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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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02.07.2014
 

Anonym, pseudonym
Vermummung im Internet

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs kann man zwar die Löschung falscher Behauptungen verlangen, nicht aber die Aufdeckung der Identität des Urhebers. Die FAZ (2.7.14) kritisiert das mit Recht.

Gerade hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verbot der Totalvermummuung für rechtens erklärt. Die Heilige Inquisition bot dem Denunzianten den Schutz der Anonymität; so sollten Racheakte verhindert werden. Das hat unzählige auf den Scheiterhaufen gebracht. (Sachliche Information z. B. bei Peter Godman)

Wenn man liest, wie ein Anonymus ein Buch, ein Hotel, einen Lehrer oder einen Arzt bewertet, wird man durchaus davon beeinflußt, ob man will oder nicht. Bei Institutionen wie der Stiftung Warentest weiß man, an wen man sich zu halten hat, aber bei den Millionen Schreibern im Internet weiß man es nicht. So ist die Gesetzeslage, sie sollte geändert werden.

Zeitungen drucken keine anonymen Leserbriefe - warum dulden manche es auf ihren Internetseiten? Es gibt Ausnahmen, etwa bei einer Zuschrift aus einem diktatorisch regierten Staat; dann teilt die Redaktion mit, der wirkliche Name sei ihr bekannt. Aber sonst gilt: Meinungen, zu denen man nicht mit seinem Namen steht, sind es nicht wert, geäußert zu werden.

Kinder schreiben an Wände: Eva ist doof. Erwachsene tun so etwas nicht, oder? Mich wundert es, daß der Sinn für Gemeinheiten (auf Wehrlosen herumtrampeln, denunzieren) so massenhaft verloren gehen konnte. In Büchern und Filmen wird immer noch das anständige, "ritterliche" Verhalten verherrlicht. Da könnte man anknüpfen.



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Kommentare zu »Anonym, pseudonym«
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Kommentar von Pt, verfaßt am 02.07.2014 um 17.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26211

Meinung vs. Einstellung

''Aber sonst gilt: Meinungen, zu denen man nicht mit seinem Namen steht, sind es nicht wert, geäußert zu werden.''

Diese Aussage ist problematisch: Einerseits ist hier das Wort ''Meinung'', das an sich schon eine gewisse Willkür impliziert; andererseits die Aussage, daß eine Meinung es nicht wert sei, geäußert zu werden, wenn sie nicht durch einen Namen sozusagen ''legitimiert'' wird.

Unter einer Meinung verstehe ich etwa folgendes: ''(Ich meine,) daß rot eine schöne Farbe ist''. Mit demselben Recht kann ein anderer der Meinung sein, blau sei eine schöne Farbe. Letztlich gibt es kein unabhängiges Kriterium, welche Farbe nun schön ist und welche nicht. Farbenblinden dürfte das eh egal sein. Zu wissen, wer was meint, ist daher genauso belanglos, insbesondere weil die entsprechende Person ihre Meinung auch ändern kann. Eine Meinung stellt also eine subjektive oder unbegründete Ansicht dar.

Dem stelle ich die Einstellung gegenüber: Es ist eine möglichst unabhängig begründete Ansicht,
d. h. die Begründung verzichtet möglichst auf subjektive Elemente. Ganz unabhängig geht es natürlich nicht, da wir alle in unserer Subjektivität gefangen sind, mehr oder weniger.

Diese Unterscheidung treffen aber die meisten nicht, so daß im allgemeinen nur von einer Meinung gesprochen wird, selbst wenn eine Einstellung geäußert wird.

Eine Einstellung ist aber unabhängig von der Person desjenigen, der sie äußert, richtig oder falsch, denn sie enthält (möglichst) keine subjektiven Elemente.

Was die Bewertungsseiten im Internet angeht, so wäre hier Mißbrauch relativ leicht ein Riegel vorzuschieben, wenn es gesetzlich festgelegt würde, daß in einem solchen Fall eine Registrierung erfolgen muß. Dann müßte der Betreiber der Webseite dafür sorgen, daß nur registrierte Benutzer Bewertungen eintragen dürfen.

Das Internet bietet die Möglichkeit, daß Leute anonym ihre Ansichten, ob Meinungen oder Einstellungen, äußern können. Dies kann natürlich mißbraucht werden, z. B. auch im sog. Cyber-Mobbing. Das Problem gibt es aber nicht erst seit dem Internet, auch früher schon gab es sog. Rufmord-Kampagnen oder konnten Gerüchte gestreut werden. Auch hier war und ist es für den Betroffenen schwierig, gerichtlich dagegen vorzugehen, im Zweifelsfall wird niemand diesbezüglich als Zeuge aussagen wollen.

Insbesondere ist die Möglichkeit, frei und anonym seine Ansichten äußern zu können, zu wichtig, um das Risiko einzugehen, sie einzuschränken, zumindest, solange nicht konkrete Leute dadurch geschädigt oder benachteiligt werden.

