getrenntschreibung von „grün streichen“, dagegen zur fakultativen Zusammenschreibung von „leeressen“. Im Duden 1991 wird Getrenntschreibung von „leer essen“ vorgeschrieben. Für „grün streichen“ ist beim Duden (vgl. den Eintrag „blau“) Getrenntschreibung anzunehmen, allerdings mit falscher Ansetzung eines zweiten Akzents auf dem Verb. Die Revision von 2004 kennt, wie die ursprüngliche Reform, ebenfalls nur Getrenntschreibung (aber schon wieder fakultatives „blaugefärbt“). Das Wörterverzeichnis von 2006 verzeichnet fakultative Zusammenschreibung: „blau färben, blaufärben“. Der Vergleich mit Eisenberg 2004 zeigt ein ständiges Herumtappen zwischen verschiedenen Kriterien, das nicht zu einem plausiblen Abschluß gelangt ist.

Eisenberg 2004: „Im Satz Der Doktor schreibt den Prüfling krank bezeichnet nicht schreiben, sondern krankschreiben die Verbalhandlung des Doktors, und es bezeichnet nicht krank, sondern krankgeschrieben die Eigenschaft des Prüflings. Man schreibt krankschreiben. Ähnlich etwas feststellen, jemanden freisprechen, jemanden fertigmachen, jemanden kaltstellen.“

Das ist naiv. „krankschreiben“ und „freisprechen“ sind performative Verben, der Patient wird amtlich für krank erklärt, der Angeklagte für frei, und dadurch sind sie es dann auch. Der Kaltgestellte ist kalt, allerdings in übertragener Bedeutung, was wieder etwas ganz anderes ist, als die Überlegungen zu den Objektsprädikativen hergeben.



Kommentar von R. M., verfaßt am 11.03.2006 um 19.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3497

Für die erste Reform der Reform wurde 2004 von seiten der KMK mit dem Beispiel Bluejeans geworben -- man könne jetzt auch Blue Jeans schreiben. Tatsächlich hatte der alte Duden schon Bluejeans, und der von 1996 schon die Variante Blue Jeans, rot gekennzeichnet. Zehetmair ist nicht der Erfinder der Methode, mit falschen Beispielen die Leichtgläubigkeit der Presse zu testen. -- Roundtable wird auf dem ersten Bestandteil betont, weshalb auch im Englischen die Zusammenschreibung nicht unüblich ist.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2006 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3496

Mit der Analyse der Empfehlungen nebst Beigaben sind wir sicher noch lange nicht fertig. In Form eines Nachtrags will ich mal etwas zur Schreibung englischer Fremdwörter beisteuern:

In der Zusammenfassung heißt es:

"Die Schreibung mehrgliedriger Anglizismen aus Adjektiv + Substantiv wird an das Akzentmuster gekoppelt: Zusammenschreibung, wenn der Hauptakzent auf dem adjektivischen Bestandteil liegt, Getrenntschreibung, wenn beide Bestandteile einen Akzent tragen. Beispiele: Freestyle, Hightech, Shootingstar; Golden Goal, Private Banking, Round Table.
Sind beide Akzentmuster möglich, dann kann getrennt- wie zusammengeschrieben werden, zum Beispiel: Big Band/Bigband, Hot Pants/Hotpants, Small Talk/Smalltalk"

Diese neue Regel (ursprünglich gab es im Reformwerk überhaupt keine Vorschriften speziell für englische Fremdwörter, die hier populärwissenschaftlich Anglizismen genannt werden) führt zu einer Unmenge von Änderungen in den reformierten Wörterbüchern, ohne aber die herkömmlichen Schreibweisen wiederherzustellen. Es ist übrigens nicht klar, ob auf die englische oder die deutsche Betonung abgestellt wird; für das Beispielwort Big Band dürfte sich kaum eine andere als die Anfangsbetonung nachweisen lassen.

In den Empfehlungen selbst lautet die Vorschrift unter § 37 übrigens anders:

"E4: Aus dem Englischen stammende Bildungen aus Adjektiv + Substantiv können (!) zusammengeschrieben werden, wenn der Hauptakzent auf dem ersten Bestandteil liegt, also Hotdog oder Hot Dog, Softdrink oder Soft Drink, aber nur High Society, Electronic Banking oder New Economy."

In der Praxis sieht das so aus: Ein Wort wie Bluejeans wird nach § 37 E3 (wie im Wörterverzeichnis) zusammengeschrieben; unter Anwendung von E4 ist diese Zusammenschreibung jedoch auch bei Erstbetonung nur fakultativ, und bei Zweitbetonung muß sogar getrennt geschrieben werden.


Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 11.03.2006 um 02.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3486

@ Rominte van Thiel

Genau kann ich Ihnen Ihre Frage auch nicht beantworten, aber "rau" trägt deutlich augstsche Züge.

Wegen der Heyse-Schreibung wäre es wohl am besten, Augen- und Ohrenzeugen wie Horst Haider Munske oder Peter Eisenberg zu fragen. Ehrlich gesagt, würde mich diese Frage auch brennend interessieren, vor allem angesichts der Äußerungen von K. Blüml im Interview mit Alexander Glück (ein stiller "Triumph" Österreichs über Deutschland?). Möglicherweise könnte ein genauerer Einblick in das Zustandekommen dieser Torheit auch Wege weisen, sie wieder loszuwerden.



Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.03.2006 um 18.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3481

Nach einem elektronischen Vergleich der beiden PDF-Dokumente erkenne ich (nach kursorischer Betrachtung, also ohne Gewähr!) außer bei den Formalien (Vorwort, Numerierung, Paginierung) keine bedeutsamen Abweichungen.

Ich finde nur in Ziffer 2.1 ein etwas längerer Einschub in der RSR-Fassung, der in der KMK-Fassung fehlt. In 2.2.1 Abs. 3) gibt es eine Abweichung bei „deinem/Deinem“.

Etwas merkwürdig erscheint mir in der RSR-Fassung der Hinweis, daß die Sitzungsprotokolle "Auskunft geben", obwohl diese ja gar nicht veröffentlicht sind!

Im einzelnen:

Ziffer 2.1

RSR:

Der Verlauf der einzelnen Sitzungen und die Ergebnisse der Beschlussfassung brauchen hier nicht nachgezeichnet zu werden; die Protokolle der Sitzungen, die den staatlichen Stellen fortlaufend zur Kenntnis gegeben wurden, und die unten auf S. 6ff. enthaltenen vergleichenden Übersichten zu den einzelnen Bereichen, zu denen Vorschläge erarbeitet wurden, geben hierzu Auskunft. Letzteren ist auch zu entnehmen, in welcher Weise sich die genannten Kriterien niederschlugen und in welcher Hinsicht die Veränderungen vom Rat als Verbesserungen verstanden werden. Zu bemerken ist,......

KMK:

Der Verlauf der einzelnen Sitzungen und die Ergebnisse der Beschlussfassung brauchen hier nicht nachgezeichnet zu werden; die Protokolle der Sitzungen geben hierzu detailliert Auskunft. Zu bemerken ist,....

2.2.1
Abs. 3)

RSR:

Ich habe oft daran gedacht, Dich an deinem neuen Wohnort zu besuchen

KMK:

Ich habe oft daran gedacht, Dich an Deinem neuen Wohnort zu besuchen


Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 10.03.2006 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3480

Eine Frage: Welcher von den Reformern hat eigentlich die Heysesche ss-Regel wieder ausgegraben oder ist das KEINER gewesen oder hat sie jemand neu erfunden und rühmt sich dessen?
Und wer hat sich an dem unschuldigen "rauh" vergriffen?


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2006 um 16.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3479

Ich habe beide Fassungen des "Berichts" (Anhang zu den Empfehlungen) gespeichert, die eine von der KMK, die andere direkt vom Rat. Bekanntlich ist die Paginierung verschieden. Hat jemand die Möglichkeit, ohne großen Aufwand die inhaltliche Identität der beiden Texte zu überprüfen?
Behalten Sie die Texte auf den Seiten des Rates im Auge! Mit stillschweigenden Änderungen muß täglich gerechnet werden. Die Geschäftsführung kennt ja nun unsere Kritik und wird versuchen, einige Schnitzer auszubügeln. Vielleicht werden sogar Regeln heimlich geändert - nach dem bisherigen Verfahren würde es mich nicht wundern.


Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.03.2006 um 12.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3473

Bekanntlich kann Herr Eisenberg ja "leid tun" nicht grammatisch analysieren.
Ich frage mich, wie er denn wohl das zwingend vorgeschriebene "Maschine schreiben" grammatisch analysiert. Soll man jetzt wirklich schreiben "Ich habe den Brief Maschine geschriebenen"? Oder vielleicht "Ich habe Maschine den Brief geschrieben"?
Ist eigentlich der "maschinegeschriebene Brief" jetzt verboten? Die Regeln von 2004 hatten doch bei "adjektivisch gebrauchten" Partizipien weitestgehend die Zusammenschreibung wiederzugelassen. Weder in den Regeln von 2004 noch in den von 2006 finde ich allerdings die Zusammensetzung "maschinegeschrieben".
Wie ist es eigentlich mit "maschinengeschrieben" (mit Fugenelement). Gibt es das Wort überhaupt nicht? Mir kommt es durchaus plausibel vor.
Was ist, wenn ich einen Brief mit zwei Schreibmaschinen geschrieben habe? Ist er dann "Maschinen geschrieben"?


Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 10.03.2006 um 08.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3469

"Der Motor ist heiß lange gelaufen."

Man kann das tatsächlich sagen, und es wird vor allem dann richtig verstanden, wenn nach (betontem) "heiß" (= 'in heißem Zustand') eine kurze Pause folgt. Allerdings ist diese Wortstellung nicht gerade üblich, meist steht "lange" vor "heiß". Das Deutsche ist aufgrund seiner Flexionen im Satzbau recht flexibel, aber das, was möglich ist, ist unterschiedlich gebräuchlich.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2006 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3454

Man kann die bisher nicht definierten Begriffe Subjekts- und Objektsprädikativ auch anders verstehen. In "Müde trinkt er den Kaffee schwarz" sind beide enthalten. Das hat dann mit den Resultativ- und Richtungszusätzen gar nichts mehr zu tun. Die Reformer müssen sich irgendwann erklären.


Kommentar von R. M., verfaßt am 09.03.2006 um 14.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3453

Heute Morgen träumte ich dasselbe wie gestern Nacht. Jedes Mal wollte ich mit meinem Auto spazieren fahren. Als Erstes ließ ich den Wagen volltanken und den Motor warm laufen, um ihm gutzutun. Im Allgemeinen war das im Winter zweckmäßig. Im Übrigen konnte es jetzt losgehen. Lange hatte ich mir gewünscht, die Berge kennenzulernen, ja: im Wortsinne kennen zu lernen. Auch schwebte mir vor, vielleicht eislaufen oder Ski laufen zu gehen. Nichtssagend saß ich am Volant, während die nichts sagende Landschaft an mir vorüberzog, und umgekehrt. Was ich sah, war weder Aufsehen erregend noch aufsehenerregend. Immerhin konnte ich auf der Autobahn die Muskeln meiner Pferdestärken spielenlassen. Die Straße war sowohl viel befahren wie vielbefahren, trotzdem ging es eine Zeit lang behände vorwärts. Ich verspürte Hunger, den ich noch eine Zeitlang unterdrücken konnte. Nur zu gerne aber hätte ich mich satt gegessen, fand jedoch im Handschuhfach bloß zwei Hand voll Erdnüsse und eine Handvoll Rosinen. Sie waren vom letzten Ausflug übrig geblieben. Mir würde nichts anderes übrigbleiben, als die nächste Ausfahrt zu nehmen. Inzwischen war mir die Orientierung abhandengekommen, die Landkarte hatte ich vorschnell beiseitegelegt. Um mit der Situation zu Rande zu kommen, hätte ich sie wohl besser zurate ziehen sollen. Oder hätte ich sie wohl besser zu Rate ziehen sollen, um mit der Situation zurande zu kommen? Wie dem auch sei, der Sprit war fast zu Ende und der Traum auch. Ob es ein Alp- oder ein Albtraum war, vermag ich nicht zu entscheiden.


Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 09.03.2006 um 14.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3452

Daß der Käse alt ist, ist wahr... und so stinkt er auch ;-)

Aber als bloßer Anwender und weniger Sprachforscher (der sich in diesen Kreis von Sprachforschern eingeschlichen hat und nur durch Unwissenheit brillieren kann), dachte ich, daß zumindest solch grober Unfug mit aus Regelwerk der alten Reformschreibung (Stand von 2006) entfernt worden wäre.

So verklausuliert das Regelwerk ja auch ist, weiß man gar nicht, was richtig oder falsch ist...
...und so nimmt die deutsche Orthographie den geleichen Weg, den auch schon die deutsche Steuergesetzgebung genommen hat... in wenigen Jahrzehnten wird sich 60% der weltweiten orthographischen Fachliteratur nur noch mit der deutschen Rechtschreibung beschäftigen ;-)


Kommentar von Kai Lindner, verfaßt am 09.03.2006 um 14.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3450

Wunderbare Welt der Grammatik...

