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22.07.2006
 

Dankwart Guratzsch
Dudens verblichenes Erbe

Heute erscheint der neue Duden. Von seiner früheren Autorität ist nicht viel geblieben. Das traditionsreiche Wörterbuch ist heute nur noch ein Periodikum.

Blickt man in Zeitungen, E-Mails, Briefe und Bücher, so scheint er so nötig wie noch nie. Millionen Mitteleuropäer müßten ihn herbeisehnen wie ein Glas Wasser in der Wüste: den neuen Duden. Heute legt ihn das Bibliographische Institut & F.A. Brockhaus in Mannheim vor. Die neue, 24. Auflage des Dudens soll uns endgültig von allen Gewissensqualen befreien und lehren, wie wir tunlichst zu schreiben haben.

Tatsache ist aber: Von seiner einstigen Autorität ist der Duden von heute weit entfernt. Seit Einführung der neuen Rechtschreibung vor zehn Jahren ist es bereits der vierte, der das Licht der Welt erblickt. Das traditionsreiche Wörterbuch der deutschen Sprache ist zu einem Periodikum, zu einer Art Zeitschrift geworden. Und das zeigt besser als alles andere an, was aus dem hohen Kulturgut der Schriftsprache geworden ist. Eine "Reform der Reform" jagt die nächste, weil mit immer neuen, zum Teil alten Schreibweisen nachgebessert werden muß, was Kommissionen und Kultusminister, deren Namen schon niemand mehr kennt, mit der Rechtschreibreform angerichtet haben.

Nach dem Spruch der Bundesrichter in Karlsruhe von 1997 gilt die neue Rechtschreibung ohnehin nur für Schüler und Behörden. Deshalb behalten zum Ärgernis der Duden-Redaktion auch frühere Ausgaben dieses Buches mit älteren oder inzwischen wieder abgeschafften neuen Schreibweisen ihre uneingeschränkte Gültigkeit. Neben dem Duden geben gleich mehrere andere Verlage ebenfalls ständig eigene Wörterbücher des Deutschen heraus, die in Einzelheiten voneinander abweichen, zuletzt der Wissen Media Verlag Gütersloh/München, der dem neuen Duden mit dem nicht minder neuen Wahrig (1216 Seiten, 14,95 Euro) noch rasch zuvorgekommen ist. Neben all diesen untereinander variierenden Wörterbüchern der neuen Rechtschreibung liegen seit 2000 mit dem "Ickler" auch wieder Neuausgaben der alten Rechtschreibung vor, die - wie es auf dem Titeleinband heißt - "die normale deutsche Rechtschreibung" anbieten (Reichl; Leibniz-Verlag, 18 Euro).

Was unterscheidet nun den "neuen" Duden von seinen Konkurrenten? Die Duden-Redaktion selbst erklärt dazu: "In allen Fällen, in denen die neue deutsche Rechtschreibung für ein Wort mehrere Schreibweisen zuläßt, gibt der Duden erstmals eine Empfehlung." Ein Satz, der so verblüffend wie falsch ist. Ist denn der Duden nicht von A-Z nur Empfehlung? Und hatte der Verlag nicht schon einmal, vor exakt 103 Jahren, mit dem "Buchdruckerduden" ein Rechtschreibwörterbuch vorgelegt, "in dem die Varianten auf je eine Schreibweise reduziert" worden waren?

Das jetzt als neue Errungenschaft gepriesene neueste Empfehlungswesen zeigt auf niederschmetternde Weise, was das Resultat der Rechtschreibreform ist: Die Bemühungen um eine "Vereinheitlichung der deutschen Schreibung" sind um mehr als hundert Jahre zurückgeworfen. Schuld daran ist der neue deutsche Rechtschreibrat, ein 36köpfiges Mammutgremium unter Leitung des früheren bayerischen Kultusministers Hans Zehetmair, der eine unübersehbare Menge neuer Varianten in die Rechtschreibung eingeführt hat. Dafür gibt es einen einzigen banalen Grund: Er konnte sich nicht dazu durchringen, in Zweifelsfällen der neuen Rechtschreibung ohne Wenn und Aber zu bewährten alten Schreibweisen zurückzukehren.

Blickt man auf die Geschichte des Dudens zurück, so ragt die Gestalt seines Schöpfers heute wie ein Monument empor, dem unsere Zeit nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen vermag. 1880 brachte der in Wesel geborene Hersfelder Gymnasiallehrer mit dem Rauschebart sein Werk unter dem Titel "Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache" beim Verlag Bibliographisches Institut in Leipzig heraus. Das Verdienst ist bis heute beispiellos. Einem einzelnen Mann gelang es, das Ergebnis mehrerer Rechtschreibkonferenzen auf allgemeinverständliche Formeln zu bringen. Dabei orientierte er sich an Adalbert Falk, Preußens Kultusminister unter Bismarck, der es abgelehnt hatte, eine neue Orthographie am grünen Tisch zu ersinnen und über die Schulen durchzusetzen. Maßgebend sollte der "Schreib- und Druckgebrauch außerhalb der Schule" sein - also das, was die Linguisten heute den "Sprachusus" nennen.

Bis zur Einführung der Rechtschreibreform in unserer Zeit wurde dies zum Erfolgsprinzip des Dudens. Nachdem mit dem "Buchdruckerduden" der Variantenwildwuchs ausgemerzt war, glich die Redaktion ihr Wörterbuch in immer neuen Auflagen dem sich ständig entwickelnden "Schreibusus" an. In 116 Jahren erschienen 20 aktualisierte Auflagen - seit der Rechtschreibreform haben sich die Abstände halbiert. Und die Sprach- und Schriftgemeinschaft der Deutschen, welche die Einheitlichkeit der Schreibungen selbst über 40 Jahre deutsche Teilung hinübergerettet hatte, ist auf den Stand von vor 1903 zurückgefallen.

Welche Abweichungen und Korrekturen sich gegenüber dem Vorgängerduden auftun, ist bis zum Erscheinen des Neulings geheim. An einigen von Duden-Chef Matthias Wermke vorab mitgeteilten Beispielen aber wird deutlich, daß die Redaktion dabei offenbar mehr Mut bewiesen hat als Zehetmairs Quasselbude. Bei "Spaghetti" und der Großschreibung von "Du" und "Dein" in Briefen kehrt sie ostentativ zur früheren Schreibweise zurück. Zur Begründung führt Wermke an erster Stelle den Sprachgebrauch an, "wie ihn die Duden-Redaktion beobachtet". Nähme er diesen Gesichtspunkt freilich so ernst wie sein großer Vorgänger Konrad Duden, müßte er den Spuk der neuen Rechtschreibung augenblicklich beenden. Die Mehrheit der Deutschen schreibt unverändert nach bewährtem "Usus", wie ihn der weiland so zuverlässige Duden noch vor zehn Jahren ganz ohne 36 neunmalkluge Köpfe in preußischer Pflichttreue und Exaktheit zu ermitteln und zur Anwendung zu empfehlen wußte.

