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19.07.2005
„Im Laufe der Jahre wird man klüger“
Ein SZ-Gespräch mit Hans Zehetmair
Der Traum ist aus. Die neue Rechtschreibung nicht mehr neu, sondern eine »Altlast«. Und Zehetmairs »Problem« im Rechtschreibrat sind »eine Menge Persönlichkeiten, die an der Altlast mittragen«.
»„Jetzt Fehler anzurechnen, ist nicht sinnvoll“
Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rates für Rechtschreibung, mahnt die Länder zur Besonnenheit
Das Ringen um die Rechtschreibreform ist in die nächste Runde gegangen. Bayern und Nordrhein-Westfalen wollen zum 1. August Teile der Regeln nicht in Kraft setzen, wie es die Kultusministerkonferenz (KMK) Anfang Juni beschlossen hatte. Der Vorsitzende des Rates für Deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, begrüßt die Entscheidung, da sie zu weniger Verunsicherung unter Schülern und Lehrern führe.
SZ: Erstaunt Sie nicht das Verhalten der bayerischen Staatsregierung?
Zehetmair: Ich habe in den vergangenen Monaten den Kultusministerkollegen immer wieder gesagt, dass es Verantwortungsbereich der KMK ist, was sie wann und wie für die Schulen verordnen; und dass es Sache des Rates ist, davon unabhängig den Auftrag zu erfüllen, für die Einheitlichkeit der Sprache zu sorgen, und evidente Ungereimtheiten auszumerzen. Bei 38 Ratsmitgliedern ist es jedoch nicht einfach, einen Zweidrittelkonsens herzustellen. Ich kann also gut nachvollziehen, dass man nicht Teilbereiche in Kraft setzen will. Schließlich kann ich dem Rat nicht Grenzen setzen, sich zu bestimmten Sachverhalten nicht mehr zu äußern.
SZ: Wenn Bayern und NRW einen anderen Weg beschreiten, kann von einer Einheitlichkeit der Sprache nicht mehr die Rede sein.
Zehetmair: Seien wir ehrlich: Wir haben schon seit einigen Jahren die nicht erfreuliche Situation, dass ein Auseinanderdriften in der Handhabung der Rechtschreibung festzustellen ist. Als Beispiel nenne ich nur den Printmedienbereich. Was die Schule betrifft, so geht es darum, dass ab 1. August bestimmte Dinge nun als Fehler angerechnet werden sollen, die bisher nur korrigiert wurden. In einer so labilen Situation, wie wir sie haben, halte ich dies nicht für sinnvoll.
SZ: Sie befürchten also keinen Rückfall in die Kleinstaaterei, wenn nun jedes Land nach Lust und Laune Rechtschreibregeln einführt oder auch nicht?
Zehetmair: Nein überhaupt nicht. In der Schweiz haben wir eine ähnliche Lage. Die Erziehungsverantwortlichen der Kantone setzen die Rechtschreibung in der Teilreform zum 1. August um, nicht aber die Verwaltung. Sie will warten, bis der Rat zum Abschluss kommt. Es geht hier nicht um einen Konflikt zwischen den Ländern. Es gibt nur zwei Haltungen: Die einen starten mit der Teilumsetzung, die anderen warten damit noch.
SZ: Führt das nicht bei Schülern und Lehrern zu Verunsicherungen?
Zehetmair: Nein, es verändert sich in Bayern oder in NRW nichts im Vergleich zum abgelaufenen Schuljahr. Vielmehr bleiben Lehrer jetzt bei der Handhabe, die sie bereits beherrschen. Ich denke, das neue Schuljahr kann genutzt werden, Schüler für die Sinnunterschiede etwa der Getrennt- und Auseinanderschreibung zu sensibilisieren. Sie sollen den Unterschied verstehen lernen zwischen einem viel versprechenden Politiker, der dann nichts hält, und einem viel versprechenden, auf den man baut.
SZ: Was das anbelangt, so gab es einen einstimmigen KMK-Beschluss, an den sich Bayern und NRW nun nicht mehr halten wollen. Selbst der Philologenverband spricht inzwischen vom Zickzackkurs der Politik.
Zehetmair: Es wäre unredlich, wenn man wegdiskutieren wollte, dass der ganze Vorgang Rechtschreibreform kein Ruhmesblatt ist. Das trifft aber nicht nur auf Bayern zu, sondern gilt generell. Ich habe das Problem, dass ich in dem Rat eine Menge Persönlichkeiten habe, die an der Altlast mittragen. Daher muss ich schauen, dass ich diese Leute integriere, sonst bekomme ich keine Zweidrittelmehrheit, die ich haben muss. Was aber die Verunsicherung betrifft, ist sie dort größer, wo man sagt, man führt die Reform nun ein, nur die Bereiche, die noch strittig sind, bleiben außen vor.
SZ: Sie selbst haben in den vergangenen Jahren mehrmals Ihre Position zur Rechtschreibreform geändert.
Zehetmair: Im Laufe der Jahre wird man klüger. Mir ist klar geworden, dass es ganz gefährlich ist, wenn die Rechtschreibung an dem Empfinden der Menschen vorbei zu sehr akademisch betrieben wird. Sie muss auf den Sprachgebrauch des unverbildeten Bürgers achten. Das ist unsere Leitlinie. Das haben uns auch Verlage und Printmedien deutlich gemacht, die übrigens, wie man am Beispiel der SZ sieht, wenn ich das so sagen darf, auch mit der Reform gerungen haben. Lediglich Spiegel, FAZ und Springer-Verlag zeigen sich nach wie vor resistent gegenüber einer Reform, geben aber zu erkennen, dass sie an einer Annäherung Interesse haben.
SZ: Wäre es rückblickend besser gewesen, es hätte nie eine Reform gegeben?
Zehetmair: Wäre sie nicht schon am Laufen, hätte ich sie nicht initiiert.
SZ: Wird also bis zum Beginn des Schuljahres 2006/2007 eine einheitliche Reform für alle Länder stehen?
Zehetmair: Für alle Länder sowie in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Südtirol. Nach fünf mühevollen Sitzungen, in denen wir den schwierigsten Block der Getrennt- und Auseinanderschreibung hinter uns gebracht haben, bin ich guter Dinge, dass wir in der Silbentrennung und in der Interpunktionsfrage auch eine Mehrheit herbringen. Nur sollen sich die nicht Hoffnung machen, die alles zurückschrauben wollen.
SZ: Und was geschieht am 1. August?
Zehetmair: Viele werden ihren Schulen auf leisen Sohlen sagen, sie sollen nicht so sehr auf Fehlerschärfe, sondern auf pädagogische Chance setzen.
