Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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18.05.2013
„Kein Ruhmesblatt“
Zehetmair über die Rechtschreibreform und den Rechtschreibrat
Seine Tätigkeit als Vorsitzender des Rechtschreibrats erinnert Hans Zehetmair an einen »Bußgang«.
Er habe sich als bayerischer Kultusminister nicht genug mit den Reformentwürfen befaßt. Inzwischen aber habe man die Reform »ganz gut hinbekommen«, behauptet er im Gespräch mit dem Ingolstädter Donaukurier.
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Kommentare zu »„Kein Ruhmesblatt“« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.05.2013 um 16.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9347
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Ob die Vernachlässigung des Rechtschreibens an den Schulen auch mit der reformbedingten Verwirrung und allgemeinen Frustration zusammenhängen könnte (also auch mit der Wut der Lehrer auf Leute wie ihn), fragt Zehetmair nicht.
Am interessantesten ist seine Mitteilung, daß an österreichischen Schulen nur Bücher besprochen werden, die in reformierter Rechtschreibung vorliegen. So deutlich hat das bisher niemand gesagt.
Wenn es stimmt – was sagen denn die Österreicher dazu?
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 18.05.2013 um 16.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9348
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Zehetmair outet sich in dem Interview als profunder Kenner der Materie:
"Nehmen wir das Komma. In der ersten Fassung der Reform waren die Satzzeichen völlig ausgemerzt."
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 19.05.2013 um 02.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9349
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Meine Erfahrung als Redakteur mit jungen Praktikantinnen war, daß sie in den sensiblen Bereichen wie GZS und GKS genau dieselben Fehler produzierten wie jene Kollegen, die ihre Intuition der "Neuregelung" anzuverwandeln versuchten. Wie alt soll die Reform eigentlich noch werden, daß man ihr Folgen zurechnen darf?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2013 um 06.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9350
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Zehetmair hat sich immer um Einzelheiten besorgt gezeigt, den heiligen Vater und die Gämsen, aber noch niemals einen Gedanken oder gar ein Wort daran verschwendet, was er den Lehrern und zahllosen anderen Menschen angetan hat – im Schutz des Kollektivs KMK und deshalb besonders feige. Das Schäbige seiner Auftritte ist ihm entweder nicht bewußt oder gleichgültig. Daß die Kultusminister rein technisch einer solchen Aufgabe nicht gewachsen sind, braucht er nicht bei jeder Gelegenheit mit einem falschen Mea-culpa-Pathos heraushängen zu lassen.
Es geht, nochmals sei es gesagt, am wenigsten um "Schifffahrt mit drei f", sondern um die ganze Reform als gewaltsames Unternehmen. Deshalb haben wir den Leuten zwar ihre fachliche Inkompetenz (als Voraussetzung unserer Kritik) um die Ohren gehauen, aber von Anfang an auch die Methoden der Durchsetzung und überhaupt die fiesen Hintergründe, soweit wir sie ermitteln konnten.
Selbst wo er sich zerknirscht gibt, plätschert Zehetmair über die Schwere seiner Verantwortung hinweg, und daß er überhaupt diesem Rat vorsitzt, ist groteskes Theater. Ich glaube, er genießt diese Selbstbezichtigungen.
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Kommentar von Kätzer, verfaßt am 19.05.2013 um 08.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9351
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Die Ministerpräsidenten Wulff in Niedersachsen und Stoiber in Bayern haben dann gesagt, dass sie nicht mitmachen und die ganze Reform rückgängig machen würden. Das ging aber nicht, weil die Wörterbücher schon gedruckt waren und weil in den Grundschulen bereits die reformierte Rechtschreibung gelehrt wurde.
Seltsam. Vor 1996 waren die Wörterbücher ebenso wie die Schulbücher auch schon gedruckt (und zwar schon lange), und an den Grundschulen wurde seit rund 100 Jahren die herkömmliche Rechtschreibung unterrichtet. 1996 war das für die KMK kein Hindernis.
Die Kultusminister der Länder baten mich 2004, den Vorsitz zu übernehmen für einen neu zugründenden Rat für deutsche Rechtschreibung. Die Aufgabe war, die Reform zu reformieren. Ich fühlte mich verantwortlich, das Ganze wieder so hinzukriegen, dass auch die gewöhnlichen Sprachnutzer sich wieder mit dem Deutschen identifizieren konnten und wollten. Also habe ich mich daran gemacht. Es war eine mühsame Prozedur. Ich musste bei Beschlüssen zwei Drittel Mehrheit bekommen von 40 Mitgliedern des Rates.
Man übt immer noch beim Donauanzeiger ...
Wir mussten die Reform so zurückzuschrauben [sic!], dass gewöhnliche Leute damit etwas anfangen können.
"Gewöhnliche Leute" können mit der Version 2006 genauso wenig anfangen wie mit den Vorgängerversionen.
In der ersten Fassung der Reform waren die Satzzeichen völlig ausgemerzt.
Ganz im Gegenteil, Herr Vorsitzender! In der ersten ebenso wie in der aktuellen Fassung der Reform gibt es so manche obligatorische, aber völlig überflüssige Satz- und andere Zeichen. Hat man Ihnen das immer noch nicht gesagt oder zu sagen gewagt? Vielleicht sollte der Rat einen Hofnarren beschäftigen, der sich trauen darf, die Wahrheit auszusprechen.
Natürlich gibt es ältere Bürger, die einfach keine Lust haben, sich an die neuen Regeln zu gewöhnen.
Es gibt auch jüngere Bürger (wie mich), die lediglich älter sind als diejenigen, die zufällig jünger sind, und die den Quatsch einfach nicht mitmachen. Da die "neuen Regeln" Ihrem eigenen Eingeständnis nach (vgl. rechtschreibrat.ids-mannheim.de/download/mitteilung1111.pdf) auch in der Schule nicht vermittelt werden (können), fragt man sich, welche Altersgruppe sich überhaupt daran gewöhnt hat oder gar "Lust hat", sich daran zu gewöhnen. Man fragt sich weiterhin, wie es möglich sein soll, sich an unverständliche und widersprüchliche Regeln zu gewöhnen.
Der Stängel gehört zu den Fällen, die wir noch korrigieren müssen.
