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31.07.2009
Dankwart Guratzsch
Die Rechtschreibreform ist endgültig gescheitert
Die Leidtragenden sind die Schüler
Unterschiede in den Neuausgaben von Duden und Wahrig zeigen: Die Rechtschreibreform ist gescheitert. (Neuere, unwesentlich geänderte Textfassung siehe hier.)
Im verflixten 13. Jahr nach der umstrittenen Rechtschreibreform legen Duden und Wahrig parallel zwei neue deutsche Wörterbücher vor - und bescheinigen damit ungewollt der größten Umstellung der deutschen Schriftsprache seit Konrad Duden ihr völliges Scheitern. Denn statt einer gemeinsamen Orthographie - also Richtigschreibung - für das Deutsche präsentieren sie zwei. Das bereits bestehende Rechtschreibchaos wird dadurch fortgeschrieben - und der von der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Koordination eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung schweigt.
Das Pikante an der Sache: Wahrig und Duden erscheinen neuerdings quasi unter einem Dach: Der neue Herr im Bibliographischen Institut, dem Hausverlag des Duden, ist derselbe Verlag Cornelsen, der mit Bertelsmann auch den Wahrig herausbringt. Wenn also hätte bewiesen werden sollen, dass die linke Hand nicht mehr weiß wie die rechte schreibt, dann hätte man kein besseres Arrangement dafür erdenken können. Doch der Vorsitzende des Rates, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair, hat von den Diskrepanzen zwischen beiden Wörterbüchern offenbar noch nichts gemerkt. "Gibt es die?", fragte er unlängst in einem Zeitungsinterview - und bewies damit, dass er die Arbeit der Wörterbuchredaktionen keineswegs verfolgt hat.
Denn es gibt diese Diskrepanzen zuhauf, und das, obwohl dem Rat vor drei Jahren aufgetragen worden war, das durch die Reform angerichtete Chaos zu entwirren. Wenn sich der "Rat" damit überfordert fühlt, so hätte er sich Hilfe holen müssen, etwa bei der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache, die in einer ersten Übersicht 350 Abweichungen aufgelistet hat.
Soll man laut Duden zum Beispiel "bei Weitem" schreiben, so schließt sich Wahrig "bei weitem" noch nicht an. Hält der Duden an der "bismarckschen" Sozialgesetzgebung fest, meint man bei Wahrig, mit den amerikanisch verfremdeten "Bismarck'schen" Sozialgesetzen besser zu fahren. Und so geht es munter weiter: "Schimäre" oder "Chimäre", "tschau!" oder "ciao!", "Kortison" oder "Cortison", "dahin gehend" oder "dahingehend", "Kakofonie" oder "Kakophonie!", "seit Neuestem" oder "seit neuestem", "Play-back" oder "Playback", "Große Koalition" (für den Duden immer, für Wahrig nur von 1966-1968), "große Koalition" (für den Duden nie, für Wahrig von 1928-1930) - in beiden Redaktionen herrscht offenbar vollkommene Konfusion über das, was laut Rechtschreibreform "richtig" oder "falsch" ist und was, ganz unabhängig von richtig und falsch "allgemeiner Usus" (also Schriftgebrauch) ist. Aber Ratschef Zehetmair findet "kein Unbehagen" dabei. "Ich habe kein Problem mit Wahrig, der den jetzigen Stand der Orthografie wiedergibt."
Tut er das wirklich? Der "Münchner Merkur" rät zu einem Blick ins Internet: 69 Prozent der Internet-Nutzer schreiben Gemse - und nicht Gämse, wie die Reformer wollten; 72 Prozent ziehen "selbständig" dem reformierten "selbstständig" vor, "und wer das neudeutsche 'Spagetti' eingibt, wird vom Computer wie selbstverständlich gefragt: ,Meinten Sie: Spaghetti?'"
Wenn die KMK dem famosen Rat die Aufgabe gestellt hat, die Schreibweise dem Schriftgebrauch anzupassen, hätte Zehetmair unverzüglich tätig werden und die neuen Unsinnsschreibungen diesem "allgemeinen" Gebrauch anpassen (also zurücknehmen) müssen. Stattdessen bekennt sich der Oberverweser der neuen deutschen Schriftsprache zur altersweisen Untätigkeit: "Der Rat wird intensiv in der Stille arbeiten und die Sprache beobachten - ohne zeitliche und inhaltliche Aufgeregtheit. Er wird nicht durch Beschlüsse weitere offizielle Empfehlungen abgeben." Das heißt aber mit anderen Worten, er gibt seinen Auftrag zurück. Müsste die KMK da nicht unverzüglich die Konsequenz ziehen und die Finanzmittel für diese Rechtschreibvoyeure streichen. Untersucht man die Abweichungen näher, kommt eine interessante Tatsache zutage: Nicht der Rechtschreibrat scheint eine erkennbare Funktion auszuüben, wohl aber die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als Sachwalterin des gedruckten Deutsch. Zumindest Wahrig stützt sich mit seinen Schreibweisen weitgehend auf ihre Empfehlungen.
