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01.06.2008
 

Stefan Stirnemann
fremd Wort

Der Merker beleuchtet Klang und Verständlichkeit vor allem fremdsprachlicher Ausdrücke der Mai-Ausgaben des St. Galler Tagblatts.


Vor Monaten bestellte ich in einem unserer guten Musikläden das berühmte «Hungarian Medley» der Gruppe Queen. Der Händler, selber Künstler und als Musensohn ein Kenner, fragte nach einigem Überlegen höflich, ob ich nicht die «Bohemian Rhapsody» meine. So war es, und ich schämte mich. In fremden Sprachen tappen und tasten wir alle oft herum. Wir verwenden sie natürlich dort, wo das, was wir meinen, nur im fremden Gewand vorhanden ist, und Queen singt nicht deutsch. Wie aber steht es mit den Fremdwörtern und Wortfremdlingen, die in unserer deutschen Mutter-, Haupt- und Heldensprache mitreden? Darf man Friedrich Kluges Herkunftswörterbuch trauen, so hat der Dichter Jean Paul (1763– 1825) das Wort «Fremdwort» geprägt, und zwar in der Vorrede zur dritten Auflage des Romans «Hesperus». Jean Paul schrieb 1819, er habe, den sachkundigen Sprachreinigern folgend, fremde Wörter, die er bisher verwendete, ins Deutsche übersetzt, und er hatte die Zuversicht, dass das Fremdwort schwächer sei als das einheimische, dass «die aus unsern forttreibenden Wurzelwörtern aufgegangne Waldung die nur als Flugsame aufgekeimten Fremd-Wörter ersticken und verschatten» müsse. Also, Jean Paul, du Sprach- und Lesemeister, nimm Platz in einem weichen Sessel und blättere im Tagblatt des Monats Mai. Ist nicht so viel Flugsamen in der Luft, dass du ins Niesen kommst? Und du wirst vielsprachig niesen, in modernen Fremdsprachen, vor allem englisch, dazu noch lateinisch und griechisch. Ich zitiere die Stellen mit Artikeltitel (wo nötig), Tag und Seite.

Klingendes Babylon

So wurde der Mai sprachlich eröffnet, auf der ersten Seite oben links: «Boomtown Biel». Im Artikel heisst es: «Aus der kriselnden Uhrenmetropole ist eine boomende Stadt geworden» (Der Expo-Geist lebt weiter, 2,2). Warum der Wechsel von der griechischen Metropole («Mutterstadt, Hauptstadt») zum englischen Knall, der den raketenartigen Aufstieg malen soll? Mit dem Fremdwort wird der besondere Klang gesucht, und klingen Athen und Rom nach Herkunft, Bildung und Wissenschaft, so England und Amerika nach kraftvoller Gegenwart. Klang der Weltläufigkeit: «Concept of Beauty» (Botox zur Mittagszeit, 13,28), «Swissness» (Die Nahrung der Ahnen und Helden, 28,21). Klang des Planens und Machens: «Schulpraxiscoaching» (Kritik an PH: Rektor nimmt Stellung, 28,17); «St. Galler Regierung greift gegen Littering härter durch» (Wer wegwirft, zahlt, 24,13); die «Stroke-Unit» des Kantonsspitals (Das Gehirn – nach der Katastrophe, 15,21). «Und er fightet gut und mit Erfolg: Er verlor nie eine Vorlage» (Ein politisches Urgestein tritt ab, 28,13). Das Planen und Machen soll auch dort anklingen, wo es nicht hingehört, zum Beispiel im Beruf der «Dipl. Pflegefachfrau Palliative Care» (Steuermilliarden an Krankenkassen? 14,9). Und wenn Frauen ihre Erfahrung weitergeben wollen, so gründen sie einen «Ostschweizer Mentoringpool». Die Gebenden heissen «Mentorinnen», die Empfangenden «Mentees» (Wer sucht, der weiss, 23,15). Klang der Wissenschaft: «Segregation» (Chancengleichheit ist eine Illusion, 8,3), die seltsame Neubildung «glokal»: «Doch die Wortschöpfung aus ‹global› und ‹lokal› zeige, dass auch im weltweiten Wirtschaften immer eine lokale Komponente enthalten sei» (17,25).