Bravo, Herr Vorsitzender! Bitte vergessen Sie nicht "Gräuel", "behände" und all die anderen Augstschen "Provokationen" (Eisenberg) bzw. "Lautfärbungen"(Zehetmair). Ich warte in atemloser Spannung auf die "amtliche/Amtliche Rechtschreibung 2006, Servicepack 2" ("AR 2006, SP 2"), inklusive der neuesten Eingebungen des Rates bzw. seiner Öffentlichkeitsarbeiter à la "Dienstag Abend" (siehe rechtschreibrat.ids-mannheim.de/rechtschreibung/frage2.html).
Von der geplanten kompletten Neufassung des Regelwerkes ist interessanterweise nicht die Rede. Könnte es sein, daß die "hochgebildeten Leute[]" im Rat gemerkt haben, daß es fast unmöglich ist, eine handwerklich saubere und für "gewöhnliche Leute" verständliche Version vorzulegen, ohne Schreibänderungen in Kauf zu nehmen oder wenigstens bezüglich der Regelanzahl Farbe zu bekennen? Und wie steht es, Herr Vorsitzender, mit einem aktualisierten Wörterverzeichnis, in dem wenigstens die gröbsten Schnitzer beseitigt worden sind?
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 19.05.2013 um 09.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9352
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Das Interview mit Zehetmair zeigt schön, wie weit Tatsachen und darauf bezogene Politikeraussagen auseinanderliegen. Jemand ohne spezifische Info könnte hier fast Mitleid mit ihm bekommen.
Mit ein wenig Hintergrundinfo jedoch, kann man nur zur Überzeugung gelangen, entweder hat er als Vorsitzender nach wie vor nicht begriffen, worum es geht oder er verarscht sein Publikum bewußt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.05.2013 um 12.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9353
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Ich glaube, daß er als Minister immer auf die Vorlagen seiner Untergebenen vertraut hat, die ihm auch seine Regierungerklärungen schrieben. Das Regelwerk hat er nie gelesen und ist auch nicht bereit, das nachzuholen. Kann man sich vorstellen, daß er das Wörterverzeichnis durchgeht, wie viele von uns es (auch mehr als einmal) getan haben? Natürlich nicht. So ist die Lage, daran ist nichts zu ändern.
Übrigens: 1995 war der Duden auch schon gedruckt, aber Z. fand nichts dabei, die Reform wegen Lappalien abzublasen und den Dudenverlag beinahe schon damals in den Ruin zu treiben (wie es möglicherweise auch vorgesehen war). Es hat dann noch ein paar Jahre gedauert, mit einer Scheinblüte und folgender unaufhaltsamer Auszehrung.
Es geht nicht darum, wie gefällig Zehetmair heute seine kleinen Wunden leckt, sondern um die Wunden, die er anderen zugefügt hat. Könnte er nicht wenigstens den Sachverstand, den er als Gymnasiallehrer doch mal besessen haben muß, auf die von seiner Reform verschandelten Kinderbücher anwenden? Niemand hat ihm je die (z. B. von uns zusammengetragenen) Stellen vorgelegt und gesagt: "Hier, das haben Sie gemacht! Haben Sie das gewollt?" Ganz zu schweigen von den Zumutungen der reformierten Schulbücher!
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 19.05.2013 um 19.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9354
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Ein Schnösel: arrogant und ein dummfrecher Bursche, eingebildet und eitel, dabei aber übersättigt und gleichgültig, so wird dieser Typus im Wiki beschrieben.
Ich enthalte mich natürlich jeglicher Wertung …
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.05.2013 um 19.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9355
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Ich halte die Aussage von Herrn Zehetmair "Natürlich gibt es ältere Bürger, die einfach keine Lust haben, sich an die neuen Regeln zu gewöhnen." für eine Beleidigung gegenüber diesen Bürgern. Diese sind die Einzigen, die keinem Rechtschreibzwang unterliegen und sich eine eigene Meinung und Bewertung leisten können. Auch auf sie paßt die Definition des "Wutbürgers". Dies ist nicht das einzige Projekt, das wegen fehlender vorheriger Einbeziehung der Bürger zu scheitern droht. Die Zeit der repräsentativen Demokratie in Form der Zuschauerdemokratie ist vorbei. Das wird Herr Zehetmair nicht mehr begreifen. Bisher hält die Politik es noch für die Gewährung einer besonderen Gnade, schon bei der Planung eines Projektes das Volk zu fragen. Sie wird einsehen müssen, daß es nicht mehr anders geht.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 20.05.2013 um 08.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9356
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Das ging aber nicht, weil die Wörterbücher schon gedruckt waren ist natürlich sehr verräterisch, jedenfalls wenn man im Geiste "Bertelsmann" ergänzt. Auf das Bibliographische Institut (Duden) haben die Herrschaften, wie Herr Ickler bereits erwähnt hat, keine Rücksicht genommen.
Angesichts des Verhaltens der Duden-Redaktion im Umgang mit der "Reform" muß man aber den Produkten und dem, was von diesem Unternehmen noch übrig ist, keine Träne hinterherweinen.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 20.05.2013 um 13.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9357
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Kätzer, Sie haben die Sache schön zusammengefaßt, aber mit Argumenten ist Z. und auch anderen Reformern nicht beizukommen.
Ob man die vielzitierte "Staatsraison" oder die Eitelkeit der Politiker oder dergleichen anderes heranzieht als Grund, es bleibt die Aussicht, daß weitergewurschtelt wird. Eine Änderung hin zu einer Wiedereinführung der bewährten Rechtschreibung in Amt und Schule ist nur mit einer Ordre de Mufti eines Reformgegners möglich. Der kommt aber nur mit einem Putsch ins Amt. Also heißt es: Nimmt man um der Demokratie willen eine verhunzte Rechtschreibung in Kauf, oder ist es umgekehrt?
Herr Strasser, ist Ihr Kommentar »Mit ein wenig Hintergrundinfo jedoch, kann man nur zur Überzeugung gelangen, entweder hat er als Vorsitzender nach wie vor nicht begriffen, worum es geht(,) oder er verarscht sein Publikum bewußt.« eine subtile Anwendung "neuer" Kommaregeln, um deren Absurdität zu zeigen?