Was den ''Sinn für Gemeinheiten'' angeht, so würde ich das hier eher den ''Sinn für gerechtes Verhalten'' nennen, der verlorengegangen ist, der ''Sinn für Gemeinheiten'' hat zugenommen, da in unserem Staate durch Gesetze Grenzen definiert werden, und die Leute den ''sportlichen'' Ehrgeiz entwickeln, sich so nahe wie möglich dieser Grenze nähern zu können, ohne bestraft werden zu können. Letzlich steht das auch hinter dem Phänomen Mobbing.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2014 um 17.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26212

Bleiben wir beim Kern der Sache, ohne Begriffe zu spalten:

"Das Internet bietet die Möglichkeit, daß Leute anonym ihre Ansichten, ob Meinungen oder Einstellungen, äußern können."
"Insbesondere ist die Möglichkeit, frei und anonym seine Ansichten äußern zu können, zu wichtig, um das Risiko einzugehen, sie einzuschränken, zumindest, solange nicht konkrete Leute dadurch geschädigt oder benachteiligt werden."

Mich schaudert's bei dem Gedanken, "frei und anonym" meine Ansichten zu äußern. Frei ja, aber anonym? Warum sollte ich das denn tun?

 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 03.07.2014 um 10.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26220

Das Urteil wäre gewiß anders ausgefallen, wenn es Portale für die anonyme Bewertung von Richtern gäbe.

http://virchblog.wordpress.com/2013/02/25/anonyme-briefe/
 
 

Kommentar von Stephan Fischhauer, verfaßt am 04.07.2014 um 01.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26227

Bei Institutionen wie der Stiftung Warentest weiß man, an wen man sich zu halten hat, aber bei den Millionen Schreibern im Internet weiß man es nicht. So ist die Gesetzeslage, sie sollte geändert werden.

Was bringen Klarnamen bei Millionen Schreibern? Überprüfen kann man die eh nicht. Auf diesem Blog hier muss man nicht einmal seine E-Mail-Adresse angeben. Wenn man einen Allerweltsnamen wie Peter Schmidt hat, muss man dann noch weitere Daten angeben?

Warum geht es überhaupt? Um die Rückverfolgbarkeit bei Rechtsverstößen? Für die Wiedererkennbarkeit reicht auch ein Pseudonym.

Es gibt Ausnahmen, etwa bei einer Zuschrift aus einem diktatorisch regierten Staat; dann teilt die Redaktion mit, der wirkliche Name sei ihr bekannt.

Je nachdem, worum es geht, kann man solche anonymisierten Leserbriefe auch in demokratischen Ländern lesen.

Manche Dinge erfordern eine gewisse Diskretion. Intimes wie Berichte über Krankheiten oder familiäre Zustände, Whistleblowing usw.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 04.07.2014 um 11.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26231

"Manche Dinge erfordern eine gewisse Diskretion. Intimes wie Berichte über Krankheiten oder familiäre Zustände, Whistleblowing usw.“ Deshalb ist sowas im Internet natürlich gut aufgehoben.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 04.07.2014 um 14.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26232

''Es gibt Ausnahmen, etwa bei einer Zuschrift aus einem diktatorisch regierten Staat; dann teilt die Redaktion mit, der wirkliche Name sei ihr bekannt.''

Ist es so schwierig, sich vorzustellen, daß der eigene Staat einmal diktatorisch regiert werden könnte, wenn dies nicht schon der Fall ist?

In einer modernen Diktatur muß der Bürger nicht mitkriegen, daß er in einer Diktatur lebt, es ist besser, wenn er glaubt, in einer Demokratie zu leben. Der Begriff Demokratur ist hier schon einmal gefallen, denke ich. Für mich ist Deutschland eine Scheindemokratie. Argumente, z. B. gegen eine Rechtschreibreform, werden ignoriert. Es genügt, etwas zu sagen, was ein anderer als Bedrohung auffassen kann, und schon landet man (unter Umständen) in der Psychiatrie. Und wenn man bedenkt, was über den demokratischten Staat der Erde, die USA, in den letzten Jahren so alle ans Licht gekommen ist – und wie die eigene Regierung damit umgeht –, dann fällt es wirklich sehr schwer, sich tagtäglich wieder vorzumachen, wir lebten in einer Demokratie.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 04.07.2014 um 14.51 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26233

@Erich Virch
Deshalb ist sowas im Internet natürlich gut aufgehoben.

