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20.07.2006
Theodor Ickler
Die Vernunft kehrt nur in Trippelschritten zurück
Am 1. August 2006 soll die zum zweitenmal revidierte Rechtschreibreform für die Schulen verbindlich werden.
Die amtlichen Texte (dreihundert Seiten Regeln und Wörterverzeichnis) liegen auch weiterhin nicht gedruckt vor, sondern können nur aus dem Internet heruntergeladen werden - für die tägliche Schreib- und Korrekturpraxis ein unhaltbarer Zustand. Auch sind die Regeln viel zu kompliziert und auslegungsbedürftig, als daß sie von Lehrern oder gar Schülern unmittelbar angewandt werden könnten.
In Gestalt des Wahrig liegt das erste Wörterbuch vor, das die Revision auf den deutschen Wortschatz anwendet (Wahrig: "Die deutsche Rechtschreibung". Herausgegeben von der Wahrig-Redaktion. Wissen Media Verlag, Gütersloh/München 2006. 1216 S., geb., 14,95 €). Die Wahrig-Redaktion ist im Rat für deutsche Rechtschreibung vertreten, hat die amtlichen Regeln mitverfaßt und wurde bei ihrer Arbeit durch die Geschäftsführerin des Rates unterstützt. Man nimmt daher von vornherein an, daß die neuesten Regeln zuverlässig umgesetzt sind. Das amtliche Wörterverzeichnis wurde von einer selbsternannten Redaktionsgruppe aus Ratsmitgliedern angefertigt, der Rat als ganzer hat es nicht mehr gesehen, bevor die Kultusminister es ohne weitere Diskussion billigten. Die Wörterbuchverfasser lassen sich außerdem von einer inoffiziellen "Handreichung" leiten, die von derselben Gruppe am Rechtschreibrat vorbei angefertigt wurde und äußerst folgenreiche Ausführungsbestimmungen enthält. Auch für die meisten Ratsmitglieder dürfte teilweise neu sein, was aus jenen Vorlagen folgt, die sie seinerzeit pauschal beschlossen hatten.
Im Gegensatz zum Dudenverlag, der die "Endgültigkeit" der jetzigen Regelung betont, will der Wahrig nur den "aktuellen" Stand festhalten. Zwar wirbt er auf dem Umschlag: "Neu - Neu - Neu - Neu - Endlich Sicherheit!" Aber die Redaktion ist sich des Übergangscharakters der jetzigen Regelung bewußt. Auch die Wahrig-Sprachberatung spricht stets von der "derzeit verbindlichen Fassung des amtlichen Regelwerks" und von den "derzeit gültigen Regeln". Tatsächlich sind weitere Änderungen unausweichlich und vom Rat auch bereits in Aussicht gestellt. Notenrelevant ist die jetzige Regelung ohnehin noch nicht und wird es vielleicht nie werden.
Es ist dem Verlag gelungen, den Vorsitzenden des Rechtschreibrates und einstigen Hauptverantwortlichen für die ganze Reform, Kultusminister a. D. Hans Zehetmair, als Vorwortschreiber zu gewinnen. Allerdings scheint ihn die gewohnte Formulierungsgabe verlassen zu haben, sein Text wirkt unkonzentriert: "Sprache ist ein hohes Gut. Sie ist die wichtigste Kommunikation des Menschen, um Kultur zu schaffen und zu leben." Die Revision der mißlungenen Reform - Zehetmair spricht beschönigend vom "Glätten evidenter Unebenheiten" - bezeichnet er als "behutsame Aufgabe".
Im ersten Teil sind neben den üblichen Benutzungshinweisen die amtlichen Regeln abgedruckt, ferner eine allgemeinverständliche Übersicht über diese Regeln und dankenswerterweise auch eine Synopse der Neuerungen gegenüber der Revision von 2004. Die offenen Beispiellisten geben eine Ahnung von der explosionsartigen Zunahme der Varianten und vom Umfang der Änderungen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung trotz seiner (Selbst-)Fesselung durch eine unsachgemäß begrenzte Agenda vorgenommen hat.
Im Wörterverzeichnis selbst ist nicht zu erkennen, was sich gegenüber 1996 und 2004 geändert hat. Durch Blaudruck gekennzeichnet sind nämlich nur die Neuerungen gegenüber dem Duden von 1991. Folglich stehen "zu eigen machen", "guttun" und viele andere Wörter wieder so da wie vor der Reform, als hätte man ihnen seither kein Haar gekrümmt, und doch mußte das eine zehn Jahre lang groß, das andere getrennt geschrieben werden. Daß seit 1996 in Hunderten von Fällen ganz andere Schreibungen "gültig" waren und seither in Millionen von Wörterbüchern, Schulbüchern und Kinderbüchern stehen, wird kaschiert, die peinlichste Episode der deutschen Sprachgeschichte damit stillschweigend entsorgt. Im Sinne der Reformdurchsetzung ist das ein schlauer Schachzug, mit dem sich der Verlag allerdings selbst ein Bein stellt. Lehrer müssen ja wissen, welche Schreibweisen in der Übergangszeit bis August 2007 (in der Schweiz bis 2009) noch toleriert werden, also etwa "zu Eigen", "Pleite gehen" und "Leid tun". Für die Schule ist der Wahrig damit von vornherein nicht geeignet.