"Der Motor wird heiß laufen" -- oder aber er läuft nicht mehr, wenn er heiß ist und bekommt einen Kolbenfresser?!

In meinem Verständnis ist "... heißlaufen" und "... sich heißlaufen" identisch. Während "heiß laufen" eine vollkommen andere Bedeutung hat. "wird heißlaufen" passiert in der Zukunft; "wird (auch) heiß laufen" ist eine allgemeine Zustandsbeschreibung der Möglichkeiten eines Motors.

Aber, wenn es wirklich nur noch "heiß laufen" (ohne sich) heißen darf... dann ist die Reform der Reform wirklich noch viel reformbedürftiger, als ich bislang dachte.

Gut, daß ich nur aus dem Bauch heraus schreibe... wenn ich über solch einen Quatsch beim Schreiben auch noch nachdenken müßte... mir würde das Gehirn heißlaufen (oder: "mir würde das Gehirn *sich* heißlaufen" ?!).

Wie wäre es mit einer Sammlung solcher Stilblüten? Als Argumentationshilfe gegen die neue Neue Rechtschreibung?


Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 09.03.2006 um 13.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3448

> In einem Satz wie »Karl streicht den Zaun grün« bezeichnet das Adjektiv grün eine Eigenschaft, die das vom direkten Objekt (»den Zaun«) Bezeichnete durch die Verbalhandlung (streichen) erhält. Man spricht hier vom Objektsprädikativ.

(zitiert nach Ickler)

Ähnlich das Subjektsprädikativ (»er heißt Horst«, »er bleibt schlecht«).

In »Er läuft sich warm« ist »warm« eine Eigenschaft, die das Objekt »sich« durch »laufen« erhält, da nicht »Er« den Zustand »warm« durch »sich laufen« erreichen kann - letztere Tätigkeit gibt es nicht. In »Der Motor läuft heiß« ist »heiß« hingegen Subjektsprädikativ.
Der Kompromiß sieht also »Er wird sich warmlaufen«, aber "Der Motor wird heiß laufen"
vor. Letzteres legt fälschlicherweise nahe, es sei »heiß« ein Adverb zu »laufen«.

Wenn ich das richtig verstanden habe. Geschweige denn ein Grundschüler.



Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 09.03.2006 um 13.02 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3447

Kann mir jemand in einfachen Worten erklären, was Subjekts- und Objektsprädikative, was überhaupt Prädikative sind?
Zu meiner Schulzeit gab es diese grammatischen Begriffe anscheinend noch nicht.


Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.03.2006 um 12.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3445

In aller Bescheidenheit und mit dem größtem Respekt vor der Arbeitsleistung von Prof. Ickler möchte ich trotzdem eine Anpassung, Überarbeitung und Neuauflage des "Kritischen Kommentars" empfehlen. Meine zweite Auflage ist von 1999.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2006 um 12.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3444

Leider wird der Text zu umfangreich, wenn ich mein Sondervotum zur GZS und die anderen Kapitel zur Revision der einzelnen Bereiche auch noch einarbeite. Darum nur kurz: Die hoffnungslose Verworrenheit von 38f. ist von Eisenberg im Rat als Begründung dafür angegeben worden, daß die AG diese Kapitel nicht mehr bearbeitet hat. Ich hatte darüber berichtet. Was die AG und der Rat nicht erledigen wollten, erledigen jetzt die Wörterbuchredaktionen. Der Rat wird nichts dagegen einwenden.
§ 35 ist einzig und allein zu dem Zweck erfunden worden, die Zusammenschreibung mit "-sein" zu verbieten - gegen die wirkliche Sprachentwicklung ("beisammensein" usw.). Ich vermute, daß der Paragraph nur deshalb beibehalten wurde, weil seine Streichung die Numerierung durcheinandergebracht hätte. Andere Argumente sind mir nicht erinnerlich.


Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 09.03.2006 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=433#3439

Interessant wäre noch die Begründung für die Unsinnigkeit von Paragraph 35, und warum Paragraph 38 und 39 hoffnunglos verworren sind. Der letzte lange Absatz sollte noch untergliedert werden.

Fazit: überzeugend die Unlernbarkeit für Schüler resp. die Unbefolgbarkeit für allgemeine Anwender dargelegt. Heilloses Chaos. Vermutlich wird dasselbe passieren wie schon 1996, die Regeln werden einmal für den Schulgebrauch/Agenturengebrauch interpretiert und fortan wegen Unverständlichkeit ignoriert werden.



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