Interview: Christine Burtscheidt«
(Süddeutsche Zeitung, 19.7.2005, Seite 5 )
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Kommentar von Süddeutsche Zeitung, verfaßt am 18.07.2005 um 19.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1220
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»Abstimmung am Telefon
Unionsländer beraten über Reform-Stichtag 1. August
München (SZ) -- Der Entschluss Bayerns und Nordrhein-Westfalens, die Rechtschreibreform zu verschieben, wird von der Mehrzahl der anderen Länder kritisiert. In Bayern kündigte Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) an, er werde die bisher geltende Übergangsfrist, in der neue und alte Schreibweisen gültig sind, "bis auf weiteres verlängern". Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) will vor Einführung der neuen Regeln die Beratungen des Rats für Rechtschreibung abwarten. Die beiden Bundesländer setzen sich damit über einen einstimmigen Beschluss der Kultusministerkonferenz hinweg, die Reform am 1. August verbindlich in Kraft zu setzen. Die CDU-geführten Länder wollen an diesem Dienstag ihr Vorgehen abstimmen. Dies soll in einer Telefon-Konferenz geschehen. Umstritten sind die neuen Regeln zur Worttrennung, zur Schreibweise von Fremdwörtern und zur Groß- und Kleinschreibung.
Baden-Württemberg: Stuttgart zeigte sich verwundert über den Vorstoß aus München und Düsseldorf. Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) will sich um eine einheitliche Lösung bemühen. Die Haltung des Landes ist noch offen.
Berlin: Die rot-rote Koalition kritisiert das Ausscheren von Bayern und NRW. Wenn Entscheidungen nachträglich in Frage gestellt würden, sei Politik nichts mehr wert, hieß es beim Senat.
Brandenburg: Die große Koalition zeigt wenig Verständnis für einen Aufschub. "Wir stehen zu den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz -- alles andere führt zu Chaos", sagte ein Sprecher des Bildungsministeriums.
Bremen: Die große Koalition hält am Zeitplan fest. Wie ein Sprecher des Bildungssenators Willi Lemke (SPD) sagte, gelten die neuen Regeln vom 1. August an für alle Schulen.
Hamburg: Der Senat will am Zeitplan festhalten. "Die Senatorin sieht keinen Anlass für eine Verschiebung", sagte ein Sprecher der Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU).
Hessen: Die CDU-Regierung wolle den Beschluss der Kultusministerkonferenz wie geplant umsetzen, hieß es am Montag im Kultusministerium. "Hessen bleibt bei dem, was beschlossen wurde", sagt eine Sprecherin im Ministerium.
Mecklenburg-Vorpommern: Scharf verurteilt Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) die Initiative von Stoiber und Rüttgers. Lehrer würden verunsichert, Deutschland mache sich lächerlich, sagte Ringstorff.
Niedersachsen: Das Kabinett will am heutigen Dienstag über die Reform beraten. Die CDU/FDP-Regierung hatte im Herbst angeregt, die Übergangsfrist zu verlängern. Das Land könnte sich daher einem Aufschub anschließen. Berichte, nach denen Ministerpräsident Christian Wulff dies vorhabe, wollte ein Sprecher am Montag nicht bestätigen.
Rheinland-Pfalz: Die Schulen wurden informiert, dass die Reform am 1. August planmäßig umgesetzt wird. Für das Ausscheren von Bayern und Nordrhein-Westfalen zeigen Bildungsministerin Doris Ahnen und der Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) kein Verständnis.
Saarland: Einst hat die CDU-Regierung für eine Verschiebung plädiert. Nun kritisiert das Kultusministerium den Alleingang von Stoiber und Rüttgers. "Da wird nur Chaos produziert", sagt ein Sprecher.
Sachsen: Kultusminister Steffen Flath (CDU) sagt, er habe die Schulleiter mit der Nachricht in die Ferien geschickt, die Reform werde zum 1. August umgesetzt: "Wir können doch nicht jede Woche etwas anderes verkünden!".
Sachsen-Anhalt: "Die Einheit unserer Muttersprache sollte schwerer wiegen als ein neuer Vorschlag ", sagte der parteilose Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz. Der Vorstoß von Bayern und NRW könne das "Vertrauen in die Kalkulierbarkeit von Politik untergraben".
Schleswig-Holstein: Kiel hält am Fahrplan fest. Schüler bräuchten Verlässlichkeit, erklärten Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD).
Thüringen: Auch Erfurt stellt sich gegen die Stoiber-Rüttgers-Initiative. Was man in den Schulen brauche, sei "Verlässlichkeit für Eltern, Lehrer und Schüler", sagte Kultusminister Jens Goebel (CDU).«
( Süddeutsche Zeitung, 19.7.2005, Seite 5 )
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Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 18.07.2005 um 20.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1223
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Eines muß man beim Abzählen der Bundesländer, die nun die verbindliche Einführung der neuen Regeln mitmachen oder nicht, ganz deutlich hervorheben: Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen (womit man sicher rechnen kann) zusammen haben 38,5 Millionen Einwohner, also knapp die Hälfte der etwa 82 Millionen Einwohner Deutschlands. Knapp die Hälfte der deutschen Schulkinder müssen ab dem 1. August also keine Angst mehr haben, daß sie wegen der Verwendung "überholter", ab dann eigentlich falscher, Schreibweisen schlechte Rechtschreibnoten bekommen. Ich halte das für einen großen Fortschritt. Wobei natürlich das Ziel nach wie vor verfolgt werden muß, daß in ganz Deutschland Einheitlichkeit herrscht.
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 18.07.2005 um 22.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1224
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Wulff ist ein unsicherer Kandidat. In den 17-Uhr-Nachrichten fand er die Entscheidung "sehr, sehr schwierig" und deutete an, daß man auch als "Gegner der Rechtschreibreform" der Mehrheit folgen müsse.
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Kommentar von Gabriele Ahrens, verfaßt am 19.07.2005 um 08.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1229
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Stimmt. Das wird heute noch spannend. Die Nordwest-Zeitung berichtet:
"Schreibreform wird nicht gestoppt
HANNOVER/SE - Niedersachsen will die verbindliche Einführung der Rechtschreibreform zum 1. August offenbar nicht stoppen. Nach NWZ-Informationen wird die Landesregierung sich nicht dem Plan von Bayern und NRW anschließen, die Reform auf unbestimmte Zeit zu verschieben und an den Übergangsregelungen festzuhalten. Das Kabinett will heute darüber entscheiden. Aus dem Kultusministerium hieß es gestern, alles sei offen."
Andererseits meldete der NDR um 7.30 Uhr, daß Wulff gesagt habe, er halte die Reform für "von vornherein verkorkst", und daß "nach Informationen des NDR" mit einem Stopp gerechnet wird.
Übrigens hat der Landeselternrat (wie von Herrn Ickler vorausgesehen) schon dringend an den Ministerpräsidenten appelliert, Bayern und Nordrhein-Westfalen nicht zu folgen.
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Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 19.07.2005 um 08.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1230
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> Wulff ist ein unsicherer Kandidat. In den 17-Uhr-Nachrichten
> fand er die Entscheidung "sehr, sehr schwierig" und deutete an,
> daß man auch als "Gegner der Rechtschreibreform" der Mehrheit
> folgen müsse.
Dann soll er das mal tun. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der schreibenden Bevölkerung für ein Moratorium.