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 20.05.2013 um 20.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9358
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Nein, Hr. Mahlmann, es war ohne Hintergedanken, oder anders gesagt, ich kann’s nicht besser.
Ein Gedankenstrich wäre für mich dort eigentlich das richtige Satzzeichen, was ich aufgrund Ihrer kritischen Rückfrage eingestehen muß. Gedankenstrich plus Komma empfinde ich allerdings als häßlich, sowas vermeide ich möglichst, auch in Fällen, wo’s regelgerecht wäre. Naja, ich bin sicherlich keine wem auch immer gerechte Referenz, wenn‘s um Kommasetzungsfragen geht.
Ähnlich wie im obigen Einleitungssatz sagte mein Schreibgefühl an der betreffenden Stelle, wenn ein Punkt stehen könnte, kann ein Komma gesetzt werden, aber nicht, es muß dann ein Komma gesetzt werden. Es hängt also für mich von der gefühlten Bedeutung ab, oder mehr generell, im Zweifel kein Komma.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.05.2013 um 22.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9359
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Wer Argumenten nicht zugänglich ist, ist kein Wissenschaftler, sondern Ideologe. Die Rechtschreibreform ist ein riesiges Gehirnwäsche-Projekt, und Herr Zehetmair wurde als oberster Gehirnwäscher eingesetzt; mehr kann er auch nicht. Deshalb werden Leute mit Gegenargumenten einfach verunglimpft, weil sie sich nicht der Gehirnwäsche unterwerfen wollen. Nach dem Prinzip "schwörst du nicht der alten Rechtschreibung ab, bist du ein gefährlicher Ketzer."
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 26.05.2013 um 08.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9361
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Germanist, Herr Zehetmair ist kein Wissenschaftler, sondern Politiker, und die meisten Mitglieder des Rates sind ebenfalls keine Wissenschaftler. Herr Zehetmair und die meisten Ratsmitglieder sind auch keine Ideologen, sondern sie stehen für die unterschiedlichsten Interessen.
Der Vorsitzende weiß oder ahnt wenigstens, was für einen kapitalen Bock er mit seiner Zustimmung zur RSR geschossen hat, kann aber aufgrund seiner Sozialisation nicht zulassen, daß mehrere wichtige Gremien bzw. Institutionen (KMK, MPK, BMI) bloßgestellt werden. Andere vertreten Unternehmens- oder Verbandsinteressen, wieder andere, wie Herr Gallmann und seine Klone, bestimmte Dogmen und finanziell lukrative Pfründe.
Man sollte das alles nicht zu hoch hängen, wo es doch eher profan, aber natürlich auch abstoßend ist.
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Kommentar von Thomas Paulwitz/Junge Freiheit, 1. Juni 2013, verfaßt am 03.06.2013 um 17.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9369
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Endet das Stängel-Gräuel?
Gibt es bald eine neue Rechtschreibreform? Wenn man dem Reformer Hans Zehetmair, dem Vorsitzenden des Rechtschreibrats, Glauben schenkt, ist dies tatsächlich in Arbeit. Viel hören wir ja nicht von diesem Rat, der offenbar am liebsten im stillen Kämmerlein die Reform verwaltet. Doch hat sich vor kurzem der 77jährige Zehetmair in einem Gespräch mit dem Donaukurier zu Wort gemeldet.
Darin gesteht Zehetmair wieder einmal sein Versagen ein: „Insgesamt, diesen Vorwurf muß ich mir heute machen, habe ich mich zu wenig um die Reform gekümmert.“ Dieses Schuldeingeständnis ist nichts Neues, denn bereits vor zehn Jahren hatte er gegenüber der Passauer Neuen Presse bekannt: „Aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart würde ich die Sache heute ganz zum Scheitern bringen. Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen.“
Rat rettete Reform
Trotzdem setzte sich Zehetmair im Jahr 2004 an die Spitze des Rats, um die Reform zu retten. Mit zäher Überredungsarbeit brachte er die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Spiegel dazu, den Widerstand aufzugeben und sich einzureihen. Daraus entstand dann eine Reformdauerbaustelle, auf der die Reformer, die sich im Rat versammeln, in jahrelanger „Arbeit“ ziemlich wenig zustandebrachten.
Denn die Kultusministerkonferenz (KMK), die den Rechtschreibrat eingesetzt hatte, ließ nur kleinere Änderungen an der Reform zu. Ein Erbe der Reformreform von 2006 sind zum Beispiel die zahlreichen möglichen Doppelschreibweisen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung (etwa „kennenlernen“ und „kennen lernen“). Die Wörterbücher geben dazu unterschiedliche Empfehlungen und sorgen für Durcheinander. Zehetmair sagt jetzt zum Donaukurier: „Wir sollten froh sein, daß wir in diesen Fällen die Wahl haben. Es war der einzige Weg, bestimmte Schreibweisen überhaupt durchzubringen.“
„Daran arbeiten wir“
Die KMK hatte außerdem verfügt, daß die Regeln zu den Laut-Buchstaben-Zuordnungen als „unstrittig“ zu gelten hätten. Daher durfte sich der Rat zunächst nicht damit befassen. So blieben falsche Volksetymologien wie belämmert, Tollpatsch, einbläuen, schnäuzen, Quäntchen und willkürliche Stammschreibungen wie Stängel/Stange, aufwändig/Aufwand (nicht aber dänken/Gedanke, sätzen/Satz, Ältern/Alter).
Um so auffälliger ist es, daß Zehetmair nun ankündigt, gerade die Laut-Buchstaben-Zuordnungen reformieren zu wollen: „Der Stängel gehört zu den Fällen, die wir noch korrigieren müssen. … Die Lautfärbungen tun mir noch weh, also Stängel oder Gämse. Daran arbeiten wir.“ Ob das Ergebnis der nächsten Reform zufriedenstellend ausfällt, ist allerdings zu bezweifeln. Zehetmair gibt nämlich im Gespräch mit dem Donaukurier eine weitere Kostprobe seines Unwissens. So fabuliert er: „Nehmen wir das Komma. In der ersten Fassung der Reform waren die Satzzeichen völlig ausgemerzt.“ Das ist natürlich Unsinn.