"Der neue Wahrig gibt Empfehlungen in Fällen, in denen zwei Schreibweisen parallel zulässig sind." So hatte es in der Werbung geheißen, als Antwort auf die Ankündigung des Duden, durch nicht weniger als dreitausend gelb unterlegte Empfehlungen Einheitlichkeit schaffen zu wollen - was übrigens ein Licht auf Zehetmairs Lobpreis der angeblich erreichten Vereinheitlichung wirft. Mit den Empfehlungen der Wahrig-Redaktion ist es nicht weit her. Es sind nur ein paar Dutzend, sie wirken zufällig eingestreut und haben gewöhnlich diese bescheidene Form: "! In der Fügung der Runde Tisch (= der Verhandlungstisch) empfiehlt es sich, das Adjektiv rund großzuschreiben, um die idiomatisierte Bedeutung der Verbindung hervorzuheben." Oft verweisen sie auf den Schreibgebrauch. Bei konsequenter Befolgung dieses Maßstabes wäre allerdings die ganze Reform überflüssig gewesen.
Die Auswahl der Stichwörter ist annehmbar. Man wird immer einiges vermissen. Sollten im Belegkorpus der häufig falsch geschriebene "Cinchstecker" oder die im Fußballjournalismus beliebte "Blutgrätsche" nicht vorkommen? Auch "ewiggestrig" und die im amtlichen Wörterverzeichnis ausdrücklich erwähnte "Fritfliege" fehlen genau wie in früheren Auflagen. Bei der Auswahl der Eigennamen bleibt das Wörterbuch einer alten Bertelsmann-Tradition treu: Die Namen sozialistischer Größen wie Stalin, Lenin, Trotzki, Liebknecht, Luxemburg und sogar Zetkin sind aufgeführt, nicht aber die rechtschreiblich durchaus schwierigen Hitler, Goebbels oder Göring - eine recht schlichte Art der Vergangenheitsbewältigung.
Obwohl der Rechtschreibrat bisher nur einen Teil der amtlichen Regeln bearbeiten durfte, gehen die Änderungen in die Tausende, schon wegen der Silbentrennung. Hier ist bekanntlich die Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben (a-brupt, Musse-he, Bi- omüll) wieder beseitigt. Dagegen hat sich der Rat noch nicht zur herkömmlichen Trennung von ck durchringen können, es bleibt bei Zu-cker, in klarem Widerspruch zu § 3 des Regelwerks ("Statt kk schreibt man ck"). Einige Trennungen wie transk- ribieren sind in der Neubearbeitung gestrichen. Diag-nose, Subs-tanz, Pithe-kanthropus, Thermos-tat, Rest-riktion, Katas-trophe und Katast-rophe und viele andere bleiben aber zulässig und sind auch weiterhin verzeichnet. Sie ruinieren jeden anspruchsvolleren Text.
Es war dem Ratsvorsitzenden ein ernsthaftes, auf Pressekonferenzen vorgetragenes Anliegen, vor Anal-phabet und Urin-stinkt zu warnen. Tatsächlich ist für diese Beispielwörter die angeblich irreführende Trennung im Wörterverzeichnis gar nicht angegeben, als handele es sich um ein Verbot. Der Rat hatte im November 2005 ausdrücklich das Gegenteil beschlossen. Auch Frust-ration und Lust-ration sind, obwohl regelkonfom, nicht mehr angeführt, wohl aber der Kast-rat.
Die Kommasetzung hat noch einmal einen Komplizierungsschub erfahren. Der erweiterte Infinitiv soll wieder durch Komma abgetrennt werden, aber nur nach bestimmten Bezugselementen wie Substantiven und Pronomina, nicht nach Verben. So stehen nebeneinander: "Er hat die Absicht, morgen abzureisen" und "Er beabsichtigt morgen abzureisen". Das ist weder für Schüler einfach noch dem Leser dienlich.
Die Höflichkeitsgroßschreibung der Briefanrede (Du, Ihr, Dein) ist zumindest wieder zugelassen. Wie am "Runden Tisch" bereits zu erkennen, werden auch feste Begriffe grundsätzlich wieder groß geschrieben. Hinter der wiederaufgestoßenen Tür der "Fachsprachlichkeit" trifft man nicht nur alte Bekannte, sondern auch viele neue Gesichter: den "Schwarzen Peter" und die "Erste Hilfe", aber auch die "Aktuelle Stunde", den "Grünen Tisch", die "Graue Eminenz" und manches andere.
Die absurde Großschreibung "Bankrott gehen / Pleite gehen" wird zurückgenommen, die bisher übliche Kleinschreibung aber nicht wiederhergestellt, sondern statt dessen Zusammenschreibung angeordnet - mit der Begründung, die Gesamtbedeutung lasse sich nicht aus den Bestandteilen erschließen. Aber nichts könnte einfacher sein: manches geht kaputt, entzwei, verloren, verschütt und eben auch bankrott oder pleite. Interessant ist immerhin das Eingeständnis, daß es sich bei pleite und bankrott um Adjektive handelt - warum mußten sie dann seit 1996 groß geschrieben werden?
