Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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16.02.2006
Werner Hauck
Morgenröte nach den Sturmwolken
Werner Hauck, Vertreter der schweizerischen Bundeskanzlei im Rat für deutsche Rechtschreibung, schreibt in der NZZ den Konsens bei der Rechtschreibreform herbei.
Trotz knappen Verfahrenswegen und Blockierungen durch Partikularinteressen scheint die Reform der Rechtschreibung doch noch ins Ziel zu kommen. Nachfolgend skizziert der Bundesvertreter im Rat für deutsche Rechtschreibung diesen Weg zum Konsens und kontert dabei auch die in diesem Blatt vorgetragene Kritik des Lehrerdachverbandes. (NZZ)
In den letzten neun Jahren haben die Auseinandersetzungen um die Rechtschreibreform die Gemüter enorm erhitzt und viele Kräfte gebunden. Die Ursache lag auch am Reformwerk selbst. Es war geprägt von der Vorstellung, man könne der Sprache, einem lebendigen Organismus, mit starren Regeln völlig gerecht werden. Es hat sich etwa Eingriffe in Wortbildungsmechanismen gestattet und so von Schreibenden und Lesenden verlangt, gegen ihr Sprachgefühl zu verfahren. Anderseits haben die Reformer sich mit unverständlicher Hartnäckigkeit geweigert, die Kritik am Reformwerk ernst zu nehmen. Vielmehr haben sie darauf vertraut, die Zeit würde die Kritik schon zum Verstummen bringen und dem Reformwerk unantastbare Geltung verleihen. Sie haben so einen sich ständig fortzeugenden Streit und die Gefahr eines Grabens zwischen Schule und Praxis in Kauf genommen.
Die Politik war gefordert
Kathy Riklin, die Präsidentin der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates, brachte es auf den Punkt: „Wir müssen verhindern, dass Schule und Praxis auseinander driften“, sagte sie und verlangte in einem Postulat eine konsensfähige Lösung. Der Bundesrat folgte ihr. In seiner Antwort betonte er das grosse Interesse der Schweiz an einem solchen breiten Konsens und wünschte, dieser solle erreicht werden „durch eine Änderung des neuen Regelwerks, wodurch die bisher möglichen Bedeutungsdifferenzierungen durch Zusammen- und Getrenntschreibung erhalten bleiben“. Zur Ermöglichung eines Konsenses wurde gegen Ende 2004 die Zwischenstaatliche Kommission durch einen Rat für deutsche Rechtschreibung ersetzt, in dem alle interessierten Kreise vertreten sind. Der Rat stand unter grossem Zeitdruck. Weil im August 2005 die Übergangsfrist des Reformwerks ablief, musste er innert weniger Monate eine tragfähige Lösung präsentieren. In beeindruckender Effizienz und konstruktiver Zusammenarbeit hat er denn auch die besonders umstrittenen Teile des Regelwerks neu formuliert.
Die wichtigsten Änderungen darin: In der Getrennt- und Zusammenschreibung sollen unterschiedliche Wortbedeutungen wieder sichtbar gemacht werden – also beispielsweise: sitzen bleiben (nicht aufstehen), aber sitzenbleiben (nicht versetzt werden). Bei der Silbentrennung soll nicht mehr ein einzelner Vokal abgetrennt werden können. Also nicht „Junia-bend“, sondern „Juni-abend“. In der Kommasetzung schliesslich wurde die kontraproduktive Liberalisierung etwas zurückgenommen, mit dem Ziel, dass die Lesenden den Satzbau ohne Schwierigkeiten auf einen Blick erkennen können.
Mit gutem Augenmass hat die NZZ von Anfang an diejenigen Regeln des Reformwerks nicht berücksichtigt, die ihr gegen die inneren Gesetze der Sprache gerichtet schienen. Das hat der Rat nun im Regelwerk festgeschrieben. Seine Lösung entspricht deshalb ganz der sprachlichen Philosophie dieser Zeitung. Und die hat sich durch alle Stürme hindurch bewährt. Man kann deshalb mit Fug und Recht sagen: Der Rat hat den Konsens geschafft. Dass ihm dies in einer Situation allgemeiner Zerstrittenheit in kurzer Zeit gelungen ist, dafür gebührt ihm und seinem Vorsitzenden Zehetmair hohes Lob.