Die Welt, 22. 7. 2006



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Kommentare zu »Dudens verblichenes Erbe«
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Kommentar von Charlotte, verfaßt am 31.07.2006 um 19.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4692

Skurril:

Über Amazon werden gebrauchte Duden für 1 Cent verkauft. Bemerkung des Händlers "antiqua-books":
- aus Schulauflösung, sofortiger Versand, zu jedem Buch gibt es ein Tütchen Haribos und eine kleine Aufmerksamkeit ...


Kommentar von R. M., verfaßt am 31.07.2006 um 03.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4680

Das Vorgelesene gilt in der heutigen Linguistik nicht viel. Man beschäftigt sich vorzugsweise mit Texten oder mit mehr oder weniger ungezwungenem Sprechen. Daß die Reform auf die Aussprache zurückwirken könnte, ist ihren Urhebern nie in den Sinn gekommen.


Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 31.07.2006 um 00.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4678

Warum nicht "gefrässen" (von "Fraß")? - Das "ä" in Gämse ist schon ärgerlich, wenn man - wie ich als Süddeutsche - in der Aussprache deutlich zwischen "e" und "ä" unterscheiden kann. Das bringt einen dann auch auf solche Gedanken ...

Außerdem grüble ich schon den ganzen Nachmittag darüber nach, was Herr Wermke wohl unter einem "normalen Schreibenden" versteht. Hat dazu jemand einen Vorschlag?


Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.07.2006 um 14.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4672

Die Gämse scheint in Deutschland das verbreiteste und wichtigste Wildtier zu sein. Unausdenklich, wenn Bruno Bär eine gefressen hätte.


Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 30.07.2006 um 08.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4670

|| W (lacht): Schreiben und sprechen sind immer schon zwei Paar
|| Stiefel gewesen, und solange wir miteinander sprechen, sind
|| ja Fragen der Orthographie überhaupt nicht relevant.

| Das stimmt nicht: Beim lauten Vorlesen [hört man Zwangstrennungen
| und weggelassene Kommas]

Der Einwand ist berechtigt, daran habe ich überhaupt nicht gedacht.

Mir ging es darum, daß die Reformer die Schreibung "Quäntchen" erzwingen wollen und einer, der von und mit der Reform lebt, nach zehn Jahren Reformpraxis offensichtlich noch immer nicht weiß, daß die alte Schreibung fürderhin "ungültig" und die neue obligatorisch ist.

Den letzten Satz habe ich dazugenommen, um anzudeuten, daß das Interview noch weiterging.

Die Reform hat das Wort "Quentchen" enorm aufgewertet: Vorher nur Bildungsbürgern bekannt und selten verwendet, hat man dieses Wort und die anderen Wörter, deren Schreibung geändert worden ist, häufig in Artikeln über die Reform genannt (so auch hier), gewissermaßen als Prüfstein für den guten Untertanen. Eine Fiale, nicht mehr. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Schreibungsänderung die Fehlerzahlen unserer umsorgten Erstkläßler deutlich reduzieren wird. Ganz offenbar wollte hier einer der Reformer seine Duftmarke hinterlassen.

Dennoch deutlich zahlreicher (und auch vom angerichteten Schaden höher einzustufen) sind in der Tat die Zwangstrennungen.


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2006 um 08.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4669

Wermke und die anderen Dudenleute wissen, was sie tun, und sie leiden nicht darunter, weil ihnen alles egal ist (das hat sich seit Drosdowski geändert). Bei der Welt am Sonntag weiß man ebenfalls, was man tun muß, aber man leidet darunter. Es ist eine Fehlentscheidung der Verlagsleitung, mitverschuldet von Herrn Zehetmair, aber zu verantworten letzten Endes eben doch allein von Herrn Döpfner, der die falschen Berater hatte (Peter Meyer).


Kommentar von jms, verfaßt am 29.07.2006 um 14.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4666

W (lacht): Schreiben und sprechen sind immer schon zwei Paar Stiefel gewesen, und solange wir miteinander sprechen, sind ja Fragen der Orthographie überhaupt nicht relevant.

Das stimmt nicht: Beim lauten Vorlesen ergeben sich insbesondere durch die vermehrten Getrenntschreibungen, aber auch durch den Verzicht auf Kommas Ausspracheprobleme bzw. man muß einen Satz nochmals von vorne beginnen und kann einen Text nicht mehr flüssig sprechen, wenn man ihn nicht vorher durchgearbeitet hat. Außerdem hört man immer öfter Sprecher, die wegen der Getrenntschreibung auch anders betonen. Zum Beispiel liegt die Hauptbetonung bei "weiter entwickeln" auf der zweiten Silbe von "entwickeln", bei "weiterentwickeln" liegt die Hauptbetonung auf der ersten Silbe von "weiter". Außerdem führt die ss/ß-Regelung dazu, daß man allmählich dazu verleitet wird, bei in bewährter Schreibung verfaßten Texten den Vokal vor ß immer lang auszusprechen (verfaaßt).


Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 29.07.2006 um 11.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4664

Mitschrift des DLF-Interviews zur Einführung des 24. Dudens mit Mathias Wermke (Ausschnitt, von mir aufgeschrieben, Text leider nicht wie sonst auf der Seite des DLF).

...

Frage: Herr Wermke, ich hatte am Anfang vom Quantensprung und vom Quentchen gesprochen. Wie schreiben Sie "Quentchen".

Wermke (lacht): Natürlich immer noch mit e.

F: Sie schreiben es mit e, Sie schlagen aber vor, daß man es mit ä schreiben soll.

W: Richtig. Man kann ja beides tun. Sie sprechen jetzt den Bereich der volksetymologischen Schreibungen an, es übt [Wort schlecht verständlich] wie es in der Kritik immer geheißen hat. Die wurden ja vom Rat für deutsche Rechtschreibung bei der Überarbeitung des neuen Regelwerks gar nicht angefaßt. Wenn der neue Duden jetzt "Quäntchen" mit a-Umlaut empfiehlt, dann einfach vor dem Hintergrund der Tatsache, daß für den normalen Schreibenden die Herleitung von "Quantum", also demzufolge a-Umlaut, näher liegt als die Schreibung mit e, die nach der traditionellen Rechtschreibung die gültige war.

F: Das heißt, es trennt sich jetzt auch die Schreibsprache von der Sprechsprache, denn sprechen tue ich Quentchen immer noch mit e, auch wenn ich es mit ä schreiben würde.

W (lacht): Schreiben und sprechen sind immer schon zwei Paar Stiefel gewesen, und solange wir miteinander sprechen, sind ja Fragen der Orthographie überhaupt nicht relevant.
...


Offensichtlich ist es Wermke – der ja nun wirklich Fachmann sein sollte – nicht geläufig, daß die Schreibung des Wortes Quentchen mit ä in allen Reformregelversionen seit 1996 obligatorisch ist. Man darf sich darüber doch wundern.