Kein Wunder, daß Zehetmair sich nicht für die Folgen der Reform verantwortlich fühlt. „Ich habe vor kurzem selber eine Magisterarbeit korrigiert, als Zweitkorrektor. Die Arbeit hatte so erhebliche Rechtschreibmängel, daß ich sie der jungen Lehrerin zurückgegeben habe. Wo kommen wir da hin, wenn schon die Lehrer nicht mehr wissen, an welche Stelle man ein Komma setzt?“ Diese Frage geben wir an Zehetmair zurück. Wohin sind wir dank der Rechtschreibreform schon gekommen?
(www.jungefreiheit.de)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.06.2013 um 05.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9370
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Wieso kann Zehetmair eigentlich Gutachter in einem Magister-Prüfungsverfahren sein? § 7 der Prüfungsordnung sieht vor: "Zu Prüfern, Gutachtern und Zweitkorrektoren können alle Hochschullehrer sowie Professoren im Ruhestand bestellt werden."
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Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 05.06.2013 um 23.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9371
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Bevor Zehetmair tatsächlich auf die Idee kommen könnte, endlich die »unumgänglich notwendigen Korrekturen« (Rechtschreibreformer Augst im Januar 1998) bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung anzugehen, schafft die Dudenredaktion Tatsachen:
Am 4. Juli 2013 erscheint die neue, 26. Auflage des »Duden – Die deutsche Rechtschreibung« mit 5000 neuen Wörtern. Und nicht nur die sind neu:
Zum gedruckten Buch erhalten Sie nämlich auch die Rechtschreibsoftware für PC und die Wörterbuch-App für alle Smartphones und Tablets. Und das alles für 24,99 Euro (25,70 Euro in Österreich).
Quelle: Duden-Newsletter vom 5. Juni 2013
Laut amazon.de wird er wie sein Vorgänger 1216 Seiten umfassen, aber seinen Stichwortbestand von 135 000 auf 140 000 Einträge erweitert haben. (Meine Prognose: Die umfangreiche Übersicht über die bösen »alten« Schreibungen wird dafür vollständig entfallen.)
Wenig spektakulär dürfte es bei der Einarbeitung der Ratsvorschläge vom Dezember 2010 zugehen. Eventuell nimmt man ja den Neologismus Clementinenschmand auf, wer weiß?
Allenfalls die Frage, ob der Duden ebenso wie sein firmeninterner Konkurrent Brockhaus weiterhin die ebenfalls bereits 2010 erfolgte Neuinterpretation (nicht Änderung!) des amtlichen Regelwerks bei Dienstagabend ignoriert, könnte von Interesse sein:
In wir treffen uns Dienstag Abend ist Abend eine nähere Bestimmung und dementsprechend wird Abend wie in heute Abend getrennt und großgeschrieben.
Quelle: http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de/rechtschreibung/frage2.html
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 06.06.2013 um 09.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9372
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Aber Herr Dörner!
Selbstverständlich handelt es sich bei "Dienstag Abend" um eine Regeländerung!
Weder das Regelwerk noch das Amtliche Wörterverzeichnis lassen etwas anderes als "Dienstagabend" zu.
Ich bezweifle auch, daß ausgerechnet Herr Augst 1997/98 Korrekturen in den "Laut-Buchstaben-Beziehungen" (die Bezeichnung ist ja schon skandalös) für "unumgänglich notwendig" erklärt hat, denn ein Großteil der Änderungen in diesem Bereich war ja auf seinem Mist gewachsen.
Die als "unumgänglich notwendig" angesehenen Korrekturen betrafen vielmehr Teil B des Regelwerks, besonders § 34 und § 36, und da ist ja in der Tat mittlerweile einiges geschehen, auch wenn das alles Flickwerk ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.06.2013 um 09.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9373
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Nun, ich bin sicher, daß Herr Dörner mit seiner bewundernswerten Sachkenntnis und Gedächtnisstärke schon das Richtige gesagt hat. Augsts frühe Einsicht bezog sich, wie Herr Schaefer zutreffend in Erinnerung ruft, auf die GZS, aber Herr Dörner meint ja nur, daß dies nun auch auf die Laut-Buchstaben-Zuordnung angewandt werden muß. Und "Interpretation" sagt er, weil dies vom Rat so dargestellt wird, der die Regeln noch nicht ändern durfte, den Kritikern aber mit scheinbaren Uminterpretationen entgegenkommt, die allerdings in Wirklichkeit nicht möglich sind, weil die Regeln hier gar keinen Spielraum lassen.
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Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 06.06.2013 um 16.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9374
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Bei Dienstag Abend hat der Rat gewiß »nur« eine Neuinterpretation vorgenommen, denn das Regelwerk wurde an dieser Stelle durch die Empfehlungen vom Dezember 2010 nicht geändert.
Zur Frage, ob der Rat damit richtigliegt, hatte ich mich nicht geäußert.
Vielmehr ist es so, daß bislang weder die Dudenredaktion noch die Bearbeiter des Brockhaus-Wörterbuchs dem Rat in diesem Punkt Folge leisten – und dies völlig zu Recht.
Festzuhalten ist, daß diese Diskrepanz zwischen Rat und Wörterbüchern zumindest kein Dauerzustand bleiben kann.
Was die »unumgänglich notwendigen Korrekturen« betrifft, so ist die Sache ein wenig verschachtelter:
In der Entwurfsfassung des 1. Berichts der Kommission war davon noch die Rede, wobei explizit auf die Getrennt- und Zusammenschreibung Bezug genommen wurde. Jedoch gingen die Änderungsvorschläge weit über diesen Bereich hinaus.
In der endgültigen Fassung war der Satz gestrichen, aber an den Korrekturvorschlägen änderte sich nichts. Diese beinhalteten ausdrücklich auch die Wiederzulassung der bewährten Schreibungen bei Quentchen, Tolpatsch, belemmert und einbleuen, also Modifikationen auf dem Gebiet der Laut-Buchstaben-Zuordnung.
