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Nachrichten rund um die Rechtschreibreform

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30.11.2004
 

Politikberatung (Forts.)

Der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Professor Dieter Borchmeyer, hat ebenfalls an die Bundestagsabgeordneten geschrieben.

Hier der Wortlaut seines Briefes:


»Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

als Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und Literaturwissenschaftler an der Universität Heidelberg möchte ich dringend an Sie appellieren, bei der bevorstehenden Aussprache über die Rechtschreibreform den von einigen Abgeordneten initiierten Gruppenantrag zu unterstützen.

Dieser Antrag beginnt mit der kaum zu leugnenden Feststellung, daß die sogenannte Rechtschreibreform gescheitert ist. Die Bayerische Akademie der Schönen Künste hat in Übereinstimmung mit allen anderen Akademien der Wissenschaften und Künste ihre Haltung in dieser Frage wiederholt zum Ausdruck gebracht, unter anderem durch die Herausgabe des Buches „Deutsch – eine Sprache wird beschädigt“. Dieser Beschädigung muß endlich Einhalt geboten werden. Die deutschen Akademien haben die Kultusministerkonferenz in drei Erklärungen davor gewarnt, an der gewaltsamen Durchsetzung der sogenannten Reform festzuhalten.

Andere große Kulturnationen haben die Pflege der Orthographie ihren Akademien anvertraut. Wir bedauern, daß die deutschen Kultusminister in ihrer Mehrheit nicht bereit sind, unseren Rat anzunehmen. Statt dessen nehmen sie es hin, daß an Schulen und Behörden in Zukunft eine andere Schreibung verordnet wird als sie an den Universitäten, von Schriftstellern, Wissenschaftlern und den bedeutenden wissenschaftlichen und belletristischen Verlagen gepflegt wird. Wer in Zukunft der Bildungsgesellschaft angehören will, muß die auf der Schule gelernte Orthographie erst einmal wieder verlernen. Durch die Verwendung der alten oder neuen Rechtschreibung werden so Signale gesetzt, die auf eine unliebsame soziale Auslese hinauslaufen.

Es ist Ihnen gewiß bekannt, daß die deutschsprachigen Schriftsteller – darunter die Literatur-Nobelpreisträger Elfriede Jelinek und Günter Grass – und die führenden deutschen Sprach- und Literaturwissenschaftler nahezu einhellig die neue Rechtschreibung ablehnen. Es kann aber nicht die Aufgabe des Staates sein, eine Rechtschreibung zu verordnen, die von den eigentlichen Sachwaltern der Sprache und Schrift verworfen wird und deren lebendiger Dynamik widerspricht. Eben deshalb kann sie auch keinen Erfolg haben und wird nach einer Zeit der Irritation und des Chaos in der Orthographie und Interpunktion im Sande verlaufen.

Der Begriff „Reform“ suggeriert Fortschritt, Reformgegnerschaft hingegen Fortschrittsfeindlichkeit. Das ist aber in diesem Falle abwegig, kehrt die sogenannte Reform doch – zumal bei der Getrenntschreibung längst zusammengewachsener Wörter – zu überwundenen Stufen der Schreibentwicklung zurück, hat also inhaltlich und aufgrund ihres obrigkeitsstaatlich-autoritären Gestus einen durchaus reaktionären Charakter. Der von den Kultusministern beschlossene „Rat für deutsche Rechtschreibung“ hat nur eine der Gesichtswahrung der Kultusminister und der politischen Opportunität dienende Alibifunktion, denn der Termin der Inkraftsetzung der sogenannten Reform ist unverrückbar, und angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Rat steht das Ergebnis seiner Beratungen bis auf einige Schönheitskorrekturen von vornherein fest. Deshalb haben die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sowie das PEN-Zentrum ja auch ihre Mitwirkung in diesem scheindemokratischen, unangenehme politische Erinnerungen weckenden Rat ausgeschlagen.

Ich bitte daher den Deutschen Bundestag, die Einführung einer orthographischen Zweiklassengesellschaft zu verhindern und sich für die im vorigen Jahrhundert mühsam errungene Einheit der deutschen Schriftsprache einzusetzen.

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste empfiehlt Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, eindringlich, dem Gruppenantrag zuzustimmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
(gez.) Prof. Dr. Dieter Borchmeyer«



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Kommentar von DGfS, verfaßt am 01.12.2004 um 17.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=148#79

DGfS: Zukunft der Rechtschreibung ohne Expertenkompetenz?

