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25.03.2008
Christoph Stalder
Es bleibt dabei: das letzte Wort hat die Sprache
Der höchste Politiker des Kantons Bern, Großratspräsident Christoph Stalder (FDP), eröffnete die Herbsttagung der SOK mit grundsätzlichen politischen Überlegungen. Wir übernehmen den Text mit herzlichem Dank von den Schweizer Monatsheften (vgl. hier).
Ich bin nicht Dichter, ich bin nicht Linguist, ich bin von Haus aus Jurist, aber ich liebe unsere Sprache. Eine Sprache entsteht, wird verwendet, wandelt sich, verschwindet vielleicht eines Tages (wie das gesprochene Latein, wie vielleicht das Romantsch). Sie wird unterem anderem beeinflusst und geformt durch Dichter und Denker, durch den Gebrauch an sich, durch Modeströmungen, durch Einflüsse von aussen und insbesondere durch die moderne Internationalisierung.
Die Sprache ist etwas Vorstaatliches, etwas Überstaatliches, etwas Ausserstaatliches; sie ist aber Voraussetzung für staatliches wie für individuelles Handeln und soziales Zusammenleben. Sie kümmert sich nicht um Grenzsteine, sie hat aber in der Geschichte Grenzziehungen beeinflusst. Die Freiheit, die Unabhängigkeit von staatlichen, amtlichen Zwängen macht einen Teil ihres Reichtums aus und ermöglicht es ihr, sich zu entwickeln, zu formen, zu verändern. Selbstverständlich darf der Staat Regeln über den Gebrauch der Sprache in der Verwaltung festlegen; aber weiter geht seine Kompetenz nicht.
Doch plötzlich, vor knapp 30 Jahren, hat sich die Staatsmacht der Sprache in umfassender Weise bemächtigt, in guter Absicht zunächst – der Absicht nämlich, ein volksdemokratisches Sonderdeutsch zu verhindern, mit dem die damalige DDR drohte. Der guten Absicht folgte alsbald die böse, die gleichmacherische, die geradezu sektiererische Tat, die sich nicht um gewachsene Formen, nicht um Sprach- und Sinnverständnis kümmerte, sondern daran ging, das vermeintlich weit offene Feld der deutschen Sprache rigoros umzupflügen.
Das ginge ja noch. Wenn sich eine eifrige, eine eifernde Kommission ans Werk macht, um etwas Neues zu schaffen, dann ist das grundsätzlich löblich. Wenn sie aber in ihrem heiligen Eifer Neuerungen vorschlägt, die zu Unklarheiten, zu Unsicherheiten, zu Sinnveränderungen und zu Sprachverarmungen führen, dann muss man sich fragen, ob hier wirklich hochkarätige Spezialisten am Werk waren. Und wenn dann staatliche Gremien solchen Vorschlägen – ob geprüft und unverstanden, oder ob ungeprüft – das amtliche Gütesiegel verleihen, dann ist das Unglück geschehen.
Denn: was der Staat einmal mit seinen Klauen gepackt hat, das lässt er nicht mehr los. Ein politischer Auftrag muss zu einer politischen Lösung, muss zu politischer Genehmigung führen, und am politischen Ergebnis muss aus Gründen der Staatsräson festgehalten werden, selbst wenn Mängel, Fehler, Unzulänglichkeiten, unzulässige Vereinfachungen offensichtlich geworden sind.
Wer die staatlich abgesegnete und per amtlichen Erlass eingeführte Arbeit kritisiert und ablehnt, ist a priori verdächtig und tendenziell systemschädigend. Wer darauf hinweist, dass die Arbeit einer Kommission – oder eines Arbeitskreises, wie dieses Gremium hiess – nicht von Mitgliedern dieses gleichen Gremiums überprüft werden sollte, ist lästig und gehört ignoriert.
Und wenn Verlage, Zeitungen, bestandene wie junge Autoren, Dichterinnen, Theaterschaffende die Reformen nicht mittragen, dann wird dies mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen, im Vertrauen darauf, dass jenen der Widerstandsschnauf ohnehin bald ausgehen werde.
Warum die bloss gedämpften, als elitär und deshalb unbeachtlich abqualifizierten Reaktionen auf diese himmelschreiende, greuliche (mit «eu» bitte) staatliche Entgleisung, diesen Eingriff in über- und ausserstaatliches Kulturgut? Warum kein lauter, vielstimmiger Aufschrei der Entrüstung?