Daß die Kommission diesen Bereich damals bei ihren vorgesehenen Änderungen aussparen wollte, ist folglich nicht zutreffend.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 06.06.2013 um 19.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9375
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Schon richtig. Ich bin nur der Meinung, daß die im ersten Kommissionsbericht vorgeschlagenen Änderungen zu Teil A wohl nicht auf Gerhard Augst zurückgingen, der sich diesen Blödsinn ja ausgedacht hatte. Wer sich damals durchgesetzt hatte, weiß ich nicht, aber ich vermute die Herren Eisenberg und Munske dahinter.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 06.06.2013 um 22.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9376
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Der „Duden Richtiges und Gutes Deutsch“ (7. Auflage 2011) folgt allerdings der „Neuinterpretation“ des Rates. Dort heißt es:
„Wenn die Verbindung aus Wochentag und Tageszeit allein (ohne ein vorangehendes Begleitwort) steht, ist die Getrenntschreibung korrekt: Ihr könnt uns Dienstag Abend besuchen. Der Überfall fand Dienstag Abend statt.“
Dagegen hält Duden.de noch heute an der Zusammenschreibung fest. Dort steht das ausdrückliche Beispiel „sie kommt Dienstagabend“. Ob der Duden inzwischen absichtlich von der Interpretation des Rats abgerückt ist oder eine mangelhafter Abgleich der Dudenbände vorliegt, bleibt offen.
Welche Interpretation der Regeln die „Richtige“ ist, erscheint mir fraglich, denn die Behandlung dieser Frage durch die Amtlichen Regeln ist durchaus unklar.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 07.06.2013 um 08.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9377
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Der Rechtschreib-DUDEN muß jedenfalls so tun, als sei er gewissermaßen amtlich, denn das ist ja gewissermaßen immer noch die Geschäftsgrundlage. Die anderen DUDEN-Veröffentlichungen haben dagegen (und hatten schon immer) etwas mehr Spielraum.
Was die Tageszeiten angeht, so ist die "amtliche Regelung", d.h. die Kombination aus den relevanten Paragraphen 55 (6) (einer geschlossenen Liste!) und 37 (1.1) und dem Wörterverzeichnis eindeutig. Wenn Sie anhand der "amtlichen Regelung" die Schreibung "Dienstag Abend" rechtfertigen können, gebührt Ihnen mein Respekt.
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Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 07.06.2013 um 13.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9378
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In den Wörterbüchern hat die Dudenredaktion an ihrer (korrekten) Interpretation des Regelwerks hinsichtlich der Schreibung von Dienstagabend bislang nichts geändert – auch nicht 2011.
Sowohl das Duden-Universalwörterbuch (7. Aufl. (2011)) als auch der sogenannte Volksduden (1. Aufl. (2012)), welcher nichts anderes ist als eine minimal abgespeckte Version des Rechtschreibdudens (dafür aber durch Neologismen wie Facebook bereichert, womit der Dudenverlag bestimmt in Kürze für seine Neuauflage werben wird), halten an der ausschließlichen Gültigkeit der Zusammenschreibung bei Dienstagabend fest.
Dasselbe gilt für das neue ÖWB (42. Aufl. (2012)).
Dafür führt das ÖWB genau wie der »Österreich-Duden« vom Dudenverlag im Gegensatz zu den deutschen Wörterbüchern die fakultative Zusammenschreibung Dienstagfrüh an (abgeleitet von der nur für Österreich von der Dudenredaktion empfohlenen Großschreibung morgen Früh).
Des weiteren verzeichnet das neue ÖWB den Eintrag Mittwoch abends, also die bewährte Schreibung, welche schon seit 1996 nicht mehr der amtlichen Regelung entspricht.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 08.06.2013 um 07.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9379
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"Mittwoch abends" läßt sich notfalls aus § 56 (3) herleiten, ist also nicht völlig abwegig, aber die Behandlung der Zeit- und Datumsangaben in der Neuregelung ist insgesamt so verworren und undurchsichtig, daß man es den Wörterbüchern nicht verübeln kann, wenn sie zu verschiedenen Auslegungen gelangen.
§ 55 (6) mitsamt des Verweises auf 37 (1.1) wirkt wie ein Fremdkörper innerhalb des § 55. Weiß jemand, ob 55 (6) ein Ergebnis des "Nicht mehr als fünf Minuten"-Kompromisses von Wien (1994) war?
Wenn der Rat sich jemals an eine Neuformulierung des Regelwerkes wagt, dann wäre es wohl notwendig, ein eigenes Kapitel "Zeit- und Maßangaben" einzufügen.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 09.06.2013 um 18.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9380
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"(dpa [heute]) - [...] In einem Gebiet von Thüringen über Sachsen bis zur Lausitz sowie in Bayern könnten bis Morgenfrüh bis zu 50 Liter Regen je Quadratmeter fallen, heißt es vom Deutschen Wetterdienst." — "Morgenfrüh" betont man anders als "morgen früh" (vgl. Goethes "morgenschön"). Das sollten sich schreibende Journalisten und staatlich eingestellte Regelmacher doch hinter die Ohren schreiben.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 09.06.2013 um 21.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9381
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Ich halte es für recht gewagt zu sagen, daß die Deutung der Duden-Wörterbücher die einzig „korrekte“ sei. Dazu ist die Regelung zu Dienstagabend in § 55 (6) in der Tat allzu „verworren und undurchsichtig“. Dabei hätten zwei Sätze in § 55 ausgereicht, die Sache völlig eindeutig zu klären.
Meines Erachtens hinterläßt der fragliche Passus beim Leser unüberwindbare Zweifel, was eigentlich gemeint ist:
1. In den Regeln von 1996 lautete der Verweis: „Zu Verbindungen wie (am) Dienstagabend siehe § 37(1).“ Man erwartet dort Ausführungen zur Verwendung von Dienstagabend als Zeitangabe. Keineswegs; man findet dort das Wort nur als Beispiel für eine Zusammensetzung aus zwei Substantiven. Eine solche Zusammensetzung gibt es natürlich seit jeher. Man kann daraus nicht schließen, daß es nicht auch die Getrenntschreibung, etwa als Zeitangabe gibt.