Damit wiederholt sich ein Phänomen, mit dem sich schon der Schöpfer der deutschen Einheitsrechtschreibung, Konrad Duden, konfrontiert gesehen hatte: Mehrfachschreibweisen ließen sich nicht durchsetzen. Der Widerstand ging von den Buchdruckern aus. Auf einer Tagung in Konstanz 1902 "gaben sie ganz unverhohlen ihrer Missstimmung über die durch die neuen Regelbücher nur noch vermehrte Unsicherheit in der Rechtschreibung Ausdruck". Und so waren es schon damals die gedruckten Medien, die im Kampf um eine einheitliche Schreibweise letztlich obsiegten.
1903 lieferte Duden erstmals einen "Buchdruckerduden" aus, der später mit dem "normalen" Duden verschmolz. Im Untertitel wurde darauf hingewiesen, dass er "auf Anregung und unter Mitwirkung des Deutschen Buchdruckervereins, des Reichsverbandes Österreichischer Buchdruckereibesitzer und des Vereins Schweizerischer Buchdruckereibesitzer" entstand.
Ganz auf diese Linie scheint der neue Wahrig eingeschwenkt zu sein, der sich über weite Strecken an die von dpa vorgeschlagene Gemeinschaftsschreibweise der gedruckten Medien hält. Getreu der Regel, dass in Zweifelsfällen die herkömmliche Schreibweise gelten soll, macht er so manche Eskapaden der Schreibreform nicht mehr mit. Der neue Duden hingegen wirkt wie eine Kampfansage an dieses Konzept. Dabei setzt er jeweils eigene Schreibweisen an die erste Stelle seines Variantensalats und verzichtet auch noch darauf, die Schreibweisen wie bisher je nach Quelle farbig voneinander abzuheben. Der Benutzer soll nicht mehr erfahren, ob er sich in den Ruinen der alten Rechtschreibung oder im Niemandsland der neuen bewegt.
Unterstützung für Wahrig kommt von "Anwendern der Presse und der Verlage" in der Schweiz. Wie die Kollegen in Deutschland unter Führung der dpa, haben auch sie sich auf die Ausarbeitung eigener Rechtschreibregeln geeinigt. Auch hier heißt die Generalregel: "Bei Varianten die herkömmliche", auch hier ist das Ziel, die von den Rechtschreibreformern um den Siegener Linguisten Gerhard Augst zerstörte Einheitlichkeit der Rechtschreibung zurückzugewinnen.
Aber anders als der untätige deutsche "Rat" bietet die "Schweizer Orthographische Konferenz (SOK)" dazu auch Sprachwissenschaftler auf, die sich als kooperativ erweisen.
Als Hauptleidtragende der inzwischen mehrmals nachgebesserten Rechtschreibreform macht die Redaktion der reformkritischen Zeitschrift "Deutsche Sprachwelt" die Schüler aus. "Nicht die Schüler sind zu dumm für die Neuregelung, sondern umgekehrt ist die Rechtschreibreform zu dumm für die Schüler", so Chefredakteur Thomas Paulwitz. Tatsächlich hat der saarländische Germanist Uwe Grund jüngst nachweisen können, dass die Reform ihren Hauptzweck, die Vereinfachung der Rechtschreibung, gerade bei den Heranwachsenden verfehlt.
In einer umfangreichen Studie, in der die Rechtschreibleistungen in Schülertexten vor und nach der Rechtschreibreform verglichen werden, kommt Uwe Grund zu dem Befund, dass die Fehlerquote nicht abgenommen, sondern zugenommen hat: "1. Nach der Rechtschreibreform werden in der Schule erheblich mehr orthographische Fehler gemacht als davor. 2. Die Fehler haben sich - möglicherweise sogar überproportional - in den Bereichen vermehrt, in denen die Reformer regulierend in die Sprache eingegriffen haben. 3. Die Vermehrung der Fehler hat Konsequenzen, die vor allem die Lehrenden und Lernenden schlechter stellen, also jene Sprachteilnehmer, um deretwillen das Reformwerk angeblich geschaffen wurde."
Als Resümee stellt der Germanist Grund die rhetorische Frage: "Gibt es Auswege aus dem ,nationalen Desaster'?" Seine Antwort fällt bildkräftig aus: "Der Teufel muss, wie der Volksmund weiß, zu dem Loch wieder hinaus, zu dem er hereingekommen ist. Das gilt auch für den Fehlerteufel."
Quelle: Die Welt
Link: http://www.welt.de/die-welt/kultur/article4228925/Die-Leidtragenden-sind-die-Schueler.html
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Kommentare zu »Die Rechtschreibreform ist endgültig gescheitert« |
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 26.06.2010 um 03.27 Uhr
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Der Fehlerteufel (in diesem Fall derjenige mit dem Namen Augst) scheint inzwischen auch Ingenieurbüros bzw. die Deutsche Bahn AG heimgesucht zu haben. So prangte auf einer Tafel vor einer Großbaustelle an einem deutschen Bahnhof das Wort "Robaumaßnahmen" (der Name des zuständigen Ingenieurbüros sei an dieser Stelle verschwiegen).