Ich als Süddeutscher spreche das Wort ausdrücklich mit e (wie auch "Gemse", "behende" und "aufwendig"). Ein kurzes geschlossenes e gibt es aber in der Standardsprache praktisch nicht. Für meine Ohren hat es etwas Surreales, wenn der Interviewer von sich behauptet, er spräche das Wort mit e, es aber deutlich hörbar mit ä spricht.


Kommentar von Süddeutsche Zeitung online, verfaßt am 27.07.2006 um 21.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4639

Tief gesunken, die Süddeutsche, jetzt knüpft man schon nahtlos an das Deutsch-Quiz von RTL an:

Polonaise für Majonäse

Wie schreibt man´s denn jetzt? Die Standard-Nachschlagewerke sind durchaus uneins. Wir sind verwirrt. Darum 15 schnelle Fragen zu alten und künftigen Problem-Schreibweisen in unserem Rechtschreib-Spiel. Mitspielen - Lernen! (Wir folgen den neuen Duden-Empfehlungen)

(Link)
Man muß sich auch mal diesen Link auf der Zunge zergehen lassen: kultur - släsch - spiele - släsch - quiz - släsch

Immehin wird zugegeben: "Wir sind verwirrt." Ehrlicher wäre: "Wir haben uns geirrt." Aber dazu fehlt es an Zivilcourage. Das ist eben die Maläse.


Kommentar von Süddeutsche Zeitung vom 24.7.2006, Seite 6, verfaßt am 24.07.2006 um 05.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4570

Zehetmair: Es bleibt bei Schreibvarianten

München (dpa) - Die von 1. August an in den Schulen geltenden Rechtschreibregeln werden nach Darstellung des Rates für deutsche Rechtschreibung nicht für einheitliches Schreiben sorgen. Dies sei auch nicht das Ziel gewesen, sagte der Vorsitzende des Rates, Hans Zehetmair. Zusammensetzungen wie "sitzen bleiben" könnten zusammen oder auseinander geschrieben werden, je nach ihrem Sinn. Zehetmair bewertet deshalb die Empfehlung für jeweils nur eine Form im neuen Duden als wenig sinnvoll. Trotz aller Kritik an der neuen Rechtschreibung erwartet der frühere bayerische Kultusminister (CSU) die Einkehr eines weit gehenden "Sprachfriedens".


Kommentar von DLF, Kultur heute, 23. 7. 2006, verfaßt am 23.07.2006 um 23.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4566

Hier der Zusammenschnitt.


Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 23.07.2006 um 21.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4562

„Hamlet: Jenseits von Angst und Neid“

Angst“ ist zu fassen als ein Moment, das instabil macht.
Eine Institution, die Angst (Unsicherheit, Einschüchterung ...) erzeugt, gewinnt Handlungsspielraum.
„Neid“ ist zu fassen als ein Moment, das Anreize schafft. Eine Institution, die Neid (Unzufriedenheit, Gehorsamsprobleme ...) schafft, gewinnt Reformbereitschaft.
Wer sowohl Angst als auch Neid erzeugen kann, sollte als genialer „Taktiker“ gelten. Ein derartiger Taktiker greift mindestens 80 Prozent der öffentlichem Meinung ab.
Necknamen wir ihn: „Zehetmair“.

„Angst“ ist ein tragendes Moment für alle Schein-Pädagogenäußerungen, die dahin gehen, daß eine Beendigung des Streites, herbeigesehnt werden muß. „Dem Schrecken ein Ende setzen“, lautet die geschichtsbewußtlose Marschroute. Für derartige Äußerungen ist „Versailles“ jenseits aller Empfindungsfähigkeit.
„Neid“ ist ein tragendes Moment für alle Schein-Pädagogen, die danach streben, ihre Konkurrenten auf dem Erziehungsmarkt auszustechen; annähernd so zu sein und zu werden, wie der neck-genamede „Zehetmair“.

Angstlosigkeit (man beachte, daß das Rechtschreibprogramm einen derartigen Begriff unterringelt) besteht darin, daß man seine Sicherheit aus irgend etwas (Religion, Erfahrung, Routine ...) schöpft. Angstfreiheit setzt „rechtes“ Lernen voraus.
Neidlosigkeit (man beachte, daß das Rechtschreibprogramm einen derartigen Begriff nicht unterringelt) besteht darin, daß man seine Sicherheit auf etwas bauen kann, was erhaben macht und gleichwohl nicht verführt zur Überheblichkeit.

Angst und Neid sind schlechte Berater; offensichtlich wirken sie im Konkurrenzgetue zwischen Wahrig und Duden. Hier geht es um Besser-Sein-Wollen und Besser-Sein-Müssen. Das aber ist doch gar nicht unser Ding.

Sein – oder nicht sein – das ist hier die Frage!


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.07.2006 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4559

Die Grundzüge der deutschen Rechtschreibung waren immer sehr einfach zu begreifen. Das vermeintliche Chaos von 1991 haben die Reformwilligen nur an einer Handvoll immergleicher Beispiele (radfahren, Auto fahren) verdeutlichen können. Das Auskämmen des Dudens (ohne substantiellen Eingriff in die üblichen Schreibweisen) wäre ein Leichtes gewesen, hätte aber die eigentlichen Ziele der Reformer unerreichbar gemacht. Man sollte nicht so tun, als habe bis in die 90er Jahre ein Notstand geherrscht, wo es bloß um ein paar Unzulänglichkeiten eines Wörterbuchs ging. Es waren ja auch gar nicht diese kleinen Haarspaltereien, die den Reformern das Motiv lieferten. Angriffsziel war die Großschreibung, und nebenbei verfolgte Augst seine bekannte Liebhaberei.


Kommentar von Stefan Stirnemann, verfaßt am 23.07.2006 um 16.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4558

Alfarrabista nennt als dritte Version der Rechtschreibung die revidierte.
Sie ist noch zu jung, als daß man hier bereits von einem Lager der Befürworter sprechen könnte. Sie liegt in bisher drei Fassungen vor, in Peter Gallmanns "Richtigem Deutsch", im Wahrig und im Duden. Wer ein wenig mit diesen drei Büchern gearbeitet hat, sieht, daß auch die revidierte Rechtschreibung nichts taugt. Wo taugt sie nichts? Überall dort, wo die Reformer eingegriffen haben. Das, was sie 1996 in Ruhe ließen (weil sie es in Ruhe lassen mußten) ist nach wie vor in Ordnung.

Der Tagebuchschreiber Thomas Mann eignet sich nicht als Patron einer vernünftigen Rechtschreibung.