Die Regeln von 2006 sind noch einen Hauch unklarer, denn dort ist der Bezug wegen der Neufassung von § 37 angepaßt: „Zu Verbindungen wie (am) Dienstagabend siehe § 37(1.1)“. Dort ist aber jetzt ausgerechnet das Beispiel Dienstagabend weggefallen.
2. Was ist die Bedeutung des Klammerzusatzes (am)? Bedeutet das, daß immer, mit oder ohne Zusatz, Dienstagabend geschrieben wird (Deutung der Wörterbücher)? Oder, daß nur mit einem Zusatz wie am oder ähnlichen Wörtern Dienstagabend geschrieben wird („Neuinterpretation“ des Rats).
Was ist überhaupt die Bedeutung von „Verbindungen“? Bezieht es sich auf „Verbindungen“ wie Dienstagabend, Montagabend usw.? Oder auf Verbindungen wie „am Dienstagabend“, „letzten Dienstagabend“ usw.?
3. Auch in der Wörterliste findet der verwirrte Leser keine rechte Klarheit. Unter Dienstagabend findet er bloß Beispiele mit Zusatz wie „am Dienstagabend, diesen Dienstagabend“ usw. Das schiene eher für die „Neuinterpretation“ zu sprechen. Allerdings folgt daraus aber auch nicht zwingend, daß Dienstagabend nicht auch ohne Zusatz so geschrieben wird.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 10.06.2013 um 07.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9382
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Lieber Herr Achenbach,
herzlichen Dank für die Auflistung! Es gilt wohl immer der Grundsatz daß viele Augen mehr sehen als wenige. Der Wegfall des Beispiels Dienstagabend in § 37 (1.1.) war mir beispielsweise durch die Lappen gegangen.
Zu Ihrer Frage bezüglich der Klammer in Ihrem Punkt 2: Viele rätselhafte Bestimmungen und Einzelfestlegungen der "amtlichen Regelung" ergeben nur dann Sinn, wenn man den unreformierten Rechtschreib-DUDEN als Grundlage im Sinn hat. Dies gilt sowohl für die alten DUDEN-Richtlinien/das "amtliche Regelwerk" als auch das Wörterverzeichnis (in beiden Fällen).
Nur wenn man die Richtlinien und Festlegungen des unreformierten DUDEN vor Augen hat, kann man verstehen, warum die Reformer ihre Arbeit für eine deutliche Verbesserung oder Erleichterung hielten. Zwar würde es zu weit führen, dies hier in allen Details auszuführen (Hinweis: durchsuchen Sie mal das SPIEGEL-Online-Archive nach den Stichwörtern "Wolfgang Mentrup", "Rechtschreibung", "zusammenfassen" und "Zusammenfassung"), aber nehmen wir doch das in Rede stehende Beispiel "Dienstagabend":
Der unreformierte Rechtschreib-DUDEN bot für diesen Fall keine Richtlinie. Statt dessen mußte man zwischen "abend" bzw. "Abend" und "Dienstag" hin- und herblättern – zweifellos unbefriedigend und in der Darstellung auch nicht besonders klar, so daß eine bessere Erklärung im Rahmen einer Neuregelung durchaus zu begrüßen gewesen wäre.
Auf Grund der Sitta/Gallmannschen Erpressungsaktion während der Wiener Abschlußkonferenz und des "Minutenkompromisses" (vgl. die einschlägigen Aufsätze von Herrn Munske) mußten nun systemfremde Elemente eingebaut und andere Abschnitte notdürftig angepaßt werden. Daher wohl auch die in der Rechtfertigungsliteratur immer wieder anzutreffenden Hinweise auf den Kompromißcharakter des Ergebnisses.
Obwohl ich es nicht beweisen kann, scheint es sich in bezug auf die Tageszeiten in etwa so abgespielt zu haben:
Sitta/Gallmann erpressen die Lexemprobe
• Problem: Tageszeiten.
–> Lösung: Großschreibung nach der geschlossenen Liste in dem angeflanschten § 55 (6)
• Neues Problem: Wochentage
–> Lösung: Weil das Problem allein durch die Lexemprobe ("Substantiv") hervorgerufen wurde, verschiebt man es kurzerhand in das Kapitel GZS, in dem sich ein passender Paragraph befindet.
• Anderes Problem: "früh"
–> 1. Lösung. Sollen die doch sehen, wie sie damit zurechtkommen (1996).
–> 2. Lösung: Wir lassen "früh" per amtlichem Erlaß zum Substantiv erklären (2004).
–> 3. Lösung: "früh" wird zur Ausnahme erklärt (2006).
–> 4. Lösung: "Früh" wird zu einer Schreibvariante von "früh" erklärt (Bericht des Rechschreibrates 2010).
–> Nächste Lösung?
• Noch ein Problem: "heute Abend", aber "Dienstagabend"
–> Lösung des Rates: Was kümmern uns die von uns formulierten amtlichen Regeln? Wir formulieren einfach neue, die mindestens so unverständlich sind (siehe hier).
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.06.2013 um 23.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9383
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Vielleicht zur Illustration ein aktuelles Beispiel (Cédric Villani, Das lebendige Theorem, S. Fischer Verlag 2013, S. 163):
"sollen wir uns einen Absendetermin für morgen Abend oder Mittwochmorgen vornehmen?"
Das erste begründen die Reformer mit "für morgen" plus nähere Bestimmung "Abend", aber man sagt nicht ohne Artikel "für Morgen, für Abend", also auch nicht "für Mittwochmorgen, für Mittwochabend", sondern "für Mittwoch morgen oder abend". Man könnte wohl mit der gleichen Begründung wie "für morgen Abend" auch "für Mittwoch Abend" schreiben, aber es ist jedenfalls nicht dasselbe wie bei Zusammenschreibung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2013 um 06.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9384
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Ich bilde mir immer noch ein, daß die Reformer bei der Schreibweise der Tageszeiten durch meinen Hinweis im Schildbürger-Büchlein (und Aufsätzen) zum Nachdenken gebracht worden sind. In "Regelungsgewalt" habe ich dann zum neuen Duden geschrieben:
Völlig neu und sehr überraschend ist die Großschreibung bei heute Früh. Die Kritik hatte darauf hingewiesen, daß es widersinnig ist, in heute abend usw. die Tageszeit anders aufzufassen als in heute früh und daher groß zu schreiben. Diesem Einwand will der Duden nun offenbar zuvorkommen, indem er auch Früh als Substantiv deutet. Allerdings ist die Früh gar nicht durch ein eigenes Stichwort vertreten, sondern kommt nur idiomatisch gebunden unter die Frühe vor: in der Früh. Die Frühe wiederum kommt hier nicht in Betracht: heute Frühe gibt es nicht. Vielleicht erklärt sich daher, daß heute Früh nur fakultativ („auch“) möglich sein soll, anders als all die obligatorischen Großschreibungen der anderen Tageszeiten. Im amtlichen Regelwerk gibt es dazu kein Beispiel. Der Duden hat es auch versäumt, für Dienstag früh usw. die notwendige Folgerung zu ziehen, daß hier zumindest auch Dienstagfrüh (wie Dienstagabend) vorgesehen werden muß. (Zufällig findet man dieses Versäumnis schon im Mustereintrag auf dem vorderen Einbanddeckel.)