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Kommentar von Maria, verfaßt am 28.08.2009 um 17.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7956
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Ist die Antwort auf das Fernbleiben der Schriftsteller von der Debatte um die Rechtschreibreform ins Sommerloch gefallen, oder wird versucht, das bestürzende Thema totzuschweigen?
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Kommentar von Berliner Morgenpost, 5. August 2009, verfaßt am 10.08.2009 um 15.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7944
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BlattKritik
Leser über die Berliner Morgenpost
Die Blattkritik macht heute unsere Leserin Anne Reymann (28). Sie ist Referentin bei einer Botschaft und wohnt in Mitte.
Das fand ich gut: Der Artikel über die Premiere von "Wickie und die starken Männer" hat mich an meine eigene Kindheit und die Serie erinnert. Dem Kommentar von Uli Exner über Steinmeiers "Deutschlandplan" stimme ich voll und ganz zu. Das Foto der Schauspielerin Penélope Cruz auf der Titelseite ist prima, sie dann noch mal groß auf der letzten Seite zu zeigen allerdings überflüssig. Der kritische Artikel auf der ersten Seite über die Rechtschreibreform und das Durcheinander bei den Wörterbüchern Duden und Wahrig war wichtig.
Das fand ich schlecht: Der Artikel über "Das teuerste Haus der Welt" war okay, allerdings habe ich schon vor Wochen irgendwo anders davon gehört oder gelesen. Und ich verstehe nicht, warum man einen so langen Artikel über die Therapie von Schreibabys bringen muss.
(www.morgenpost.de)
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Kommentar von Berliner Morgenpost, 4. August 2009, verfaßt am 10.08.2009 um 15.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7943
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(Titelseite)
Streit der Wörterbücher
Mehr Schlecht- als Rechtschreibung
Im 13. Jahr nach der umstrittenen Rechtschreibreform legen Duden und Wahrig parallel zwei neue deutsche Wörterbücher vor - und bescheinigen damit ungewollt der größten Umstellung der deutschen Schriftsprache seit Konrad Duden ihr völliges Scheitern.
Denn statt einer gemeinsamen Orthografie - also Richtigschreibung - für das Deutsche präsentieren sie zwei. Das Pikante an der Sache: Wahrig und Duden erscheinen neuerdings quasi unter einem Dach: Der neue Herr im Bibliographischen Institut, dem Hausverlag des Dudens, ist derselbe Verlag Cornelsen, der mit Bertelsmann auch den Wahrig herausbringt.
Die Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache listet in einer ersten Übersicht 350 Abweichungen auf. Soll man laut Duden zum Beispiel "bei Weitem" schreiben, so schließt sich Wahrig "bei weitem" noch nicht an. Hält der Duden an der "bismarckschen" Sozialgesetzgebung fest, meint man bei Wahrig, mit den "Bismarck'schen" Sozialgesetzen besser zu fahren. Und so geht es munter weiter: "Schimäre" oder "Chimäre", "tschau!" oder "ciao!", "Kortison" oder "Cortison", "dahin gehend" oder "dahingehend", "Kakofonie" oder "Kakophonie", "Play-back" oder "Playback", "seit Neuestem" oder "seit neuestem" - in beiden Redaktionen herrscht offenbar Konfusion über das, was laut Rechtschreibreform "richtig" oder "falsch" ist und was - ganz unabhängig von richtig und falsch - "allgemeiner Usus" (also Schriftgebrauch) ist.
Hauptleidtragende sind die Schüler. Der Germanist Uwe Grund hat in einer Studie nachgewiesen, dass die Fehlerquote bei Schülern seit der Reform zugenommen hat - und zwar in den Bereichen, wo die Reformer eingegriffen haben. Der einzige Ausweg aus dem "nationalen Desaster" sei die Rücknahme der Reform.
(www.morgenpost.de)
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Kommentar von Solinger Tageblatt, 4. August 2009, verfaßt am 07.08.2009 um 20.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7936
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Schreibreform ist kläglich gescheitert
Die neu aufgelegten Wörterbücher Duden und Wahrig beweisen endgültig: Es gibt zwei deutsche Rechtschreibungen.
Von Christoph Lumme
Düsseldorf. Nur drei Jahre nach Inkrafttreten der zum zweiten Mal revidierten Rechtschreibreform ist das Chaos perfekt: Duden und Wahrig haben jetzt die Neuauflagen ihrer Leitwörterbücher auf den Markt gebracht und kommen auf keine gemeinsame Linie mehr. Der Duden (25. Auflage) zum Beispiel schreibt "Große Koalition", der Wahrig (7. Auflage) "große Koalition". Im Duden heißt es "seit Neuestem", im Wahrig "seit neuestem".
Die Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache hat in einer ersten Bestandsaufnahme 350 Abweichungen aufgelistet und verweist auf das pikante Detail, dass sowohl Duden und Wahrig unter dem Dach des Cornelson-Verlags erscheinen.
Thomas Paulwitz, Chefredakteur der Zeitschrift "Deutsche Sprachwelt", findet das "skandalös". Vor allem Kinder und Jugendliche seien die Opfer: "Nicht die Schüler sind zu dumm für die Neuregelung, sondern umgekehrt ist die Rechtschreibreform zu dumm für die Schüler."