Ja, ohne Internet gäbe es nicht annähernd diese Möglichkeiten. Whistleblowing läuft heute oft übers Internet. Ebenso gibt es viele Foren, in denen Menschen ihre Erfahrungen mit Ehescheidungen, Krankheiten usw. austauschen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.07.2014 um 15.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26234

Künstlern wird zugestanden, daß sie ihre Karriere mit Rücksicht auf ihre Familie mit einem Künstlernamen starten. Wenn Phantasienamen verboten werden, benutzt man eben erfundene übliche Namen. In jedem Bundesland gibt es einige sehr häufige Namen, in Bayern z.B. Huber, Maier, letzteren mit zahlreichen Präfixen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 04.07.2014 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26236

#26232 "Und wenn man bedenkt, was über den demokratischsten Staat der Erde, die USA, in den letzten Jahren so alles ans Licht gekommen ist – und wie die eigene Regierung damit umgeht –, dann fällt es wirklich sehr schwer, sich tagtäglich wieder vorzumachen, wir lebten in einer Demokratie." Was, wenn man es recht und auch feierlich bedenkt, nur anzeigt, wie schwer es ist, ins menschliche Zusammenleben einige akzeptable und vielleicht sogar wenigstens etwas zu-Frieden-stellende Ordnung zu bringen. Bloß weil wir auf dem Papier ein paar Ideale formulieren, heißt doch nicht, daß wir den Menschen, wie er nun mal ist, so mir nichts, dir nichts verändern können. Vielleicht ist das Beste an unserm In-einer-Demokratie-Leben, daß man relativ sicher für ein anständiges In-einer-Demokratie-Leben mitarbeiten kann. - und fällt's einem auch wirklich noch so schwer.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 04.07.2014 um 17.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26237

"Ist es so schwierig, sich vorzustellen, daß der eigene Staat einmal diktatorisch regiert werden könnte, wenn dies nicht schon der Fall ist?“

Ja, das ist es wohl, sonst würfe die „Netzgemeinde“ nicht so freizügig mit intimsten Daten um sich (s. Herrn Fleischhauers Beispiele).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2014 um 06.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26238

Ich gebe zu, daß ich zu pauschal formuliert habe. Erfahrungsaustausch über Eheprobleme, Krankheiten usw. - da ist ja niemandem an Klarnamen gelegen, und es wird auch niemand namentlich belastet. Das gilt natürlich auch bei unseren Rechtschreibthemen. Wenn jemand wissen will, ob irgendwo ein Komma gesetzt wird, interessiert seine Identität überhaupt nicht. Ich hatte mich auf Ansichten, Meinungen, Bewertungen bezogen. Künstlernamen sind wieder etwas anderes.
Was Demokratie und Rechtsstaat betrifft, so ist das Ausweichen in Anonymität ja beinahe "self-fulfilling". Gibt es denn einen Grund, sich zu verstecken?
Es stört mich, kurz gesagt, daß im Internet so viele herrenlose Meinungen umherschwirren. Ich möchte mich ja auch nicht mit lauter Vermummten unterhalten.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 05.07.2014 um 13.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26244

Zu #26238:

''Was Demokratie und Rechtsstaat betrifft, so ist das Ausweichen in Anonymität ja beinahe "self-fulfilling". Gibt es denn einen Grund, sich zu verstecken?''

Wenn ''selbstverständlich'' erwartet wird, daß man eine bestimmte Ansicht hat – von einem Priester erwartet man, daß er gläubig ist und die Glaubenssätze nach außen vertritt, auch wenn er sie innerlich vielleicht anzweifelt –, sie aber dann doch nicht teilt. Auch in einer Demokratie gibt es subtile Gleichschaltungsmechanismen. Nur ein Politiker kann sich mit ''Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern'' herausreden.

Ich habe Angst vor der Situation, daß man einmal etwas fordern muß, das allen gegen den Strich geht, um Schlimmeres abzuwenden. Hier könnte es im Vorfeld zu ''Hexenjagden'' kommen, bis die Realität auch den letzten eingeholt hat, was aber dauern kann.

''Es stört mich, kurz gesagt, daß im Internet so viele herrenlose Meinungen umherschwirren. Ich möchte mich ja auch nicht mit lauter Vermummten unterhalten.''

Möchten Sie sich mit lauter Lügnern unterhalten? Oder mit lauter Heuchlern?

Auch wenn ich oben geschrieben habe, daß das Internet im Prinzip ''öffentlicher Raum'' ist, wie eine Straße oder ein Marktplatz, so gibt es doch Unterschiede:

Auf der Straße oder dem Marktplatz verhallt das Gesagte, im Internet ist es u. U. für Jahre oder Jahrzehnte oder gar den Rest der Ewigkeit präsent und kann z. B. von Soziologen, Psychologen oder auch nur Sprachforschern immer wieder zu Untersuchungen herangezogen werden. Die geäußerten Ansichten können aus dem Kontext gerissen, manipuliert, auf verschiedene Weise interpretiert und bewertet werden, ohne das sich der Urheber dann dagegen wehren könnte. Es gibt kein Verhallen mehr! Da hilft auch ein zugesagtes Recht auf Löschung nichts.