Den Ratsmitgliedern ist aber noch immer nicht klarzumachen, daß in leid tun (1996: Leid tun, 2006 leidtun) keineswegs ein "verblasstes Substantiv" steckt. Wahrig gibt folglich den falschen Kommentar, leid habe hier "die Eigenschaften eines selbstständigen Substantivs verloren". Statt "erste Hilfe ist Not" heißt es wieder "Erste Hilfe ist not". Groß geschriebenes "Diät leben" bleibt erhalten, ebenso "Vabanque spielen", als handele es sich um ein Spiel wie Roulette. Bei "recht haben" ist zwar die grammatisch richtige Kleinschreibung wieder zugelassen, aber von der Großschreibung wollten die Reformer dennoch nicht lassen: "wie Recht du hast" und "wie Unrecht tut ihr mir" soll weiterhin korrektes Deutsch sein. Was ist von einer Reform zu halten, die sich derartige Mißgriffe erlaubt? Das fragt man sich nachträglich auch noch, wenn man sieht, daß die abwegige Großschreibung jemandem Feind sein / Freund sein endlich zurückgenommen ist, nachdem sich die Reformer zehn Jahre lang geweigert haben, diese grobe Verkennung einer Wortart zuzugeben. Die unsinnige Großschreibung "morgen Früh", eine Erfindung der dahingeschiedenen Zwischenstaatlichen Kommission, ist immer noch nicht beseitigt.
Die Redaktion empfiehlt, Drähte "bloß zu legen", sein Innerstes hingegen "bloßzulegen". In solchen Fällen greift das Wörterbuch eine alte Dudenmarotte wieder auf und treibt sie noch ein Stück weiter. Der Grundsatz, metaphorischen Gebrauch auch orthographisch zu kennzeichnen, läßt sich nicht konsequent durchführen und ist außerdem widersinnig, weil er die Metapher zerstört; er bringt sie gewissermaßen um ihre Pointe.
Überraschenderweise werden auch ganz neue Zusammenschreibungen mit Verben eingeführt. Das Wörterbuch führt exemplarisch über zweihundert Fälle an, die vor der Reform gar nicht zulässig waren: spielenlassen (die Muskeln, nicht die Kinder), kommenlassen (die Kupplung, nicht die Feuerwehr), platzenlassen (eine Veranstaltung, aber nicht einen Luftballon), setzenlassen (ohne Erläuterung), sprechenlassen (Blumen), steigenlassen (Partys, aber nicht Drachen), sterbenlassen (Projekte, nicht Patienten), vermissenlassen (Feingefühl). Das sind Extrapolationen, an die gewiß kein Mitglied gedacht hat, als der Rat die traditionelle Zusammenschreibung von "bleiben" und "lassen" mit Positions- und Fortbewegungsverben wiederherstellte. Daß jemand Feingefühl "vermissenlässt" und daher die Muskeln "spielenlässt"; daß "du es mich wissenließest, indem du Blumen sprechenließest" - das ist zweifellos gewöhnungsbedürftig, denn es finden sich dafür auch in sehr großen Textcorpora keine Belege. Eine Frage soll offenbleiben, eine Tür offen bleiben. Für hängenlassen wird Getrenntschreibung bei konkreter Bedeutung empfohlen; als Beispiel wird angeführt die Ohren hängen lassen (,den Mut verlieren'), aber gerade das ist übertragener Gebrauch. Gäbe es nicht eine Beliebigkeitsklausel, die letzten Endes alles offenläßt oder offen läßt, könnte der ratsuchende oder Rat suchende Benutzer schier verzweifeln. Der exzessiven Zusammenschreibung steht übrigens entgegen, daß der Rechtschreibrat sich erfolgreich dagegen wehrte, spazierengehen, -fahren oder -reiten wieder zuzulassen; nur kennenlernen ließ er sich abringen, aber schon nicht mehr liebenlernen und schätzenlernen.
Die mit wieder zusammengesetzten Verben waren von Anfang an so undurchsichtig geregelt, daß die Wörterbuchredaktionen seit zehn Jahren mit den unterschiedlichsten Auslegungen aufwarten. Im neuen Wahrig versucht ein großer Informationskasten Klarheit zu schaffen, treibt aber die Willkür auf die Spitze. Die einzelnen Einträge sind schlechterdings nicht nachvollziehbar: Warum darf "wieder aufarbeiten" nur getrennt, "wiederaufbereiten" aber nur zusammengeschrieben werden, während bei "wiedereingliedern" beides möglich ist? Die Liste willkürlicher Festlegungen wäre noch länger, wenn nicht geläufige Verben wie wiederbesetzen und wiedererwerben einfach weggelassen wären; ihre aktuelle Schreibweise ist aus den Regeln nicht herleitbar. In der vorigen Auflage gab es die unsinnige Vorschrift, "wiedertun" (mit einem Akzent) durch "wieder tun" (mit zwei Akzenten) zu ersetzen; in der Neufassung bleibt es bei einem Akzent auf wieder - und dennoch bei Getrenntschreibung, obwohl der Kasten genau das Gegenteil erwarten läßt. Auch ist der Unterschied zwischen Adverb und Verbzusatz keineswegs immer an der Betonung zu erkennen: Man will das Denkmal wiederherstellen kann durchaus gleich betont werden wie "Die Fabrik will dieses Produkt wieder (aufs neue) herstellen". Gerade bei den Verben mit wieder- bleibt kein Stein auf dem anderen, aber dies kann der arglose Benutzer wegen der eigentümlichen Markierungspraxis nicht erkennen. Die Fälle brustschwimmen, delphinschwimmen und marathonlaufen (dies ist neu und hätte blau gedruckt werden müssen) werden in Anlehnung an den alten Duden interpretiert, die amtliche Regelung ist an dieser Stelle unverständlich.