Der von der Kultusministerkonferenz eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung, der das Chaos im Schriftdeutsch eigentlich lichten sollte, schweigt zu den erheblichen Diskrepanzen der beiden Standardwerke. Wie die "Welt" berichtete, habe sich die Redaktion des Wahrig denn auch nicht an Vorgaben des Rechtschreibrates orientiert, sondern an der Gemeinschaftsrechtschreibung der gedruckten Medien. Diese wiederum bezieht sich auf "Regeln", die die Deutsche Presse-Agentur (dpa) für ihre Autoren entwickelt hatte.
Wie umfassend die Sprachverwirrung ist, zeigt das Internet. Wer etwa das neudeutsche "Spagetti" ins Google-Suchfeld eingibt, erhält postwendend eine gleichsam belehrende wie verständnislose Reaktion: "Meinten Sie: Spaghetti?"
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Varianten:
BElSPlEL 1 Der Duden schreibt neudeutsch "Kortison", Wahrig bleibt bei "Cortison".
BElSPlEL 2 lm Duden heißt es "bei Weitem", im Wahrig hingegen "bei weitem".
BEISPIEL 3 Der Duden nennt ein Zwitterwesen "Schimäre", der Wahrig "Chimäre".
BElSPlEL 4 Im Duden gilt bei "dahin gehend" Getrenntschreibung, der Wahrig schreibt das Wort zusammen.
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Kommentar von Maria, verfaßt am 07.08.2009 um 18.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7934
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Gibt es eigentlich außer Herrn Kunze Schriftsteller, die – abgesehen davon, daß sie ihre Werke in Rechtschreibung erscheinen lassen – sich öffentlich über die Mangelhaftigkeit der sogenannten Reform äußern?
(Mir fehlt es auf meiner Insel der Seeligen etwas an Einsicht in das Geschehen in Deutschland.)
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Kommentar von donaukurier.de, 31. Juli 2009, verfaßt am 03.08.2009 um 22.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7911
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"Ich fand die Diskussion schon ein wenig lächerlich"
Ingolstadt (sic) In den Schulen gehören die neuen Rechtschreibregeln längst zum Alltag. Wie gelang die Umsetzung der Reform? Hat sich das Lernverhalten der Kinder geändert? Darüber unterhalten sich Edith Philipp-Rasch, Germanistin und Direktorin des Reuchlin-Gymnasiums Ingolstadt, die Grundschullehrerin Ulrike Arens und der Schüler Sebastian Schuller, mehrfacher Preisträger bei Wettbewerben für junge Autoren.
Mal ehrlich: Wer von Ihnen schreibt privat noch nach den alten Regeln?
Edith Philipp-Rasch: Ich gestehe: In privaten Mails schreibe ich – noch reformerischer – alles konsequent klein.
Ulrike Arens: Ich schreibe in Briefen die persönliche Anrede klein. Ich habe aber immer den Verdacht, dass die Leute dann denken: ,Kann sie’s nicht oder will sie’s nicht’ Aber das behalte ich jetzt dennoch bei.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als sie zum ersten Mal den reformierten Duden gesehen haben?
Philipp-Rasch: Vor allem die Probleme, die mit der Korrektur auf einen zukommen. In der Schule konnte man ja nicht mehr nur richtig und falsch anstreichen, sondern es waren nur noch bestimmte Dinge falsch und andere veraltet, die man eigens markieren musste. Das war ein zusätzlicher Aufwand.
Sebastian Schuller: Als die neuen Regeln veröffentlicht wurden, war ich in der ersten Klasse. Da habe ich noch nicht so oft in den Duden geschaut. Als bekennender Althumanist muss ich aber sagen, dass mir einfach das Herz blutet, wenn ich sehe, dass man wunderbare griechische Wörter wie Phantasie mit "F" schreiben darf.
Arens: Ich habe das rausgenommen, was für den Grundschulunterricht relevant war. Und dann habe ich es generell zum Anlass genommen, wieder in den Duden zu schauen.
Wie groß ist Ihr Befremden, wenn Sie einen Text lesen, der den alten Regeln folgt?
Schuller: Wenn man einfach drüber liest, bemerkt man den Unterschied kaum. Vieles fällt mir erst auf, wenn ich den Text ganz genau durchgehe.
Sie waren bis 2005 Fachreferentin des Ministerialbeauftragten in Niederbayern für Deutsch und damit direkt mit der Umsetzung der Reform befasst. Wie renitent reagierten die Lehrer auf die Regeln?
Philipp-Rasch: Es gab nur wenige Ausnahmen, die gesagt haben: ,Ich lass’ mir nicht vorschreiben, wie ich schreibe!" – aber Lehrer sind Beamte, und da müssen sie es sich vorschreiben lassen. Aber im Dienstlichen war es nie ein großes Thema, auch wenn anfangs viel darüber geschimpft worden ist.
Wie laut wurde damals bei Ihnen im Lehrerzimmer Widerstand erwogen?
