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09.02.2010
„Die gesetzlich verordnete Rechtschreibreform“
Auseinander oder doch zusammen?
Herr Ickler hat ihn bereits aufgespießt, aber da dieser Artikel so kurios ist, darf er in dieser Rubrik nicht fehlen.
Die Leiden des Rechtschreibers
Auseinander oder doch zusammen?
Die gesetzlich verordnete Rechtschreibreform, die durch viele Diskussionen zu einem Reförmchen mutierte, ist inzwischen zu einer Art Selbstbedienungsladen geworden: Mehr oder minder schreibt jeder, wie es ihm gerade vor die Finger kommt. Höchst ärgerlich bei der amtlich verordneten Form des Schreibens war – und da hatte der Erlanger Germanist Theodor Ickler völlig recht –, dass zusammengesetzte Wörter ausnahmslos auseinander geschrieben werden sollten.
Dass dies zu Bedeutungsverwirrungen führte, lässt sich mit ein paar Beispielen mühelos belegen. Wenn jemand in einem Lager die Paletten hoch stapelt, ist er noch lange nicht unter die Hochstapler geraten. Wenn jemand aus vielen kleinen Bausteinen eine Figur ohne Vorlage frei legt, dann hat er noch lange nicht das getan, was Archäologen mit verbuddelten Ruinen tun: freilegen. Und mancher Politiker gibt sich zwar viel versprechend, doch ist er deswegen noch lange nicht vielversprechend.
Und zusammenarbeiten heißt nicht, dass man – im Zeitalter der Telekommunikation – auch wirklich an einem Ort zusammen arbeitet. Schwierig wird es mal wieder mit «sein»: Wenn wir mit jemandem zusammen sind, bezeichnet man dies gemeinhin als Zusammensein. Ein feststehender Begriff in der Werbung muss nicht unbedingt auf einem Ständer fest stehen, er kann auch hängen – auf einem Wandplakat zum Beispiel. Und falls der Marathon nach dem Zusammenbruch eines Läufers weitergeht, dann können alle anderen weiter gehen als der Zusammengebrochene. Die Sanitäter werden dem armen Läufer sicher weiter helfen, ob sie ihm aber weiterhelfen können, ist zumindest fraglich.
Der Fortbestand dieser sinnigerweise zusammengeschriebenen Wörter ist nun, statt dass er fort ist, gesichert. Das freut den Menschen, der sich mit Bedeutungslehre befasst – den armen Schülern, die die Rechtschreibung erst erlernen müssen, macht er eher keine ungetrübte Freude.
Gerfried Ernst
Quelle: Nürnberger Zeitung
Link: http://www.nz-online.de/artikel.asp?art=1170137&kat=317
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 12.02.2010 um 15.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=164#786
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Am kuriosesten ist, daß der Blödsinn gedruckt wurde. Der Redakteur ist wahrscheinlich sogar sehr stolz darauf, solch gescheite Sachen schreiben zu können, und der Verlag obendrein glücklich, einen solch tüchtigen Mann zu haben. Das ist nur möglich auf der Grundlage eines breiten Konsenses, nicht so genau hinzuschauen.
Erstaunlich ist ja auch, daß in der Berufsgruppe mit dem mutmaßlich größten reformbedingten Umschulungsbedarf von entsprechenden Kursen oder Seminaren kaum die Rede war. Was es gab, war die dpa-Handreichung von 1999, außerdem Versuche der Verlage, mit Bordmitteln wie z.B. hausintern für verbindlich erklärten Wörterlisten das Problem in den Griff zu bekommen. Jede Anstrengung darüber hinaus hätte die Behauptung ad absurdum geführt, die Reformorthographie erleichtere das Schreiben. Der Behauptung konnte ein Verlag jedoch nicht gut widersprechen, wenn er sich einmal entschieden hatte, der Reform zu folgen.
Diesem Muster – Selbsttäuschung durch Wegsehen – folgt dann der Umgang mit der Reform insgesamt. Daher auch immer wieder die Behauptung, die Reform sei Gesetz oder – als Ausdruck maximal zulässiger Distanzierung – „gesetzlich verordnet“. Es muß einfach so sein, um weiterhin eine Rationalität des eigenen Verhaltens simulieren zu können. Tatsachen spielen in diesem Stadium keine Rolle mehr.
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