Zusammensetzungen mit sein (beisammensein) bleiben kategorisch ausgeschlossen, die im Jahre 2004 wiederzugelassenen "beisammengewesen" und "zurückgewesen" sind auch im amtlichen Verzeichnis wieder getilgt, aber der Eintrag "dagewesen" ist neu hinzugekommen, als einzige, nirgendwo begründete Ausnahme. Der Rechtschreibrat hat darüber nicht gesprochen, es muß sich also um eine Eigenmächtigkeit der Wörterbuchgruppe handeln.
Bei Verbindungen mit wohl sind rund dreißig neue Getrenntschreibungen durch Blaudruck hervorgehoben, da sie aber allesamt fakultativ und die früheren Zusammenschreibungen wieder zugelassen sind, könnte man sie einfach weglassen und wäre dann wieder genau bei der Regelung von 1991. Das Wörterbuch benötigt mehrere Spalten, um darzustellen, wie man Verbindungen mit schwarz schreibt. Die obligatorische Zusammenschreibung "bis du schwarzwirst" kommt dennoch überraschend. Für fest-, voll- und tot- wird eine Sonderregel aufgestellt: Unter den Einzeleinträgen sind sie allesamt mit Verben zusammengeschrieben, weil sie, wie der Infokasten behauptet, reihenbildend und fast ausschließlich in Zusammenschreibung belegt seien. Allerdings ist die Regel so formuliert, daß auch Getrenntschreibung erlaubt zu sein scheint, und eine einsame Ausnahme gibt es ohnehin auch hier wieder: "tot stellen" darf nur getrennt geschrieben werden, Blaudruck weist nachdrücklich auf diese ausgeklügelte Neuerung hin. Auch "verrückt stellen" soll wie bisher getrennt geschrieben werden, "verrücktspielen" aber nur zusammen. Da es viele hundert Verfeinerungen dieser Art gibt, wird die deutsche Rechtschreibung nun endgültig unbeherrschbar.
Das reformierte "Leid tragend" ist getilgt, es gibt nur noch "leidtragend", aber mit der sonderbaren Begründung: "In der Zusammensetzung leidtragend ist der Erstbestandteil durch eine Wortgruppe (viel Leid, großes Leid) ersetzbar. Daher gilt Zusammenschreibung." Dann müßten allerdings auch Besorgnis erregend, Ehrfurcht gebietend und viele weitere Verbindungen wieder zusammengeschrieben werden, und zwar immer. Das geschieht aber keineswegs, vielmehr sollen sogar Sätze wie "die Entwicklung ist Besorgnis erregend", "diese Pflanzen sind Sporen tragend" weiterhin korrekt sein; nicht einmal ein Warnschild wird vor solchen grammatischen Schnitzern aufgestellt.
Die "Handvoll" ist wiederhergestellt, die "Hand voll" aber noch nicht aufgegeben: zwei Hand voll Körner. Überraschenderweise werden durch die Revision sogar die "Hand breit" (eine Hand breit Stoff) und der "Fuß breit" (ein Fuß breit Boden) als neue Varianten eingeführt, ohne daß der Rechtschreibrat je darüber gesprochen hätte. Vielleicht wäre er darauf gestoßen, daß eine Hand zwar voll Körner sein kann, aber nicht breit Stoff.
Das Wörterbuch schreibt - anders als das amtliche Regelwerk - durchweg selbstständig und erklärt, wie die meisten Reformer, die ältere Form selbständig für eine Verkürzung der jüngeren! Erfreulicherweise wird die herkömmliche Zusammenschreibung von "sogenannt" ausdrücklich empfohlen, die Getrenntschreibung aber nicht wieder abgeschafft. Unter "Schlusssatz" und "Schussstärke" wird "der besseren Lesbarkeit wegen" ein Bindestrich vorgeschlagen: Schluss-Satz, Schuss-Stärke. Darf man daran erinnern, daß "Schlußsatz" ohne Probleme lesbar war und erst die Reform den Schaden angerichtet hat, der nun auf so unbeholfene Weise repariert werden muß? Daß nur "Eis-Schnelllauf" und nicht "Eisschnell-Lauf" (wie noch im Duden von 2004) "zulässig" sei, trifft übrigens nicht zu; das neue Regelwerk enthält keine solche Vorschrift, schon weil der Bindestrich vom Rat gar nicht behandelt wurde.
