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11.06.2013
 

Deutschstunde
Das unsägliche große Du in Briefen ...

... kann auch kleingeschrieben werden, sorgt jedoch für Verwirrung bei den Anredefürwörtern – meint Peter Schmachthagen, der einen Blick auf die Pronomen wagt.

Ein Nomen war als zusammenfassende Bezeichnung für Substantiv und Adjektiv ursprünglich ein deklinierbares Wort, das weder Pronomen noch Artikel ist. Heute versteht man unter den Nomen (bzw. Nomina) in der Regel nur die Substantive. Ein Pronomen steht für ein Nomen ("pro nomen"), ist also ein Fürwort. Pronomen (bzw. Pronomina) übernehmen in der Sprache wichtige Funktionen. Sie können ein Substantiv ersetzen, auf etwas Folgendes hinweisen oder auf etwas bereits Genanntes zurückführen. Dadurch werden Wiederholungen und komplizierte Satzkonstruktionen vermieden.

Der Schüler geht nach Hause. Der Schüler freut sich auf das Wochenende. Unser doppelter Schüler erweckt den Eindruck mangelnder sprachlicher Flexibilität und gilt als stilistisch unschön. Also ersetzen wir das Nomen im zweiten Satz durch ein Pronomen: Er freut sich auf das Wochenende – und schon nähern wir uns in großen Schritten einem der vielen Journalistenpreise.

Die Pronomen sind eine weitverzweigte Familie. Es gibt die Personalpronomen (persönliche Fürwörter; ich, du, er/sie/es), die Reflexivpronomen (rückbezügliche Fürwörter; sich), die Possessivpronomen (besitzanzeigende Fürwörter; mein, dein), die Demonstrativpronomen (hinweisende Fürwörter; dieser, jener, solcher), die Indefinitpronomen (unbestimmte Fürwörter; jeder, jemand, niemand, mancher), die Interrogativpronomen (Fragefürwörter; wer?, was?, welche?, wessen?) und schließlich die Relativpronomen (der/die/das, welcher/welche/welches), die einen Relativsatz einleiten. Dabei muss man aufpassen, dass das "das" hier als "das" mit einen "s" geschrieben wird und nicht wie die Konjunktion "dass" mit Doppel-s.

Betrachten wir die Personalpronomen, deren Formen sich in der 1., 2. und 3. Person im Singular (Einzahl) und im Plural (Mehrzahl) unterscheiden, z. B.: ich, meiner, mir, mich, wir, unser, uns, uns. Wohlgemerkt: Der Genitiv lautet "meiner" und "unser", der Dativ "mir" und "uns". Es heißt demnach hochsprachlich wegen meiner, wegen unser und nicht "wegen mir" bzw. "wegen uns". Da das heutzutage jedoch etwas gestelzt klingt, sagen Sie am besten meinetwegen und unsertwegen: Du brauchst doch unsertwegen nicht extra zu warten.

Nomen schreibt man groß, Pronomen schreibt man klein – im Allgemeinen. Selbst die Pronomen "du" und "ihr" sowie die entsprechenden Possessivpronomen "dein" und "euer" werden kleingeschrieben: Was hast du dir dabei gedacht? Ich habe euch vorhin in der Stadt gesehen. Leider gibt es eine unsägliche Ausnahme, die seit Generationen an dieser Stelle für Verwirrung sorgt: In Briefen kann das vertrauliche Anredepronomen auch großgeschrieben werden: Liebe Oma, wie hat Dir/dir Dein/dein Geschenk gefallen?

Bis 1998 musste das Du in Briefen großgeschrieben werden, bis 2006 musste es auch in Briefen kleingeschrieben werden, nach der Verschlimmbesserung der Rechtschreibreform soll es jetzt (in Briefen) wieder großgeschrieben werden, muss aber nicht. Der Duden, der auf seine 26. Auflage zusteuert, will ja mit jeder Ausgabe etwas Neues oder etwas Altes neu bieten und empfiehlt Großschreibung. Das gilt jedoch nur in Briefen!

Leider wurde und wird diese Ausnahme selbst in professionellen Texten, Medien und Zitaten auch auf die wörtliche Rede übertragen: "Das bleibt Dein Problem", sagte Schweinsteiger zu Lahm. Das ist Unfug, das ist falsch! Eine wörtliche Rede ist kein Brief.

Die Höflichkeitsanrede "Sie" und das Possessiv "Ihr" werden dagegen immer großgeschrieben – immer, im Brief, im Text, in der wörtlichen Rede und auch in dieser Kolumne, wenn ich Sie als Leser anrede. Die Formen entsprechen dabei der 3. Person Plural, egal ob eine Einzelperson oder eine Gruppe gemeint ist: "Kommen Sie doch herein!", sagte Vater zum Nachbarn wie auch: "Treten Sie näher!", bat Mutter die Gäste. Als häufiger Fehler ist zu beobachten, dass zwar das Personalpronomen großgeschrieben wird, aber nicht das zugehörige besitzanzeigende Fürwort: "Grüßen Sie ihre Frau!", sagte er zum Abschied. Nein, natürlich "Ihre" Frau! Wir wollen hier nicht untersuchen, ob man eine Frau besitzen kann, aber großschreiben sollte man sie schon – zumindest orthografisch gesehen.


