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09.04.2005
 

Hubert Spiegel
Kommt Zeit, kommt Rat

Wenn ein Lehrer verhindern will, daß zwei Schüler, die gemeinsam die Schulbank drücken, unentwegt plaudern, wird er sie schließlich auseinander setzen. Erst dann werden sie sich nämlich mit dem Unterrichtsstoff auseinandersetzen.

Wenn ein Lehrer verhindern will, daß zwei Schüler, die gemeinsam die Schulbank drücken, unentwegt plaudern, wird er sie schließlich auseinander setzen. Erst dann werden sie sich nämlich mit dem Unterrichtsstoff auseinandersetzen. Die neuen Regeln der Rechtschreibung, die am 1. August für Schulen und Behörden verbindlich werden sollen, schreiben für beide Fälle die getrennte Schreibweise vor: Die Schüler sollen sich demnach mit ihrem Stoff "auseinander setzen", sich also von ihm entfernen. So offenkundig unsinnig diese und andere Regeln auch sind, es wird seit Jahren heftig um sie gestritten.

Jetzt hat der Rat für Rechtschreibung in seiner dritten Sitzung über die besonders wichtigen Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung diskutiert. Dazu hatte eine siebenköpfige Arbeitsgruppe eine Beschlußvorlage erstellt, die im wesentlichen die Zurücknahme der unsinnigen Neuregelungen vorsieht. Die Kritiker der Reform, im sechsunddreißigköpfigen Gremium des Rechtschreibrats zahlenmäßig nur schwach vertreten, sind damit im Rat erstmals in die Offensive gegangen. Sie mußten dies tun, denn die Kultusminister haben dem Gremium nicht viel Zeit für seine schwierige Aufgabe gegeben. Der Rat, der an die Stelle der zuletzt nur noch obskur erscheinenden Zwischenstaatlichen Kommission für Rechtschreibung getreten ist, hatte nun Farbe zu bekennen: Ist er willens und in der Lage, die Fehler der Reform zu korrigieren, oder handelt es sich nur um eine Alibiveranstaltung, mit der die Kultusminister eine Einsicht vortäuschen wollen, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist?

Diesen Verdacht hat der Ratsvorsitzende Zehetmair, ehedem selbst Mitglied der KMK, jetzt energisch zerstreut und deutlich gemacht, daß der Rat sich von keiner Seite unter Druck setzen lassen will, auch nicht unter Zeitdruck. Deshalb wurde in München auch noch kein Ergebnis verkündet: Erst wenn alle Aspekte des komplexen Bereichs der Getrennt- und Zusammenschreibung besprochen sind, wird der Rat seine Entscheidung fällen und verkünden. Aber Zehetmair hat auch keinen Zweifel daran gelassen, daß die Rückkehr zu bewährten Regeln nicht länger kategorisch ausgeschlossen wird. Damit ist in die Debatte um die Rechtschreibung eingekehrt, was ihr allzulange vorenthalten wurde: Sachlichkeit, Besonnenheit und Verantwortungsbewußtsein.

(F.A.Z., 9. 4. 2005)



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