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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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07.05.2006
 

Großkunden
Am Ende scheint der reformgebeutelte Dudenverlag doch noch das Geschäft zu machen

Dem Vernehmen nach wird er für die Deutsche Presse-Agentur (wo ja Jürgen Hein schon für diese "Lösung von der Stange" geworben hatte), den Axel-Springer-Verlag, den SPIEGEL und die F.A.Z. (und wen noch?) die Rechtschreibkorrektur einrichten und warten.
Federführend: Bernd Kreissig, Geschäftsführer der Brockhaus Duden Neue Medien GmbH. Mitgeholfen hat indirekt Exminister Zehetmair.
Das ist ein weiterer Schritt zur kalten Wiederherstellung des Dudenprivilegs. Durch die "Empfehlungen" des Rechtschreibrates ist ja die amtliche deutsche Rechtschreibung zur Zeit unterbestimmt. In die Lücke treten mit Billigung des Rates, der sich seiner Unfähigkeit zum Abfassen von Rechtschreibwörterbüchern vollkommen bewußt ist, die ohnehin privilegierten Wörterbuchverlage. In Deutschland kommt praktisch nur der Duden in Betracht. Allmählich werden also die früheren Zustände wiederhergestellt, nur schlechter und von einer ungünstigeren Basis aus. Die Textverhunzung geht weiter, ebenso die Barbarei an den Schulen.
Heute fiel aus der Zeitung eine Broschüre der Stahlindustrie. Neben anderen Skurrilitäten fiel die dreimalige Trennung "Kons-truktion" auf. Sie entspricht auf Wunsch des Rates und seines Vorsitzenden den amtlichen Regeln.
Mit einer Rücknahme der Reform könnten große Massen von Texten vor dem künstlichen Veralten gerettet werden. Die zweite amtliche und dritte nichtamtliche Revision der Reform wird jedoch weitere kostenträchtige und kulturzerstörerische Folgen nach sich ziehen.



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Kommentare zu »Großkunden«
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 07.05.2006 um 22.24 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4008

Da besteht doch die Hoffnung, daß die Duden-Redaktion zu ihrem sprachwissenschaftlichen Ernst und ihrer Kompetenz zurückfindet und alles sprachlich Falsche und Sinnlose, auch wenn es »amtlich« möglich sein sollte, aussondert – dann auch in den Wörterbüchern. Daß also der Duden die staatliche Bevormundung unterläuft und auf subversive Art wieder für eine ordentliche deutsche Rechtschreibung Sorge trägt – zumindest nicht nur die »schlimmsten« Auswüchse beseitigt, sondern auch viele »zweit- und drittschlimmste« – den Rest macht dann hoffentlich mit der Zeit die Erosion.
Leider haben beim Duden-Verlag – wie überall im Verlagswesen – die nicht unbedingt für ihr kulturelles Verantwortungsbewußtsein geschweige denn ihre Bildung berühmten Marketingleute das Sagen. Also darf man sich vorläufig nicht allzu viel davon versprechen.
 
 

Kommentar von Klaus Malorny, verfaßt am 07.05.2006 um 23.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4009

Lieber Herr Lachenmann,

Sie relativieren ja Ihre Hoffnung selber wieder. Zu Recht. Für Ihre Vorstellung müßte der Dudenverlag so etwas wie ein Rückgrat besitzen. Davon war aber seit der Reform nie etwas zu sehen, eher im Gegenteil. Die meinen doch, daß sie umso mehr verdienen können, je größer das Chaos ist. Warum also ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufgeben? Allein die Aufnahme von Wörtern wie Maschendrahtzaun und downgeloadet zeigt doch, daß dort alles andere als Vernunft oder Verantwortungsbewußtsein herrscht.

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 07.05.2006 um 23.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4010

Ohne unbescheiden erscheinen zu wollen: Es kommt so, wie ich es vor einiger Zeit zu prophezeien wagte. Die Wörterbücher bzw. der DUDEN werden wieder maßgeblich und aus eigenem Recht über die deutsche Rechtschreibung bestimmen. Wer soll es auch sonst machen? Damit kann man – vieleicht allzu optimistisch –, wie Herr Lachenmann es andeutet, die Hoffnung auf weitere Korrekturen im Sinne eines allmählichen stillen Begräbnisses der Reformleiche verknüpfen. Auch die Kultusminister werden nichts dagegen haben. Es muß bloß der Schein gewahrt bleiben, daß alles schön reformtreu abläuft. Kein Verantwortlicher wird auf die Idee kommen, es gelte hier ein hohes Gut zu verteidigen. Und der Rechtschreibrat? K. v.
 
