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31.10.2004
 

Mit der Logik der Lemminge
Die »Arbeitsgruppe Rechtschreibreform« der KMK

Der Rat für Rechtschreibung ist eine Farce – eine ziemlich ausgeklügelte allerdings.

Die Autoren dieser Farce sind nicht Politiker, sondern Beamte: die Mitglieder der Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der KMK. Ihre Beharrlichkeit hat – so, wie Horst Haider Munske sie beschreibt – etwas Roboterhaftes (die Beharrlichkeit, mit welcher der Berliner Tagesspiegel Munskes Text in die denkbar orthodoxeste Reformorthographie überträgt, freilich auch).



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Kommentare zu »Mit der Logik der Lemminge «
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Kommentar von Mehmet Lindenthal, verfaßt am 20.11.2004 um 23.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=125#50

Wer von 1988 bis heute der Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der KMK angehört (hat), ist schwer zu ermitteln. Immerhin bringt Zabel in Keine Wüteriche, S. 50 eine Namensliste, die sich auf ein Gespräch zwischen der KMK-Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ und den Hauptbearbeitern des Reform-Entwurfs vom 5. 3. 1993 bezieht. Die „Arbeitsgruppe“ nahm daran in folgender Zusammensetzung teil:

Ministerialrat Dr. Krimm (Bayern), Regierungsschuldirektor Lübke (Baden-Württemberg), Oberschulrätin Dr. Kabisch (Berlin), Referatsleiterin Dr. Thiemann (Brandenburg), Ltd. Ministerialrat Habedank (Hessen), Ministerialrat Pohle (Niedersachsen), Ltd. Regierungsschuldirektor Dr. Schindler (Nordrhein-Westfalen),
Ministerialrätin Lipowsky (Rheinland-Pfalz), (Sachsen).

Gäste
Ministerialrätin Dr. Palmen-Schrubbers, BMI Verwaltungsangestellte Pella, BMI

Sekretariat der Kultusministerkonferenz
Oberstudienrat Dr. Funk

Vorsitz:
Ministerialdirigent Niehl, NW

Am 1. 12. 1995 teilte die KMK mit: „Der Schulausschuß/die Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ wird gebeten, die Umsetzung der Neuregelung im Schulbereich zu begleiten.“

Herr Schindler sagte 1997 bei einem Streitgespräch mit Prof. Stetter (Aachen) an der FH Köln, die „Arbeitsgruppe“ habe sich auf eine formale Prüfung des Reform-Entwurfs beschränkt, und fügte hinzu: „Ich versuche die Regelungen so zu verstehen, daß Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, Entscheidungen über richtig und falsch zu treffen.“

Zur Notwendigkeit der Einsetzung einer Kontrollgruppe seitens der KMK äußerte sich der sächsische Wissenschaftsminister Dr. Meyer (Vizepräsident der KMK) am 26. 3. 1998 vor dem Bundestag: Man muß sich einmal in aller Ruhe klarmachen, um was es hier geht. Seit 1950 wird in Deutschland über die Notwendigkeit gesprochen, die Rechtschreibung neu zu regeln. Das kann ja auch niemanden verwundern, der sich klarmacht, daß die Regelung der Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahrhundert zurücklag. Wie immer, wenn eine Reformnotwendigkeit besteht, sind Revoluzzer und Radikalinskis zur Stelle. Ihre Vorschläge, die Vorschläge, die 1950 und in den Folgejahren gemacht wurden, hätten uns in der Tat von der kulturellen und literarischen Tradition abgeschnitten. Die wildesten Vorschläge kamen übrigens aus jener akademischen Profession, aus der uns jetzt die lautesten Vorwürfe erreichen, wir würden die Einheit und Tradition der Schriftsprache gefährden. Es war die Kultusministerkonferenz, die 1984 -- übrigens unter der Präsidentschaft von Georg Gölter -- diesem Treiben einen Riegel vorschob. Es war die Kultusministerkonferenz, die bis zum endgültigen Beschluß über die Neuregelung sorgfältig darauf achtete, daß die Regelung folgenden Kriterien genügen muß: erstens: Augenmaß und Zurückhaltung, um die deutsche Schrifttradition zu bewahren, zweitens: Größere Handhabbarkeit und geringere Fehleranfälligkeit der neuen Regeln, und schließlich: ein Höchstmaß von Übereinstimmung mit allen Ländern des deutschen Sprachraums. Genau dies bringt die neue Regelung.

Herr Haberdasch ist inzwischen im Ruhestand und in allen Funktionen durch Herrn Stillemunkes ersetzt.


Kommentar von SPIEGEL 25/1995, verfaßt am 02.11.2004 um 11.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=125#42

»Zwei Jahre im Zwielicht

Eine umfassende Reform der Rechtschreibung steht bevor. Sie bringt mehr Änderungen, als es bislang in diesem Jahrhundert gegeben hat. Letzte Instanz sind die deutschen Kultusminister der 16 Bundesländer, sie entscheiden im Herbst. Verzichten sie auf notwendige Korrekturen?