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Kommentar von Kölner Stadt-Anzeiger, 18.07.05, verfaßt am 19.07.2005 um 18.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1235
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»Jetzt ist das Rechtschreibchaos perfekt
Von Nathalie Waehlisch
Berlin - Der plötzliche Rückzieher von Bayern und Nordrhein-Westfalen bei der Rechtschreibreform sorgt für erheblichen Wirbel. Der Bundeselternrat und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierten am Montag die Ankündigung der beiden Länder, die verbindliche Einführung von Teilen der Rechtschreibreform zum 1. August nicht mitzumachen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sagte dagegen, ein Jahr zusätzliche Übergangszeit wäre sinnvoll. Die meisten anderen Länder - darunter auch einige mit CDU-Regierungsbeteiligung - bekräftigten, beim Stichtag zu bleiben und kritisierten teilweise den Vorstoß Bayerns und Nordrhein-Westfalens.
Dort sollen alte und neue Schreibweisen weiter parallel gelten, bis der Rat für deutsche Rechtschreibung Änderungsvorschläge vorlegt. Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen wollen dagegen an dem Beschluss der Kultusministerkonferenz festhalten.
In Niedersachsen, das dem Vorstoß vermutlich folgen wird, soll laut einem Sprecher des Kultusministeriums am Dienstag im Kabinett das weitere Vorgehen entschieden werden. Eine Festlegung gebe es allerdings noch nicht.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) will zwischen den Unions-geführten Bundesländern vermitteln. Ein Sprecher des Staatsministeriums in Stuttgart kündigte für Dienstagvormittag eine Telefonkonferenz auf Staatssekretärsebene an. Ziel sei ein einheitliches Vorgehen.
Im vergangen Monat waren die Unions-geführten Länder mit dem Versuch gescheitert, die Rechtschreibreform um ein Jahr zu verschieben. Nun sollen zum 1. August unter anderem neue Regeln zur Laut-Buchstaben-Zuordnung, zur Schreibung mit Bindestrich sowie zur Groß- und Kleinschreibung verbindlich werden.
Lehrerverbands-Präsident Kraus betonte: "Wir haben jetzt sieben Jahre Übergangszeit gehabt, da kommt es auf ein achtes Jahr auch nicht an." Die Perspektive, danach endlich "kein Provisorium, sondern etwas Abgeschlossenes" zu haben, sieht er positiv. Er appellierte an alle Bundesländer, sich darauf zu einigen, "ein Jahr dranzuhängen" und dann den Schulen "etwas Fertiges" zu bieten.
Der stellvertretende Vorsitzende des Bundeselternrates, Jörg Vogel, sagte, es sei ein Problem, wenn Kinder in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlich schrieben. Ein einheitliches Vorgehen wäre wichtig, forderte er.
Auch die stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer kritisierte, dass die Schüler erneut verunsichert würden. Den Schulen rät die GEW, bei der reformierten Rechtschreibung zu bleiben. Von den übrigen Ministerpräsidenten und Kultusministern erwartet die GEW, dass sie bei ihren Beschlüssen bleiben und sich von den beiden großen Bundesländern "nicht erpressen lassen".
Dagegen begrüßte der Elternverein Nordrhein-Westfalen die Entscheidung der Landesregierung. Auch der Thüringer Lehrerverband schloss sich den Vorschlägen Bayerns und Nordrhein-Westfalens an. (ddp)«
( Kölner Stadtanzeiger online, aktualisiert 19.07.05, 14:11h )
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Kommentar von Süddeutsche Zeitung, verfaßt am 19.07.2005 um 19.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1237
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Ein Ratsvorsitzender, der vor allem an die Schüler denkt
Zehetmair will eine Rechtschreibreform, die in den Schulen nicht zu dem befürchteten Chaos führt -- davon hat er wohl auch Stoiber überzeugt
Von Christine Burtscheidt
Wenn Hans Zehetmair etwas besonders gut beherrscht, ist es politisch zu taktieren. Es könnte also durchaus sein, dass er beim jüngsten Ausscheren Bayerns und Nordrhein-Westfalens aus dem Beschluss der Kultusministerkonferenz seine Finger im Spiel hatte. Aus CSU-Kreisen hieß es jedenfalls am Dienstag, Bayerns Regierungschef Edmund Stoiber habe auf eindringlichen Wunsch des Ratsvorsitzenden für deutsche Rechtschreibung gehandelt, als er am Wochenende erneut für eine Verschiebung der Reform eintrat. Offiziell weist das Zehetmair selbstverständlich von sich: "Ich habe den Kontakt mit der Politik bewusst gemieden", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Im selben Atemzug fügte er jedoch hinzu: "Entscheidend ist, dass in der Sache Qualität vor Zeitdruck steht."
Zum zweiten Mal binnen weniger Wochen sorgen Regierungschefs unionsgeführter Länder zusätzlich für Unruhe im an sich schon heillosen Durcheinander der Rechtschreibreform. Doch Bayern und Nordrhein-Westfalen müssen sich diesmal auf einen Alleingang einstellen. Selbst weitere unionsgeführte Länder wie Niedersachsen ziehen nicht mit. Schon aus der machtpolitischen Erwägung heraus, dass es nicht sein kann, dass zwei Länder entgegen allen Absprachen nun den Ton angeben. Das ahnt auch der Ratsvorsitzende. Dennoch steht Zehetmair felsenfest hinter dem bayerischen Kurswechsel. Nicht weil er die Reform doch noch kippen will, wie manches seiner Ratsmitglieder insgeheim hoffen mag. Vielmehr weiß er um die Vielstimmigkeit seines Gremiums, das nur schwer unter Kontrolle zu halten ist. "Ich kann nicht verhindern, dass jedwedes Mitglied jedwedes Thema nochmals auf die Tagesordnung setzt", betont er. Das wiederum bedeutet: Selbst so genannte unstrittige Teile der Reform, die bereits in vielen Ländern zum 1. August gelten sollen, könnte der Rechtschreibrat womöglich nachträglich doch noch zurücknehmen. Verlage und Medien mögen sich daran weniger stören. Sie verfahren längst nach eigenen Beschlüssen. Als ehemaliger bayerischer Kultusminister denkt Zehetmair jedoch vor allem an die Schülerinnen und Schüler. Sie sähen sich womöglich in einem Jahr wieder mit neuen Vorschriften konfrontiert, wenn der Rat zu einem abschließenden Ergebnis gekommen und dieses dann auch in Kraft getreten ist. Letztlich ginge dann das politische Versagen bei der Rechtschreibreform zu Lasten der Schüler. Das aber will der Ratsvorsitzende unbedingt vermeiden, und sieht hier auch Elternverbände auf seiner Seite.