Quelle: Hamburger Abendblatt
Link: http://www.abendblatt.de/meinung/article117005285/Das-unsaegliche-grosse-Du-in-Briefen.html

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Kommentare zu »Das unsägliche große Du in Briefen ...«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.04.2020 um 16.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#2048

Hat man in gewissen Kreisen damals nicht auch seinen Vater gesiezt? Dann würde es ja wieder stimmen.

Der Dalai Lama läßt sich mit "Eure Heiligkeit" anreden. Ich möchte ihn nicht treffen, aber ich weiß nicht recht, ob ich so etwas über die Lippen bringen würde. "Herr Lama" paßt aber auch nicht recht. Den bürgerlichen Namen vergesse ich immer.

Mit dem entpapten Papst sind ja auch viele seiner bischöflichen Kollegen nicht einverstanden, vor allem weil er selbst nicht von seinem früheren Status lassen will.

 

Kommentar von R. M., verfaßt am 24.04.2020 um 21.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#2047

Der Papst, als Heiliger Vater angesprochen, wurde schon vor langer Zeit gesiezt. Hier ein Beispiel aus dem Jahr 1824:
https://books.google.de/books?id=nflPAAAAcAAJ&pg=PA43

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.04.2020 um 08.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#2046

Eben! Die Übertragung der Familiennomenklatur auf die spirituellen Verhältnisse ist brüchig geworden.

Ich erinnere mich an eine betagte Nonne in Irland, mit der meine Frau vierzig Jahre zurückliegende Erinnerungen austauschte. Auch an "Mother X", an die meine Frau sich liebevoll erinnerte. Da wurde die sonst so sanfte Frau aber richtig ein bißchen böse: "Sister, nicht Mother!" Man ahnte einen Augenblick, welche Leidenschaften hinter den Klostermauern schwelten.



 

Kommentar von R. M., verfaßt am 21.04.2020 um 18.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#2045

Der Journalist sprach nicht mit seinem Vater.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2020 um 04.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#2044

Die Anredeformen sind unsicher geworden.

WELT: Heiliger Vater, um was haben Sie gebeten, als Sie in den beiden römischen Kirchen gebetet haben?
Papst Franziskus: Ich habe den Herrn gebeten, die Epidemie zu stoppen: Herr, halte sie mit deiner Hand auf. Dafür habe ich gebetet.
(welt.de 18.3.20)

(Warum siezt der Journalist seinen Vater? Der Papst denkt nicht daran, Gott zu siezen. Siezt der Papst seine Schäfchen?)

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2017 um 06.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1974

Die Karikatur von Greser & Lenz auf der Titelseite der FAZ ist großartig, aber: Ich habe die ganze Zeit nur an Dich gedacht, Martin - warum Großschreibung? Das findet man seit der Revision überall in direkter Rede, es ist offenbar die Übergeneralisierung der „in Briefen“ wiederzugelassenen Höflichkeitsgroßschreibung.
1996 wurde übrigens neu eingeführt: auf Du und Du.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2015 um 16.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1588

Schmachthagen widmet sich in seiner gestrigen Deutschstunde noch einmal den Anredeformen. Er ärgert sich über formlosen Umgang miteinander, wo es seiner Ansicht nach nicht am Platz ist.
Zur Geschichte der Anrede sagt er u. a.:

"Das Sie, die Anrede in der 3. Person Plural, wird nicht umsonst die Höflichkeitsanrede genannt. Sie drückt Respekt gegenüber allen erwachsenen Personen aus, mit denen man nicht verwandt oder eng befreundet ist. Schließlich hat es tausend Jahre gedauert, bis es so weit war. Im Althochdeutschen lesen wir: Guaz gueten ger, herra (Was sagt Ihr, Herr?). Der höherste­hen­de Herr wurde mit Ihr (ger) angeredet, gewöhnliche Leute duzte man unabhängig davon, ob man sie kannte oder nicht: Gauathere, latz mer serte (Gevatterin, lass mich [Wort als nicht jugendfrei gestrichen])."

Das Zitat aus den Pariser Glossen, an dem wir uns schon als Erstsemester im "Althochdeutschen Lesebuch" erfreut haben, gehört in den Zusammenhang mittelalterlicher Sprachführer für welsche Deutschlandreisende. Die Transkription ist entsprechend eigenwillig. Hinzu kommt ein Abschreibfehler, der den ersten Satz vollends unverständlich macht. Es muß natürlich heißen queten.