Bei den Fremdwörtern ergeben sich sehr viele Änderungen durch die neue Regel, daß der Hauptakzent über die Zusammenschreibung entscheidet: Freestyle, Hightech, Shootingstar; Golden Goal, Private Banking, Round Table. Die neue Hauptregel lautet: "Aus dem Englischen stammende Bildungen aus Adjektiv + Substantiv können (!) zusammengeschrieben werden, wenn der Hauptakzent auf dem ersten Bestandteil liegt, also Hotdog oder Hot Dog, Softdrink oder Soft Drink, aber nur High Society, Electronic Banking oder New Economy." Durch die unterschiedlich akzentuierten Beispiele wird die Regel gleich wieder verdunkelt. Auch bei Anfangsbetonung ist die Zusammenschreibung lediglich erlaubt, aber nicht zwingend. Das irreführende Verfahren zieht sich durch das ganze Wörterbuch. Neben Hotdog, Harddisk usw. ist also entgegen dem Augenschein auch bei Anfangsbetonung Hot Dog, Hard Disk möglich. Die Ergänzung lautet: "Sind beide Akzentmuster möglich, dann kann getrennt- wie zusammengeschrieben werden, zum Beispiel: Big Band/Bigband, Hot Pants/Hotpants, Small Talk/Smalltalk." Für "Charming Boy" soll trotz Anfangsbetonung nur Getrenntschreibung gelten. (Der Eintrag ist zugleich ein Beispiel für die Tendenz, nach und nach ein englisches Wörterbuch in das deutsche einzuarbeiten.)
Die neue Regel ist nur für englische Entlehnungen formuliert, aber die Redaktion überträgt sie auf Wörter anderer Herkunft. So wird zur Unterscheidung von der neueingeführten Schreibweise "Haute Finance" (mit gleichmäßiger Betonung) für das herkömmliche Hautefinance ein ganz unrealistischer Anfangsakzent postuliert; frühere Auflagen wußten es noch besser. Es rächt sich jetzt, daß die "Laut-Buchstaben-Beziehung" und damit die Fremdwortschreibung vom Rechtschreibrat nicht behandelt werden durfte.
Wie schon 2005 wird im Wörterverzeichnis nur noch die Hybridschreibung Orthografie, orthografisch benutzt, im gesamten ersten Teil des Werkes aber weiterhin Orthographie und orthographisch. Bei Photosynthese wird die traditionelle fachsprachliche Schreibung empfohlen, bei Phonetik (neu Fonetik) nicht.
Die Kennzeichnung reformierter und nichtreformierter Schreibweisen ist nicht immer gelungen. Die Wendung "um ein Vielfaches" müßte blau gedruckt sein, denn der alte Duden wollte kurioserweise nur Kleinschreibung zulassen. Auch "Aupair" ist neu und "zurzeit" wenigstens für Deutschland. Dagegen ist der Blaudruck bei einigen Wörtern wie ernst nehmen oder der Drittletzte (,der Leistung nach') unbegründet, die Schreibweisen sind die alten. Die "spät Gebährende" ist leider kein Druckfehler, denn es folgt sogleich die alternative Schreibweise "Spätgebährende".
Insgesamt dokumentiert der Wahrig trotz mancher Versehen recht zuverlässig die von den Kultusministern jüngst verordnete Schulorthographie. Sie stellt der deutschen Sprachwissenschaft kein gutes Zeugnis aus. Die weiteren Verhandlungen des Rechtschreibrates müssen zeigen, ob die Reparaturarbeiten zu einem erträglichen Abschluß gebracht werden können. Man sieht zwar, daß die Richtung einigermaßen stimmt, aber Sinn und Verstand kehren nur in Trippelschritten zurück, und neue Skurrilitäten trüben das Bild gleich wieder ein. Eine durchgreifende Verabschiedung von den Fehlern der Reform wird dadurch erschwert, daß noch zu viele Altreformer mitzuentscheiden haben, darunter der Ratsvorsitzende selbst, der bei jeder Gelegenheit verkündet, eine Rücknahme der Reform komme nicht in Frage. Er will, wie er auch hier wieder verkündet, die Gesellschaft mit der Rechtschreibreform "versöhnen". Daraus kann unter den gegebenen Umständen nichts werden.
Frankfurter Allgemeine, 20. 7. 2006
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Kommentare zu »Die Vernunft kehrt nur in Trippelschritten zurück« |
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Kommentar von R. M., verfaßt am 20.07.2006 um 18.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4509
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Lothar Müller bewegt sich auch in Trippelschritten: Er konzediert widerwillig, daß »Teile der Kritik an der Reform von 1996 berechtigt waren«. Echt Südseuche!
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 20.07.2006 um 19.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4510
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Lothar Müller: »Kern dieses Dudens aber ist das stillschweigende Eingeständnis, dass Teile der Kritik an der Reform von 1996 berechtigt waren. Vielleicht werden Sprachhistoriker später einmal diagnostizieren, dass die Duden-Redaktion das Erbe der Rechtschreibung vor 1996 taktisch klüger, weil realistischer bewahrt hat als die Fundamentalopposition gegen die Reform von 1996.« (letzter Absatz)
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Kommentar von borella ;-(, verfaßt am 20.07.2006 um 20.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4512
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Und wieder einmal fragt man sich, was treibt eigentlich die Wörterbuchredaktionen dazu, vielfach ausgerechnet die üblichste Form von Schreibungen nicht zu empfehlen und bis dato völlig unübliche Neuerfindungen als ihre Empfehlung abzugeben?