 

Kommentar von Klaus Malorny, verfaßt am 08.05.2006 um 00.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4011

Hmm, so streng gewinnorientiert, wie ich den Dudenverlag sehe, stelle ich mir die Frage, wieso sie eine Menge Ressourcen (letztendlich Geld) in ein Projekt stecken sollten, mit dem sie dann nicht einmal werben dürften (return of investment, oder wie das heißt). Und dann haben sie noch diese Bertelsdinger im Rücken, die jederzeit aufspringen könnten und sie wegen der Abweichung von der "wahren Lehre" anprangern könnten. Konkret: Kann sich hier jemand vorstellen, daß der Duden innerhalb der nächsten 20 Jahre auf Eigeninitiative ein Wörterbuch herausbringt, daß die Wörter "aufwändig", "Portmonee", "einbläuen" nicht mehr enthält? Ich nicht.

 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 08.05.2006 um 06.51 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4012

… und die F.A.Z. (und wen noch?) die Rechtschreibkorrektur einrichten …

Mußte deswegen letzte Woche der Preis um 6,7 Prozent angehoben werden, um den vermutlichen Ausstieg vieler F.A.Z.-Leser im Falle einer Umstellung auf die Reformschreibung auszugleichen?

 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 08.05.2006 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4013

Die Erhöhung als solche wird wohl unabhängig von der RSR fällig sein. Aber das Timing in einer ruhigen Phase der Diskussion über das Verhalten der FAZ sicher nicht.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.05.2006 um 14.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4016

»Sprache ist Werkstoff des Journalisten und Aphrodisiakum zur Verführung des Lesers.« (Mathias Döpfner)
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 08.05.2006 um 15.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4017

Herr Döpfner schreibt:

"Will der Leser wirklich immer etwas wollen müssen? Das Prinzip Zeitung ist das Prinzip Führung.... Und das Prinzip Führung macht die Zeitung zugleich so zukunftssicher. Denn an das Prinzip Führung, an eine tiefe Sehnsucht nach Hierarchie, glaube ich genauso fest wie an die Funktion des Marktplatzes. Die Menschen wollen dort hin, wo sich möglichst viele treffen, um Informationen und Meinung und Waren auszutauschen."

In Sachen R-Reform freilich haben sich die Zeitungen führen lassen, und zwar an der Nase herum. Und das Umknicken zuletzt auch eines Herrn Döpfner macht einen denn doch skeptisch, was die Zukunft der Zeitung anbelangt. Denn zu Führung gehört auch Wahrhaftigkeit in der eigenen Überzeugung, Wehrhaftigkeit gegen Meinungs-Usurpatoren und die Hinlenkung des öffentlichen Blicks auf Machtmißbrauch, wo immer und wie immer er auftritt.

Ist das alles vorhanden, fragt sich der Leser, und war die R-Reform nur eine Episode, wo es ausnahmsweise mal nicht ganz so gut lief? Oder wollen die Menschen auch dort hin, wo möglichst viele denselben Unsinn glauben und mitmachen?
 
 

Kommentar von Ars distillandi de compositis etc., verfaßt am 11.05.2006 um 08.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=500#4027

... Oder wollen die Menschen auch dort hin, wo möglichst viele denselben Unsinn glauben und mitmachen? ...

Ja, genau das wollen sie. Es geht nicht um Richtigkeit oder Vernunft, sondern ausschließlich um die Richtung der Mehrheit, da die (naturgesetzlich) schon stimmen muß.

Erinnert sei auch an das mißbräuchliche Zeitungsgeschäft Alfred Hugenbergs, der in der Weimarer Republik und im Dritten Reich durch Pappmatritzen fast alle Medieninhalte steuern konnte, die damals gedruckt wurden.

So ist es eben.

 
 

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