Das nicht jugendfreie Wort ist ficken (Seebold), andere übersetzen vögeln, bumsen, alles ebenso treffend. Die leider sehr knappe Überlieferung gibt ein gutes Bild des Alltags.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.10.2014 um 23.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1446

An manchen slawischen Sprachen kann man sehr schön sehen, daß die Konjugation die Verbindung des Verbstamms mit einem Personalpronomen als Suffix ist. Das vorangestellte Personalpronomen wird nicht wirklich gebraucht, es wird nur zur Verstärkung benutzt. In der Deklination der Substantive wird die Substantiv-Endung für jeden Fall anders verbogen; deswegen braucht man die Artikel nicht.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.10.2014 um 22.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1445

Zu #1440: Da hat sich Morgenstern natürlich eine gängige Definition von "deklinieren" zum Lachen der Leser zunutze gemacht, – welche aber jedem gewissenhaften Mann vom Fach bei seiner gewissenhaften Arbeit die Tränen in die Augen treibt, ihm wenigstens jeden Falles die Augenbälle zum Rollen bringt. Wieso sagen wir denn "konjugieren" und "deklinieren"? Bei der Einführung dieser Bezeichnungen muß sich doch wer was gedacht haben, auch bei der Übersetzung von "deklinieren" mit "beugen" oder o.k. österr. "biegen".
Konjugieren heißt nun mal was in ein und dassselbe *jug-*, also Joch, bringen, so daß die zwei Teile wie ein Joch Ochsen eine Arbeit richtig durchführen können. Das weiß jeder, der *conjugalis felicitas*, ehelichen Segen, lebenserfahren und sprachgeschichtlich richtig versteht. Wenn der Philosoph "cogito [ergo] sum" sagt und wir das mit unserm Geiste genau beschauen, dann betrachten wir deklinierte Formen. Mit einem konjugierten Ego cogito ergo ego sum wäre er uns wohl kein Philosoph geblieben, sondern bestenfalls aus der Religionsgeschichte bekannt, weil er wie jener geweihte Priester Freitag abend gewissenhaft über einem wohlriechenden Stück Rinderbraten "Ego te baptismo pisces" zwar sprachlich richtig konjugiert, aber mit seinem Küchenlatein heiligen Geist dabei trotzdem nicht zum Tragen bringt.

Des langen Exkurses kurzer Sinn: Morgensterns alle vier Werwolfsfälle sind zwei deklinierte Formen richtig konjugiert zu einem Ausdruck. Man *konjugiert* eine Verbform nur mit einem Subjekt, mit dem das auch geht. Und zur Erholung von solcher Arbeit hört man abends in den Südstaaten der USA draußen bei "de old folks at home", wie sie schön "All de world am sad and dreary" singen, denn so konjugieren welche da /be/ nun mal; und wenn wir dasselbe Off-Broadway in New York hören, rufen wir ja auch nicht mit richtig deklinierter Verbform "Falsch konjugiert!" dazwischen; denn aus Interesse an auch derartiger Konjugation haben wir ja schließlich ganz schön was gezahlt.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.10.2014 um 17.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1442

Die Österreicher "biegen" ihre Namen-, Eigenschafts- und Fürwörter.

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.10.2014 um 11.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1440

Verben werden konjugiert, d. h. nach Person, Zahl, Zeit, Modus verändert, Deklination ist nur die Änderung nach Kasus und Zahl, d. h. von Substantiven, Adjektiven, Pronomen.

Da hat man's im Deutschen leichter, denn beides, sowohl bei Verben als auch bei Substantiven usw. heißt beugen, wie in Christian Morgensterns Gedicht:

Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

"Der Werwolf", – sprach der gute Mann,
"des Weswolfs" – Genitiv sodann,
"dem Wemwolf" – Dativ, wie man's nennt,
"den Wenwolf" – damit hat's ein End'.

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 18.10.2014 um 22.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1439

Zu #1437: Ach so. (Übrigens: Auch Verben sind deklinierbar. Deklinieren ist ja nicht nur in die vier Fälle setzen, wenn ich recht verstehe.)

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2014 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1438

Universalgrammatischer Schrodt-Schrott, nicht wahr? (Weiteres hier.)

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.10.2014 um 14.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1437

Auch Adjektive und Pronomen "haben Fälle", d.h. sind deklinierbar.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 18.10.2014 um 13.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1436

Ja, wissen Sie denn nicht, lieber Herr Ickler, daß Präpositionen Fälle regieren, und Fälle zu Substantiven gehören und Substantive groß geschrieben werden?

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2014 um 04.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1435

auf du und du, reformiert auf Du und Du (ausgerechnet nach Abschaffung des großen D in der Briefanrede und damit überhaupt! Jetzt trifft das eine Du auf ein anderes Du, richtig philosophisch!).

Die Redewendung ist gewissermaßen ikonisch, weil sie die Gegenseitigkeit nicht aussagt, sondern abbildet: Der eine sagt du, der andere sagt auch du.