Arens: Ich erinnere mich an den Aufschrei, der wegen der Bücher durch die Reihen ging, die neu bestellt werden mussten. Manchmal wurden Zeugnisse zurückgegeben, weil einige Kollegen etwa "selbstständig" nach den alten Regeln mit einem "st" geschrieben haben. Richtig laut ist es aber dann geworden, als es hieß, dass alles vielleicht wieder eingetütet und zurückgezogen wird.
Welche Erinnerungen haben Sie an den heftigen Streit um die Rechtschreibreform?
Schuller: Ich erinnere mich daran, dass in die Rechtschreibung generell eine große Unsicherheit gekommen ist – und zwar bei ganz vielen in meiner Generation, die irgendwann sogar bei einfachen Sachen gefragt haben: ,Wie muss ich das schreiben’ Durch die Diskussion ist das noch verstärkt worden. Hinzu kam bei uns in der Grundschule eine zum Teil schlechte Rechtschreibausbildung. Allgemein fand ich diese Diskussion schon ein wenig lächerlich. Ich halte es für ziemlichen Unsinn, dass man Vokabular aus dem Krieg wie "Reformfrieden" für politisch-ideologische Ziele einsetzt, ja missbraucht. Schlussendlich: Es ist nur Rechtschreibung.
Was hat sich im Lernverhalten der Grundschulkinder seit der Reform verändert?
Arens: Die Reform ist im Unterrichtsalltag wegen all dem, was sich damals bei uns sonst noch erneuert hat, ein bisschen untergegangen. Da waren der neue Lehrplan, die neue Schreibschrift, der Grundwortschatz wurde auch geändert. Es ist mir von Anfang an leicht gefallen, die doch recht einfachen Regeln der Reform den Kindern plausibel zu machen, etwa die Doppel-S-Regel.
Welche Unterschiede haben Sie beobachtet?
Philipp-Rasch: Es gibt eindeutig einen Punkt, der Vorteile gebracht hat: die Kommasetzung. Das war ein Feld, das früher für viele nicht leicht zu beackern war. Da haben manche ihre Kommata nach dem Gießkannenprinzip verteilt oder reformerisch-radikal ganz weggelassen. Durch die Neuregelung hat sich etliches erledigt.
Welche Teile der Reform haben die Konfusion gefördert?
Philipp-Rasch: Dieses Hin und Her. Man hat die meisten neuen Regeln wirklich gut erklären können. Aber mit dem halben Rückwärtsgang war die Konfusion komplett.
Arens: Das mit der Konfusion kann ich unterstreichen. Wir haben viele neue Arbeitsblätter einstampfen müssen.
Gegner behaupten, die Reform habe dem Ansehen der deutschen Sprache und Literatur geschadet. Stimmt das?
Schuller: Sprache ist nicht nur auf die Rechtschreibung beschränkt. Die Bedeutung der Sprache steckt im Wort. Wenn ich ein Wort anders schreibe, ändert sich nicht die Bedeutung. Daher hängt das Ansehen der deutschen Literatur nicht von der Orthografie ab, sondern von dem, was die Schriftsteller mit der Sprache machen. Und da stehen wir nach wie vor weltweit nicht schlecht da.
(www.donaukurier.de)
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Kommentar von Berliner Morgenpost, 3. August 2009, verfaßt am 03.08.2009 um 21.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7909
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(Der Artikel von D. Guratzsch wurde heute unwesentlich geändert [neue Überschrift, neuer Vorspann, mehr Absätze, aber ansonsten gleicher Text] von der Berliner Morgenpost übernommen, auch die auf www.welt.de vorhandene Fassung entsprechend geändert. – Red.)
Duden gegen Wahrig
Die Rechtschreibreform ist endgültig gescheitert
Von Dankwart Guratzsch (3. August 2009, 09:13 Uhr)
Alles auf Kosten der Schüler: Die Unterschiede in den Neuausgaben von Duden und Wahrig beweisen schmerzhaft, dass die Rechtschreibreform komplett gescheitert ist. Ihr Ziel, die Rechtschreibung zu vereinfachen, hat sie vor allem bei den Heranwachsenden völlig verfehlt.
Im verflixten 13. Jahr nach der umstrittenen Rechtschreibreform legen Duden und Wahrig parallel zwei neue deutsche Wörterbücher vor - und bescheinigen damit ungewollt der größten Umstellung der deutschen Schriftsprache seit Konrad Duden ihr völliges Scheitern.
Denn statt einer gemeinsamen Orthographie - also Richtigschreibung - für das Deutsche präsentieren sie zwei. Das bereits bestehende Rechtschreibchaos wird dadurch fortgeschrieben - und der von der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Koordination eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung schweigt.
Das Pikante an der Sache: Wahrig und Duden erscheinen neuerdings quasi unter einem Dach: Der neue Herr im Bibliographischen Institut, dem Hausverlag des Duden, ist derselbe Verlag Cornelsen, der mit Bertelsmann auch den Wahrig herausbringt.