Veröffentlicht von: Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft

In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung immer noch heftig diskutiert und in wesentlichen Teilen noch nicht akzeptiert wird. Die DGfS befürchtet, dass die mit diesen Auseinandersetzungen verbundene Varianz von alten, neuen oder auch individuell festgelegten Schreibungen die Einheitlichkeit der deutschen Standardsprache gefährdet. Die Verfestigung dieser Desintegrationstendenzen könnte negative Folgen für den Status des Deutschen als einer großen europäischen Sprache mit langer, reicher Schrifttradition haben. Dies gilt insbesondere für den Erwerb und die Praxis des Schreibens und Lesens sowohl von Muttersprachlern als auch von Fremdsprachlern. Es ist nicht sinnvoll, dass sich Schulkinder und Deutschlerner eine andere Schreibung aneignen als diejenige, die in Teilen der Presse und von zahlreichen Schriftstellern gepflegt wird.

Angesichts dieser Situation ruft die DGfS alle Verantwortlichen - vor allem die politisch Handelnden - dazu auf, der Einheitlichkeit der geschriebenen Standardsprache die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Damit ist auch die Forderung verbunden, die Normierung der deutschen Orthographie nicht dem Zufall parteipolitischer Willensbildung zu unterwerfen. Der "Rat für deutsche Rechtschreibung" (oder ein Gremium mit vergleichbarer Funktion) ist nach Ansicht der DGfS so zu konzipieren, dass darin sprachwissenschaftliche Kompetenz in relevantem Ausmaß vertreten ist und zum Tragen kommen kann; denn die Orthographie wurde in den letzten Jahren nachhaltig linguistisch erforscht. So liegen insbesondere zur Frage der Getrennt- und Zusammenschreibung mittlerweile fundierte Analysen vor. Das Expertenwissen über den Aufbau und die Funktionalität der deutschen Orthographie spielte in der öffentlichen Diskussion bisher leider keine Rolle. Stattdessen wurde die Debatte von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen mit teils sehr unterschiedlichen Interessen und Intentionen dominiert. Die Berücksichtigung sprachwissenschaftlicher Kompetenz würde demgegenüber integrierend wirken und könnte die skizzierten negativen Entwicklungen abwenden helfen.

Kontakt: Prof. Dr. Rosemarie Tracy (1. Vorsitzende der DGfS), Anglistische Linguistik, Universität Mannheim, Tel. 0621/181-2337, Fax: 0621/181-2336, rtracy@rumms.uni-mannheim.de PD Dr. Wolf Peter Klein (Pressesprecher der DGfS), Germanistisches Institut der Ruhr-Universität Bochum, Tel. 0234/32-28577, Fax: 0234/32-14254, peter.klein@rub.de


Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 01.12.2004 um 20.30 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=148#80

Wenn wir erst einen "Rat für deutsche Rechtschreibung" einsetzen müssen, wird folgendes passieren. In schwierigen und langwierigen Verhandlungen werden Änderungsvorschläge unterbreitet. Diese werden nach langem Ringen schließlich veröffentlicht und vom interessierten Sprachvolk kontrovers diskutiert, wobei ein Teil diese Lösungen ablehnen wird, während ein anderer sie vielleicht akzeptiert. Ein Großteil des Sprachvolks jedoch bekommt nur nebenher mit, daß sich schon wieder etwas ändert – wie oft eigentlich noch? – und nimmt das natürlich nicht mehr ernst. 1996 hat man gerade noch verstanden, daß das ß abgeschafft sei und alle möglichen Wörter getrennt bzw. groß geschrieben würden. Man weiß, daß Schifffahrt mit drei f geschrieben wird. Mit diesem Wissen wähnt sich der einfache Schreiber ausreichend ausgestattet. Man braucht nicht viel Phantasie, sich auszumalen, wie sich unsere Schriftsprache in etwa fünf bis zehn Jahren präsentieren wird, will man den nun eingeschlagenen Weg mit Herrn Zehetmair an der Spitze weitergehen.
Im Moment haben wir folgendes Bild: Auf der Suche nach den richtigen Wegen irren alle Sprachbenutzer durch das Labyrinth unserer Sprache und zertrampeln dabei die Wortbeete. Mit dem Aufstellen weiterer orthographischer Wegweiser ist da nichts mehr zu machen, zu weit ist die Konfusion fortgeschritten. Es gibt nur eine Möglichkeit, das Chaos, das nunmehr im Sprachgarten herrscht, zu beenden: Es muß ein Böller abgefeuert werden, der alle Sprachbenutzer akustisch erreicht. Dieses Signal bedeutet: Rückkehr aller zum Eingang. Und dann machen wir uns noch einmal gemeinsam auf den Weg und räumen fort, worüber wir stolpern könnten.



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