 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 22.09.2013 um 23.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1163

"FAZ.NET [heute] stellt die Aussagen der Parteien vor der Bundestagswahl auf den Prüfstand: Wie unterscheiden sie sich? Unterscheiden Sie sich überhaupt? Testen Sie Ihr Wissen bei unserem Quiz."

 

Kommentar von R. M., verfaßt am 05.07.2013 um 21.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1098

Ikea haut seine Kunden weiterhin in Kleinschreibung an. Es soll locker und skandinavisch wirken (was im Grunde schon selbstwidersprüchlich ist), wirkt aber plump und retro.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2013 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1097

Die Grünen werben auf Plakaten mit dem Spruch UND DU? – In den Zeitungen wird das durchweg so wiedergegeben: Und Du?

Der Eindruck, daß man du jetzt immer groß schreiben muß, ist weit verbreitet. Das ist sehr komisch, denn gerade die Kleinschreibung des Pronomens war ja ein Herzensanliegen der Reformer.

 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 18.06.2013 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1090

Es gibt noch eine Kategorie mit persönlicher Anrede, die niemals einem Leser persönlich gilt: Todesanzeigen ("Wir werden dich immer in Erinnerung behalten" u. ä.).

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2013 um 05.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1084

Natürlich kann man die Kasuistik immer weiter treiben, vor allem wenn man annimmt, daß es irgendwo die einzig richtige Regel geben muß, die es zu entdecken gilt – aber das glauben wir hier hier ja bestimmt nicht. Also bin ich auch dafür, die Sache locker zu nehmen.

Nur zu einem Punkt noch eine Bemerkung: Wenn man einen Brief, in dem Du groß geschrieben ist, zitiert, wird man natürlich das Du ebenfalls groß schreiben. Das gehört zur Technik des Zitierens. Klein würde ich es schreiben, wenn es um die Wiedergabe einer mündlichen Rede oder eben eines Textes geht, in dem aus anderen Gründen nicht groß geschrieben worden ist.

Bei Anleitungstexten ist es eine Ermessensfrage, ob man sie im Stil von Briefen halten will, was pädagogisch durchaus sinnvoll sein kann. Die Ersetzbarkeit durch man ist ein Hinweis, aber ob das ausreicht? Nimm an, du befändest dich in einer Rakete, die mit einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit ... Und dann geht es weiter zur Speziellen Relativitätstheorie. Das wäre so ein Fall. Hier geht es nicht um eine Beziehung zwischen Schreiber und Leser, die irgendwie sozial zu gestalten, also gegebenenfalls durch Höflichkeit zu glätten wäre. Vielmehr wird vorausgesetzt, daß der Leser die Relativitätstheorie verstehen will, die Anrede samt Imperativ also keine Zudringlichkeit ist, sondern nur eine Erklärungstechnik. Aber wie gesagt, das kann man auch anders sehen.

 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 13.06.2013 um 15.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1082

Meine Formulierung "Wenn ich jemanden persönlich anspreche [...]" war zu ungenau, da sie die wiedergegebene Ansprache (noch genauer: angeführtes, zitiertes Ansprechen oder Anschreiben) außer acht ließ. Dieses Kriterium war dem Duden (20. Auflage) allerdings wichtig, denn R 71 ergänzte zur Großschreibung:
"Bei der Wiedergabe von Reden, Dialogen u.ä., in Protokollen, Prospekten, Lehrbüchern u.ä. wird jedoch klein geschrieben."

Als ich mich vor Jahren mit dieser (nur scheinbar deskriptiven) Regel befaßte (www.schriftdeutsch.de/ortr-gro.htm) und etliche Verwandte und Bekannte nach der GKS von du/Du befragte, stellte ich fest:

–> Wenn ich die Befragten eine Anrede auf einen Zettel schreiben ließ, sah ich fast immer "Du", "Dich" etc.; Kleinschreibung war die seltene Ausnahme.
–> Wenn ich explizit fragte, wie denn das du zu schreiben sei, sagten alle: "groß" – auch jene wenigen, die zuvor "du" (also klein) geschrieben hatten.
–> Wenn ich fragte, wie es denn in einem Zitat zu schreiben sei ("Ich sende Dir [...]", "Ich liebe Dich!" etc.), waren die Befragten irritiert und verstanden nicht, worauf ich hinauswollte. Wenn ich sie um eine Schriftprobe bat, schrieben sie in einem Satz mit Anführungszeichen immer wie zuvor".

Unter den Befragten waren übrigens keine Korrektoren, Lektoren oder Lehrer – normale Menschen eben ;-).

Ich halte die präskriptive Regel, klein sei du in angeführter (mündlicher) Rede zu schreiben, für künstlich und wenig plausibel: Wenn mich jemand in einer eMail (um den im privaten Gebrauch selten gewordenen papiernen Brief nicht weiter zu zitieren) mit großem Du anspricht und ich es für geboten halte, ihn in meiner Antwort wörtlich zu zitieren, wieso sollte ich das Du dann in ein du umwandeln? Wer macht das? Und warum sollte ich eine mündliche Ansprache mit kleinem du verschriftlichen?
Ein Unterschied zwischen eigener und der Anrede Dritter wird im allgemeinen nicht oder nicht als relevant empfunden, und dem schließe ich mich an. Ich empfinde bei Du und du keine unterschiedlichen Grade von Hoflichkeit oder Vertrautheit, den Erläuterungen des Duden kann ich also nicht folgen.