Der Duden ist nicht so schlecht, wie man jetzt will. Ein ausgesprochener Mann des Handwerks, Walter Heuer, Chefkorrektor der NZZ, schrieb 1971: "Dieser Duden ist ja längst nicht mehr – wie Hesse noch 1946 schrieb – der ‚unter einem scheußlichen Gewaltstaat allmächtig gewordene Gesetzgeber, eine Instanz, gegen die es keine Berufung gibt, ein Popanz und Gott der eisernen Regeln, der möglichst vollkommenen Normierung’. Er ist, wie jeder wirkliche Kenner bestätigen wird, vielmehr ein sehr nachsichtiges, oft wohl zu nachsichtiges, den Entwicklungen der lebendigen Sprache weit offenes Regelbuch geworden, das gerade den Sonderformen des schweizerischen Sprachgebrauchs großes Verständnis entgegenbringt."

Ich verstehe nicht, warum Herr Jochems seinen vielen Namen jetzt noch den Namen Alfarrabista beifügt.

Sehr zu empfehlen ist Peter Eisenbergs "Grundriß der Grammatik". Ein Beispielsatz lautet: "Gerhard schenkt dem deutschen Volk die neue Orthographie."

Hans Zehetmair versteht von der Sache nicht viel. Spätestens seit Erscheinen des neuen Dudens steht er als betrogener Betrüger da.


Kommentar von Alfarrabista, verfaßt am 23.07.2006 um 11.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4555

Nun ist das orthographische Tohuwabohu perfekt, und das kann einer Rückkehr zur Vernunft in Rechtschreibdingen nur dienlich sein. Bislang verhalten sich die Befürworter der drei Versionen unserer auch noch im Chaos uneingeschränkt kommunikationstüchtigen Rechtschreibung - klassisch, reformiert, revidiert - wie die sprichwörtlichen drei Tempelaffen: über das Unzulängliche im eigenen Lager sehen sie geflissentlich hinweg. Was soll übrigens der gemeinsame Hinweis auf den angeblichen Wirrwarr vor Konrad Duden und der ministeriellen Rechtschreibregelung von 1901? Mehr als tausend Jahre problemloser natürlicher Schreibentwicklung hatte die deutsche Sprache hinter sich, als der neudeutsche Perfektionismus über sie herfiel. Alle Schwierigkeiten und Ungereimtheiten, die zuletzt teils lautstark, teils verschämt hinter vorgehaltener Hand beklagt wurden, stammten aus den Dudenredaktionen von neun Jahrzehnten, die das quirlige deutsche Rechtschreibgeschehen zwar beobachteten, um dann aber einen amtlichen Einheitsbrei daraus zu machen. Hätten sich doch vor 1996 schon beherzte Kritiker gefunden, die ihren dudengläubigen Zeitgenossen den erbärmlichen Zustand ihrer Rechtschreibung vor Augen geführt hätten, dann wäre der Wildwuchs wohl von kompetenter Hand zurückgestutzt worden, nämlich auf jenen genormten und zugleich freiheitlichen dialektischen Zustand, der unserer Rechtschreibung alleine angemessen ist.

Jetzt bietet sich der Duden an, wie vor hundert Jahren aus dem Chaos herauszuführen. Man muß den um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze besorgten Redakteuren nachsehen, daß sie sich in ihren Empfehlungen an solche Reformschreibungen halten, mit denen sie in aufwendiger Weise die Produktpalette ihrer drei assoziierten lexikographischen Verlage umgestaltet haben. Sollten die großen Medienmächte für die revidierten Schreibungen optieren, könnte der Dudenstreich ins Auge gehen. Was hätte aber das öffentliche Schreiben dabei gewonnen, wenn zwar zahlreiche klassische Schreibungen mit amtlicher Genehmigung wieder im Druck erscheinen dürften, der unübersehbare gewaltige Rest an Verhunzungen aber helotenhaft perpetuiert würde? Da lobe ich mir die Standhaften, die beim Chaos von 1991 bleiben wollen. Vielleicht findet sich ja jemand, der ihnen ein Wörterbuch als Leitfaden durch dieses Labyrinth in die Hand gibt. An der grundsätzlichen Problematik der deutschen Rechtschreibung würde sich dadurch nichts ändern. Noch ist die Gefahr nicht gebannt, daß sich eine genervte Mehrheit des Schreibvolks zu einer Radikalkur bereit findet. Scharlatane für diesen orthographischen Umschwung brauchte man nicht lange zu suchen.

Selbstbewußte Schreiber, die sich um die deutsche orthographische Haarspalterei nicht kümmern, hat es zum Glück immer gegeben, aber sie waren stets eine verschwindend kleine Minderheit. Thomas Mann ist der Patron dieser Gilde der Vernünftigen. Er hat vor 1933 und erst recht nicht in der Emigration auch nur einen Blick in das amtliche deutsche Rechtschreibwörterbuch geworfen. Er war ein sehr belesener Mensch und verließ sich beim Schreiben auf sein Sprachgefühl. Die Lektoren des Fischer Verlags respektierten seine Eigenwilligkeiten, in denen er immerhin von seiner Schwiegermutter, der hochgebildeten Münchener Professorengattin Hedwig Pringsheim noch übertroffen wurde. "Frau Thomas Mann" von Inge und Walter Jens ist mit seiner Zitatenfülle und dem Eigentext in etlichen Versionen deutscher Rechtschreibung eine faszinierende Abenteuerreise durch die hierzulande vorhandene orthographische Wirklichkeit. Niemand sollte dem verdienten Politpensionär Hans Zehetmair vorwerfen, er verstünde nichts von den Feinheiten der deutschen Rechtschreibung. Sie sind nicht zu begreifen.


Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 22.07.2006 um 20.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4553

Der (hervorragende) Aufmacher der FAZ vom 22.07. auf Seite 1 kann leider nicht kopiert werden [siehe aber hier – Red.]. Deswegen hier nur der Beitrag von Seite 2:

FAZ, 22.07.06, Seite 2

Zahlreiche Widersprüche

Von Heike Schmoll

„Die Grundregel, nach der zwei Verben getrennt geschrieben werden, ist so eindeutig und einfach, dass wir ihre Anwendung auch bei übertragenem Gebrauch empfehlen.“ Diese von der Dudenredaktion offenbar in der Annahme formulierte Regel, daß einfache Regeln das Erlernen der Orthographie erleichterten, hat erhebliche Auswirkungen auf die Wörterliste. Beispiele dafür sind „hängen bleiben“, „sitzen bleiben“, „kleben bleiben“, „laufen lassen“, „spazieren gehen“, „springen lassen“, „verloren geben“, „wissen lassen“.

Dasselbe gilt aber auch für die Verbindung von Adjektiv und Verb, bei der die Getrenntschreibung fast durchgehend empfohlen wird. Allerdings wird diese selbst im Duden nicht immer konsequent durchgehalten: „frei machen“ steht neben „freikratzen“, „nichtssagend“ neben „nichts ahnend“, „Leben spendend“ neben „todbringend“, „wohlriechend“ neben „übel riechend“. Während „alleinerziehend“ zusammengeschrieben werden soll, will die Dudenredaktion „allein selig machend“ getrennt schreiben, während „allgemeinbildend“ ebenfalls in einem Wort empfohlen wird, soll „allgemein verständlich“ in zwei Worten geschrieben werden. Im neuen Duden finden sich viele Widersprüche.