Zehetmair plädiert wider alle Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz für eine Verlängerung der Übergangsfrist und damit ein Festhalten an der bisherigen Handhabung in den Schulen: Hier gelten alte und neue Rechtschreibregeln. Letztere müssen erlernt, dürfen jedoch nicht in Prüfungen abgefragt werden. Fehler nach den neuen Regeln werden also von Lehrern mit einem "ü" für "überholt" korrigiert, nicht aber angerechnet. Das sei seit 1998 Standard und sorge, sagt Zehetmair, für weniger Verunsicherung in den Klassen.
Das leuchtet auch dem Deutschen Philologenverband ein. Dessen Vorsitzender Heinz-Peter Meidinger rügt zwar den Zick-Zack-Kurs Bayerns. Auch weiß er um die Belastung der Lehrer angesichts doppelten Korrekturaufwands. Dennoch hält er eine Verschiebung der Reform wegen noch ausstehender Nachbesserungen für sinnvoll.
( Süddeutsche Zeitung, 20.7.2005, Seite 5 )
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Kommentar von Horst Haider Munske, verfaßt am 20.07.2005 um 15.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1256
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Ich zitiere aus dem Interview mit Hans Zehetmair: "Sie sollen den Unterschied verstehen zwischen einem viel versprechenden Politiker, der nichts hält, und einem viel versprechenden, auf den man baut." Wo ist hier der orthographische Witz? Das Rechtschreibprogramm der Süddeutschen hat offenbar aus dem "vielversprechenden, auf den man baut" des Autors einen "viel versprechenden" der deformierten Rechtschreibung gemacht. Nichts könnte die Ausdrucksschwäche der KMK-Orthographie besser illustrieren.
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Kommentar von H. J., verfaßt am 21.07.2005 um 20.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1274
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Edelgard Bulmahn hat gerade gegenüber der Netzzeitung die Katze aus dem Sack gelassen. Hier nachzulesen:
www.n24.de/politik/inland/index.php/n2005072113162900002
Zwei Kostproben:
"Es gibt zumindest einen namhaften Zeitungsverlag in Deutschland, der es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, die neuen Rechtschreibregeln zu Fall zu bringen", sagte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) im Gespräch mit der Netzeitung, ohne den Verlag beim Namen zu nennen. "Herr Stoiber ist also schlicht und einfach in die Knie gegangen."
"Wenn in Deutschland tatsächlich die Situation eintreten sollte, dass in unterschiedlichen Ländern anders geschrieben wird, wäre das Absurdistan."
Das letzte Wort ist verräterisch. Mit der Behauptung, Schleswig-Holstein befände sich auf dem Wege nach Absurdistan, leitete Volker Rühe seine Kampagne zur Aufhebung des Volksentscheids ein. Wegen der Bimbes-Affäre wurde er dann doch nicht Ministerpräsident, aber die Allparteien-Koalition in Kiel war seinem Wink gefolgt. Robert Weller sagt gerade, alle Menschen hätten eine Wirbelsäule, nur wenige allerdings ein Rückgrat. Diese Feststellung hat nichts mit Parteilichkeit zu tun.
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Kommentar von Der Tagesspiegel, 22. 7. 2005, verfaßt am 22.07.2005 um 12.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1283
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Rechtschreibexperten fassen heißes Eisen an
Offenbar soll jetzt auch noch über die Groß- und Kleinschreibung neu verhandelt werden
Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird sich möglicherweise ab Herbst auch mit der Groß- und Kleinschreibung befassen. Der Vorsitzende Hans Zehetmair rechnet damit, dass ein Mitglied des Rats bei der nächsten Sitzung am 28. Oktober beantragen werde, eine zusätzliche Arbeitsgruppe dazu einzusetzen. Neuregelungen in diesem Bereich sollten dann „allerspätestens bis 2006 stehen“, sagte der ehemalige bayerische Kultusminister gestern dem Tagesspiegel. Damit könnten sie ebenso wie Änderungen in der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Interpunktion und der Worttrennung zum Beginn des Schuljahres 2006/2007 wirksam werden.
Die Groß- und Kleinschreibung gehört allerdings zu den Bereichen der Reform, die von der Kultusministerkonferenz als „unstrittig“ gesehen werden und für die ab 1. August in den Schulen die Übergangsfrist bei der Fehlerkorrektur endet. „Die Groß- und Kleinschreibung ist mit unserem Beschluss vom 23. Juni, die unstrittigen Teile der Reform jetzt verbindlich einzuführen, von Änderungen vorerst ausgeschlossen“, sagte die KMK-Präsidentin und brandenburgische Kultusministerin Johanna Wanka (CDU). Damit sind Reformschreibweisen wie im Allgemeinen, des Öfteren oder auch das kleine du in der Briefanrede festgeschrieben. Der Kompromiss, dass sich der Rat in diesem Jahr mit nur drei Bereichen befasst, sollte jetzt im Interesse der Schüler und der Öffentlichkeit nicht wieder zur Debatte gestellt werden, sagte Wanka. Der Rat werde ab 2006 die Entwicklung der deutschen Sprache beobachten und im Laufe der Zeit gegebenenfalls Anpassungen auch bei der Groß- und Kleinschreibung vornehmen – wie es früher die Duden-Redaktion getan hat.
Hans Zehetmair betont dagegen, es sei „dem Rat unbenommen, seinem Auftrag, die deutsche Sprache zu beobachten, jederzeit nachzukommen und alle Kapitel durchzunehmen“. Schon jetzt zeichne sich ab, dass die Du-Anrede in Briefen weiterhin häufig verwendet werde. Der Ratsvorsitzende plädiert dafür, diese Schreibweise ebenso zu liberalisieren wie die Schreibung von substantivisch gebrauchten Adjektiven oder Partizipien wie im Übrigen. Zehetmair will es den Schreibern überlassen, hier wahlweise groß oder klein zu schreiben.
Zumindest die du-Schreibung in Briefen freizugeben, würde auch Fritz Tangermann, Berliner Mitglied des Rats und Vorsitzender des Fachverbandes Deutsch im Germanistenverband, für richtig halten. Er warnt jedoch davor, das „heiße Eisen“ Groß- und Kleinschreibung schon in diesem Herbst anzufassen. Das 38-köpfige Expertengremium würde mit einem weiteren Thema seine Arbeit an der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Interpunktion und der Worttrennung nicht wie geplant bis Jahresende schaffen, sagte Tangermann auf Anfrage. Die Groß- und Kleinschreibung sei zwar in den Diskussionen der Ratsmitglieder und in reformfeindlichen Medien „sehr virulent“, sollte aber wie geplant als Langzeitaufgabe behandelt werden.
Für ein prominentes Mitglied des Rats, den Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, gehören Schreibweisen wie das Folgende, jeder Einzelne oder auch jenseits von gut und böse jedoch zu dem „Desaster, das nun allen Bundesländern außer Bayern und NRW bevorsteht“. Ickler hat eine Liste mit für ihn inakzeptablen Neuerungen zusammengestellt, die jetzt in 14 Bundesländern amtlich werden. Ganz oben auf der Liste, die Ickler gerne noch im Rat abgearbeitet hätte: Beispiele aus der Groß- und Kleinschreibung.
