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31.08.2007
Stefan Stirnemann
Die Zeit der sauren Gurken
In seiner Funktion als Merker äußert sich Stefan Stirnemann zu dem, was im August im St. Galler Tagblatt zu lesen war.
Mit dem alten Namen «Sauregurkenzeit» nennt man, wohl leicht bedauernd, die Sommertage, in denen nicht viel geschieht. Manchmal wäre man freilich froh, wenn gar nichts geschähe. In diesem August mussten wir vom Mädchen Ylenia lesen, das entführt wurde. Das Tagblatt hat so berichtet, dass sich der Chefredaktor, anders als ein Zürcher Kollege, nicht zu entschuldigen brauchte. Ungut ist einzig, dass am Montag die Witwe des Täters zu Worte kam, wenn auch nur in einer Meldung der Schweizerischen Depeschenagentur. Was sie über die Gedanken ihres Mannes mutmasste, kam gewiss nicht aus einem bösen Herzen, ist aber im Ergebnis ruchloses Geschwätz. Wer es abdruckt, sollte es besprechen und ihm seinen Ort anweisen. Dafür und für das ganze Unglück das richtige Wort zu finden ist nicht leicht. Wenden wir uns den einfachen Fragen zu. Ich zitiere die Stellen mit Artikeltitel (wo nötig), Tag und Seite; Hervorhebungen sind kursiv.
Adjektive
Wie Friedrich Kluge in einer älteren Ausgabe seines Herkunftswörterbuches vermerkt, schrieb im Juli 1828 der Komponist Zelter seinem Freund Goethe: «Hierzulande geht es eben etwas mager her; die Kaufleute nennen's die Saueregurkenzeit.» Was diese Zeit mit der Gurke zu tun hat, muss offenbleiben; jedenfalls darf man nicht schreiben «die saure Gurkenzeit»; es ist ja nicht die Zeit, die sauer wäre. Das Trennen macht das an sich unernste Wort erst recht zum Spass und stellt es in eine Reihe mit anderen Spässen: dem alten Weibersommer, dem vierfüssigen Tierausstopfer, den päpstlichen Stuhltruppen. Im Tagblatt fand ich den «Wolken durchzogenen Tag» (Der Schafskopf von Mallorca, 4. August, Seite 2), immerhin mit Bindestrich die «Fussball-erfahrene Führung» (Niemand hat einen Persilschein, 16,25), den «Oscar-gekrönten Film» (Diana – was nach zehn Jahren bleibt, 25,3). Solchen Adjektiven gebührte eigentlich diese Form: «kulturinteressierte Kreise» (Bedrohte Trinkhalle, 29,11). Im Jahre 1746 rätselte ein Grammatiker über die Schreibweise mehrteiliger Adjektive. Lösung: «Es ist aber doch besser, solche Composita [Zusammensetzungen, S.] als ein Wort und klein zu schreiben.» Woher kommt die heutige Unsicherheit? Es ist der Einfluss des Englischen, es ist vor allem die verderbliche Wirkung der Rechtschreibreform. Zweideutig statt eindeutig ist heute dieser Satz: «Polizeichef Andreas Brunner ist sich im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der delikaten Situation im Umgang mit ausländischen Sportlern anderer Hautfarbe wohl bewusst» (Südkoreas Turner schikaniert, 23,52). Gemeint ist wohl wohlbewusst. In Reiner Kunzes neuestem Gedichtband, «lindennacht», stehen drei «Spottverse», darunter dieser:
Die sprache hat den mund zu halten,
wenn die hohen staatsgewalten
sich für ihren vormund halten
und barbaren sie verwalten
Das Tagblatt hat in der Wortbildung die gute, nichtbarbarische Linie, indem es, gemeinsam mit der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK), dem Vorbild der NZZ folgt. Es gibt aber für alle noch zu tun.
Was soll es bedeuten?