Falsche Kritik an deutscher Dominanz
In der NZZ vom vergangenen 25. Januar wurde von einem offenen Brief des Lehrerdachverbandes an die EDK berichtet, der die Lösung des Rates nicht gutheisst. Die Rede ist dort auch von deutscher Dominanz, von ungebührlichem Arbeitstempo und davon, die Schweizer Delegation sei vom Vorsitzenden des Rates häufig gemassregelt worden. Diese Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage. Natürlich ist der Ärger der Lehrer verständlich. Es ist nicht schön, das, was man als richtig gelehrt hat, ändern zu müssen. Nur ist dafür nicht der Rat verantwortlich. Hätte man von Lehrerseite die Kritik an der Reform ernst genommen und hätte man nicht wider besseres Wissen einfach auf Zeit gespielt, dann wäre den Lehrern – und nicht nur ihnen – viel Ärger erspart geblieben. Jetzt aber sollten die Lehrervertreter die Lösung in konstruktivem Geist mittragen, denn wir lehren und lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben. Der Lehrerdachverband vergisst, dass die Mehrheit der Schweizer Delegation die Lösung des Rates nicht bekämpft, sondern zu diesem Konsens beigetragen hat.
Neue Zürcher Zeitung, 16. Februar 2006, S. 15
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 23.02.2006 um 03.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#3007
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Th. Ickler: »Hauck selbst gehört freilich zu den Altlasten, was ich bisher zu erwähnen meist vermieden habe.«
Siehe dazu hier.
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Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 17.02.2006 um 15.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2974
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| Einen unpassenderen als diesen alten lateinischen Spruch (Non scolae ...) kann man zur "Rechtschreibreform" eigentlich nicht zitieren.
Einen _besseren_ Spruch als den von Seneca kann man zur Rechtschreibreform eigentlich nicht zitieren. Im Original lautet er bekanntlich "Non vitae sed scholae discimus" – "Nicht fürs Leben, sondern für die Schule lernen wir". Der olle Seneca hat mit diesem Spruch das altrömische Bildungswesen kritisiert – und auch heute paßt dieser Spruch noch wie die Faust aufs Auge.
Vor der verballhornten Version allerdings, bei der die sinntragenden Substantive vertauscht sind, sollte man sich in der Tat hüten.
:-)
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Kommentar von Anita Schühly, verfaßt am 17.02.2006 um 12.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2973
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Meidinger, der Vorsitzende des Philogogenverbandes, schließt seine Stellungnahme zum jetzigen Stand der Rechtschreibdiskussion mit den Worten: "Es geht um eine zukunftsfähige, sachlich fundierte Lösung."
Eben!
An beidem fehlt es auch nach den bisherigen Reparaturen durch den Rechtschreibrat.
Der Philologenverband hat seine Verantwortung für die deutsche Sprache bisher nicht wahrgenommen. Unvergeßlich ist noch der Jubelartikel von Meidingers Vorgänger Durner. "Endlich Klarheit!" so überschrieb er seinerzeit seine Darstellung der neuen Regeln.
Wenn gewählte Vertreter schon ohne direkte Mitwirkung ihrer Wähler über wichtige Neuerungen entscheiden müssen, sollten sie dann nicht wenigstens die Basis befragen? Das Verbandsblatt "Gymnasium", das in den Händen eines jeden Verbandsmitglieds ist, hätte durchaus die Kollegen auf das Kommende vorbereiten und um Stellungnahmen bitten können.
Nachdem ich bis 1992 jahrzehntelang Deutsch an Gymnasien unterrichtet habe, möchte ich Herrn Meidinger daran erinnern, daß der Philologe der Liebhaber des Wortes, mithin der Sprache ist. Daher sein Name!
Und noch eins: Auch ein Bundestagsabgeordneter kann nicht vor jeder Entscheidung den Kontakt mit seinem Wahlkreis suchen. In wichtigen Fragen wird er sich aber um die Stimmung unter seinen Wählern kümmern müssen. Vielen Gesetzesvorhaben geht eine breite Diskussion voraus, vor allem in den seriösen Zeitungen. Im Fall der Rechtschreibreform hätte es dazu allerdings einer ausführlichen, sachgerechten, frühzeitigen und vor allem ehrlichen Information bedurft.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 17.02.2006 um 10.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2972
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Übersetzung aus Hauck
"Es ist nicht schön, das, was man als richtig gelehrt hat, ändern zu müssen." = Es ist nicht schön, sondern "stossend" (wie man im Schweizerdeutschen sagt), auf staatliche Anordnung wider besseres Wissen und pädagogisches Ethos Falsches lehren zu müssen.