Als der Rat im April weitgehende Änderungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung diskutierte, freute sich Ickler: Die vorgeschlagenen Änderungen stellten „im Großen und Ganzen den Zustand, der vor der so genannten Rechtschreibreform herrschte, wieder her“. Ein Eingriff in die Groß- und Kleinschreibung könnte erklärten Reformgegnern wie Ickler weiter entgegenkommen.
Das wäre auch im Sinne des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU). In der „Bild“-Zeitung erklärte er, sich weiter „für die klassische Schreibweise einsetzen“ zu wollen, auch wenn die Reform jetzt in Niedersachsens Schulen teilweise in Kraft trete. Wulff will die KMK dazu bewegen, die Neuregelung der Orthografie in Zukunft ganz dem Rat für deutsche Rechtschreibung zu überlassen. KMK-Präsidentin Wanka ist dafür offen – aber nicht sofort: Man könne diese Möglichkeit prüfen lassen, „wenn wir die Reform zum 1. August 2006 zu einem glücklichen Abschluss gebracht haben.“
In NRW beschloss das Kabinett gestern erwartungsgemäß, die Übergangsfrist für die Fehlerwertung im Bereich der neuen Rechtschreibung zu verlängern – „bis auf weiteres“. Das Land will warten, bis der Rat alle Änderungsvorschläge vorgelegt hat. Amory Burchard
(Der Tagesspiegel, 22.07.2005; Rubrik „Wissen & Forschen“)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2005 um 13.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1284
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Mit ihrer vom "Tagesspiegel" zitierten Äußerung hat Frau Wanka die Katze aus dem Sack gelassen: Der Rat soll sich mit der Groß- und Kleinschreibung nicht beschäftigen. Dem mag man ein "vorerst" hinzufügen, fest steht jedenfalls, daß hier aufs schwerste in die Unabhängigkeit des Rates eingegriffen wird. Bisher war das so deutlich nie gesagt worden, und der Vorsitzende hatte ausdrücklich schon für den Herbst die Beschäftigung mit der GKS angekündigt. Eigentlich hätte der Rat diesen katastrophal mißratenen Bereich schon vor dem 1. August korrigieren müssen.
Natürlich hat Wanka selbst keine Ahnung von Rechtschreibfragen, hinter dem Anschlag stecken andere.
Ich weiß zwar nicht, wer derjenige ist, der den erwähnten Antrag zu stellen beabsichtigt, aber ich schließe mich selbstverständlich an.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 22.07.2005 um 15.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1285
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»„Die Groß- und Kleinschreibung ist mit unserem Beschluss vom 23. Juni, die unstrittigen Teile der Reform jetzt verbindlich einzuführen, von Änderungen vorerst ausgeschlossen“, sagte die KMK-Präsidentin und brandenburgische Kultusministerin Johanna Wanka (CDU).«
Fast fehlen mir die Worte: Wie ist jemand fähig, einen solchen inneren Widerspruch nicht nur zu fabrizieren, sondern allen Ernstes auch noch zu propagieren? Merkt das denn keiner?
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.07.2005 um 16.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1286
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"Unstrittig!" - Der Zauber des Wortes.
Prima Idee für Regierungen. Man nennt ein Maßnahmenpaket, mag es noch so viel Schaden anrichten, unsinnig sein oder Gegenstand von heftiger Kritik sein, "unstrittig". Damit sind Änderungen an der Regierungspolitik ausgeschlossen. Sogar den eigenen Beratern ist es dann untersagt, über die unstrittige Politik zu diskutieren oder gar Änderungsvorschläge auszuarbeiten.
Die sonstigen Minister und Ministerpräsidenten in Deutschland müssen ja ungeheuer doof sein, daß sie es nicht genauso machen wie ihre Kollegen Kultusminister. Warum nur lassen sie es sich gefallen, daß ihre Entscheidungen als umstritten gelten?
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Kommentar von Süddeutsche Zeitung, verfaßt am 23.07.2005 um 15.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1294
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»Höflich und vertraut
Groß, klein? Der Rechtschreibrat will noch einmal ans "du"
Zu wem man höflich ist, der ist einem nicht vertraut, und wer einem vertraut ist, zu dem ist man nicht höflich. Nach dieser Logik scheint die Regel der neuen Rechtschreibung zu funktionieren, wonach die "vertraulichen" Anreden "du" und "ihr" auch in Briefen und E-mails klein zu schreiben sind, die "höflichen" Formen hingegen groß. Zu letzteren zählen die Reformer nicht bloß das unstrittige "Sie", sondern auch "Seine Majestät" und das altertümliche Beispiel "Führe Er die Gäste herein". Doch warum, fragt man sich, soll nicht, was für Diener und Könige recht ist, auch für die Schwiegermutter billig sein? Soll man zu ihr nicht höflich sein, indem man "Du" schreibt -- und sei sie einem noch so vertraut?
Hans Zehetmair, Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, hat gestern dem Tagesspiegel seine Erwartung mitgeteilt, dass bei der nächsten Sitzung des Rats Ende Oktober eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird, die sich nochmals mit der Groß- und Kleinschreibung beschäftigt. Das ist neu. Bislang hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) nur bei den "strittigen" Teilen der Reform auf die Ergebnisse des Rates warten wollen: bei Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung sowie Worttrennung. Die angeblich "unstrittigen" Teile hingegen, also auch die Groß- und Kleinschreibung, sollten nicht angetastet, sondern ab August in den Schulen verbindlich gemacht werden.
Doch nach dem Ausscheren Bayerns und Nordrhein-Westfalens scheint auch hier wieder Bewegung in die Sache zu kommen. Jedenfalls sagte Zehetmair, es sei "dem Rat unbenommen, seinem Auftrag, die deutsche Sprache zu beobachten, jederzeit nachzukommen und alle Kapitel durchzunehmen". KMK-Präsidentin Johanna Wonka äußerte sich ablehnend. Ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums sagte der SZ, der Rat arbeite "sehr selbstständig"; es sei "Spekulation", ob Bayern auch Änderungen des Rates an der Groß- und Kleinschreibung übernehmen werde, man werde ihm aber keine Vorschriften machen.
Es geht natürlich nicht nur ums "du", sondern um häufige umstrittene Schreibungen wie "im Übrigen", "gestern Abend", "schwarzes Brett" und "im Großen und Ganzen". Spätestens im Herbst geht der Streit also wieder weiter. Wie vertraut. Und hoffentlich auch höflich. JOHAN SCHLOEMANN«
( Süddeutsche Zeitung, 23. 7. 2005, Seite 13 )
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Kommentar von Bild am Sonntag, 24. 7. 2005, verfaßt am 24.07.2005 um 23.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1324
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Gastkommentar
Von Hans Zehetmair, Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung
Neue Rechtschreibung nächstes Jahr fertig
Im Interesse der Schüler sowie der schreibenden und lesenden Erwachsenenwelt brauchen wir eine einheitliche Orthographie. Der Rat für deutsche Rechtschreibung, dem von der Kultusministerkonferenz die Aufgabe übertragen wurde, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung weiterzuentwickeln, leistet mit seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag, um das bestehende Auseinanderdriften in der Handhabung der Rechtschreibung zu korrigieren.