Einbürgerungen

Eine Zeitung bildet die Welt ab und muss insofern auch deren Kauderwelsch abbilden, von Frühenglisch bis Spätlatein. Ihr erster Auftrag aber ist Verständlichkeit. Müsste man nicht erklären, dass «Segregation» «Trennung» bedeutet und dass Mentor der Berater und Helfer des Telemach war, des Sohnes des Odysseus? Und was meint «Mentee»? Wenn schliesslich unter jedem Satz fünf Anmerkungen stünden, liessen sich die Vorreiter der Politik und Gesellschaft vielleicht herab, beim Sprechen und Schreiben auch an den Fussgänger zu denken. Im laufenden Abstimmungskampf hat das Tagblatt freilich viele schwierige Wörter erklärt, zum Beispiel das Wort «Integration» (Fremde unter Verdacht, 23,2), und in einer guten Art meinungsbildend gewirkt. Echter Bürger kann nur sein, wer die Zusammenhänge versteht; wir alle bedürfen immer wieder der Einbürgerung. Zu denken ist auch an den Spass. Ein Wettbewerb im Verdeutschen brachte für «Fast Food» den herrlichen «Dampfmampf». Unsere Sprache bietet viele Möglichkeiten, die Lebensfreude zu fördern.

Eule, brillenlos

Fehlt die Sorgfalt, wird auch Deutsch fremd und rätselhaft. Das Wörtlein «mithin» bedeutet etwas wie «folglich». In diesem Satz, dem ersten des Textes, steht es falsch: «Selbst die grössten Handelsketten kommen mithin nicht um Rückrufaktionen herum. Im Spätsommer 2007 traf es den Spielzeughersteller Mattel» (Schadstoffen auf der Spur, 5,19). Gemeint ist «mitunter», «manchmal». Richtig hier: «Denn Gras und Heu lässt sich nur für die Viehfütterung und mithin für die Milch- und Fleischproduktion nutzen» (Wie Kalorien verpuffen, 29,2). Hier ist das «nicht» ausgefallen: «Zehntausende von Opfern konnten den schwerfälligen Regierungsapparat aus seiner von Schneckentempo bestimmten bürokratischen Routine aufrütteln» (Burmas Regime versagt in der Katastrophenhilfe, 8,4). Eine weitere Ergänzung ist wohl hier nötig: «Das Regime von Präsident Ahmadinejad wird als monolithischer Block gesehen, der die widersprüchliche Realität des Landes oft ignoriert» (Sanktionen bezwingen Iran nicht, 20,2). So passt der Satz nicht zur Aussage des Beitrags. Ich vermute, im Manuskript steht: «ein Blick, der die widersprüchliche Realität des Landes ignoriert». Falls ich mich irre, stifte ich der Redaktorenkonferenz 50 Franken in die Kaffeekasse. Im übrigen zeigt dieser Text wie viele andere, dass eine gute Tageszeitung keine Angst vor Gratisblättern haben muss. Noch zwei Sätze: «Der definitive Entscheid, ob das Fest stattfindet, fällt auch heute noch um fünf Uhr morgens bei einem Frühstück auf dem Kinderfestplatz getroffen» (21,41). «Einen Grossteil des Erfolgs liege in der Form der Toblerone» (21,41). Die liebenswerte, aus Tagblattseiten gefaltete Werbe-Eule braucht eine Brille (23,10).

Um dem Tadel wirksame Düsterkeit zu geben, sei das Lob heller und fetter gemacht; die Empfehlung zum Wiederlesen ist diesmal mit einem Büchergutschein verbunden. Verdient hat ihn die junge Autorin ana Rajkovi für ihren Beitrag «Leben mit ausländischen Namen».

ana schreibt über heimliche Vorurteile: «Ausländer, schlechtes Deutsch, schlechter Umgang, womöglich gewalttätig, kaum integriert». Sie schreibt treffend und unterhaltsam. Der Artikel steht im «fräsch», dem neuen, schönen Jugendmagazin des Tagblatts (Beilage vom 9. Mai, 15).


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Kommentare zu »fremd Wort«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2009 um 11.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=588#7609

"Ängstliche Geschichtsschreibung" – das würde jeder verstehen. Gustav Seibt schreibt in der heutigen Süddeutschen Zeitung etwas von "timider Historiographie". Das ist wirklich schade, denn er kann es besser.
Ich verstehe, je älter ich werde, immer weniger, was in Menschen vorgeht, die solche Sachen zu Papier bringen.


Kommentar von R. M., verfaßt am 18.04.2009 um 16.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=588#7610

Soweit die heutige deutsche Geschichtsschreibung gemeint ist, handelt es sich ohnehin um eine Tautologie.



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