Ganz anders verhält es sich mit Anleitungstexten (obwohl man selbst dort immer wieder große Anredepronomen finden kann):
"Wo machst du eine Pause?" "Nimm 30 g Butter!" stellen in der Tat keine persönlichen Anreden dar, sondern lassen sich mit dem unpersönlichen man paraphrasieren: "Wo macht man eine Pause?" "Man nehme 30 g Butter."

Es herrscht in dieser Frage der GKS übrigens nicht nur Unsicherheit, sondern auch ideologische Verkrampfung oder Kulturkampf: Manche Mitmenschen sind besonders "modern", sie halten das kleine du wie das ss für ein wichtiges Signal der "Rechtschreibreform" und wollen damit ihre Fortschrittlichkeit demonstrieren ...

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2013 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1080

Darauf wollte ja Herr Martin schon Rücksicht nehmen und die Kleinschreibung für diesen Fall reservieren. Allerdings dürfte die Abgernzung zu einer Anrede nicht leicht sein. Ein ähnlicher Fall ist der Imperativ anstelle eines Konditionalsatzes.
Bei mir bleibt es der Entscheidung des Schreibers überlassen, ob er Höflichkeit (oder "Dämpfung") für angebracht hält oder nicht. So ist es eigentlich immer gehandhabt worden.

Die heute herrschende Unsicherheit in dieser Frage ist ein ebenso bedenkliches Ergebnis der Reform wie die verblüffende Tatsache, daß die Deutschen nicht mehr wissen, wie sie die Tageszeiten schreiben sollen, und auch in den Nachschlagewerken nichts Deutliches darüber finden.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.06.2013 um 09.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1079

Das "du" wird auch als Ersatz für "man" gebraucht. Dann ist es gar keine Anrede.

 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 13.06.2013 um 08.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1078

§ 66 E sieht nur die die Großschreibung des Anredepronomens und des Possesivpronomens vor, und der eigentliche § 66 (im Kasten) erwähnt ebenfalls nur diese beiden. Nachdem 2006 auch der Grundsatz, daß die Kleinschreibung der Normalfall ist, aus den Vorbemerkungen gestrichen worden ist, kann man anhand der formulierten Regeln gar nicht mehr sagen, ob dir/Dir groß oder klein geschrieben werden soll.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2013 um 04.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1077

Herr Martin hat eine in sich stimmige Regelung für die GKS bei Anredepronomina vorgeschlagen. Allerdings entspricht sie nicht der herkömmlichen Regelung, die vielmehr von Herrn Riemer exakt wiedergegeben wird.

Der Duden hatte den Schreibbrauch einigermaßen richtig dargestellt, aber den sachlichen Hintergrund nicht immer richtig erfaßt. In meinem Wörterbuch heißt es kurz:

§ 16 Großschreibung der Anredepronomina
(1) Das Anredepronomen Sie und seine Flexionsformen sowie der zugehörige Possessivartikel Ihr werden immer groß geschrieben, ebenso die Anrede Ihr für Einzelpersonen.
(2) Das Anredepronomen Du und seine Flexionsformen sowie der zugehörige Possessivartikel Dein werden in Briefen und ähnlichen Texten groß geschrieben.
Anm. 1: Klein geschrieben wird du in angeführter mündlicher Rede sowie in Anleitungstexten, die keine echte persönliche Anrede enthalten: Er sagte: „Ich habe dich lange nicht gesehen.“ Schlag dein Wörterbuch auf und sieh nach, wie die folgenden Wörter geschrieben werden. (Schulbuch)
Anm. 2: Das Reflexivpronomen sich wird immer klein geschrieben: Haben Sie sich entschieden?



In meinem "Kritischen Kommentar" heißt es zu § 66 der Neuregelung:

Dieser Paragraph ist aus systematischer Sicht eigentlich überflüssig, da sich im Regelwerk kein Hinweis darauf findet, daß die Anredepronomina du usw. groß geschrieben werden könnten. Der Paragraph dient offenbar nur dazu, die bisherige Schreibweise in Briefen und ähnlichen Schriftstücken ausdrücklich zu ändern. Als Grund dieser Maßnahme wird gewöhnlich angegeben, daß der Bereich dieser Anwendungsfälle von R 71 des geltenden Duden nicht scharf abgegrenzt werden könne. Das trifft zu. Der Duden zählt auf: „feierliche Aufrufe und Erlasse, Grabinschriften, Widmungen, Mitteilungen des Lehrers an einen Schüler unter Schularbeiten, auf Fragebögen, bei schriftlichen Prüfungsaufgaben usw.“ Was bleibt dann noch für die Kleinschreibung übrig? „Bei der Wiedergabe von Reden, Dialogen u. ä., in Protokollen, Prospekten, Lehrbüchern u. ä.“ soll klein geschrieben werden. Man kann also sagen, daß immer dann klein geschrieben wird, wenn der Schreibende weder in eigenem Namen spricht noch eigene Willensbekundungen abgibt. Dann ist nämlich keine höfliche Dämpfung der mit jeder Anrede verbundenen Zudringlichkeit erforderlich. In einem Lehrbuch kann es zum Beispiel heißen:
Lies die Sätze langsam vor. Wo machst du eine Pause? (Duden 1991, S. 34)
Hier fordert der Verfasser den Leser nicht eigentlich auf und will auch nicht wirklich wissen, wonach er fragt, sondern leitet zu einer Übung an und bedient sich dazu der konventionellen Form des Aufforderungssatzes bzw. der Frage. In neueren Lehrbüchern ist es üblich geworden, solche didaktischen Imperative mit einem höflichen bitte zu versehen, wodurch der Text in die Nähe einer wirklichen Aufforderung gerät – als tue der Leser dem Verfasser und nicht sich selbst einen Gefallen, wenn er der Aufforderung folgt. Dann ist wahrscheinlich auch die Höflichkeitsgroßschreibung angezeigt.
Im übrigen ist der staatliche Eingriff in die Höflichkeitsschreibung kaum zu rechtfertigen. Zweifelhafte Grenzfälle sind kein Grund, die ganze Erscheinung, die ja eher in die gesellschaftlichen Umgangsformen als in die Orthographie gehört, einfach zu beseitigen. Der Eingriff überschreitet auch in grundsätzlicher Weise die Fähigkeiten einer Expertenkommission, denn man kann nicht durch die Wissenschaft feststellen lassen, wann Höflichkeit angebracht ist.
In den Duden-„Informationen“ vom Dezember 1994 wird dekretiert:
„Duzt man jemanden, so besteht kein Anlaß, durch Großschreibung besondere Ehrerbietung zu bezeugen.“
Im Duden-Taschenbuch heißt es:
„Dieses Pronomen (du) drückt Vertrautheit aus, die Anwendung der Großschreibung für die distanziert-höfliche Anrede ist daher nicht angemessen.“
Das festzustellen oder festzusetzen ist gewiß mehr, als eine Rechtschreibkommission tun kann und darf. Auch geht es nicht um „Ehrerbietung“, sondern um Höflichkeit, bei einigen der genannten Textsorten auch um Feierlichkeit oder Förmlichkeit. Es ist übrigens eine sonderbare Vorstellung, daß Generationen von Deutschen sich in Briefen „nicht angemessen“ ausgedrückt haben sollten, ohne es zu merken.
Der Paragraph geht, soweit er die Schreibung von Briefanreden regelt, über den Bereich hinaus, für den der Staat laut Vorwort „Regelungskompetenz“ hat. Briefe an Duzpartner sind Privatbriefe. Der Paragraph legt also offen, daß die Adressatenbestimmung des Vorworts nur ein Vorwand zur Beschwichtigung beunruhigter Bürger ist. In der Schule lernen die Schüler eben auch, wie man Privatbriefe schreibt. Sie lernen dort überhaupt, wie man schreibt. Das bestätigt noch einmal den Kommentar zum Vorwort. Während es nach dem Gesetz die Aufgabe der Schule ist, die jungen Menschen auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten, wozu selbstverständlich auch die Vermittlung der Umgangsformen gehört, maßen sich die Kultusminister an, in diesem Punkt ausdrücklich einen Gegenkurs zu steuern und die Schule als Hebel zur Umerziehung des ganzen Volkes zu benutzen. Ganz genau analog wäre es, wenn die Schule den Kindern beizubringen hätte, daß man ältere Personen nicht zuerst grüßt und ihnen, wenn sie gebrechlich sind, keinen Sitzplatz anbietet. Den Kindern ein Benehmen beizubringen, das viele Erwachsene als flegelhaft beurteilen, ist eine kulturrevolutionäre Überhebung des Staates. Mit den vom Duden herkömmlicherweise erwähnten Grabinschriften und ähnlichen Texten – Die Erde möge Dir leicht sein [R 71] – werden Bereiche gestreift, zu denen eine bürokratisch verordnete Rechtschreibung normalerweise keinen Zugang hat. In Deutschland wäre es allerdings nicht auszuschließen, daß die Friedhofsordnungen entsprechende Vorgaben der Regierung übernehmen und den Hinterbliebenen die Kleinschreibung der Totenanrede zur Pflicht machen.
Das hessische Kultusministerium versucht, den offenkundigen Widerspruch, der nach der eigenen Logik der Reformer in der Normierung eines privaten Sprachgebrauchs durch die Schule liegt, folgendermaßen zu entkräften:
„Durch die Rechtschreibreform sind weder Grundrechte noch Elternrechte, noch andere Rechte berührt. (...) Welches Recht kann ernsthaft davon berührt sein, wenn in Briefentwürfen in der Schule die Anrede-Pronomina du, dein, dich usw. nicht mehr als fehlerhaft angestrichen werden, wenn sie klein geschrieben werden?“ (Standardbrief vom September 1997)
In der Schule werden keine wirklichen Privatbriefe verfaßt, wohl aber „Entwürfe“ dazu – weil eben für das Leben und nicht für die Schule gelernt werden soll. Aber welchen Sinn haben „Entwürfe“, wenn sie nicht grundsätzlich ebenso aussehen wie der Ernstfall, für den geübt wird? Übrigens vergißt der mit der Durchsetzung der Reform beauftragte Beamte zu erwähnen, daß die Großschreibung, die der Schüler im Ernstfall, also etwa im Brief an die Oma, weiterhin verwenden mag, im Entwurf als fehlerhaft angestrichen werden soll.
Während das Anredepronomen in allen nicht-anführenden Verwendungen nunmehr klein geschrieben werden soll, ist für die Wendung auf Du und Du überraschenderweise Großschreibung vorgesehen. Das Wörterverzeichnis verweist zur Begründung auf § 55(4), wo jedoch von „Substantiven, die Bestandteile fester Gefüge sind und nicht mit anderen Bestandteilen des Gefüges zusammengeschrieben werden“, die Rede ist. Das ist nicht einschlägig, und so hängt die neue Großschreibung gänzlich in der Luft.

