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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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08.03.2006
 

Reiner Kunze
Weiterhin zwei Orthographien

Im Rundfunk hörte ich, der Kultusminister des Saarlandes habe geäußert, nun müßten alle Zeitungen und Zeitschriften „Verantwortung übernehmen“ und die neuen Schreibweisen einheitlich einführen.

Verantwortung zu übernehmen kann aber nur heißen, auch künftig all das zurückzuweisen, was das Sprachgefühl der Kinder, die intuitive, vom Regelwissen unabhängige Sprechkompetenz beschädigt und vom Rat für deutsche Rechtschreibung in seiner Mehrheit von Verursachern und Befürwortern des Reformskandals unkorrigiert gelassen oder zur Variante umgewidmet worden ist.

Auf die SPIEGEL-Frage, was sein würde, wenn die Rechtschreibreform „auch nach zehn oder zwanzig Jahren … immer noch nicht angenommen wurde“, antwortet Herr Professor Nerius: „Dann muss zurückgerudert werden … Das Volk ist der Souverän.“ Wenn das Volk weitere zehn oder zwanzig Jahre warten muß, bis es wieder der Souverän sein darf, werden wir tun, was wir tun können, damit die hochentwickelte Orthographie, die bis 1996 verbindlich war, nicht in Vergessenheit gerät. Frau Professor Wanka sagt: „Die Kultusminister wissen längst, dass die Reform falsch war … Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“ Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß wir nicht bis in alle Ewigkeit von Personen regiert und redigiert werden, die sich diesem Begriff von Staatsräson verpflichtet fühlen.



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Kommentare zu »Weiterhin zwei Orthographien«
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 08.03.2006 um 09.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3384

Man kann nicht deutlich genau darauf hinweisen, daß Politiker zur Verteidigung der selbst als äußerst mangelhaft erkannten Rechtschreibreform den Begriff der »Staatsräson« bemühen. Auf die Begründung einer staatlichen Handlungsweise mit der »Staatsräson« greift der Staat eigentlich nur zurück, wenn er in äußersten Notstand geraten ist. Ein Bekenntnis, daß der Staat sich mit der Einführung der Rechtschreibreform selbst in einen solchen äußersten Staatsnotstand gebracht hat, ist doch eine Sensation - aber komischerweise bemerkt das fast niemand.


Kommentar von David Weiers, verfaßt am 08.03.2006 um 09.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3385

Das bemerkt fast niemand, weil die Lüge von der Fortschrittlichkeit der Reform von Anfang an auf so fruchtbaren Boden gefallen ist.
Es ist in diesem Land anscheinend leicht, im Zeichen des Fortschrittes und zum Wohle der Kinder etwas der Bevölkerung aufzunötigen, was dann aber überhaupt nicht mehr hinterfragt wird. Denn Fortschritt und das Wohl der Kinder -- ein Satan, wer an diesen hehren Motiven zu zweifeln wagt!

Wäre vor zehn Jahren das Kupieren von Kinderohren in ebendieser Art und Weise eingeführt worden, trügen heute alle Eltern ihren Nachwuchs zum Metzger.
Denn (und auch ich wiederhole mich): Was der Führer sagt, ist immer richtig.



Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 08.03.2006 um 09.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3388

»Staatsräson«: der Begriff ist in diesem Zusammenhang grob unangebracht. Klingt nur mehr nach »Sachzwang« als der angebrachte Begriff der »Gesichtswahrung«.


Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 08.03.2006 um 10.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3390

Jawohl, lieber Herr Lachenmann, auf die Komik, die in dem ganzen steckt, versuche auch ich immer wieder hinzuweisen. Und wie Sie ziehe ich daraus den Schluß, daß die Staatsmacht im Zustand äußerster Schwäche handelt. Es ist so, wie wenn der Bundeskanzler auf seiner Richtlinienkompetenz bestehen muß. Nicht der Streit ist zu Ende, wie so viele den Propagandisten nachbeten, die Reform selbst liegt in den letzten Zügen. Die Zeitungen, die jetzt abermals umstellen, tauschen ihr Qualitätswerkzeug gegen Ramsch ein. Das Komischste ist aber, daß alle wissen, daß die Reform keinen Bestand haben wird, und trotzdem oder gerade deswegen große Töne spucken. Das geht nur mit Lügen und Selbsttäuschung. Je "kritischer" einer vorher war, umso stärker muß er sich nun verrenken - ein köstliches Schauspiel, wenn man Sinn für derlei Komik hat. Und lernen kann man in diesen Tagen sowieso wieder eine Menge.


Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 08.03.2006 um 10.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3392

Ein wahrer Segen

Liebe Rechtschreibfreunde, bedenkt doch bitte einmal, wie schwer bis unmöglich der Weg in die Öffentlichkeit wäre, wenn es das Internet nicht gäbe. Selbst wenn uns alle Zeitungen totschwiegen, könnten wir uns immer noch frei äußern in der Gewißheit, daß unser Forum als die maßgebliche Diskussionsplattform von beiden Seiten rege besucht wird. - Und jetzt geh ich spenden...


Kommentar von David Weiers, verfaßt am 08.03.2006 um 10.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3393

Joa, die Komik in dem Ganzen kann man wirklich nicht leugnen.

Ich kann mir gut vorstellen, daß sich der ein oder andere Verlag jetzt klammheimlich zurückorientieren will, aber über den Umweg der reformierten Reformreform, um nicht aufzufallen. Das allein fände ich schon komisch genug. Und ich könnte mir auch vorstellen, daß die nächste Reform schlicht und einfach in der Rückkehr zur normalen Rechtschreibung mündet. Allzu lange bis zur nächsten Runde kann's ja eigentlich nicht mehr dauern, denn alle haben ja nun mehr oder minder eingesehen, daß die Einheit der Rechtschreibung kaputt ist; aber alle wollen im Sinne der Einheit einen höchst uneinheitlichen Mist mitmachen...

Erinnert mich an eine Szene aus einem Asterix-Heft, wo der Pöbel jubelt: "Es lebe unsere Prinzessin, die für uns sterben wird!" Die Reaktion des eigentlichen "Bösewichtes" (sofern das bei Asterix geht) fällt dann so aus: "Oh, es gibt doch viele Idioten!"

Also so gesehen sind wir hier doch alle fein raus. Und richtig schreiben können wir auch, sind also von vornherein jeder Reform gegenüber im Vorteil.

Trotzdem ist es ein Trauerspiel.


Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 08.03.2006 um 10.39 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3394

Was tut jetzt not? Zu fordern ist die Nichtdiskriminierung einer Mehrheit.
Klassische Orthographie darf nirgends und in keiner Weise diskriminiert werden, auch nicht in der Schule per Rotstift. Dort muß sie sogar auf den Lehrplan, denn es darf nicht geschehen, daß Klassiker sowie alle Literatur des 20. Jahrhunderts (die Masse dieses Schrifttums wird man nicht konvertieren können) von Heranwachsenden und Reform-Mitläufern als veraltet, nicht mehr zeitgemäß, uncool oder sonstwie negativ abgetan werden, denn das wäre Diskriminierung eines wichtigen Teils unserer Kultur - natürlich nicht gewollt, aber im Ergebnis.



Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 08.03.2006 um 10.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3395

SZ-Kündigungsschreiben fertig

FAZ-Probeabo bestellt

Eingespartes Geld wird heute abend an FDS überwiesen


Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 08.03.2006 um 13.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3411

In den 60er Jahren gab es den Schlachtruf:"Enteignet Springer!" Inzwischen enteignet er sich selbst.


Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 08.03.2006 um 13.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3412

Für die reiferen Jahrgänge (kratzbaums Lieblingsverse)

Seltsam sind des Glückes Launen,
Wie kein Hirn sie noch ersann,
Daß ich meist vor lauter Staunen
Lachen nicht noch weinen kann!
Aber freilich steht auf festen
Füßen selbst der Himmel kaum,
Drum schlägt auch der Mensch am besten
Täglich seinen Purzelbaum.
Wem die Beine noch geschmeidig,
Noch die Arme schmiegsam sind,
Den stimmt Unheil auch so freudig,
Daß er´s innig lieb gewinnt!