Den umstrittensten und schwierigsten Bereich der Rechtschreibreform, die Getrennt- und Zusammenschreibung, hat der Rat bereits abschließend behandelt und dazu Neuregelungen erarbeitet. In den nächsten Monaten werden wir uns mit der „Zeichensetzung“ und der „Silbentrennung“ beschäftigen.
Da der Rat, der auf sechs Jahre eingesetzt wurde, ein unabhängiges Gremium ist, wird er es sich nicht nehmen lassen, sich auch mit anderen Bereichen der Rechtschreibreform wie der Groß- und Kleinschreibung zu beschäftigen, um auch hier evidente Ungereimtheiten zu beseitigen.
Ich bin zuversichtlich, daß die vom Rat in den nächsten Monaten erarbeiteten Vorschläge wieder zu einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum führen werden, so daß spätestens mit Beginn des Schuljahres 2006 ein verbindliches Regelwerk vorliegt.
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung von Bayern und Nordrhein-Westfalen, die Übergangsfrist für die Rechtschreibreform um ein Jahr zu verlängern, konsequent und nachvollziehbar.
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Kommentar von Süddeutsche Zeitung / Leserbriefe, verfaßt am 25.07.2005 um 10.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1332
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»Das Werk von Scharlatanen
Jetzt Fehler anzurechnen, ist nicht sinnvoll / SZ vom 19. Juli
Dass Bayern und Nordrhein-Westfalen Schüler nicht auf das Rechtschreibreformabenteuer verpflichten, gebietet die rechtsstaatliche Fairness. Die Reform ist derart desolat, dass sie so nicht bleibt. Ihre Regeln sind mehrdeutig und mehrfach geändert. Ein Wörterbuch, das zutreffend Auskunft gibt, was ab dem 1.8.2005 falsch ist, gibt es nicht. Da lassen sich nur die Kultusminister benoten. Dies gilt zunächst dafür, dass sie Rechtschreibscharlatanen aufgesessen sind, die um der Veränderung willen eine Reform aus einem Gemisch von Regeln des 18. Jahrhunderts, Ansätzen der NS-Ära, Vorstellungen von SED-nahen „Schriftexperten“ und eines Schweizer Eigenbrödlers, der dem Duden NS-Lastigkeit andichtete, sowie infantilen Pseudoetymologien zusammengebraut, sich selbstherrlich über die Entwicklung der Sprache, ihre Grammatik, Semantik und Phonetik hinweggesetzt und damit ihrer Verschriftung schweren Schaden zugefügt haben. Dies gilt auch wegen der wirtschaftlichen Schäden für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, die mit der Reform verbunden waren und weiterhin verbunden sind. Und dies gilt wegen des Starrsinns, mit dem die Kultusminister trotz der breiten Reformablehnung ohne Rücksicht auf elementare demokratische Gepflogenheiten vorgehen und der die Kultusverwaltung partiell zu einem Tollhaus hat verkommen lassen. Die angemessene Note dafür lautet „ungenügend“. Eine effektive Schadensbegrenzung wäre nach wie vor allein die Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung. Doch dazu fehlt den Kultusministern bislang jeder Anflug politischer Größe.
Der aktuelle Einsatz für eine einheitlich akzeptierte Rechtschreibung des früheren bayerischen Kultusministers Zehetmair ist sehr begrüßenswert. Erfolgreich wäre er aber nur, wenn das Reformwerk damit vollständig auf den Prüfstand gestellt und rückhaltlos von sämtlichen Mängeln gesäubert würde. Dazu muss sich der Rechtschreibrat von allen Vorgaben der Kultusminister, auch derjenigen, von den Reformregeln ausgehen zu müssen, lösen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn sich der Rat von der „Menge von Persönlichkeiten“ schonungslos verabschiedet, die laut Zehetmair „an der Altlast mittragen“, und sie durch Persönlichkeiten ersetzt, die etwas von der Sache verstehen. Sonst produziert auch der Rat nur Flickschusterei und der von Zehetmair gewünschte Rechtschreibfrieden wird auf den Sanktnimmerleinstag verschoben. Dr. Johannes Wasmuth, München«
( Süddeutsche Zeitung, Nr.169, Montag, den 25. Juli 2005 , Seite 18 )
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 30.07.2005 um 01.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1383
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Gestern beantwortete Hans Zehetmair in der Sendung »Das Tagesgespräch« im Bayerischen Rundfunk eine Stunde lang Hörerfragen in Sachen Rechtschreibreform. Es kam kein einziger Hörer, der sich nicht unzufrieden der Reform gegenüber geäußert hätte, mit mehr oder weniger treffenden Argumenten. Die ss/ß-Regelung wurde sehr klarsichtig kritisiert, andererseits von einer Lehrerin als »logische Regel« bezeichnet.
Was Herr Zehetmair in Richtung auf Schriftsteller wie Walser, Grass, Enzensberger usw. äußerte, die nach seiner Aussage unbedingt die Dudenregeln von vor der Reform haben wollen (hat das jemals einer dieser Herren gesagt?), nämlich daß die auf jeden Fall enttäuscht würden von dem, was der »Rat« erarbeiten würde, gehört vielleicht zu den gezielten Naivitäten, die ein gewiefter Politiker im Köcher hat, um an unerwünschter Stelle kein böses Blut entstehen zu lassen.
Deutlich beglückt nahm er die Kritik auf, der 38köpfige Rat, der nur zu einem geringen Teil von wirklichen Fachleuten besetzt ist, sei doch kaum das geeignete Gremium, um über orthographische Fragen zu entscheiden. Das sei sehr wohl ein ernstes Problem, sagte er, aber damit sei er nun einmal konfrontiert und er sehe seine Aufgabe darin, trotz dieses Problems - hier kam eine Kopfnuß in Richtung der Schweizer Delegation - auf eine befriedigende Lösung hinzuarbeiten.
Damit bleibt jede Hoffnung auf eine gründliche Ausmistung des Augiasstalles berechtigt.
Nicht befriedigen konnte Herr Zehetmair einen 80jährigen Anrufer aus der Oberpfalz, der bekannte, sich zeit seines Lebens mit der Frage herumgequält zu haben, warum man vier mit V und fünf mit F schreibt. Der gute Mann wird noch weiter ausharren müssen, bis auch er, wie der greise Simeon, wird sagen können: »Herr, nun lässest du deinen Diener in Vrieden vahren …«
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Kommentar von Peter Müller, verfaßt am 30.07.2005 um 04.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1384
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Ältere, eitle Herren
Gallmann in der Schweizer Nachrichtensendung 10 vor 10 vom 29. Juli 2005 (aus dem Schweizerdeutschen übertragen)
Off: Selbst die NZZ wendet die neue Rechtschreibung an, wenn auch eine konservative Variante. Das freut Peter Gallmann, denn er war einer der Schweizer Vertreter in der Reformkommission.