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 11.06.2013 um 08.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9385
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Natürlich ist es sehr wahrscheinlich, daß die Reformer erst durch Ihre Kritik auf das Problem aufmerksam geworden sind, Herr Ickler. Sie haben ja wie kein anderer die Schlamperei und Schludrigkeit der Reformer bloßgelegt (und in Wahrheit ist es ja noch viel schlimmer).
Man sollte aber in diesem Zusammenhang immer wieder den berühmt-berüchtigten und zutiefst zynischen Brief von Sitta und Gallmann an den "lieben Christian" in Erinnerung rufen:
Es gibt die richtige Auslegung einer Regel; »richtig« heisst hier: in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser.
Es gibt – was den Regelverfassern möglicherweise entgangen ist – oft mehrere »richtige« Auslegungen einer Regel; »richtig« heisst dann zum einen das vorangehend Genannte: in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser. Zum andern kann es sich aber auch um eine von den Verfassern nicht beabsichtigte, wohl aber vom Wortlaut der Regel gedeckte Interpretation handeln.
Es gibt die falsche Auslegung einer Regel; »falsch« heisst hier: nicht in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser und mit dem Wortlaut des Textes. Mit falschen Auslegungen muss man natürlich vor allem dort rechnen, wo Menschen interpretieren, die die Arbeit am Regelwerk nicht mitgemacht haben.
Übersetzung: Richtig ist, was unseren eigentlichen Intentionen entspricht, auch wenn das nicht mit den ausformulierten Regeln übereinstimmt. Falsch ist, was sowohl nach dem Wortlaut der Regeln als auch nach unseren Intentionen als falsch gilt. Weil aber kaum ein Mitglied der Sprachgemeinschaft "die Arbeit am Regelwerk" mitgemacht hat und deshalb die eigentlichen "Intentionen" nicht kennen kann, können wir machen, was wir wollen.
Man nennt das gemeinhin Willkür.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2013 um 08.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9388
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Ich wollte auch nicht etwa irgendwelche Prioritätsansprüche erheben, das wäre ja lächerlich, sondern auf die krummen und oft lachhaften Wege hinweisen, die die Kommission gerade in ihren Anfangszeiten genommen hat. Manches habe auch ich schon wieder vergessen und stoße erst in alten Aufzeichnungen wieder darauf. Wie lange das schon wieder her ist!
Heute bemühen sich ja das IDS und der Rat, die Zeit zwischen 1996 und 2004 vergessen zu machen. Vielleicht gerade deshalb, weil die Aktivitäten der ziemlich kopflos gewordenen Kommission die ganze Undurchdachtheit der Reform so deutlich an den Tag brachten. Das Karlsruher Urteil von 1998 hat eine gewisse Beruhigung gebracht, weil dadurch wenigstens die Machtfrage zugunsten der KMK und der Reformer entschieden war. Aber das hat sie auch ein wenig übermütig gemacht, und damit mag die Auflösung der Kommission zusammenhängen.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 12.06.2013 um 06.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9389
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Prioritätsansprüche wollte ich Ihnen gewiß nicht unterstellen, sondern nur auf den bis heute anhaltenden Zynismus der Reformer und Kultusministerien aufmerksam machen: Erst schreit man Zeter und Mordio, weil nicht alles aus Regeln ableitbar ist, dann verfaßt man ein riesiges Regelwerk mit der Zielsetzung, auch noch den hinterletzten Winkel zu regeln und dafür zu sorgen, daß sich jede Schreibung aus einer Regel ableiten läßt sowie entsprechende Verweisbeziehungen zwischen Regelteil und Wörterverzeichnis existieren. Spätestens beim Erstellen des Wörterverzeichnisses merkt man dann aber, daß das Regelwerk lückenhaft, widersprüchlich und unklar ist, so daß man doch wieder auf Einzelfestlegungen zurückgreift oder (besonders in der Version 2006) problematische Fälle einfach wegläßt.
Als das ganze Ausmaß des Debakels sichtbar wird, erklärt man (wie in dem Zitat von Sitta/Gallmann angedeutet) die Regeln nur zu einer untergeordneten Quelle und statt dessen die eigenen "Intentionen" für maßgeblich. Weil sich aber Intentionen ändern können und ohnehin für niemanden nachprüfbar sind, stellt man sich auf diese Weise einen Freibrief für Willkür aus.
Aus dem Archiv:
Steigerungsformen wie am Aufsehen erregendsten und noch viel sagender sind ungrammatikalisch und entsprechen weder der Intention des Regelwerkes noch werden sie in einem der gängigen Rechtschreibwörterbücher aufgeführt. ("Immer wieder falsche Beispiele" (2000))
Die genannten Möglichkeiten werden im Regelteil nirgends explizit vorgeführt. Es lässt sich höchstens aus ein paar Einträgen im Wörterverzeichnis rekonstruieren, dass beide logisch denkbaren Schreibungen tatsächlich zugelassen sind. (3. Bericht der ZK der KMK, 2001)
Seither gibt es nur Auslegungen. (Augst in einem Zeitungsinterview, 2002)
Und so weiter.