Erwartet man sich so ernsthaft, einen Schritt zur Einheitlichkeit zu tun?
Oder handelt es sich eher um bunte Verarschungen ... ?
Und wenn Verarschungen, dann darf man raten, wer denn da wirklich verarscht werden sollte ...
Faschingsgilden und Kabarettisten können jedenfalls wieder einmal ihre Bleistifte spitzen!
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Kommentar von TeachersNews.Net, verfaßt am 20.07.2006 um 22.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4514
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Endlich wieder einheitliche deutsche Rechtschreibung!
„Am 1. August kommen die Schulen endlich wieder in ruhiges Fahrwasser, denn dann ist in ausnahmslos allen Bundesländern die deutsche Rechtschreibung in der Fassung von 2006 Grundlage des Unterrichts“, freut sich der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Ludwig Eckinger.
Er ist im Rechtschreibrat der offizielle Vertreter für die deutschen Lehrerorganisationen. „Die nochmalige Übergangszeit bis zum 31. Juli 2007 wird ein übriges zur Beruhigung der Situation tun“, ist Eckinger überzeugt. „Dass nun auch die Medien wieder in großer Mehrzahl die neue Rechtschreibung anwenden, ist für die Arbeit an den Schulen eine bedeutsame Unterstützung.“
Im Rückblick auf das jahrelange und teils heftige Ringen um eine Neufassung der deutschen Rechtschreibung betont Eckinger: „Der Rechtschreibstreit führte letztlich zu mehr Sensibilität gegenüber unserer Sprache. Zwar ist die Rechtschreibung nicht alles, aber sie ist ein wichtiges Handwerkszeug, damit wir unsere Erkenntnisse und Gedanken schriftlich so niederlegen können, dass ein Lesender uns verstehen kann.“ Deshalb habe der Rechtschreibrat behutsam und sachbezogen die besonders umstrittenen Teile der vormaligen Rechtschreibreform einer Prüfung unterzogen. „Änderungen in der Rechtschreibung sind kein Sakrileg“, so Eckinger. „Sprache ist etwas Lebendiges und Änderungen in der Rechtschreibung vollziehen solche Bewegungen nach. Sprachbeobachtung wird deshalb für die kommenden Jahre der Hauptauftrag des Rechtschreibrates sein.“
Die nächste Sitzung des Rates für deutsche Rechtschreibung wird am 22. September in München stattfinden.
(www.teachersnews.net)
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 21.07.2006 um 00.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4518
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Lothar Müller: »Kern dieses Dudens aber ist das stillschweigende Eingeständnis, dass Teile der Kritik an der Reform von 1996 berechtigt waren. Vielleicht werden Sprachhistoriker später einmal diagnostizieren, dass die Duden-Redaktion das Erbe der Rechtschreibung vor 1996 taktisch klüger, weil realistischer bewahrt hat als die Fundamentalopposition gegen die Reform von 1996.« (letzter Absatz)
Damit will Lothar Müller wohl weniger dem Duden, als sich selbst und seinem Kollegium von der SZ seine Huldigung erweisen und erhebt vorweg schon auch den Anspruch auf diejenige der sprachwissenschaftlichen Nachwelt. Sie predigten ja von Anfang »Gelassenheit«, taten so, als wüßten sie natürlich ganz genau, wie miserabel die Reform ist (wie auch nicht: als Spitzenjournalisten des legendären Intelligenzblatts!), seien aber keineswegs so einfältig gewesen wie all diejenigen im Volk, die sich für Gebildete halten, etwa die Schriftsteller oder gar Sprachwissenschaftler, darauf mit »Fundamentalkritik« zu reagieren. Jetzt können Lothar Müller und die Seinigen sich damit schmücken, auch wenn sie allen Unfug der Reform mitgemacht haben und weiterhin mitmachen, schließlich doch auf der Seite der wahren Sieger postiert zu sein, nämlich, als wahre Durchblicker, der der »taktisch Klügeren und Realistischeren«. Kann sich ein Journalist, der etwas auf sich hält, für seine Person eine andere Position überhaupt vorstellen?
Es scheint eine Kategorie von Journalismus zu geben, die sich dadurch qualifiziert, daß sie allein durch ihren sprachlichen Gestus – Vokabular, Stilmittel, einen gewissen Kodex von Formulierweisen usw. – die Anmutung von intelligenter Auseinandersetzung mit welchem Thema und mit welcher Aussage auch immer zu schaffen versteht. So etwas kann man lernen, egal, worüber und was man schreibt. Das Traurige daran ist, daß diese Redakteure das, was sie treiben, selbst tatsächlich für gehobenen Journalismus halten. Deshalb ist die Lektüre von einst respektablen Zeitungen wie die ZEIT oder eben die SZ immer wieder so deprimierend.
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Kommentar von jms, verfaßt am 21.07.2006 um 00.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4519
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Was soll denn die Herabminderung der Reformkritiker durch den Begriff "Fundamentalopposition"? Richtig wäre der Begriff fundierte Opposition, wie der Aufsatz Icklers einmal mehr unter Beweis stellt. Fundamentalistisch hat man in der gesamten Debatte nur die Reformbetreiber und -befürworter erlebt.