Absichten des Rechtschreibrats nicht im Duden

Offenbar haben weder der Vorsitzende des Rechtschreibrates, Zehetmair, noch andere Ratsmitglieder von den Entscheidungen der Dudenredaktion gewußt. Kritik am neuen Duden äußerte etwa ein österreichisches Ratsmitglied, das den Rechtschreibrat aufforderte, öffentlich zu erklären, daß er seine Absichten im Duden nicht wiedergegeben sehe. Jedenfalls trifft Zehetmairs Zusage an Zeitungen und Verlage, es werde eine Art „Hausorthographie von der Stange“ geben, nicht zu, wenn es darum geht, die Beschlüsse des Rates zu verwirklichen. Ob sich die Duden-Empfehlungen gegen die unvollständigen Reparaturversuche des Rates durchsetzen, hängt entscheidend davon ab, welche Orthographie Eingang in die automatischen Schreibhilfen, in Korrekturprogramme findet. Der Springer-Verlag, der schon zum 1. August umstellt, und die „Süddeutsche Zeitung“ werden nicht den Beschlüssen des Rates, sondern den Vorschlägen der Dudenredaktion folgen und damit reformhöriger schreiben denn je.

Die Beschlüsse des Rates jedoch sind laut Beschluß der Kultusminister vom 2. März dieses Jahres vom 1. August an verbindliche Grundlage des Unterrichts an den Schulen. Das gültige Wörterverzeichnis sei im Internet zugänglich, hieß es damals bei der Kultusministerkonferenz (KMK). Bis zum 31. Juli 2007 werden Schreibweisen, die durch die Neuregelung (Arbeit des Rechtschreibrates) überholt sind, nicht als Fehler markiert und bewertet. „In Zweifelsfällen werden Wörterbücher zugrunde gelegt“, heißt es dazu im Beschluß der KMK. Doch die Auswahl des in den Schulen benutzten Wörterbuchs wird zu einem Politikum. Denn mit der Wahl des Wörterbuchs ist die Entscheidung für eine eher am Rechtschreibrat angelehnte Schreibweise (Wahrig) oder eine dem Willen der Rechtschreibreformer folgende Orthographie (Duden) verbunden.

Nie zuvor so viele Varianten

Vor allem die Deutschlehrer sind nicht zu beneiden. Weder im neuen Duden noch im Wahrig werden sie die 1996 eingeführten und dann - teilweise klammheimlich in neuen Auflagen - korrigierten und bis 2004 geltenden Schreibweisen finden. Sie wurden in den Schulen zehn Jahre lang gelehrt. Diese Episode der Rechtschreibgeschichte wird ebenso totgeschwiegen wie die Entlassung der Zwischenstaatlichen Kommission. Die Lehrer sind deshalb darauf angewiesen, vorhergehende Wörterbücher (Duden in 23. Auflage oder Vorgänger des Wahrig) zu konsultieren, um in der Übergangsfrist zutreffend zu korrigieren.

Noch nie war der Variantenreichtum in der deutschen Rechtschreibung so groß wie nach der Reform der Reform, die daran krankt, daß der Rechtschreibrat seine Arbeit nicht abschließen konnte und etwa das wichtige Kapitel der „Laut-Buchstaben-Zuordnung“ nicht abhandelte. Für Rechtschreibanfänger und Ausländer, die sich tatsächlich dazu entschlossen haben, Deutsch zu lernen, bergen die Varianten kaum lösbare Schwierigkeiten. Denn die Beherrschung der Rechtschreibung gründete schon immer auf Analogiebildung. Dieses Prinzip versagt völlig, zumal niemand mehr weiß, welche Rechtschreibung nun gilt. Die des Rates, die des Duden, die des Wahrig?

Auch „Wahrig“ teilweise halbherzig

Das Rechtschreibwörterbuch „Wahrig“ bildet die von den Kultusministern verordnete Schulorthographie und damit auch die Beschlüsse des Rechtschreibrates zuverlässiger ab als der Duden. Bei der Frage, wie zusammengesetzte Verben geschrieben werden, entscheidet sich die Redaktion des Wahrig eher für die Zusammenschreibung als für zwei Worte, das gilt übrigens für zweihundert Fälle, die selbst vor der Reform nicht in einem Wort geschrieben wurden (spielenlassen, platzenlassen, setzenlassen, steigenlassen, vermissenlassen).

Aber auch der Wahrig kann die halbherzigen Schritte des Rates nicht besser machen, als sie sind. Jetzt rächt sich, daß der Rat sich nicht auf Empfehlungen einigen konnte und von der KMK unter Zeitdruck gesetzt wurde. Die Auslegung der Beispiele war den Wörterbuchredaktionen überlassen. Abweichungen waren deshalb unausweichlich. Die Arbeit des Rates ist auf Wunsch der Kultusminister nur unterbrochen worden, von einem Abschluß kann keine Rede sein, vielmehr hat der Vorsitzende wiederholt angekündigt, der Rat werde sich weiter mit strittigen Bereichen befassen. Im September findet die nächste Ratssitzung in München statt.



Kommentar von Die Welt, 22. 7. 2206, verfaßt am 22.07.2006 um 19.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4552

Nichts Halbes und nichts Ganzes
In den Schulen hält man wenig vom Rechtschreib-Kompromiß, wie er am 1. August in Kraft tritt - und ist doch froh, daß wenigstens die Verunsicherung vorbei ist


Von Torsten Thissen

Gerhard Walgenbach hat in den vergangenen Jahren einiges mitgemacht. Da waren Unsicherheit, Verzweiflung, Streit und Verwirrung. Und nun, am Ende dieses langen Weges, spürt Walgenbach nicht nur bei sich selbst eine Mischung aus Resignation und Erleichterung, sondern auch bei Kollegen, Schülern und Eltern. Der Leiter einer regionalen Schule im rheinland-pfälzischen Kaisersesch mußte zehn Jahre auf Klarheit warten. "Nun herrscht endlich eine gewisse Klarheit", sagt er, "das ist erst einmal positiv."

Wenn zum 1. August die Rechtschreibregeln in Kraft treten, auf die sich die Kultusminister in den vergangenen zwölf Monaten geeinigt haben, endet auch eine Debatte, die in vergangenen zehn Jahren die deutsche Öffentlichkeit, doch vor allen Dingen, Lehrer, Eltern und Schüler bewegt hat. Nun ist die Debatte beendet, und ein Aufatmen geht durch die Reihen der Beteiligten. "Endlich kommen die Schulen wieder in ruhiges Fahrwasser", freut sich der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung und Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung, Ludwig Eckinger etwa. Er gewinnt dem jahrelangen Tauziehen um Klein- und Großbuchstaben, um Getrennt- oder Auseinanderschreiben auch noch etwas Positives ab: "Der Rechtschreibstreit führte letztlich zu mehr Sensibilität gegenüber unserer Sprache".