Gallmann: Zum Beispiel die Silbentrennung, Terroris-ten ist nach neuer Rechtschreibung. Das wird eine der Regelungen sein, die Bestand haben wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend jemand wieder zurück zur alten merkwürdigen st-Regel "Trenne nie st, denn es tut ihm weh" will. Das hat man sich ja darum so einprägen müssen, weil die Logik hinter der alten Regelung gefehlt hat, und die NZZ wendet darum zu Recht die neue Regelung an.
Off: Die Expertenkommission mußte Kompromisse machen. Peter Gallmann hätte sich radikalere Neuerungen gewünscht.
Gallmann: Nach meiner Meinung wäre es mit der Kleinschreibung nach europäischem Standard, also wie Französisch und Englisch, auch im Deutschen gut gegangen. Dem trauere ich immer noch ein bißchen nach. Da haben wir vermutlich in der Kommission zu schnell dem politischen Druck nachgegeben und haben auf Reparatur der Substantiv-Großschreibung gemacht. Da müssen wir uns selbst an der Nase nehmen, daß wir wahrscheinlich ein bißchen zu gehorsam gewesen sind. In anderen Bereichen, finde ich, ist sie gelungen. Zum Beispiel diejenigen Änderungen in der Buchstabenschreibung, die tatsächlich in Kraft getreten sind, sind eine Vereinfachung für die Rechtschreibung.
Off: Wer ist denn überhaupt gegen diese Reform?
Gallmann: Eben, die Schulen sind es ganz sicher nicht, die Medien in der Schweiz zumindest haben problemlos umgestellt, wie gesagt auch die NZZ wendet im grossen ganzen die neue Rechtschreibung an. Es sind vor allem, wenn man es ganz böse ausdrückt, ältere, eitle Herren.
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Kommentar von Stuttgarter Zeitung, verfaßt am 29.08.2005 um 00.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1594
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»"Ich tue auch etwas Buße"
Zehetmair will die Gesellschaft mit Schreibreform versöhnen
Die Rechtschreibreform wird zum 1. August in weiten Teilen verbindlich. Hans Zehetmair hat sie einst als bayerischer Kultusminister mitbeschlossen. Jetzt bemüht sich der CSU-Politiker als Chef des Rates für deutsche Rechtschreibung um Korrekturen. Spätestens nächstes Jahr sei die Sache wieder im Lot, meint er im Gespräch mit Michael Trauthig.
Herr Zehetmair, schreiben sie Tunfisch noch mit "th"?
Ich halte am "th" fest.
Sie bleiben den alten Schreibweisen treu?
Nicht unbegrenzt. Bei der Eindeutschung von Fremdwörtern bin ich jedoch der Auffassung, dass wir sehr behutsam vorgehen müssen. Wer "Portemonnaie" schreiben will, der kann dies. Sonst schreibt er "Geldbörse".
Als bayerischer Kultusminister haben Sie die Reform mitbeschlossen - ein Fehler?
Ich bin als Kultusminister 1986 in den laufenden Prozess hineingeschlittert. Ich habe damals verhindert, dass alle Substantive klein geschrieben werden. 1995 ließ ich Weiteres korrigieren. Sonst würden wir heute "Apoteke" oder "Filosof" schreiben. Bei dem Kompromiss von 1996 war ich insgesamt der Meinung, damit ließe sich leben.
Warum bessern Sie dann jetzt nach?
Es kommt nicht auf die Minister oder die Wissenschaftler an, sondern auf das Empfinden der Menschen. Der Sprachgebrauch der Bürger wollte sich nicht mit dem identifizieren, was vorgelegt wurde. Deshalb wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung zur Nachbesserung eingesetzt. Mich ereilte das Los, dass ich dessen Vorsitzender werden sollte.
Sie spielen die Rolle doch gerne?
Nein. Aus der Pistole geschossen: nein. Um ein Stück weit Wiedergutmachung zu leisten, bin ich der Bitte sowohl der Unions- wie der SPD-Seite nachgekommen. Vergnügungssteuerpflichtig ist diese Aufgabe nicht.
Sie tun also Buße?
Wenn Sie es so christlich ausdrücken wollen. Ich habe aber auch das Gefühl gehabt, dass man einige Ungereimtheiten glätten muss.
Sind Sie nun oberster Sprachwächter?
Ich sehe mich als Wächter, vor allem aber als Moderator eines 38-köpfigen Gremiums von 18 Deutschen, neun Österreichern, neun Schweizern, einem Liechtensteiner und einem Südtiroler. Ich muss diese Gruppe so steuern, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit für Beschlüsse zu Stande kommt.
Können Sie mit einem Satz die genaue Arbeit in dem Gremium beschreiben?
Wir sollen die Einheitlichkeit der deutschen Sprache gewährleisten und dafür notwendige Änderungen veranlassen.
Geht das auch etwas konkreter?
Unsere Hauptaufgabe war das Thema Getrennt- und Zusammenschreibung. Gegenüber der Vorgabe durch die Rechtschreibreform, möglichst viel getrennt zu schreiben, setzen wir auf den Sprachgebrauch. Es ist eben ein Unterschied, ob ein Politiker vielversprechend ist - also zukunftsträchtig - oder viel versprechend, wo man sich fragt, ob er das auch alles hält. Jetzt sind wir dabei sinnentstellende Silbentrennungen zu beseitigen. Zum Beispiel kann man Urinstinkt nicht "Urin-stinkt" trennen. Außerdem steht die Zeichensetzung noch auf der Tagesordnung. So macht die Stuttgarter Zeitung zum Beispiel wesentlich mehr Interpunktionen, als die neue Rechtschreibung es vorsieht. Sie wollen es dem Leser ermöglichen, schon visuell die Sinnzusammenhänge zu erfassen. Dies sollte auch für die Schüler gelten. Das heißt, man soll zum Beispiel auch ein Komma zwischen zwei mit "und" verbundenen Hauptsätzen einführen dürfen.
Die Korrekturvorschläge des Rates orientieren sich am "allgemeinen Sprachempfinden". Woran machen Sie das fest?
Kriterium für die bisherigen Reformbemühungen war, dass möglichst alles aus Regeln abgeleitet werden kann. Tatsache ist aber, dass sich die Sprache dynamisch entwickelt und sich nicht in Schubladen und Schablonen aufteilen lässt. Da stellen wir zum Beispiel Unterschiede bei Wörtern wie "eislaufen" und "Rad fahren" fest. Das Wort Rad wird als Objekt bezeichnet und verstanden. Bei eislaufen liegt der Akzent auf dem sportlichen Tun. Deshalb sollte es zusammen und klein geschrieben werden. Nach unseren Vorstellungen sollen Schüler künftig beide Varianten verwenden können. Anders sehen wir den Begriff leidtun. Leid hier groß zu schreiben ist unsinnig. Es geht nicht um einen Gegenstand, den man berühren kann.