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Kommentar von Süddeutsche Zeitung, 26. 7. 2006, verfaßt am 26.07.2006 um 23.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4631
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Typisch deutsche Untugend
Rechtschreibung in der SZ / SZ vom 21. Juli
Ich danke der Redaktion sehr für ihre unverkrampfte, undogmatische Art, mit dem Thema Rechtschreibung umzugehen. Ich habe die Hintergrundberichte dazu auf Seite 2 als sehr wohltuend empfunden. Es wäre sehr schön, wenn Deutschland endlich Tim Coles Tip(p) aus Amerika, "Hauptsache schlüssig" (SZ vom 11. August 2004) beherzigte und den "Zwang zur Richtigschreibung" verbannte: "Die engstirnige Forderung nach Vereinheitlichung, nach von oben durch Kultusministererlass verordnetem Zwang zur Richtigschreibung ist einzureihen in die Liste typisch deutscher Untugenden, etwas für Kommissköpfe. Weg damit! Lasst die Leute schreiben, was sie für richtig halten. Reduziert die Zahl der Regeln auf ein Minimum . . . Überreguliert ist sie ein Gräuel (oder meinetwegen ein Greuel)." Ich danke der SZ-Redaktion dafür, dass sie "ihre eigene Schreibe" (gemäß John Lennon) entwickeln will, wie Hans Werner Kilz prognostiziert.
Rüdiger Wittkämpfer, Königswinter
Für mich als Leser und Anhänger der alten Rechtschreibung ist es erfreulich, dass die Süddeutsche Zeitung zu bewährten Regelungen zurückkehrt oder bei ihnen bleibt. Hans Werner Kilz meint damit vor allem die Getrennt- und Zusammenschreibung. [. . .]
Andreas Schuler, Ratingen
Sprachreformerischer Taschenspielertrick
"Rechtschreibung in Schwarz-Rot-Gelb - der neue Duden" und "Rechtschreibung in der SZ" / SZ vom 21. Juli
Vor die Wahl zwischen Macht und Vernunft gestellt, nimmt die SZ-Redaktion sich natürlich beides und hält das dann auch noch für ein symmetrisches, gleichsam demokratisches Verhältnis. Auch der Duden hat sich nun für beides entschieden, Macht und Vernunft nebeneinander auf Schwarz-Rot-Gelb, wenn das nicht deutsch ist. Die Rechtschreibung wird "in Zweifelsfällen" dahingehend geregelt, dass sie nicht mehr geregelt wird. (Hier könnte man jetzt schon fast sagen, dass die Rechtschreibung dahin gehend geregelt wird, denn sie stirbt ja tatsächlich ab.) Sehr liberal, wie die SZ selbst. Ich habe verstanden.
Aber Spaß beiseite - in Wahrheit hat die Redaktion allen Anlass, sich der Meinungsbildung in Sachen Rechtschreibung fürderhin zu enthalten und stattdessen dafür zu sorgen, dass sie wenigstens die geltenden Regeln einhält. Leider ist dies oft nicht der Fall. Ein sprachreformerischer Taschenspielertrick funktioniert so: Da haben manche Autoren klar gestellt, wie ein Sachverhalt beschaffen sei. Hier wird das semantische Faktum, dass klarstellen aus klar und stellen zusammengesetzt ist, für das sachliche Faktum, die Klarstellung, genommen und tritt an dessen Stelle. Eine naheliegende (die SZ würde sicher schreiben: nahe liegende) Sünde für einen Zeitungsmacher, dem das geschriebene Wort näher liegt als das Ereignis. Die Pointe liegt darin, dass auch nach neuer Rechtschreibung klar stellen gar nicht existiert noch in irgendeinem Stadium der Reform existiert hätte.
Detlev Schulten, Leipzig
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Kommentar von derStandard.at, verfaßt am 29.07.2006 um 09.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4659
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DER STANDARD, der bereits 1999 die neue Rechtschreibung einführte, wird diese beibehalten
Die Frage der künftigen Rechtschreibung stellt sich nun erneut auch für Zeitungen und Presse-Agenturen. Um es vorwegzunehmen: Auch hier ist künftig hinsichtlich der strittigen Punkte ein Ende der Einheitlichkeit zu erwarten.
Zwar beschlossen sowohl die Nachrichtenagenturen als auch die Mehrzahl der Printmedien, sich an die neue Rechtschreibung zu halten - im Detail allerdings herrschen Unterschiede: Wollen sich die Agenturen "bei Varianten überwiegend für die klassischen Schreibweisen" von vor 1996 entscheiden, gibt die Süddeutsche Zeitung, die wie der Springer Verlag zur neuen Rechtschreibung zurückkehrt, an, sich "die Duden-Empfehlungen zu Eigen zu machen". - Nachsatz: "... so weit, als diese in sich konsequent sind."