Wenn also hätte bewiesen werden sollen, dass die linke Hand nicht mehr weiß wie die rechte schreibt, dann hätte man kein besseres Arrangement dafür erdenken können. Doch der Vorsitzende des Rates, der frühere bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair, hat von den Diskrepanzen zwischen beiden Wörterbüchern offenbar noch nichts gemerkt. "Gibt es die?", fragte er unlängst in einem Zeitungsinterview - und bewies damit, dass er die Arbeit der Wörterbuchredaktionen keineswegs verfolgt hat.
Denn es gibt diese Diskrepanzen zuhauf, und das, obwohl dem Rat vor drei Jahren aufgetragen worden war, das durch die Reform angerichtete Chaos zu entwirren. Wenn sich der "Rat" damit überfordert fühlt, so hätte er sich Hilfe holen müssen, etwa bei der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache, die in einer ersten Übersicht 350 Abweichungen aufgelistet hat.
Soll man laut Duden zum Beispiel "bei Weitem" schreiben, so schließt sich Wahrig "bei weitem" noch nicht an. Hält der Duden an der "bismarckschen" Sozialgesetzgebung fest, meint man bei Wahrig, mit den amerikanisch verfremdeten "Bismarck'schen" Sozialgesetzen besser zu fahren. Und so geht es munter weiter: "Schimäre" oder "Chimäre", "tschau!" oder "ciao!", "Kortison" oder "Cortison", "dahin gehend" oder "dahingehend", "Kakofonie" oder "Kakophonie!", "seit Neuestem" oder "seit neuestem", "Play-back" oder "Playback", "Große Koalition" (für den Duden immer, für Wahrig nur von 1966-1968), "große Koalition" (für den Duden nie, für Wahrig von 1928-1930) - in beiden Redaktionen herrscht offenbar vollkommene Konfusion über das, was laut Rechtschreibreform "richtig" oder "falsch" ist und was, ganz unabhängig von richtig und falsch "allgemeiner Usus" (also Schriftgebrauch) ist. Aber Ratschef Zehetmair findet "kein Unbehagen" dabei. "Ich habe kein Problem mit Wahrig, der den jetzigen Stand der Orthografie wiedergibt."
Tut er das wirklich? Der "Münchner Merkur" rät zu einem Blick ins Internet: 69 Prozent der Internet-Nutzer schreiben Gemse - und nicht Gämse, wie die Reformer wollten; 72 Prozent ziehen "selbständig" dem reformierten "selbstständig" vor, "und wer das neudeutsche 'Spagetti' eingibt, wird vom Computer wie selbstverständlich gefragt: ,Meinten Sie: Spaghetti?'"
Wenn die KMK dem famosen Rat die Aufgabe gestellt hat, die Schreibweise dem Schriftgebrauch anzupassen, hätte Zehetmair unverzüglich tätig werden und die neuen Unsinnsschreibungen diesem "allgemeinen" Gebrauch anpassen (also zurücknehmen) müssen.
Stattdessen bekennt sich der Oberverweser der neuen deutschen Schriftsprache zur altersweisen Untätigkeit: "Der Rat wird intensiv in der Stille arbeiten und die Sprache beobachten - ohne zeitliche und inhaltliche Aufgeregtheit. Er wird nicht durch Beschlüsse weitere offizielle Empfehlungen abgeben." Das heißt aber mit anderen Worten, er gibt seinen Auftrag zurück.
Müsste die KMK da nicht unverzüglich die Konsequenz ziehen und die Finanzmittel für diese Rechtschreibvoyeure streichen. Untersucht man die Abweichungen näher, kommt eine interessante Tatsache zutage: Nicht der Rechtschreibrat scheint eine erkennbare Funktion auszuüben, wohl aber die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als Sachwalterin des gedruckten Deutsch. Zumindest Wahrig stützt sich mit seinen Schreibweisen weitgehend auf ihre Empfehlungen.
Damit wiederholt sich ein Phänomen, mit dem sich schon der Schöpfer der deutschen Einheitsrechtschreibung, Konrad Duden, konfrontiert gesehen hatte: Mehrfachschreibweisen ließen sich nicht durchsetzen. Der Widerstand ging von den Buchdruckern aus. Auf einer Tagung in Konstanz 1902 "gaben sie ganz unverhohlen ihrer Missstimmung über die durch die neuen Regelbücher nur noch vermehrte Unsicherheit in der Rechtschreibung Ausdruck". Und so waren es schon damals die gedruckten Medien, die im Kampf um eine einheitliche Schreibweise letztlich obsiegten.
1903 lieferte Duden erstmals einen "Buchdruckerduden" aus, der später mit dem "normalen" Duden verschmolz. Im Untertitel wurde darauf hingewiesen, dass er "auf Anregung und unter Mitwirkung des Deutschen Buchdruckervereins, des Reichsverbandes Österreichischer Buchdruckereibesitzer und des Vereins Schweizerischer Buchdruckereibesitzer" entstand.
Ganz auf diese Linie scheint der neue Wahrig eingeschwenkt zu sein, der sich über weite Strecken an die von dpa vorgeschlagene Gemeinschaftsschreibweise der gedruckten Medien hält. Getreu der Regel, dass in Zweifelsfällen die herkömmliche Schreibweise gelten soll, macht er so manche Eskapaden der Schreibreform nicht mehr mit.