Das erläutert aber nicht, wie man dem Volk aufs Maul schaut.
Natürlich machen wir keine Umfragen. Der Rat orientiert sich in Zweifelsfällen zunächst an der traditionellen Schreibweise, also daran, wie die Eltern, Schriftsteller oder die Stuttgarter Zeitung buchstabieren. Gewiss kam bis 1996 niemand auf die Idee "Leid tun" oder "Not tun" zu schreiben. 2004 hieß es dann, Groß- und Kleinschreibung seien möglich. Eine Mogelpackung darf es in diesen Fällen aber nicht geben. Deshalb pochen wir auf Klein- und Zusammenschreibung. Ähnlich verhält es sich mit der Silbentrennung. Nie wäre es Ihnen in den Sinn gekommen, Esel nach dem ersten Vokal zu trennen. Wir werden wieder einführen, dass ein einzelner Vokal nicht abgetrennt werden kann.
Viel mühsame Detailarbeit also?
Es ist nun mal passiert, dass sich die Politik der Rechtschreibung angenommen hat. Ich will erreichen, dass ein politisch unabhängiger Rat mit dem Blick aufs Volk und nicht nur auf die Selbstgefälligkeit der Wissenschaft geschriebene und gelesene Sprache handhabt und sich dann die Politik heraushält.
Sie tagen bereits seit Dezember. Warum sind die Ergebnisse so spärlich?
Wir hatten bisher fünf Plenarsitzungen und in etwa genauso viele Treffen in Arbeitsgruppen. Zudem sind die Auffassungen sehr heterogen. Da gibt es diejenigen, die die Rechtschreibreform erarbeitet hatten, aber auch die, die unbedingt wieder zur alten Schreibweise zurückkehren wollen. Da ist es eine Berserkerarbeit, zu Resultaten zu kommen. Insofern ist es beachtlich, dass wir den schwierigsten Komplex von Getrennt- und Zusammenschreibung abgeschlossen haben. Unter Umständen schaffen wir bis zum Jahresende auch die Zeichensetzung und die Silbentrennung. Anschließend werden wir uns noch mit der Groß- und Kleinschreibung sowie der Lautveränderung etwa bei Gämse beschäftigen, dabei wird es aber wenige Veränderungen geben.
Wann schließen Sie ihre Aufgabe ab?
Vermutlich gibt es im nächsten Frühjahr ein vorläufiges Endergebnis. Der Rat wird dann weitere fünf Jahre in der Stille arbeiten.
Was heißt das?
In der zweiten Phase werden wir nichts Spektakuläres bringen. Die Sprache ist dann so weit im Lot. Wie früher werden wir dann alles mit den Verlagen besprechen, sodass die ein oder andere Fortschreibung erfolgt.
Fordern Sie eine 1:1-Umsetzung Ihrer Beschlüsse durch die Kultusminister?
Ich gehe davon aus, dass diese erfolgt. Es bleibt mein Ziel, die Gesellschaft mit der Reform zu versöhnen.
Die Kultusministerkonferenz hat einen Teil der Reform als unstrittig definiert. Halten Sie sich daran?
Was die Kultusminister beschlossen haben, ist ihre Verantwortung. Unser Auftrag reicht allerdings weiter.
Bayern und Nordrhein-Westfalen haben den bildungspolitischen Konsens aufgekündigt. Schadet dies dem Föderalismus?
Der Konsens ist natürlich ein hohes Gut. Verfassungsrechtlich ist aber klar, dass jedes Land selbst entscheidet. Aus Sicht des Rates ist das Vorgehen Düsseldorfs und Münchens verständlich. Dabei geht es nur darum, ob Schülern schon jetzt - vor dem Abschluss aller Reformteile - alte Schreibweisen als Fehler zugerechnet werden. Ich glaube nicht, dass dieser Beschluss der Zusammenarbeit unter den Ministerpräsidenten schadet. Es geht dabei nicht um den Nabel der Welt.«
( Stuttgarter Zeitung, 26.07.2005 )
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 29.08.2005 um 09.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1595
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Zitat Zehetmair:
»Das heißt, man soll zum Beispiel auch ein Komma zwischen zwei mit "und" verbundenen Hauptsätzen einführen dürfen.«
Dürfen? DÜRFEN? In dieser Wortwahl offenbart sich eine (unbewußte?)Unterwürfigkeit zur staatlichen Sprachlenkung. Verbieten, erlauben. Nicht das Bessere oder Schlechtere, das Sinnvolle oder Unsinnige, das dem Lesen dienende oder das dem Lesen abträgliche ist Gegenstand der Betrachtung. Das sollte jedem von uns zu denken geben.
Ahnt der honorige "Wächter" über die Sprache und "Moderator" über 80 kluge Köpfe noch immer nicht: Die Sprache ist ihre eigene Meisterin, sie läßt sich nicht befehlen, auch nicht von einem "Rat für deutsche Rechtschreibung" mit einem Vorsitzenden, den das "Los ereilt" hat, nun die "Einheitlich der deutschen Sprache gewährleisten" zu wollen. Solche Töne hört man von dem einzigen Mitglied er Runde, das wirklich viel von Sprache versteht, nicht. Bescheidenheit ist eine Zier ...
Zitat:
»Vermutlich gibt es im nächsten Frühjahr ein vorläufiges Endergebnis. Der Rat wird dann weitere fünf Jahre in der Stille arbeiten.«
Das ist wohl Zweckoptimismus, lieber Herr Zehetmair!
Noch ein Zitat:
»In der zweiten Phase werden wir nichts Spektakuläres bringen. Die Sprache ist dann so weit im Lot. Wie früher werden wir dann alles mit den Verlagen besprechen, sodass die ein oder andere Fortschreibung erfolgt.«
Nichts Spektakuläres. Was soll das heißen? Ich komme darüber ins Grübeln. Sprache im Lot? Sehr prophetisch. Eins aber glaube ich aufs Wort: daß die Mauscheleien hinter den Kulissen mit den Verlagen weitergehen. Verhandlungsgegenstand: die Sprache, die uns alle betrifft.
Manche wollen Buße tun. Was unter "Buße" verstanden werden kann, ist ein weites, weites Feld ...
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 29.08.2005 um 12.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=303#1596
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Beim Stöbern in Büchern und Schriften fand ich ein Brecht-Zitat, das sich gut in die wirtschaftlichen und politischen Vorgänge um die Rechtschreibreform einfügt.
»Jedermann weiß, daß die Verbrechen der Besitzenden durch nichts so geschützt sind wie durch ihre Unwahrscheinlichkeit. Die Politiker können überhaupt nur deshalb Geld nehmen, weil man sich ihre Korruptheit allgemein feiner und geistiger vorstellt, als sie es ist. Würde sie einer so schildern, wie sie ist, nämlich ganz plump, dann würde jedermann ausrufen: was für ein plumper Patron! Und damit den Schilderer meinen.«
(Bertolt Brecht)
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