Andererseits spiegeln anonyme Aussagen eher die wirklichen Ansichten der Leute wider, als wenn man durch eine aufgezwungene Registrierung dafür sorgt, daß sich die Zensur in den Schreiber verlagert, die berühmte Schere im Kopf.

Wenn jemand ''im richtigen Leben'' aus einer Menge heraus (und damit anonym) eine Forderung stellt, z. B. im Rahmen einer Demonstration, ist diese Forderung dann weniger legitim, nur weil sie anonym gestellt wurde? Die Demonstrationsteilnehmer mußten sich ja vorher auch nicht registrieren lassen (hoffentlich). Es sollte für das Internet keine Sonderregeln geben, es ist ''öffentlicher Raum'' genauso wie eine Straße oder ein Marktplatz (= forum).

Ich denke, meine Unterscheidung zwischen Meinung und Einstellung ist wichtig. Eine Meinung (in meinem Sinne) ist irrelevant, wie auch der Name eines Fragestellers, der eine Kommaregel erklärt haben will. Wenn jemand seine Einstellung im Internet verbreitet, und seinen wahren Namen nicht preisgibt, dann kennt man zwar den Urheber dieser Einstellung nicht, sie ist damit
aber nicht weniger relevant (bezüglich irgendeiner Fragestellung), da eine Einstellung ja per Definition von der Persönlichkeit des Urhebers abstrahiert. Man muß ja nicht immer davon ausgehen, daß eine solche Einstellung kriminell ist.

Andererseits hat es einen gewissen Reiz, sich ''vermummt'' in Gefilden des Internets zu bewegen, die von Leuten (natürlich ebenfalls ''vermummt'') bevölkert sind, die eine ganz andere Meinung, Lebenseinstellung etc. haben. Dann kann nur die Meinung bzw. Einstellung zählen, nicht des Geschlecht, Aussehen, Alter, Beruf, Hobby, Stand, Status (Berühmtheit, Behinderung), persönliche Feindschaften etc. Dadurch ist es möglich, daß Leute im Internet ein gutes Verhältnis zueinander aufbauen/haben können, die sich ''im richtigen Leben'' als Feinde gegenüberstehen würden. Das ist vielleicht der erste Schritt, sich auch im richtigen Leben zu versöhnen, wenn man im Internet gemerkt hat, daß man sich ideell gar nicht so fremd ist. Ich denke, daß diese Möglichkeit so wertvoll ist, daß sie geschützt und ausgebaut werden sollte.

Wer in ein Kloster eintritt ändert auch seinen Namen, auch wenn diese Namensänderung rechtlich ohne Bedeutung ist. Möchte Gott von Vermummten angebetet werden? Zählt eine Kutte als Vermummung?

http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Namens%C3%A4nderung:

''Die beim Eintritt in ein Kloster übliche N., sogen. Klosternamen, ist rechtlich ohne Bedeutung.''

Das Problem, das Sie, lieber Herr Ickler, mit den Pseudonymen, Nicknames, Screennamen haben, kommt offenbar daher, daß Sie sie mit der Vermummung z. B. von Demonstranten aus dem schwarzen Block (oder Schwarzen Block?) in Verbindung bringen. Mit Vermummung assoziiert der rechtschaffene Bürger immer ein potentiell kriminelles Verhalten. Dieser Assoziation will ich aber nicht folgen, es wäre durchaus denkbar, daß es in einem totalitären Staat nötig ist, im vermummten Zustand für demokratische Grundrechte einzutreten.

Als ich anfing, mich in div. Internet-Foren zu bewegen, hatte ich ebenfalls Probleme mit den dort üblichen Screennames, insbesondere wenn diese als ''Nicknames'' bezeichnet wurden, da ich in meiner Schulzeit extrem gemobbt wurde, und das geschah zumeist über Spottnamen. Die Leute haben systematisch versucht, mir Spottnamen anzuhängen. – Andererseits, in div. Internetforen geht es ziemlich rauh zu, da dient ein Screenname auch als Schutz. Ich denke, der Begriff ''Screenname'' ist neutraler als Pseudonym (= Falschname) oder Nickname, laut www.leo.org Kurzname, Spitzname, Spottname, Schimpfname; was ein Übername ist, weiß ich nicht. Mit dem Begriff ''Screenname'' folge ich einer Ausdrucksweise eines amerikanischen Freundes mit dem Screennamen Khemehekis (= Rebell), der diesen Begriff ebenfalls benutzt. Ich weiß nicht, inwieweit die Bezeichnunng ''Screenname'' in anderen Foren üblich ist. In Elfquest gibt es den sog. Seelennamen, und die Charaktere gehen auf eine spirituelle Reise, um diesen zu erfahren.