Walgenbach sagt: "Es ist zwar nichts Halbes und nichts Ganzes bei dem Kompromiß herausgekommen, doch wenigstens kann man sich nun auf die wirklich wichtigen Dinge in der Schule konzentrieren." Die Debatte habe der Rechtschreibung eh immer einen viel zu großen Stellenwert eingeräumt. "Letztlich spielt es für den Schüler und ihre persönliche Entwicklung keine Rolle, ob sie Schiffahrt mit zwei oder drei f schreiben", sagt Walgenbach.

Am 1. Juli 1996 haben die Vertreter der deutschsprachigen Staaten in Wien eine gemeinsame Absichtserklärung zur Reformierung der deutschen Rechtschreibung unterzeichnet. Sie sollte ab dem 1. August 1998 für Behörden und Schulen gelten. Doch schon zu Beginn regte sich massiver Widerstand. Kopfschütteln und Ratlosigkeit machte sich schließlich angesichts dessen breit, was die Kommission präsentierte. Während die Debatte im Gange war, herrschte an den Schulen Ratlosigkeit. Manchmal ließen gar die Lehrer ihre Schüler entscheiden, welche Rechtschreibung sie in den Klausuren anwenden wollten.

"Diese mußten sie allerdings auch durchhalten", sagt Klaus Wenzel, seit 33 Jahren Hauptschullehrer aus Bayern und Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands.

Auch Wenzel ist froh, daß die Diskussion endlich beendet ist und damit die allgemeine Verwirrung. Das Ergebnis bezeichnet allerdings auch er als "erbärmlich".

Dabei waren die Schüler wohl am gelassensten von allen Beteiligten, sagt er. Auch haben er und seine Kollegen in der Zeit der Unsicherheit keine Verschlechterung der Rechtschreibung bei ihren Schülern festgestellt. "In den Klassen war man einfach realistischer als in der Öffentlichkeit." Denn schließlich hätten sich in den vergangenen zehn Jahren auch die Zeiten geändert. "1996 war die Art der Kommunikation eine komplett andere", sagt Wenzel. "Damals hätten auch Erwachsene es nicht hingenommen, sich Texte zu senden, ohne darauf zu achten, daß das, was sie schreiben, auch richtig geschrieben ist." Heute hingegen nähmen die meisten Menschen es hin, daß Mails und SMS voller Flüchtigkeitsfehler seien. "Bei den Schülern ist diese Ansicht noch viel ausgeprägter." So herrscht denn auch in Lehrer Wenzels Klassen die Erleichterung vor, daß die Diskussion endlich ein Ende hat. Und der Pragmatismus, verbunden mit der Hoffnung, daß, anders als in den vergangenen Jahren, die Zahl derer zunimmt, die Rechtschreibfähigkeit nicht mit Intelligenz gleichsetzen. "Eine immer noch weitverbreitete Ansicht unter Personalchefs", sagt Wenzel. Trotz aller Unzufriedenheit mit dem "faulen Kompromiß", wie er ihn nennt.

In einem sind sich allerdings alle Beteiligten einig. Zu einer Verbesserung der Rechtschreibfähigkeit der Schüler hat weder das Hin und Her der vergangenen zehn Jahre geführt noch die "verbesserte", neue Rechtschreibung, die nun eingeführt wird. "Die Fehlerquote bei den guten und normalen Schülern ist nahezu gleich geblieben", sagt Walgenbach. Lediglich seine schlechten Schüler seien noch schlechter geworden.


(Die Welt, 22. Juli 2006)


Kommentar von Mannheimer Morgen, 20. Juli 2006, verfaßt am 22.07.2006 um 18.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4550

"Wirkmächtig" in allen Zweifelsfällen
SPRACHE: Der am Samstag erscheinende Duden ist noch umfangreicher und hilft besonders bei der neuen Rechtschreibung


Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Groß

Mit dem neuen Duden kommt Farbe ins Leben. Das ist zwar kein Werbeslogan, aber dennoch übertrieben. Mit der am Samstag erscheinenden Neuauflage des Wörterbuchs kommt mehr Farbe ins Nachschlagen. Die rot geschriebene neue Orthografie zur Unterscheidung von der alten ist man längst gewöhnt. Neu an der 24. Auflage ist das Gelb und Blau.

Gelb unterlegt sind jetzt Schreibempfehlungen der Duden-Redaktion. Ihr Leiter Matthias Wermke glaubt, solche würden vom Duden erwartet, das zeigten Anfragen an die verlagseigene Sprachberatung. Und gerade jetzt scheinen sie angebracht, da die nachgebesserte Rechtschreibreform verbindlich wird, die mehr alternative Schreibungen zulässt. Gibt es Wahlmöglichkeiten, so plädiert der Duden für diejenige, welche die Redaktion für einsichtiger und leichter handhabbar hält und von der sie glaubt, sie werde sich ohnehin durchsetzen.

So empfiehlt das Wörterbuch, weiterhin "Spaghetti" zu essen, die Variante "Spagetti" aber links liegen zu lassen; die Tür sollte weiter "einen Spaltbreit", nicht "Spalt breit" geöffnet werden; begrüßt wird hingegen die neue Schreibung "fest angestellt", die gleichsam mehr Halt gibt als die alte Zusammmenschreibung.

Für Puristen ist dies problematisch, geht das Wörterbuch so doch über seine Aufgabe, die Gegenwartssprache zu dokumentieren, hinaus. Angesichts der Rechtschreiblage dürften viele den Schritt aber begrüßen. Vorgeschrieben wird schließlich nichts, man behält die Freiheit, anders zu schreiben, und eine gewisse Vorbildfunktion hatte das Wörterbuch ohnedies schon immer, gilt doch gemeinhin dasjenige als Gegenwartssprache, was im Duden steht, und will dieser seit je in Zweifelsfällen weiterhelfen.

Der kürzlich erschienene neue Wahrig aus den Verlagshäusern Bertelsmann und Cornelsen verzichtet trotzdem (weitgehend) auf Empfehlungen. Ob er nur einfach mit weniger institutionellem Selbstbewusstsein ausgestattet ist? Die Verlage sehen das anders: Erstens steht dort eine "Hausorthografie von A bis Z" mit Schreibempfehlungen unmittelbar vor der Veröffentlichung; zweitens lässt man mitteilen, wer solche Empfehlungen im Wörterbuch gebe, greife dem Rat für deutsche Rechtschreibung vor, der ja für die sprachpflegerische Überprüfung der Orthografie zuständig sei.

Mit dem Blau des Duden sind weniger Fragezeichen verbunden: Farbige Infokästen, die nun zur Erläuterung schwieriger Wörter und Schreibweisen dienen, sind mittlerweile zum lexikografischen Standard geworden. Fast von selbst versteht sich dies: Der neue Duden ist auch der umfangreichste. Gegenüber seinem Vorgänger aus dem Jahr 2004, der mit 125 000 Stichwörtern auskam, was bereits 5000 mehr waren als in der 22. Auflage aus dem Jahr 2000, ist er noch einmal um 5000 Stichwörter angewachsen - vereinigt auf jetzt 1216 Seiten; der Konkurrent Wahrig "begnügt" sich dagegen mit 125 000 Stichwörtern.

