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17.05.2018
 

Warum schreiben wir, wie wir schreiben?

Kraut und Rüben bei WhatsApp, streng nach Regeln im Diktat: Rechtschreibung - wichtig oder egal? Das ist das Thema der Debatte der NDR Kulturredaktionen in dieser Woche. Vor zwölf Jahren traten die letzten Nachbesserungen der Rechtschreibreform in Kraft. Doch warum schreiben wir überhaupt so, wie wir schreiben?

Eigentlich, so könnte man meinen, bräuchten wir gar keine Rechtschreibregeln. Zumindest legen das Untersuchungen des amerikanischen Psychologen Keith Rayner nahe, denen zufolge es fast egal ist, in welcher Reihenfolge die Buchstaben in Wörtern stehen, solange der erste und der letzte gleich bleiben. Auch bunten Buchstabensalat kann man verstehen, wenn man einmal richtig lesen gelernt hat. "Wir sind in der Lage sehr viel zu konstruieren, was nicht offensichtlich ist. Aber wenn wir eine relativ eindeutige Schreibung haben, erleichtert uns das doch eine Reihe an kognitivem Aufwand, den wir betreiben müssten, wenn wir ständig solche Texte lesen müssten. Der Schreiber muss ein bisschen Aufwand betreiben, damit er leserfreundlich schreibt", erklärt Sprach-Didaktikerin Astrid Müller.

Rechtschreiberegeln sind für den Leser da

Rechtschreibregeln haben also gar nicht unbedingt den Schreiber im Blick, sondern in erster Linie den Leser, erklärt Astrid Müller. Sie ist Professorin für Didaktik der deutschen Sprache an der Universität Hamburg - unterrichtet also all die, die später als Deutschlehrer vor der Schulklasse stehen: "Wir haben jetzt ein Schriftsystem, das zumindest im Kernbereich unwahrscheinlich gut lernbar ist und das sehr, sehr systematisch ist. Die Systematik erkennt man aber nur, wenn man sich die Mühe macht, diesen Kernbereich anzuschauen."

Das heißt zum Beispiel: Wenn die Schreibung eines zusammengesetzten Worts der Logik folgt, dass der Wortstamm erkennbar bleiben soll, erscheint sie aus der Perspektive "kann ich hören, wie ein Wort sich schreibt" vielleicht unlogisch. Ein Grund dafür, dass die Rechtschreibung reformiert wurde, war, dass man den Schreiber mehr in den Blick nahm. Die Didaktikerin fand das allerdings unnötig, denn das sei ein lebendiges System, das ginge nicht ohne Widersprüche.

Schreibweisen ändern sich durch Verwendung

Die Sprache, sagt Astrid Müller, verändere sich von selbst, oft gäbe es verschiedene Schreibweisen nebeneinander - zum Beispiel bei den Wörtern "googeln" oder "Email", die anfangs in ganz verschiedenen Varianten kursierten, die sich dann nach und nach von selbst ausgedünnt haben.

"Inzwischen glaube ich", sagt die Professorin, "dass wir fast alle googeln schreiben wie segeln, also mit -ln als Verbindung, und das ist so was, wo man sieht, dass sich das System durch die Sprachverwenderinnen und Sprachverwender ändert, und nicht dadurch, dass jemand von außen kommt und sagt: So müsst ihr das jetzt machen." Ein normaler Prozess, an dessen Ende dann oft ein oder zwei parallel tolerierte Schreibweisen im Duden stehen.

Bastian Sick: "Lassen wir sie in ihrem Wollen."

Bastian Sick, der munterste Hausmeister der deutschen Sprache, zog schon vor Jahren mit einer durchaus unterhaltsamen Sammlung von Schreibfehlern durchs Land, die sich schließlich hochoffiziell durchgesetzt haben.

Bastian Sick gibt ein Beispiel: Tatsächlich ist beschlossen worden, dass zur Kenntlichmachung von Eigennamen das Genitiv-S apostrophiert werden darf. Also: Ilse's Wollstübchen oder Waldi's Wurstwigwam, Ingo's Plattenkiste - da haben die einfach nachgegeben, da haben die gesagt, das hat keinen Zweck, die Leute wollen es apostrophieren, also lassen wir sie in ihrem Wollen."

Weil Bund und Länder zwar Rechtschreibregeln erlassen dürfen, die aber keine Gesetzeskraft haben, kann streng genommen jeder Erwachsene, solange er nicht in einer Behörde sitzt, schreiben, wie er will.

Party-Thema Rechtschreibung

Solange es die Verständlichkeit nicht beeinträchtigen würde, sei das doch absolut in Ordnung, sagt Astrid Müller. "Also ich hab damit keine Probleme, ich kann das auch nicht so ganz nachvollziehen, dass das immer so ein ganz großes Thema ist."

Ist es aber. Die Debatte über eine Reform der Rechtschreibregeln wächst sich regelmäßig zum Kulturkampf aus. Wenn ihr auf einer Party mal keinen Gesprächsstoff habt, sagt Astrid Müller ihren Studierenden, dann redet einfach über Rechtschreibung.

Rechtschreibreform unter den Vorzeichen der Zeit

Dabei war die jüngste Reform gar nicht der erste Versuch, von Staats wegen in die deutsche Sprache einzugreifen. Neben verschiedenen gescheiterten Ansätzen gab es 1901 die Orthographische Konferenz in Berlin - allerdings unter ganz anderen Vorzeichen als heute.

"Es ging da unter anderem darum, dass man durch einheitliche Schreibung die Einheitlichkeit des Reichs zeigen wollte, also Deutschland als kein Land mit Kleinstaaten mehr, sondern tatsächlich als Nationalstaat, das sind Dinge, die ich ganz gut nachvollziehen kann, aber dass man stattdessen alles und jedes reglementieren muss, ist vielleicht nicht so notwendig", meint Astrid Müller.

Souveräne Lehrer gefragt

Tatsächlich waren schon die Beschlüsse von 1901 umstritten. Auch die aktuelle Reform machte am Ende selbst ihre Befürworter nicht mehr froh - weil man so viel nachgebessert und in Kompromisse gegossen hatte, dass am Ende die Logik oft an beiden Enden auf der Strecke blieb. Lehrern verlangt es mittlerweile viel Souveränität dabei ab einzuschätzen, wie viel Nachsicht sie bei ihren Korrekturen im Hinblick auf den Horizont ihrer jeweiligen Schüler walten lassen.

Für die Allgemeinheit allerdings können auch Verstöße gegen die Rechtschreibregeln ein Kulturgut sein. Solange man keine Scheu davor hat, Unterhaltung als Kultur zu begreifen - siehe Bastian Sick: "Wenn zum Beispiel der Plural apostrophiert wird, das sieht man auch. Kiwi's und Mango's im Supermarkt - oder Nudel'n. Also dass CD's und DVD's angeboten werden, ist ja fast schon selbstverständlich. Aber bei Pizza's und Auto's hört es dann eigentlich schon auf."


Quelle: NDR.de
Link: https://www.ndr.de/kultur/kulturdebatte/Warum-schreiben-wir-wie-wir-schreiben,rechtschreibung202.html


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