Die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist Sprachkompetenz heute weder weitverbreitet noch gefragt. Der zuständige Vertreter der Berner Erziehungsdirektion hat mir gesagt, vordringlich sei, dass die Schülerinnen und Schüler überhaupt noch lesen und schreiben lernten. Zum zweiten stelle ich einen Widerstand in der Lehrerschaft fest, die sich nach 1996 mit der Rechtschreibreform zu befassen begann, sie anwandte und nun nicht bereit ist, nochmals über die Bücher zu gehen. Schliesslich: die Feinheiten der Sprache interessieren im Zeitalter von SMS und «20 Minuten» nicht. Sprachverluderung zeigt sich am Sorgenbarometer nicht als brennendes Problem.
[«20 Minuten» ist eine Schweizer Gratiszeitung, Anm. FDS.]
Was ist zu tun? Die SOK muss ihre Aufklärungsarbeit unbeirrt fortsetzen. Die Dichter, Denker, Redaktoren, übrigen Medienschaffenden und alle, die mit der Sprache ein enges Verhältnis pflegen, sollen bitte weiter so schreiben, wie sie es für vernünftig erachten und wie es verständlich ist.
Das Thema Sprache wäre es wert, Geheimpläne, Umsturzgedanken und Verschwörungstheorien zu wälzen. Aber in der politischen Wirklichkeit verwendet man diesbezügliche Energien für andere Themen.
[Von Geheimplänen und Umsturz war in der Schweiz u.a. im Zusammenhang mit den Bundesratswahlen die Rede, Anm. FDS.]
Tröstlich bleibt und hoffen lässt, wie Stefan Stirnemann kürzlich in den Schweizer Monatsheften titelte: «Das letzte Wort hat die Sprache.»
Christoph Stalder arbeitet als Leiter Public Affairs bei der Schweizerischen Mobiliar-Versicherung. Er vertritt seit 2002 die FDP im Berner Kantonsparlament. Zur Zeit ist er Grossratspräsident des Kantons Bern.
Schweizer Monatshefte Nr. 12/01, 2007/2008, Seite 52 und 53
Wir danken den Herausgebern für die Erlaubnis, den Text abzudrucken.
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Kommentare zu »Es bleibt dabei: das letzte Wort hat die Sprache« |
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 26.03.2008 um 20.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=579#6612
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Im Gegenteil: alles – nämlich die Wiedernominierung durch ihre Partei.
Das ist ja fast schon eine Art von Synonym für den zementierten – und damit dauerhaften – Verlust der Glaubwürdigkeit. Nur verlieren die Damen und Herren aus Berlin damit auch mehr und mehr das Recht, über die allgemeine Politikverdrossenheit zu klagen. Irgendwann wird man die Geister, die man rief (inklusive ihrer Nebenwirkungen), eben nicht mehr los.
Armes Deutschland, glückliche Schweiz.
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Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 26.03.2008 um 14.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=579#6611
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Was würden eigentlich deutsche oder österreichische Politiker verlieren, wenn sie sich an diesem Schweizer ein Beispiel nähmen? Nichts.
Im Gegenteil: alles – nämlich die Wiedernominierung durch ihre Partei.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 25.03.2008 um 19.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=579#6610
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Was würden eigentlich deutsche oder österreichische Politiker verlieren, wenn sie sich an diesem Schweizer ein Beispiel nähmen? Nichts.
Und was könnten sie gewinnen? Etwas sehr wichtiges, aber auch altmodisches, was heutzutage offensichtlich gar nicht mehr gefragt ist: Glaubwürdigkeit.
Ein weiteres könnten Sie aus den Worten Stalders lernen: den Mut zur Bescheidenheit. Hier ist einer, der zunächst sagt, was er nicht ist, wovon er keine Ahnung im Sinne des Spezialistentums hat, und das er dennoch liebt.
Daher sind diese Aussagen auch (leider) nicht übertragbar auf die deutschen und österreichischen Verhältnisse. Denn nachher würden Politiker in diesen Ländern bei Wahlen womöglich noch für ihre inhaltlichen Argumente und ihr sachliches Einstehen für Dinge gewählt und nicht dafür, daß sie zu allen Moden Worthülsen produzieren, den momentan angesagten Friseur haben und in der entscheidenden Fernsehsendung debil in die Kamera grinsten.
Der letzte Halbsatz in Franz Kafkas Roman "Der Prozeß" – so die Schreibweise des Erstdruckes von 1925 – lautet: "[...] es war, als sollte die Scham ihn überleben." Damit einen die Scham freilich überleben kann, muß man zunächst einmal eine Ahnung von ihr haben. Kafkas Protagonisten haben dies ständig. Das Wort "Scham" spielt geradezu eine Schlüsselrolle in den Texten Kafkas. In der heutigen Politik leider gar nicht mehr.
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