Ein Screenname ist auf jeden Fall nötig, wenn man einen häufigen Namen hat und dieser schon von einem anderen benutzt wird – wie auch bei mir der Fall, zumindest in einem anderen Rechtschreibforum – und wenn man sich nicht mit einer unpersönlichen Numerierung behelfen will. Weiterhin ist es möglich, daß man seinen legalen Namen nicht mag, entweder weil er zu häufig ist, oder ''zu gewöhnlich'' wie im Falle der literarischen Figur Lord Voldemort alias Tom Riddle, oder weil er einem ganz einfach nicht gefällt. Dann ist der Screenname eine Herzensangelegenheit.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 05.07.2014 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26245

Das man sich mit Vermummten nicht gern unterhalten möchte, hat auch kulturelle Gründe. Im Internet hat sich seit langem eine Pseudonym-Kultur entwickelt. Dem würde ich ein gewisses Verständnis entgegenbringen, selbst wenn es der eigenen Haltung nicht entspricht. Hier hat sozusagen die Masse entschieden.

Unser Recht auf Meinungsfreiheit wird teilweise auch massiv untergraben, siehe die Rechtsprechung der berüchtigten Hamburger Pressekammer.

Das Argument der Self-fulfilling Prophecy ist sicherlich berechtigt. Ich bin selbst ein Befürworter der datenschutzkritischen Post-Privacy-Bewegung. Aber das ist für mich kein Grund, die Glaubwürdigkeit von Leuten anzuzweifeln, die sich anders entscheiden.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 05.07.2014 um 16.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26246

Zu #26245:

''Das man sich mit Vermummten nicht gern unterhalten möchte, hat auch kulturelle Gründe.''

Das mag sein, aber die Internet-Teilnehmer sind ja nicht vermummt im originären Sinne, das Medium Internet bringt es mit sich, daß man ihnen nicht ins Angesicht sehen kann, es sei denn man verwendet Skype. Das kann man mit einer Telephonverbindung vergleichen, wo man sein
Gegenüber auch nicht sehen kann. An Stelle der Stimme hat man im Internet Schrift (und Rechtschreibung). Würden Sie einen unbekannten Anrufer als ''vermummt'' bezeichnen?

Sie posten hier unter dem Namen ''Stephan Fleischhauer'', ist das nun ihr richtiger Name oder ein Pseudonym? Als normaler Internet-Teilnehmer kann ich das nicht erkennen. In diesem Sinne sind auch Sie für mich ''vermummt''. Schlimmer noch, wenn das ein Pseudonym ist, versuchen Sie noch die Tatsache, daß Sie ein Pseudonym verwenden, zu verschleiern, denn ihr Pseudonym könnte auch ein richtiger Name sein. Wenn ich hier unter ''Pt'' (Elementsymbol für Platin) poste, dann erkennt jeder sofort, daß das nur ein Pseudonym sein kann, was ehrlicher ist.


 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.07.2014 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26247

Ich weiß natürlich, daß es diese Internetkultur gibt und daß ich sie nicht ändern kann. Auch will ich beileibe niemanden hier vergraulen, zumal ich in den Fällen, wo es mich interessiert, die Identität der Diskussionsteilnehmer ohnehin kenne.

Aber vielleicht kann man auch meinen Standpunkt verstehen, wenn ich mich oft frage, warum in aller Welt jemand, der etwas zu sagen hat, es nicht unter seinem Klarnamen sagt, wenn es doch weder seine Intimsphäre betrifft noch in irgendeiner Weise gefährlich ist. Was wäre einfacher und naheliegender? Diskussionsseiten, auf denen jeder sich mit seinem Namen einträgt, gibt es ja auch, sie bilden geradezu eine Gegenkultur. Von einem gewissen Niveau an (z. B. "Edge") ist das sogar selbstverständlich.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 05.07.2014 um 20.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26248

In den meisten Internetforen wird man bei der Anmeldung aufgefordert, einen „Nick“ zu wählen, und man kann dann mitunter noch bestimmen, ob der Klarnamen, den man (auch ohne Nachweis) ggfs. noch angibt, zusätzlich erscheinen soll oder nicht.

Allein deshalb wählen die meisten Leute in Internetforen einen Nick, manche einen, den man sofort als solchen erkennt, andere einen, den man auch für einen Klarnamen halten kann.

Ich sehe es daher als reine Zeitverschwendung an, sich in Internetforen über die wahre Identität einzelner Teilnehmer den Kopf zu zerbrechen. In Foren interessiert mich nur, was die anderen Teilnehmer zum Thema zu sagen haben. Manchmal kann es zu spannenden und geschätzten Diskussionen kommen, die auch zur Erweiterung des eigenen Horizonts beitragen.

Und ob jemand, der sich z. B. Urs Bärlein nennt, tatsächlich so heißt oder auch nicht, ist mir eigentlich ziemlich schnuppe.