Zu Duden-Ehren haben es jetzt etwa auch das "Designer-Outlet", der "USB-Stick" oder "jedefrau" (als Ergänzung zu "jedermann") gebracht. Ein Verdacht liegt freilich nahe: Da die Sprachbeobachtung nun, zwei Jahre nach der 23. Auflage, zwangsläufig knapper ausfallen musste, könnten viele Wörter aufgenommen worden sein, die sich nicht lange im Sprachgebrauch halten werden; sie sind vielleicht schlicht zu leicht und luftig, was der Duden neuerdings als "fluffig" verzeichnet. Wie "wirkmächtig", ebenfalls erstmals verzeichnet, sie tatsächlich sind, muss sich erst noch zeigen.

Auch um solchem Verdacht zu begegnen, stellt Duden-Leiter Wermke in Aussicht, wieder zum Turnus von vier oder fünf Jahren für Neuauflagen zurückkehren zu wollen. Das wird Wörterbuch-Benutzer freuen, den Handel (und den Verlag selbst) aber wohl weniger, denn bisher ist noch jeder Duden ein Bestseller gewesen.


(Mannheimer Morgen, 20. Juli 2006)


Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2006 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4548

Die Dudenleute haben ganz recht: Was der Ratsvorsitzende Zehetmair im Rat selbst und auf den Pressekonferenzen so oft als wünschbares Ziel hingestellt hat, zum Beispiel die Unterscheidung von "sitzenbleiben" und "sitzen bleiben", das haben die anderen Ratsmitglieder heimlich schmunzelnd über sich ergehen lassen, wohl wissend, daß es nicht in das Regelverzeichnis eingehen würde und daher harmloses Geschwätz war, gegen das zu protestieren sich nicht lohnte. Das Feixen der Geschäftsführung über die oft ziemliche fehlerhafte und unbedarfte Rede des Vorsitzenden ist ja auch Teilnehmern der Pressekonferenzen nicht entgangen. Zehetmair glaubte es wieder einmal ganz besonders schlau gemacht zu haben, und als er bei den Zeitungsverlagen herumreiste, wußte er wohl wirklich nicht, daß er nur den nützlichen Idioten für den Dudenverlag gab. Diese Rolle hatte man im zugedacht, und er füllt sie bis heute aus, aber leise Zweifel scheinen ihm schon zu kommen. Er wiederholt die harmlosen Beispiele von einst ("Spagetti", du lieber Himmel!), wie der Duden das "Saxofon" poliert, damit die Leute nicht merken, worauf es wirklich ankommt. Die eigentlichen Drahtzieher (auch die Geschäftsführung) haben Zehetmair nie ernst genommen, das hat er vielleicht im Rat wenigstens atmosphärisch gespürt. Ein bißchen kann einem der alte Herr ja leid tun, aber er hätte doch wissen müssen, daß er für den Posten nicht geeignet ist.


Kommentar von DW-World.de, 21. 7. 2006, verfaßt am 22.07.2006 um 15.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4546

Der Duden - eine Ikone

Das aktuelle Wörterbuch zur erneut reformierten Rechtschreibung ist da. 28.000 Stichwörter hatte der erste Duden aus dem Jahr 1880, jetzt sind's 130.000. Ein Blick in die Geschichte des Werkes.

Gibt es ein wichtigeres Buch als dieses in Deutschland? Eines, das bekannter wäre und dabei nicht einmal eine Geschichte erzählt, einen Glauben oder eine Ideologie vertritt? Wohl kaum. In 90 Prozent der deutschen Haushalte und Büros gehört der Duden zum Inventar und wird vermutlich öfter in die Hand genommen als die Bibel, vom Grundgesetz ganz zu schweigen.

Der Duden ist ein Markenartikel, eine anerkannte Institution, mehr noch, eine Ikone. Er ist nicht nur ein Synonym für korrekte Rechtschreibung. Er zeigt jedem, und besonders jenen, die in ihrer täglichen Arbeit mit Sprache zu tun haben, dass die Vielfalt der deutschen Sprache und Schreibweisen ohne Duden nicht zu beherrschen ist.

Anarchie und Willkür

Vor 126 Jahren, am 7. Juli 1880, erschien das "Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache", verfasst vom Direktor eines Gymnasiums im hessischen Bad Hersfeld, Dr. Konrad Alexander Duden. Im gleichen Jahr wurde Dudens Werk vom Königreich Preußen zur verbindlichen Grundlage der amtlichen Orthographie erklärt und ging als Ur-Duden in die Geschichte ein. Dieser Erfolg war keineswegs selbstverständlich, denn natürlich hatte das Werk viele Kritiker, auch prominente. Der Dichter Wilhelm Raabe fühlte sich durch die festgelegten Regeln gegängelt und auch Reichskanzler Otto von Bismarck lehnte das Werk ab.

Geradezu anarchische Uneinheitlichkeit in der Rechtschreibung hatte damals zur Entstehung des Dudens geführt. Beinahe jedes Amt, jede Schule und jede Zeitungsredaktion besaß eigene Schreibregeln. Eine Zeit orthografischer Willkür und Verwirrung. Es herrschte ein Zustand, den wir uns heute kaum vorstellen können und der vielleicht durch eine ministerielle Verfügung Preußens aus den 1860er Jahren deutlich wird, die forderte, doch zumindest an ein und derselben Schule die gleiche Rechtschreibung zu unterrichten.

Regeln für den gesamten deutschen Sprachraum

Konrad Duden, ein engagierter Pädagoge, der zum Beispiel mit einem Bildungsverein versuchte, auch Kindern mittelloser Eltern eine solide Ausbildung zu verschaffen, bemühte sich um Vereinheitlichung. Die deutsche Sprache sollte klarer und verständlicher werden. Das gleiche Motiv, das auch die heutigen Reformer treibt. Konrad Duden ging pragmatisch vor. Er untersuchte schriftliche Werke statistisch. Die Schreibweise eines Wortes, die sich am häufigsten fand, wurde als mustergültig in sein Werk aufgenommen, ein ausgesprochen demokratisches Verfahren.

Durch Beschlüsse der "Orthografischen Konferenz" 1901 in Berlin, auf der Duden mitreden durfte, wurden Regeln bestimmt, die für den gesamten deutschen Sprachraum galten, somit also auch für Österreich und die Schweiz. Der Duden hatte sich vollends durchgesetzt und überstand sogar die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts inklusive der Aufteilung in zwei deutsche Staaten. Die zwei Duden-Verlage in Ost und West vermieden Konfrontationen und Abweichungen.