 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 13.06.2013 um 00.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1076

Lieber Herr Martin,
im Grunde bin ich der gleichen Meinung wie Sie:
Wenn ich jemanden persönlich anspreche, schreibe ich das Pronomen 2. Person Sing. und dessen Ableitungen groß: Du, egal, ob es mein Brief an ihn ist oder nicht.

Aber ich wüßte tatsächlich nicht, wo sonst, außer in einem Brief, E-Mail oder ähnlichem, ich jemanden persönlich ansprechen, d.h. eigentlich anschreiben könnte.

Sie bringen das völlig zusammenhanglose Beispiel "Wenn Du Dich an Deine Zusage erinnerst, [...]". Es könnte doch sein, und es ist wegen der Anführungszeichen sogar sehr wahrscheinlich, daß dieser Satz von einem Dritten geschrieben wurde, der nur wiedergibt, was ich wörtlich zu jemandem gesagt habe. Es handelt sich nicht um seine persönliche Anrede an jemanden, wieso sollte er das, was ich sage, in eine höfliche Form kleiden? Das wäre meine eigene Angelegenheit. Wenn er nur weitererzählt, was ich gesagt habe, so gibt es für ihn keinen Grund, "du" in diesem Satz groß zu schreiben.

 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 12.06.2013 um 22.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1075

Leider wurde und wird diese Ausnahme selbst in professionellen Texten, Medien und Zitaten auch auf die wörtliche Rede übertragen: "Das bleibt Dein Problem", sagte Schweinsteiger zu Lahm. Das ist Unfug, das ist falsch! Eine wörtliche Rede ist kein Brief. Falsch?

Die Unterscheidung zwischen wörtlicher Rede und Brief (wie ist denn dieser definiert?) ist künstlich und nicht plausibel (bzw. "falsch"); sie entspricht daher auch nicht dem allgemeinen Schreibgebrauch – auch nicht dem offiziellen: Auf einer 100-Pfennig-Briefmarke von 2000 z. B. war unter einem roten Kreuz in Schreibschrift zu lesen: "Für Dich". Ich habe folglich eine ganz andere Auffassung:

– Wenn ich jemanden persönlich anspreche, schreibe ich das Pronomen (bzw. Possessivadjektiv) der 2. Person Singular immer groß, auch wenn die Textsorte kein "Brief" ist:
"Wenn Du Dich an Deine Zusage erinnerst, [...]"
– Wenn ich die 2. Person Singular jedoch unpersönlich im Sinne des unpersönlichen man verwende, schreibe ich das Pronomen klein: "In 200 Jahren siehst du hier nur noch Wasser - da kannst du nichts machen." "Als Bauer im Mittelalter hattest du [...]"

Durch Groß- bzw. Kleinschreibung markiere ich also einen Bedeutungsunterschied. Das ist übrigens auch beim distanzierenden Sie und Ihr (3. Person Plural zur distanzierten Ansprache) gegenüber sie und ihr Praxis.