Ein Vergleich mit Vermummung kommt mir dabei jedenfalls nicht. Üblicherweise sind die Themen, über die diskutiert wird, weit entfernt von Aktivitäten, bei denen eine echte Vermummung auch nur ansatzweise „angebracht“ wäre.

 
 

Kommentar von rjb, verfaßt am 05.07.2014 um 22.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26249

Versuchen Sie einmal herauszufinden, ob von einer names- und adreßmäßig bekannten Person in den 20er Jahren des letzten Jakhrhunderts in Zeitungen Leserbriefe erschienen sind. Wenn das darauf hinausläuft, die Archive der in Frage kommenden Zeitungen durchzuwühlen, dürfte sich der Aufwand schnell in den Dimension von Arbeitsjahren bewegen, also faktisch prohibitiv sein.

Wenn alles schon digitalisiert ist, und vie Internet zugänglich, dann werden aus den Arbeitsjahren ein paar Sekunden zur Initiierung der Anfragen und eine Wartezeit bis zum Eintreffen der Antwort. Die Auswertung Ihrer "im Internet" mit Identitätsangabe hinterlassenen Daten kann auch automatisiert erfolgen, nach Kriterien, die sich im Einzelfall seltsam auswirken können, und das Resultat erfahren Sie daduirch, daß etwa der Versuch einer Flugreise mißlingt, aus Gründen, die Ihnen ebensowenig mitgeteilt werden wie es keine Rechtsbehelfe gibt. Und woher soll man wissen, wie irgendwelche heute völlig harmlos anmutende Dinge in 30 Jahren von automatisiert ablaufenden Algorithmen ausgewertet werden? Die Daten sind dann nämlich immer noch da, und verstauben keineswegs nur in irgendwelchen abgelegenen Archiven.

Wenn in Arztbewertungsportalen Identitäten hinterlassen werden müssen, dann können Sie davon ausgehen, daß etwa potentielle Arbeitgeber alles, was Sie da geschrieben haben, erfahren (auf regulären oder irregulären Wegen); was Sie nicht erfahren, sind die Schlüsse, die der potentielle Arbeitgeber aus diesen Informationen zieht.

Selbstverständlich löst auch Anonymität oder Pseudonymität nicht alle Probleme, aber Verweise auf die Gepflogenheiten bei klassischen Leserbriefen erfassen die tatsächliche und großteils noch gar nicht erkannte Problemlage nicht ansatzweise.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.07.2014 um 23.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26250

Ich möchte daran erinnern, daß der leider 2007 verstorbene Prof. Helmut Jochems hier auch unter dem polnischen Namen Jan z Lasu (Johann aus dem Wald) geschrieben hat. Er hat das irgendwann zugegeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.07.2014 um 05.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26251

Nun, es war vielleicht nicht ganz überflüssig, hier noch einmal die Argumente auszutauschen. So ist wenigstens das Außergewöhnliche der neuen Internetkultur noch einmal in seinem ganzen Ausmaß bewußt geworden - mir jedenfalls. Es ist ja auch wahr, daß es bei Argumenten nicht darauf ankommt, wer sie vertritt. Bei Bewertungen sieht es anders aus. Ich will das Thema aber nicht noch länger breittreten.
Was unseren lieben Herrn Jochems betrifft, so hat er sich eigentlich nicht hinter einem Pseudonym versteckt, denn wer hier mitlas, war ja wohl keinen Augenblick im Zweifel. Das war also mehr ein Scherz.

(Für die später Hinzugekommenen will ich noch berichten, daß Herr Jochems sich 1998 als Absender und Rücksendeadresse für die Professorenerklärung zur Verfügung gestellt hat, weil ich schon als eifernder Reformgegner und Fanatiker allzu bekannt war. In Wirklichkeit haben meine zehnjährige Tochter und ich die 1000 Anschreiben eingetütet und versandt, und Herr Jochems hat dann das Paket mit den 800 Antworten zur weiteren Verarbeitung an mich geschickt, so daß ich die Liste fertigmachen und in Karlsruhe vorlegen konnte. Die Originale habe ich vor einiger Zeit entsorgt. Es waren auch zwei Neinstimmen darunter, eine von einem Germanisten der Viadrina, der Herrn Jochems schrieb, daß er die Reform gut finde und außerdem eine Kopie seines Schreibens an die KMK schicken werde. Also ein echter Bekenner und das Gegenteil eines Pseudonymus. Ergebenheitsadressen würden ja unter falschem Namen ihren Zweck verfehlen.)
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 06.07.2014 um 11.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26253

Zu #26247:

''Aber vielleicht kann man auch meinen Standpunkt verstehen, wenn ich mich oft frage, warum in aller Welt jemand, der etwas zu sagen hat, es nicht unter seinem Klarnamen sagt, wenn es doch weder seine Intimsphäre betrifft noch in irgendeiner Weise gefährlich ist. Was wäre einfacher und naheliegender? Diskussionsseiten, auf denen jeder sich mit seinem Namen einträgt, gibt es ja auch, sie bilden geradezu eine Gegenkultur. Von einem gewissen Niveau an (z. B. "Edge") ist das sogar selbstverständlich.''