Unsicherheit zeigt sich ab und zu in der Wortwahl. Die Polizei «verifizierte» einen Hinweis: «Dieser Hinweis kann zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Er muss jedoch eher in Frage gestellt werden» (10,46). «Verifizieren» bedeutet nicht «prüfen», sondern «bestätigen». Ein Mann sucht eine «zärtliche Partnerin» für eine «innige und gemeinsame Zukunft mit mir am Bodensee» (4,10). Die Partnerin wird auch ohne Hinweis denken, dass eine gemeinsame Zukunft mit ihm und nicht mit einem anderen gemeint ist. Zuviel Zukunft wird hier aufgewendet: «Solange es mehr Verlierer als Gewinner des Wirtschaftsaufschwungs gibt, wird sich wohl auch an dem Verhältnis Indien-Pakistan nicht viel ändern werden» (Getrennte Nachbarn, 14,2). In diesem Satz kann man entweder das «sogenannt» oder die Anführungszeichen einsparen: «Die sogenannten ‹Fussball-Fans› hätten ihren restlichen Heimweg zu Fuss antreten müssen» (St. Galler randalieren im Zug, 13,24). War in den letzten Beispielen Überklarheit der Fehler, so verdient folgender Satz den Preis für Schwerverständlichkeit, es geht um Bocksmilch: «Sie wird besonders bei hornlosen Rassen von Zwittern mit Afterzitzen am Hodenskrotum sezerniert» (Als die Alpenmilch die Welt eroberte, 28,21). Her mit dem Fremdwörterbuch!
kurz
Wir haben alle ein Gefühl für Wörter, für ihre Bildung und Bedeutung. Wir haben auch ein Gefühl für Sätze; zu fühlen gibt es hier Rhythmen. Ein guter Satz-Schlagzeuger ist der, der die Satzzeichen zu setzen weiss. Zuviel Staccato ist nicht gut; es ist nicht gut, Nebensätze und Satzbruchstücke als Hauptsatz zu verkaufen: «Obwohl es ihr diesmal schwerfiel» (10,37). «Obwohl Sportchef René Weiler die Partie gegen Xamax ‹nicht als letzte Chance› bezeichnet haben wollte» (20,25). «Am liebsten auf dem Steg hinter seinem Haus» (20,19). «Vorwiegend aus Osteuropa, Deutschland, der Türkei und Indien» (16,17). «Und deshalb auch mit dem Leben davonkamen» (24,5). «Eher dem Büro des Rektors» (27,24). «Vollkommen unaufgeregt» (27,19). «Kurz gesagt» (Salzkorn, 29,1). Der salzkörnige Kurzsatz ist Parodie; der Autor prangert mit ihm die allzu gesuchte Kürze an. In einem inhaltlich besonders wertvollen Beitrag steht dieser unmusikalische Abschnitt, gemeint sind Menschen, die vor der Armut fliehen: «Menschen aus dem schwarzen Afrika, die nichts zu verlieren haben. Hoffen, nach tagelanger Achterbahnfahrt durch den Atlantik die Kanarischen Inseln zu erreichen. Aus Marokko, Mauretanien, Mali, Guinea, Gambia, Ghana. Oder aus Senegal wie Ibrahim, dessen Vater sagte: ‹Zieh nach Europa und schicke uns Geld nach Hause›» (Das Meer als Massengrab, 20,3).
Nicht ohne Fehler
Dass trotz aller Sorgfalt immer Fehler stehenbleiben, zum Beispiel die Trennung «V-orstellungsvermögen» (Traum-Spiele, 21,35), kann einen mutlos machen… Und doch sollen wir an der Sprache arbeiten. Es ist nicht so, dass die Sprache einfach recht hätte, wie Urs Widmer wähnt (21,21). Die Sprache hat dann recht, wenn sie richtig gesprochen und geschrieben wird.
Der August war ein trauriger Monat. Das Tagblatt hat viel Wissenswertes und Schönes geboten. Zum Wiederlesen empfiehlt der Drittelsmerker den völkerverbindenden Bericht aus Teheran: «Im Fussballstadion: Geselligkeit nur für Männer» (27,34). Das versehentlich ausgelassene Wort «Weise» wird man ergänzen. Der Fehler gehört zu unserer Welt; wohl uns, wenn er nur so auftritt.
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