Der neue Duden hingegen wirkt wie eine Kampfansage an dieses Konzept. Dabei setzt er jeweils eigene Schreibweisen an die erste Stelle seines Variantensalats und verzichtet auch noch darauf, die Schreibweisen wie bisher je nach Quelle farbig voneinander abzuheben. Der Benutzer soll nicht mehr erfahren, ob er sich in den Ruinen der alten Rechtschreibung oder im Niemandsland der neuen bewegt.
Unterstützung für Wahrig kommt von "Anwendern der Presse und der Verlage" in der Schweiz. Wie die Kollegen in Deutschland unter Führung der dpa, haben auch sie sich auf die Ausarbeitung eigener Rechtschreibregeln geeinigt. Auch hier heißt die Generalregel: "Bei Varianten die herkömmliche", auch hier ist das Ziel, die von den Rechtschreibreformern um den Siegener Linguisten Gerhard Augst zerstörte Einheitlichkeit der Rechtschreibung zurückzugewinnen.
Aber anders als der untätige deutsche "Rat" bietet die "Schweizer Orthographische Konferenz (SOK)" dazu auch Sprachwissenschaftler auf, die sich als kooperativ erweisen.
Als Hauptleidtragende der inzwischen mehrmals nachgebesserten Rechtschreibreform macht die Redaktion der reformkritischen Zeitschrift "Deutsche Sprachwelt" die Schüler aus. "Nicht die Schüler sind zu dumm für die Neuregelung, sondern umgekehrt ist die Rechtschreibreform zu dumm für die Schüler", so Chefredakteur Thomas Paulwitz. Tatsächlich hat der saarländische Germanist Uwe Grund jüngst nachweisen können, dass die Reform ihren Hauptzweck, die Vereinfachung der Rechtschreibung, gerade bei den Heranwachsenden verfehlt.
In einer umfangreichen Studie, in der die Rechtschreibleistungen in Schülertexten vor und nach der Rechtschreibreform verglichen werden, kommt Uwe Grund zu dem Befund, dass die Fehlerquote nicht abgenommen, sondern zugenommen hat: "1. Nach der Rechtschreibreform werden in der Schule erheblich mehr orthographische Fehler gemacht als davor. 2. Die Fehler haben sich - möglicherweise sogar überproportional - in den Bereichen vermehrt, in denen die Reformer regulierend in die Sprache eingegriffen haben. 3. Die Vermehrung der Fehler hat Konsequenzen, die vor allem die Lehrenden und Lernenden schlechter stellen, also jene Sprachteilnehmer, um deretwillen das Reformwerk angeblich geschaffen wurde."
Als Resümee stellt der Germanist Grund die rhetorische Frage: "Gibt es Auswege aus dem ,nationalen Desaster'?" Seine Antwort fällt bildkräftig aus: "Der Teufel muss, wie der Volksmund weiß, zu dem Loch wieder hinaus, zu dem er hereingekommen ist. Das gilt auch für den Fehlerteufel."
(www.morgenpost.de, www.welt.de)
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 31.07.2009 um 19.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7899
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Ihre Frage kann man wohl mit einem „Nein“ beantworten, liebe Frau van Thiel (628#7896). Aber die Presse ist selbstverschuldet unfrei. Sie hat sich nämlich freiwillig in die Knechtschaft begeben, um noch einmal mit la Boetie zu sprechen.
Die Verschleierung, an der sich viele Journalisten bezüglich der Rolle der Presse momentan so lebhaft beteiligen, trägt zu diesem unwürdigen Spiel bei. In Wirklichkeit hatte sich die Presse in Gestalt diverser Zeitungen bereits 1996 gleichgeschaltet. 1999 zogen dann mehr Zeitungen nach und vor allem schlossen sich Dachorganisationen an. Die Springerpresse hat sich schließlich besonders unwürdig verhalten, indem sie sich zunächst jahrelang vermeintlich auf den Seiten der Reformgegner tummelte und kaum eine alberne Polemik ausließ, die Reform in der Öffentlichkeit bloßzustellen (Stichwort „Schlechtschreibreform“). Dann gab es einen Schwenk, als Harald Schmachthagen die Springerpresse auf Reformkurs brachte, und seitdem ist das Thema, für das zunächst so lautstark gestritten wurde, tabu.
Ankündigungen vom SPIEGEL und der „Süddeutschen Zeitung“ blieben schöne Worte und enttarnten die Blätter als Papiertiger. Nicht daß man das Thema „Rechtschreibreform“ nicht doch gelegentlich noch einmal als Aufhänger für eine Titelgeschichte gebrauchen (wohl eher mißbrauchen) könnte, wie BILD und „focus“ anläßlich der Grund-Studie zeigten. Aber mehr kommt nicht. Die „F. A. Z.“ fiel sogar noch unwürdiger um und änderte schließlich unter lautstarkem Brimborium sogar den Namen ihres virtuellen Feuilletons, wobei natürlich wieder einmal die zahlreichen Leserhinweise auf die gleichgeschaltete Rechtschreibung der Zeitung, die man dann eigentlich ebenfalls wieder zurücknehmen könnte, ignoriert wurden.