Ich denke, daß Sie die Problematik von der falschen Seite, angehen, lieber Herr Ickler. Die meisten Leute, die heute das Internet exzessiv nutzen, sind da ''hineingewachsen'', und da ist es selbstverständlich, in verschiedenen Foren unter u. U. verschiedenen Screennamen über alle möglichen Sachen zu posten. Wenn dazu ein Screenname notwendig ist, dann ist es halt so. Es macht ja auch Spaß, sich einen Screennamen zu geben, der gegebenenfalls sogar mehr über die Persönlichkeit aussagt – und auch aussagen soll – als der echte Name. Diese Leute sind sich vielleicht noch nicht mal bewußt, daß sie eine über die aktuelle Diskussion hinaus für andere ''interessante'' Meinung/Ansicht posten.

Ebenso dürften die meisten Internetbenutzer keinen geisteswissenschaftlichen Hintergrund haben. Soweit ich das beurteilen kann, steht für Geisteswissenschaftler der Mensch und was er tut – oder auch nicht tut – im Vordergrund, nicht aber die Technik bzw. allgemeiner das tragende System, auf das der Geisteswissenschaftler desinteressiert oder mit Abscheu hinabblickt, wenn er sich überhaupt damit beschäftigt. Diese Einstellung kommt mir sehr arrogant vor. Und sie führt zu Problemen – wie dieser Thread beweist –, denn menschliches Handeln ist immer an die es tragenden bzw. ermöglichenden Systeme (Natur, Biochemie, Technik, Gesellschaft, Rechtssystem) und deren Konventionen gebunden. Was diese tragenden Systeme nicht erlauben, kann auch nicht sein, zumindest was die ersten drei betrifft.

Wenn das tragende technische System Internet also Screennamen verlangt, dann kann man zwar seinen Klarnamen eingeben, er ist aber als solcher nicht mehr erkennbar. Daran ändert auch die Möglichkeit nichts, zusätzlich noch einen Klarnamen anzugeben, denn wenn dieser nicht vom Provider überprüft wird, kann da ebenfalls ein falscher Name – oder der echte Name einer anderen Person – eingegeben werden. Letzteres wäre ein Fall von Identitätsklau im Internet. Die Frage ist, ob ein Internet-Provider oder ein Forenbetreiber rechtlich ermächtigt ist, die Identität der Forenmitglieder zu überprüfen. Dann wäre es möglich, die geäußerten Meinungen einer natürlichen Person zuzuordnen und die Inhalte der Postings z. B. für Spam auszuwerten und die jeweiligen Adressen den entsprechenden Firmen zu verkaufen. (Früher gab es mal den Computer-Flohmarkt, ein Anzeigenmagazin mit Schwerpunkt Homecomputer. Irgendwann wurden Paßkopien verlangt, um Einträge schalten zu können, und bald darauf wurde das Magazin eingestellt, vermutlich wegen der Paßkopien und weil sich die Szene ins aufkommende Internet verlagerte.)

Mit anderen Worten, das tragende System macht es (aus guten Gründen) schwer, (erkennbar) unter seiner wahren Identität Ansichten zu posten. Letztlich ist es aber (fast) immer möglich, sich mit dem Poster einer interessanten Meinung/Einstellung in Verbindung zusetzen, z. B. über ''Personal Messages'', oder man fragt einfach, ob der andere einem seine E-Mail-Adresse nennt. Wirkliche Anonymität ist im Internet sowieso kaum möglich, da Verbindungen auch rückverfolgt werden können.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 07.07.2014 um 05.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26262

Es ist ja auch wahr, daß es bei Argumenten nicht darauf ankommt, wer sie vertritt. Bei Bewertungen sieht es anders aus. Ich will das Thema aber nicht noch länger breittreten.

Ich finde gerade diesen Punkt in unserer Diskussion interessant. Mir ist nicht ganz klar, warum Bewertungen überhaupt ein Sonderfall sind. Wenn man einen Kommentator oder Blogger gut kennt, interessiert man sich doch auch für dessen Werturteile. Man muss dafür die Person aber nicht persönlich kennen. Eigentlich bringt ein Klarname doch nur dann Informationsgewinn, wenn man dadurch eine Zuordnung vornehmen kann. Wenn man also die entsprechende Person im tatsächlichen Leben kennt. Oder geht es doch nur um die rechtliche Verfolgbarkeit?

Aber vielleicht kann man auch meinen Standpunkt verstehen, wenn ich mich oft frage, warum in aller Welt jemand, der etwas zu sagen hat, es nicht unter seinem Klarnamen sagt, wenn es doch weder seine Intimsphäre betrifft noch in irgendeiner Weise gefährlich ist.