"Jetzt aber sollten die Lehrervertreter die Lösung in konstruktivem Geist mittragen..." = Die Lehrer sollten es beim Korrigieren nicht allzu genau nehmen. (Es kennt sich sowieso niemand aus.) Idealerweise sollen sie ihren Schülern das Falsche als richtig beibringen und voll dahinterstehen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2006 um 09.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2971
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Man muß natürlich bedenken, daß Hauck sich in erster Linie gegen die Sitta-Schule wendet, die nicht nur den Lehrerverband und die gesamte schweizerische Deutschdidaktik beherrscht, sondern auch die EDK. Es ist ja kein Zufall, daß die EDK außer Sitta noch drei seiner Schüler in den Rat schickte, so daß Hauck praktisch allein war, denn Siegel scheidet ja aus, und Dové steuert den NZZ-Kurs. Zur Anhörung wurde der schwächste Sitta-Schüler als einzige Einzelperson gebeten, worüber sich der arme Herr Looser selbst höchlich wunderte. Die Schweiz muß sich erst nach und nach aus der Verstrickung in Sittas Spinnennetz lösen. Insofern ist Haucks Verteidigung des Rates ganz richtig. Leider mit Nebenwirkungen.
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 17.02.2006 um 09.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2970
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"Jetzt aber sollten die Lehrervertreter die Lösung in konstruktivem Geist mittragen, denn wir lehren und lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben."
Einen unpassenderen als diesen alten lateinischen Spruch (Non scolae ...) kann man zur "Rechtschreibreform" eigentlich nicht zitieren. Hätten die "Reformer" ihn ernst genommen, hätte es nicht einmal Vorüberlegungen zu einer "Reform" gegeben, die Schulpraxis hätte sich weiterhin am Leben bzw. an der lebendigen Sprache orientiert. Heute lernen Kinder für unfähige Schulpolitiker, und der großen Mehrheit der Erwachsenen wird der Vorwurf gemacht, "unflexibel" nicht für die Schule umlernen zu wollen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.02.2006 um 06.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2969
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Der "Zeitdruck" ist nur ein Vorwand. Die erste Amtsperiode des Rechtschreibrates beträgt sechs Jahre, er ist in keiner Weise an irgendwelche Terminvorgaben von anderer Seite gebunden. Die Kultusminister haben, weil der Rat ihnen zu langsam arbeitete, die Übergangszeit teilweise bereits verlängert und hätten jederzeit eine nochmalige Verlängerung (Moratorium) beschließen können, wie es ja auch oft gefordert und erwogen wurde. Sie wollten nicht, und Zehetmair hat ihnen zugesichert, daß die Sache klappen werde, sobald er die Zeitungsverlage gewonnen haben würde.
Die deutsche Dominanz ist eine Tatsache und wird mit Recht kritisiert. Darüber gab es schon anläßlich der Gründung des Beirates ein Zerwürfnis, an das sich Herr Hauck doch wohl noch erinnern dürfte.
Daß im Rat alle "interessierten" Kreise vertreten sind, ist allerdings richtig, wenn man das Wort "Interesse" richtig interpretiert.
Warum sagt der ehrenwerte Dr. Hauck so etwas? Warum lobt er genau wie Zehetmair den "Konsens", als sei der eine Leistung oder gar ein großes Wunder? Wir wissen doch, wie der Rat zustande kam und besetzt wurde. Hauck selbst gehört freilich zu den Altlasten, was ich bisher zu erwähnen meist vermieden habe.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 17.02.2006 um 03.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=405#2966
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Herr Hauck scheint bereits vergessen zu haben, was er zum § 34 mitbeschlossen hat. Die Neufassung schreibt die Differenzierung unterschiedlicher Wortbedeutungen durch Getrennt- oder Zusammenschreibung nicht vor, sie erlaubt sie lediglich in bestimmten Fällen. Ebenfalls darf zwischen kennen lernen und kennenlernen unterschieden werden, obgleich es diesen Unterschied nicht gibt. Vgl. § 34 E 7.
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