Reform und Streit

Nach dem Mauerfall erschien 1991 die 20. Auflage des Orthografie-Werkes, der so genannte Einheitsduden. Dann setzten die Jahre der Reformen und großen Auseinandersetzungen über dasein, was künftig als korrekt gelten sollte. 1996 beschlossen die Länder im deutschsprachigen Raum die Änderung. Seit 1998, nach einem entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, galt das Regelwerk für Schulen und die öffentliche Verwaltung.

Allerdings gab es eine Schon- und Übergangsfrist bis zum Juli 2005. Einige Zeitungen und Verlage wehrten sich weiterhin, die neue Rechtschreibung zu verwenden und auch Bayern und Nordrhein-Westfalen wollten das ganze erst akzeptieren, wenn ein Expertengremium, der so genannte Sprachrat, die Sprachregeln überarbeitet hat. Jetzt ist es soweit. Die Rechtschreibung wurde abermals reformiert, ein neuer Duden steht in den Buchläden. Gestritten aber wird mit Sicherheit weiter.

Günther Birkenstock


(Deutsche Welle, 21. Juli 2006)


Kommentar von Tagesspiegel, 22. 7. 2006, verfaßt am 22.07.2006 um 15.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4545

Die neue Gelbschreibung
Von Anja Kühne

„Das sichere Ende der Rechtschreibreform ist gelb“, jubelt der Dudenverlag auf seiner Homepage, auf der er die 24. Auflage des Standardwerks zur deutschen Rechtschreibung präsentiert. Denn ab dem 1. August endet die Übergangsfrist, die es in den Schulen für einige der Regeln der Rechtschreibreform bis dahin noch gab. Dann ist das jahrelange Hin und Her, das auch den Duden zu immer neuen Auflagen zwang, endlich vorbei.

Dem „Rechtschreibfrieden“, auf den die Länder sich im März geeinigt hatten, liegt ein Kompromiss zugrunde. Im Kern besteht dieser darin, dass in vielen Streitfällen unterschiedliche Schreibweisen erlaubt sind. Der neue Duden zeigt diese Alternativen – empfiehlt aber jeweils eine bestimmte Variante, die er gelb unterlegt. Das ist eine Innovation. Der Duden wird durch die vielen farbigen Markierungen nicht nur benutzerfreundlicher und optisch deutlich attraktiver. Er bemüht sich auch darum, trotz der neuerdings erlaubten Mehrfachschreibweisen etwas für die Einheitlichkeit der Rechtschreibung zu tun.

Der neue Duden folgt dabei zum Teil den Regeln, die es vor der Reform 1996 gab, zum Teil aber auch den neuen Regeln. So plädiert er für „fest angestellte Mitarbeiter“ statt für „festangestellte Mitarbeiter“, entscheidet sich also für die neuere Variante. Progressiv denkt der Duden auch, wenn er „Saxofon“ statt „Saxophon“ empfiehlt. Konservativ ist er dagegen, wenn es um „Spaghetti“ geht. Man habe sich am tatsächlichen Schreibgebrauch und an dem Bedürfnis der Schreibenden nach möglichst einfacher Handhabung der Rechtschreibung orientiert, sagt der Leiter der Dudenredaktion, Matthias Wermke. Ob es allerdings wirklich dem Schreibgebrauch der SMS und E-Mails schickenden jüngeren Generation entspricht, „Du“ und „Dein“ wieder großzuschreiben, wie der Duden es für Briefe empfiehlt, bleibt dahingestellt.

Beruht der Reformkompromiss vor allem auf einzelnen Varianten, gibt es auch echte Änderungen gegenüber den neuen Schreibweisen. So wird wieder mehr zusammengeschrieben, nämlich bei einem „einheitlichen Wortakzent“ wie in „ abhándenkommen“ oder „aufeinánderstapeln“. Getrennt bleibt dagegen zum Beispiel „aufeinánder áchten“. Die Kleinschreibung kehrt bei nichtsubstantivischem Gebrauch zurück: „jemandem feind sein“, „ihr Spiel ist klasse“. Das Komma wird wieder Pflicht in selbstständigen Sätzen, die mit „und“ oder „oder“ verbunden sind, sowie bei Infinitivgruppen mit „um“, „ohne“ oder „statt“. In hellblau unterlegten Kästen können die Nutzer sich über die gültigen Regeln informieren. Neue Rechtschreibregeln, zu denen es keine Alternativen gibt, sind wie bisher in roter Schrift dargestellt: zum Beispiel „ Kabelanschluss“ statt „Kabelanschluß“.

Neu am Duden sind jedoch nicht nur die Empfehlungen zum Regelwerk. Es wurden auch 3000 neue Begriffe aufgenommen, die über einen längeren Beobachtungszeitraum nachgewiesen werden konnten, darunter „Publikumsjoker“, „Sudoku“, „Telenovela“ oder „USB-Stick“, so dass nun 130 000 Stichwörter verzeichnet sind. Der neue Duden kostet 20 Euro.


(Der Tagesspiegel, 22. Juli 2006)


Kommentar von Kölner Stadt-Anzeiger, 22. 7. 2006, verfaßt am 22.07.2006 um 14.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=494#4544

Ein Kilo Duden
Von Christian Hümmeler

An diesem Samstag erscheint der neue Duden. Er hat 1216 Seiten und ist mehr als ein Kilo schwer. Sein Vorgänger von 1991 war dagegen mit 752 Gramm ein echtes Leichtgewicht. In dem es allerdings nicht so bunt zuging wie in der Neuauflage: Rote und gelbe, hellblaue und dunkelblaue Unterlegungen markieren neue Regeln und Empfehlungen, geben zusätzliche Informationen oder verweisen auf die Regeltexte. Dafür fehlt der entscheidende Satz, der 1991 noch stolz auf dem Titel des Duden prangte: „Maßgebend in allen Zweifelsfällen“.

Nun sollte man aus dem Fehlen dieses Satzes gerade nicht schließen, es gebe keine Zweifelsfälle mehr. Allerdings ist es mit der Maßgeblichkeit, vor allem aber mit der Konsequenz nicht mehr so weit her. Da hilft auch das an rund 3000 Stellen „Empfehlung“ signalisierende Gelb nicht weiter: „fernliegend“ soll es heißen, aber „nahe liegend“; „Strom sparend“, aber „energiesparend“; „still sitzen“, aber „stillliegen“. Der ganze Wirrwarr um die Rechtschreibreform spiegelt sich hier wider.

Für die kann der Duden nichts. Und will vielmehr mit den Empfehlungen eine „Hilfestellung leisten für diejenigen, die ohne großen Aufwand einheitlich schreiben möchten“. Ob das allerdings angesichts der Vielfalt der möglichen Varianten ein Signal künftiger Vereinheitlichung ist, darf sehr bezweifelt werden. Am einfachsten haben es noch die Schüler: Zwar tritt die geänderte Rechtschreibreform, am 1. August in Kraft, in den Klassenzimmern aber gibt es eine einjährige Übergangsfrist. Genug Zeit also, um sich ausgiebig mit 1216 Seiten Duden auseinander zu setzen.


(Kölner Stadt-Anzeiger, 22. Juli 2006)



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