Eine wesentliche Grundlage der Reform, nämlich durchgehende Verregelung, ein Argument, das die Kultusminister wohl neben dem Schwindel mit der verringerten Regelanzahl zur Zustimmung veranlaßt hat, war aber dem Brief von Sitta und Gallmann zufolge schon 1996 hinfällig. Das wahre Motto schien nun zu sein: "Früher hat die DUDEN-Redaktion willkürliche Entscheidungen getroffen, jetzt sind wir am Zug, Regeln hin oder her." Und der Rat macht munter weiter. Das ist aber wohl ohne Bedeutung, denn die Regeln als solche sind zwar sakrosankt, aber ohnehin sch***egal.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 12.06.2013 um 07.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9390
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Noch ein Problem im Hinblick auf die Tageszeiten: "über nacht/Nacht" bzw. "über tag/Tag", vielleicht sogar "übernacht" und "übertag"?
Ich finde momentan weder im Regelteil noch im Wörtververzeichnis etwas Brauchbares für diesen Fall. Wahrscheinlich gilt einfach die alte DUDEN-Festlegung weiter.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 27.06.2013 um 06.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9411
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Ein anderes ungelöstes Problem sind "Verbindungen" wie "als nächstes". Laut Wörterverzeichnis ist nur "als Nächstes" richtig – mit einem unklaren Verweis auf den ebenso unklaren § 57 (1). Daneben gibt es aber § 58 (3.2).
Was ist der Unterschied zwischen "von neuem/Neuen", "ohne weiteres/Weiteres" und "als Nächstes" – außer den Beispielen zu den jeweiligen Paragraphen?
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 02.07.2013 um 07.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9427
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Ist cum grano salis hier eigentlich schon mal diskutiert worden?
Wenn man es als "feste adverbiale Fügung" nach § 55 E2 auffaßt (d.h. entsprechend paraphrasiert), ist durchgehende Kleinschreibung angesagt. Was aber, wenn statt dessen im jeweiligen Kontext eine nominale Paraphrasierung mit Präposition(en) naheliegt oder wenigstens möglich ist (z.B. "mit der gegebenen Vorsicht")? Dann hat man es zwar immer noch mit einer "festen Fügung" zu tun, aber doch wohl nicht mehr mit einer "adverbialen".
Das trifft im übrigen auch auf einen Teil der Beispiele in § 55 E2 zu, z.B. a capella = ohne Instrumentalbegleitung.
Das Regelwerk schweigt zu solchen Fällen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 05.07.2013 um 22.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9435
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Gemeint ist die nähere Bestimmung der mit diesen »adverbialen Fügungen« gewöhnlich verbundenen Verben, also z. B. singen im Falle von a cappella, erwischen im Falle von in flagranti. Cum grano salis wird meistens mit nehmen verbunden.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 06.07.2013 um 07.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9436
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Natürlich, aber ich stelle mich manchmal bewußt doof und lese die Regeln so, wie niedergeschrieben sind, und da stellt sich immer wieder heraus, daß sie nicht selbsttragend sind. Ohne Kommentar und ohne Kenntnis der alten Duden-Rechtschreibung kommt man nicht weit.
Viel wichtiger ist aber: Wie, um Himmels willen, soll man so etwas lehren oder lernen?
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 08.07.2013 um 07.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9438
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Ein anderes Beispiel: carpe diem, Als Zitat schreibt man es klein, aber was heißt eigentlich "Zitat"? Die Römer kannten keine Minuskeln, und die Humanisten haben das meiste klein geschrieben.
Für Fälle wie carpe diem oder dessen nachtschwärmerische Parodie carpe noctem fehlt eine klare Regel.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 08.07.2013 um 08.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9439
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Noch ein anderes Beispiel: Im Deutschen ist es üblich, das Adelsprädikat ("von", "zu" oder "de") klein zu schreiben, auch wenn nur der Nachname genannt wird. Im Niederländischen (zumindest in der wissenschaftlichen Literatur) ist hingegen die Großschreibung die Regel, z.B. Van Suchtelen. Wie schreibt man niederländische Nachnamen mit Präpositonen im Deutschen regelgemäß?
Auch der alte Duden hat da nicht weitergeholfen, aber eine Neufassung hätte doch die Chance eröffnet, solche Fälle zu klären. Statt dessen hat man sich in den DUDEN-Regeln verbissen und verheddert und dabei jeglichen Pragmatismus (abgesehen von der Durchsetzbarkeit) aus den Augen verloren.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2013 um 08.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9440
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Die schon oft erörterte neue Großschreibung in Verbum Dicendi und noch deutlicher in Ars bene Dicendi (alles nach Duden) leuchtet um so weniger ein, als die Grammatik dieser Ausdrücke, besonders des zweiten, ganz und gar lateinisch ist.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.07.2013 um 13.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9441
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Die Physiker schreiben "VAN-DER-WAALS-Konstanten" und "van-der-Waalsche Zustandsgleichung" realer Gase (Kuchling, Taschenbuch der Physik) und "van der Waalsche Zustandsgleichung" und "VAN DER WAALsche Konstanten" (Mende Simon, Physik). Aber vielleicht dürfen sich Schüler nur im Physikunterricht nach den Physikern richten.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 25.07.2013 um 08.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=693#9470
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Noch ein Thema, das der Vorsitzende (oder Herr Eisenberg) ansprechen müßte und das hier bisher m.W. nicht diskutiert wurde: Fragezeichen.
Der unreformierte DUDEN hat in den RR 50–52 sehr zuverlässig und gut verständlich Auskunft über den sinnvollen Gebrauch gegeben. Die AR (§ 70) behandelt dagegen nur "Ganzsätze" (was immer das ist). Sie gibt keine Auskunft darüber, wie paraphrasierte ("indirekte") Fragen zu behandeln sind. Das ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil im allgegenwärtigen Englischen hier ein Fragezeichen durchaus möglich ist.
Auch zu Sätzen, die nur bei oberflächlicher Betrachtung als Frage gelten können wie "Was fällt Ihnen ein!" (R 50) findet man nichts außer ein paar Beispiele, die man zur Not extrapolieren könnte.
In anderen Worten: die Zusammenfassungs- und Systematisierungsmanie der Reformer läuft bis auf den heutigen Tag auf Auskunftsverweigerung hinaus.
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