DER STANDARD, der bereits 1999 die neue Rechtschreibung einführte, wird diese beibehalten, in Übereinstimmung mit den Presse-Agenturen. Mit Einschränkung. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.7.2006)
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Kommentar von Berliner Zeitung, verfaßt am 29.07.2006 um 09.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#4660
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Trügerischer Rechtschreibfrieden
Reform - Vom 1. August an wird die ganz neue Orthografie verbindlich. Doch die Lage bleibt verwirrend, vor allem für Schüler und Lehrer. Der Duden bietet Varianten und Empfehlungen für Zweifelsfälle.
Torsten Harmsen und Daniela Zinser
BERLIN. Eigentlich sollte der zehn Jahre dauernde Streit um die deutsche Rechtschreibung ein Ende haben, wenn am Dienstag die Reform der Reform in Kraft tritt und für alle Schulen und Ämter verbindlich wird. Allein im vergangenen Jahr hatte der Rat für deutsche Rechtschreibung das Werk noch mehrfach reformiert. Nun fordert der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair (CSU) Ruhe an der deutschen Rechtschreibfront und eröffnet zugleich das Feuer: Dem Duden-Verlag wirft der ehemalige bayrische Kultusminister vor, die Ratsbeschlüsse in seiner neuen Ausgabe vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung bewusst zu missachten, um seinen Monopolanspruch zu verteidigen.
Der neue Duden - die 24. Auflage ist frisch auf dem Markt - empfiehlt für 3 000 Wörter mit mehreren möglichen Schreibweisen eine Variante. Mit diesen gelb unterlegten Empfehlungen unterlaufe er häufig die Neuregelungen des Rates, kritisiert Zehetmair. Etwa, wenn der Duden empfiehlt, sitzen bleiben in jeder Bedeutung auseinander zu schreiben, während nach den Neuregelungen des Rechtschreibrates wieder unterschieden wird zwischen sitzenbleiben (in der Schule) und sitzen bleiben (auf seinem Platz).
"Herr Zehetmair kennt offenbar die von ihm mitgetragenen Regeln nicht", wehrt sich Duden-Sprecher Klaus Holoch. Der Duden unterlaufe an keiner Stelle die Arbeit des Rechtschreibrates. "Sitzenbleiben im Sinne von Nicht-versetzt-Werden kann man nach den Neuregelungen getrennt und zusammen schreiben", sagt Holoch.
Die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer stimmten im März den letzten Änderungen zu. Allerdings will der Rechtschreibrat Sprachentwicklungen weiter beobachten und Regelanpassungen vorschlagen - wie es der Duden-Verlag vor 1996 getan hatte.
Die letzte Reformfassung, an der sich auch die Berliner Zeitung orientiert, macht es allen nicht einfach - vor allem Lehrern und Schülern nicht. Was gilt jetzt als richtig, was als falsch? Welche Zensur kriegt man wofür? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Denn im Ergebnis der reformierten Reform hat man nun viele verschiedene Wahlmöglichkeiten. Die etwa 3 000 Varianten, die Silbentrennung nicht eingerechnet, die im neuen Duden zu finden sind, entstanden vor allem durch die vielen nachträglichen Korrekturen des Reformwerks seit 1996. Schon 2004 war eine veränderte Fassung beschlossen worden. Der 39-köpfige Rat für deutsche Rechtschreibung wurde 2004 eingesetzt, um nach langem Streit den "Rechtschreibfrieden" wieder herzustellen. Ihm gehören Sprachinstitute, Verlage, Akademien, Journalisten, Buchhändler, Redaktionen und Gewerkschafter an, und er drehte die Reform in wichtigen Teilen zurück: bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, der Silbentrennung und der Zeichensetzung.
Zu den Varianten, die jetzt zugelassen sind, gehören: "Portemonnaie oder Portmonee", "Katarrh oder Katarr", "tief liegend oder tiefliegend", "privat versichert oder privatversichert", "substantiell oder substanziell". Der neue Duden unterlegt mit gelber Farbe die Varianten, die er empfiehlt. Diese sind oft die alten, die vor 1996 galten, etwa "hierzulande statt: hier zu Lande", "Handvoll statt: Hand voll" oder oder "Sketch statt: Sketsch". Zehn Jahre hat es gebraucht, um wieder dort anzukommen, wo man aufgebrochen ist.
Berliner Zeitung, 29.07.2006
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 24.10.2012 um 07.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#9169
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Ist der Fall diät/Diät im Rat überhaupt einmal diskutiert worden?
Duden leugnet mittlerweile die Existenz des Adjektivs "diät" in jeder Form und bietet nur noch "diätisch" (auch online ist nichts mehr zu finden).
Bertelsmann (www.wissen.de/wissensserver/search?keyword=di%C3%A4t) bietet (unter "Fremdwörterlexikon") einen Eintrag, der als einigermaßen realistisch erscheint, aber der amtlichen Regelung widerspricht:
di|ät ‹Adjektiv› der Diät entsprechend, mäßig; er lebt ~...
Di|ät ‹f. -, -en› eine der Konstitution (des Kranken) gemäße Lebens- u. Ernährungsweise, Schonkost, Krankenkost; (strenge) ~ (ein)halten; eine ~ verordnen; nach einer bestimmten ~ leben
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.09.2013 um 05.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=491#9619
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Es ist nicht leicht, für bis du schwarzwirst überhaupt einen Beleg zu finden. Google fragt zurück: "Meinen Sie Schwarzwurst?"
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