„Scheinheilig“ ist eigentlich das erste Wort, das mir bei diesem Verhalten zum Erscheinen von zwei so unterschiedlichen Rechtschreibwörterbüchern in den Sinn kommt. Da der Ruf der Presse inzwischen völlig ruiniert ist, kann ich sie auch bei anderen Themen nicht mehr als kritisches Organ zur Meinungsbildung ernstnehmen. Es ist sehr einfach Glaubwürdigkeit zu verspielen. Aber leider hat bislang kaum jemand der Damen und Herren (Presse, Verleger und Politiker kann man da getrost in einen Topf werfen!) kapiert, daß es sehr schwer ist, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Das Geheul wegen rückläufiger Leser- oder Abonnentenzahlen und der allgemeinen Politikverdrossenheit ist für mich somit unbegreiflich.
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Kommentar von Bernfried Janas, verfaßt am 31.07.2009 um 18.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7898
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Wenn der famose "Rat" entgegen seinem Auftrag noch weniger tut als ein Nachtwächter, die unabhängige Presse aber auch nichts, werden solche vereinzelten wohlfeilen Worte wie die von Herrn Guratzsch am 2.8. wieder ohne Nachhall verpufft sein, und nächstes Jahr wird's gar keine mehr geben, weil ja dann auch die Schweiz lautlos auf Linie ist, wie krumm die auch sei, und weiter kein Stichdatum mehr ansteht. Das Versagen aller Kulturverantwortlichen hat sich vollendet: alle (die etwas tun könnten oder unabweisbare Forderungen stellen könnten) sind kompromittiert, keiner kann deshalb mehr mit dem Finger auf andere weisen, keiner mehr etwas bewegen. Das Thema ist für lange Zeit zum de-facto Tabu geworden.
Eins hatte ich mal gehofft: Daß die Medien sich auf eine Zeit des Stillhaltens und Durchwurstelns mit den mittelmäßigen Agenturregeln geeinigt hätten, um dann knallhart belegen zu können, daß es nicht funktioniert, und den KuMis die Brocken vor die Füße zu werfen, wie sie es verdient hätten. Aber für ein so schönes Komplott reicht bei denen weder die Phantasie noch die Solidarität noch das Verantwortungsgefühl.
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Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 31.07.2009 um 17.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7896
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So erfreulich es ist, daß Texte erscheinen, die auf das Scheitern der Reform und nebenbei auch auf die entsprechende Studie von Uwe Grund hinweisen: Was nützen solch kluge Erkenntnisse, wenn daraus keine Konsequenzen gezogen werden?
Wenn man feststellt, daß die Therapie schadet, müßte ein vernünftiger Mensch eigentlich den Arzt (KMK, Rechtschreibrat, Wörterbuchverlage) wechseln und sich der Therapie des Pfuschers entziehen. Ist die Presse denn nicht frei?
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Kommentar von Paul Westrich, verfaßt am 31.07.2009 um 16.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7895
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zu #7893:
Vermutlich ist diese Formulierung und die Schreibweise ("Missstimmung") aus Wikipedia übernommen, siehe hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Buchdruckerduden
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Kommentar von Nörgler, verfaßt am 31.07.2009 um 15.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7893
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Auf einer Tagung in Konstanz 1902 "gaben sie ganz unverhohlen ihrer Missstimmung über die durch die neuen Regelbücher nur noch vermehrte Unsicherheit in der Rechtschreibung Ausdruck".
Ist das richtig zitiert? Wer schrieb 1902 "Missstimmung"?
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 31.07.2009 um 12.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=629#7886
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Unabhängig davon, daß die Presse sich endlich noch einmal jenes Themas annimmt, das es ja eigentlich gar nicht mehr gibt (oder geben soll), wird leider wieder die Rolle der Presse totgeschwiegen, bzw. beschönigt:
Untersucht man die Abweichungen näher, kommt eine interessante Tatsache zutage: Nicht der Rechtschreibrat scheint eine erkennbare Funktion auszuüben, wohl aber die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als Sachwalterin des gedruckten Deutsch. Zumindest Wahrig stützt sich mit seinen Schreibweisen weitgehend auf ihre Empfehlungen.
Die Deutsche Presse-Agentur als Sachwalterin des gedruckten Deutsch! Wer bitte hat sich denn 1996 bereitwillig den Kultusministern angepaßt? Hätte die Presse die Gefolgschaft verwehrt, wäre es nie und nimmer zu dem heutigen Chaos gekommen. Es hätte keine sogenannte Reform und entsprechend auch keine Subreformen gegeben. Das freilich bleibt bei der "Sachwalterin des gedruckten Deutsch" unerwähnt. So wichtig und überfällig der Artikel ist, er ist leider zugleich auch arg scheinheilig. Wahrscheinlich werden die Kultusoberen der Bildung in weiteren zwanzig Jahren auch schon immer gegen die Reform gewesen sein. Wenn der Wind sich dreht, dreht man sich eben mit!
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