 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 11.06.2013 um 22.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1072

Viel mehr noch als durch die bei einem Laien verzeihlichen philologischen Irrtümer erweist sich die unsägliche Bumsköpfigkeit des Herrn Schmachthagen in seiner Empfehlung, lieber nicht "wegen meiner" oder "wegen unser" zu schreiben, weil das heutzutage gesteltzt klingen könne, derweil er "wegen mir" und "wegen uns" für falsch hält. Der Mann muß als CvD eine Heimsuchung für seine Kollegen sein, unerträglicher als der dümmste Schlußredakteur.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2013 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1070

In einem anderen Beitrag schreibt Schmachthagen:

"Wie soll ein Grundschüler wissen, dass ein Psych-iater den Weg in die Seele findet, während ein Psy-chologe sich in die Psy-che anderer hineindenken kann? Klein Fritzchen müsste also erst im Kindergarten das Latinum und Graecum ablegen, bevor es in die 1. Klasse darf, um Deutsch zu lernen." (HA 9.2.13)

Ich selbst hatte schon vor der ersten Klasse das Latinum und das Gräkum erworben und trennte daher gleich in der ersten Unterrichtsstunde Psychiater richtig.

Ich hatte Schmachthagens weltfremden Text zuerst amüsiert überflogen, aber inzwischen ist mir etwas aufgefallen: Sollte er in Psychiater etymologisch etwas anderes entdeckt haben, als tatsächlich drinsteckt? Vielleicht das lateinische iter?)

Eine andere Stelle:

"Falls vor der Rechtschreibreform ein Schüler 'toller Tolpatsch' schreiben sollte, fiel es ihm schwer, zwischen einem und zwei 'l' zu unterscheiden. Zur Not half damals auch einmal eine Ohrfeige, bis er es kapiert hatte. Ohrfeigen im Unterricht sind heutzutage glücklicherweise verboten und in diesem Fall auch nicht mehr notwendig. Seit 1998 schreiben wir den Tollpatsch mit Doppel-l." (HA 4.10.12)

Ja, das waren schlimme Zeiten! Wir haben in der Schulen jede Woche mindestens zweimal Tolpatsch falsch geschrieben, und dann wurde drauflos geprügelt. Das hat sich seither von Grund auf verbessert:

"Wir Älteren mussten uns zuerst daran gewöhnen, dass der 'Stengel' zum Stängel, die 'Gemse' zur Gämse und die 'Greuel' zu Gräueln geworden waren. Manch einer schnäuzte ('schneuzte') sich überschwänglich ('überschwenglich') und sah sein Fachwissen bedroht. Die deutsche Sprache ist jedoch so kompliziert, dass jede Vereinfachung ihre Akzeptanz nur erhöhen kann." (HA 4.10.12)

Jetzt ist die deutsche Rechtschreibung so einfach, daß man kein "Fachwissen" mehr braucht, um Gämse zu schreiben, wie Exministerin Hohlmeier, die bekanntlich nur noch Gämse schreibt, und das schon seit 17 Jahren.

 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.06.2013 um 16.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1069

"Wegen" wird umgangssprachlich mit dem Dativ benutzt.

Daß "ich" und "du" für Substantive stehen, kann man bei Kleinkindern beobachten, die von sich selbst und der angesprochenen Person zuerst mit ihren Rufnamen sprechen.

Daß die Possessivpronomen "Ihr" und "ihr" unterschiedliches bedeuten können, sieht man an "Sehen Sie Ihr Auto?" (des Angesprochenen) und "Sehen Sie ihr Auto?" (einer dritten Person). (In slawischen Sprachen muß man im ersten Fall "Ihr eigenes" und im zweiten Fall "deren" sagen.)

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2013 um 08.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=189#1068

Schmachthagen hat sich wieder an die Arbeit gemacht, um unsere Blüthen-Sammlung zu vermehren: siehe www.abendblatt.de.

Wieder einmal knöpft er sich die Briefanrede vor und nennt das große Du "unsäglich" – das ist ja seine Lieblingsvokabel, die jedes weitere Nachdenken erspart. Immerhin wird klar, daß er glaubt, sich auch in Privatbriefen (wann sonst duzt man sich?) an die Vorschriften der KMK halten zu müssen.

"Ein Pronomen steht für ein Nomen ("pro nomen"), ist also ein Fürwort."

("pro nomen" ist Schmachthagens Latino sine flexione.) Nun, nehmen wir die gleich anschließend besprochenen ich, du – für welche Nomina stehen sie denn?

"Als häufiger Fehler ist zu beobachten, dass zwar das Personalpronomen großgeschrieben wird, aber nicht das zugehörige besitzanzeigende Fürwort: 'Grüßen Sie ihre Frau!', sagte er zum Abschied. Nein, natürlich 'Ihre' Frau! Wir wollen hier nicht untersuchen, ob man eine Frau besitzen kann, aber großschreiben sollte man sie schon – zumindest orthografisch gesehen."

Wie man sieht, greift er nochmals auf die Etymologie zurück und interpretiert Possessivpronomen bzw. besitzanzeigendes Fürwort wörtlich. Wenn ich von der unsäglichen Rechtschreibreform und ihrem Verteidiger Schmachthagen spreche, würde er wahrscheinlich fragen: Kann die Rechtschreibreform mich besitzen? Worauf man antworten müßte: Aber ja doch! Sie sind von ihr besessen.

 

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