Den Schaden hätten die Schulen. Sie entfernten Scheiße und Furz aus einer langen Liste. Weder gegen irgendein anderes der 12 000 Wörter noch gegen irgendeine von 112 Regeln hatten sie noch Bedenken. So zufrieden war eine „Arbeitsgruppe“ von Beamten aus den Kultusministerien der 16 Bundesländer, als sie dieser Tage in Hannover zusammenkam. Ihr oblag nur noch ein letzter Check eines 244-Seiten-Vorschlags für die Reform der deutschen Rechtschreibung. Im November vorigen Jahres ist dieses Regelwerk bereits auf einer internationalen Konferenz in Wien verabschiedet worden: schon endgültig von Österreich und der Schweiz sowie sieben Ländern mit deutschsprachigen Minderheiten, hingegen von der deutschen Delegation mit dem Vorbehalt, daß die Kultusminister den Reformvorschlag noch billigen müssen. Dies soll nun am 28. September in Halle geschehen.

Noch in diesem Jahr würde dann das Werk in Wien feierlich unterzeichnet. Mit dieser Reform würde die deutsche Rechtschreibung stärker verändert als in den neun Jahrzehnten, die seit der Einigung auf das erste verbindliche Regelwerk im Jahre 1901 vergangen sind. Bislang haben die Deutschen nur aus Zeitungsartikeln und Sonderdrucken in etwa erfahren, worum es geht. Das Regelwerk war nur Beteiligten zugänglich. Veröffentlicht wird es erst in den nächsten Tagen (vom Verlag Günter Narr, Tübingen). Nun erst können die Betroffenen, vor allem Lehrer und Schüler, ermessen, was auf sie zukommt. Das Regelwerk ist ein Kompromiß zwischen den Wissenschaftlern, die sich fast alle die Reform radikaler und systematischer gewünscht hätten, und den Beamten aus den Kultusministerien, die bemüht waren zu verhindern, daß dem schreibenden Volk zuviel zugemutet wird.

Sieben Jahre brauchten beide Seiten in diversen Kommissionen, um sich zu einigen. Der siebenjährige Krieg um das Ausmaß der Reform hat in dem jetzt vorliegenden Regelwerk Spuren hinterlassen, die seinen Wert erheblich mindern. Positiv ist, daß vieles vereinfacht und erleichtert wird. Negativ ist, daß einiges unnötig schwierig bleibt oder sogar erschwert wird. Die Kultusminister haben die letzte Chance, das noch zu ändern.

Ein Beispiel: Erst auf der Wiener Konferenz im November 1994 endete der Streit um Fremdwörter. Wäre es nach den Reformern gegangen, müßten die Deutschen künftig Dubel, Siluette, Tur und Obergine, müßten sie auch Rytmus, Apoteke und Kommunikee schreiben. Die Kultusbeamten verhinderten das Schlimmste. Sie bestanden darauf, daß es weiterhin bei Double, Silhouette, Tour und Aubergine bleibt. Bei anderen Fremdwörtern ließen sie sich auf Doppelschreibungen als Kompromiß ein. Neben Rhythmus, Apotheke und Kommunique sind künftig auch Rytmus, Apoteke und Kommunikee erlaubt.

Bedarf dafür gibt es nicht. Machen es sich die Kultusminister leicht und ändern sie am Reformwerk nichts mehr, so machen sie es den Lehrern und Schülern schwer, die dann etlichen Unsinn und allerlei Unwichtiges lernen müssen. Ihnen stehen ohnehin schwierige Zeiten bevor, wenn die Reform so abläuft, wie es sich die Kultusbeamten der „Arbeitsgruppe“ vorstellen. Die neuen Regeln sollen erst in zwei Jahren, am 1. August 1997, in Kraft treten. Zwei Schuljahre lang - 1995/96 und 1996/97 - wird es eine „Phase des Zwielichts“ geben, wie Franz Niehl es nennt, der die Schulabteilung im Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und seit sieben Jahren die „Arbeitsgruppe Rechtschreibreform“ leitet. In diesen beiden Schuljahren wird es jedem Lehrer mehr oder minder freistehen, wieviel Altes er noch und wieviel Neues er schon lehrt. Und Unterricht, wie gewohnt, wird es erst vom Jahr 2001 an wieder geben. Bis dahin darf nicht als Fehler angestrichen werden, wenn jemand ein Wort nach alter statt nach neuer Regel schreibt.

Aber es wird wohl mehr Tempo in die Entwicklung kommen, als diese Zeitpläne vermuten lassen. Für unrealistisch hält sie Günther Drosdowski, langjähriger Leiter der Dudenredaktion. Ihm geht zwar die Reform zu weit, er will sie aber nun zügig verwirklichen. Verabschieden die Kultusminister im Herbst das Reformwerk, so wird noch in diesem Jahr der nächste Duden mit den neuen Regeln auf den Markt kommen. Die Redaktion arbeitet bereits „mit Hochdruck“ daran. Drosdowski: „Sobald der neue Duden vorliegt, wird kein Lehrer noch die alten Regeln lehren wollen und können.“«




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