(F. Wedekind, "Bajazzo")


Kommentar von Thomas Paulwitz, verfaßt am 08.03.2006 um 14.39 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3417

Beim Kunze-Artikel fehlt die Quellenangabe:

Deutsche Sprachwelt, Ausgabe 23, Seite 11

(erscheint eigentlich erst zur Leipziger Buchmesse)


Kommentar von Red., verfaßt am 08.03.2006 um 15.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3420

Quelle ist in unserem Falle Reiner Kunze selbst, der aber natürlich frei ist, seine Texte auch andernorts zu verbreiten.


Kommentar von GL, verfaßt am 09.03.2006 um 06.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3433

Juristisch wird Verantwortung als die Pflicht einer Person (in diesem Fall die Kultusminister) verstanden, für ihre Entscheidungen und Handlungen Rechenschaft abzulegen.

Es werden unterschieden:

- Handlungsverantwortung
- Ergebnisverantwortung
- Führungsverantwortung

In jedem Fall besteht eine Rechenschaftspflicht hinsichtlich der Art der Aufgabendurchführung, der Zielerreichung und der wahrgenommenen Führungsaufgaben.

Wie können Kultusminister nach ihrem selbstverschuldeten Desaster Zeitungen und Zeitschriften vorschreiben, sie hätten Verantwortung zu übernehmen? Und wo ist der Rechenschaftsbericht der Kultusminister geblieben?


Kommentar von Hamburger Morgenpost, 4. 3. 2006, verfaßt am 21.04.2006 um 10.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3964

Bornierte Verlage

STEPHANIE LAMPRECHT

"Daß" ist falsch, so lernen die Kinder es seit Jahren in der Schule. Auch die starrsinnigen alten Männer, die sich gegen die neue Rechtschreibung in Stellung brachten, werden das "daß" nicht wiederbeleben. Viele Buchverlage allerdings setzen sich borniert über das hinweg, was endlich und vernünftigerweise als neue Rechtschreibung verabschiedet wurde. "Die Autoren wünschen die alte Rechtschreibung", heißt es. Nun gut, irgendwann wachsen junge Autoren nach. Aber warum werden auch Übersetzungen stur nach den alten Regeln verlegt? Damit zwingt eine Hand voll Verlage ihren Lesern ihr unzeitgemäßes Verständnis von falsch und richtig auf. Und das ist weder ihre Aufgabe noch ihr Recht.


Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 21.04.2006 um 14.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3965

Als Lösung der Misere wird wohl nur übrigbleiben, dass und daß ganz abzuschaffen und wie im Englischen ohne die graphische Unterscheidung von Relativpronomens und Konjunktion auszukommen, so wie einige es ja vorhatten. Auf dem Umweg über den Schlamassel ist es dann erreicht.


Kommentar von Ein Besucher, verfaßt am 22.04.2006 um 01.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3966

Die Hamburger Morgenpost hat in Hamburg auch Werbeplakate aufhängen lassen:

"Neue Rechtschreibung – für die MOPO selbstverständlich"


Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.04.2006 um 09.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=432#3971

Herr Wrase hat vor längerer Zeit in www.rechtschreibreform.com ausgeführt, daß Strategien zur Vermeidung des "daß" beobachtet werden können.
Solche Methoden äußern sich in sogenannten "abhängigen Hauptsätzen", d.h. in Sätzen, die der Form nach Hauptsätze sind, aber den Wert von Nebensätzen haben.
Ihre Verwendung trifft zusammen mit der Vermeidung umfangreicher Satzklammern und größerer Satzgefüge aus geschachtelten Nebensätzen. Mittel dazu sind durch Kommas aneinandergereihte Hauptsätze, wie es der gesprochenen Sprache entspricht.



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