Ich kann das tatsächlich nur schwer nachvollziehen. Mich hat es nie gestört, wenn Leute unter Pseudonym schreiben, auch wenn sie mich angreifen. Trotzdem interessiert mich, warum Klarnamen als wichtig empfunden werden, es sind ja durchaus nicht wenige, die sich über die Anonymität beklagen.

Vielleicht lässt sich das gar nicht rational begründen - und es liegt nur an der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur. Ich selbst z.B. lege auch sonst nicht so viel Wert auf gesellschaftliche Regeln (wie z.B. Höflichkeitsgesten), bin fast lieber im Internet als unter echten Menschen, bin also in die Gesellschaft vielleicht nicht so fest integriert wie andere. Keine Ahnung, ob das ein Grund sein kann.
 
 

Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 07.07.2014 um 14.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26267

Ich könnte mir vorstellen, dass manche Leute ihre Meinung weniger drastisch zum Ausdruck bringen würden, wenn sie damit in ihrem Bekanntenkreis sofort identifiziert würden. Das heißt aber auch, dass das Internet authentischer ist, dass man dort lesen kann, was die Leute wirklich denken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.07.2014 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26269

Das ist allerdings sehr wahr, man kann nur zu oft beobachten, wie sie die Sau rauslassen.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 08.07.2014 um 13.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26276

Die „Netzgemeinde“ hält bemerkenswerte Widersprüche aus. Man weiß zwar, daß es im Internet letztlich keine Anonymität gibt, verteidigt sie aber mit Zähnen und Klauen und fällt empört aus allen Wolken angesichts der Nachricht, daß sich Geheimdienste seiner exzessiv bedienen, daß sie alles ausspähen, was sich darin bewegt, und Nutzern, die sich um besondere Anonymität bemühen, gar besondere Beachtung zukommen lassen. Gleichmütig nimmt es es die Netzgemeinde indessen hin, unentwegt bis auf die Unterhose von Google, Facebook und Konsorten ausgespäht zu werden, denn dort fühlt man sich daheim und findet sein Intimstes gut aufgehoben. In der Heimeligkeit des Netzes fühlen sich besonders „Digital Natives“ zuhause, von denen manche geradezu stolz darauf sind, nicht über den Rand des Bildschirms hinaussehen zu können. Facebook, so das Empfinden, das sind „wir“. (Erstaunlich: hier hat ein börsennotiertes Profitunternehmen für sich die Bezeichnung „soziales Netzwerk" durchgesetzt.) Ganz und gar nicht „wir“ ist hingegen der Staat. Auch nicht der eigene. Er ist das bedrohliche Fremde und darf deshalb keinesfalls investigativ gegen kriminelle Netzauswüchse wie illegale Downloads, Cybermobbing, Hacking und Schlimmeres vorgehen. Haßerfüllte Massenpöbeielen, persönliche Beleidigungen und Verleumdungen haben schließlich auch ihr Gutes: ein Shitstorm ist immerhin "authentisch" – na, und gegen Kinderpornos kann man eh nichts ausrichten. Erklärt ein „Gestriger“, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein, lautet die umgehende Antwort, das sei es doch auch gar nicht. Was wohlgemerkt als Argument gegen demokratisch rechtsstaatliche Kontrolle verstanden sein will.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler , verfaßt am 29.08.2014 um 05.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26619

Bei Facebook (wo ich nicht angemeldet bin) teilen Leute einer enormen Zahl von "Freunden" zum Beispiel mit, daß sie in einer "neuen Beziehung" leben. Man sollte sich hüten, ihnen zu gratulieren, weil die Beziehung, wie der Name schon andeutet, zu Ende sein kann, bevor der Glückwunsch ankommt, und dann steht man dumm da. Ich habe auch schon Rundmails ähnlichen Inhalts bekommen. "Ich schnitt es gern in alle Rinden ein." Das konnte man noch verstehen, aber die Bedenkenlosigkeit von heute nicht mehr.
Ich könnte mir vorstellen, daß jemand, der bei klarerem Verstand oder fortgeschrittener Reife all die törichten Äußerungen bedenkt, durch die er sich im Netz verewigt hat, zum Strick greift.
Insofern hat die Anonymität auch etwas Gutes.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2014 um 13.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#26998

Besonders auf den Websites amerikanischer Universitäten kann man ohne weiteres die studentischen Bewertungen von Professoren einsehen. Ich gerate nur selten dorthin und bin immer wieder ein wenig erstaunt. Meistens gibt es eine Schar von eher negativ Gestimmten, die denn auch ihren Prof hauptsächlich danach beurteilen, wie leicht er es einem macht, einen A-Grad zu erwerben. Einige wenige interessieren sich eher für die Sache und sind mehr oder weniger begeistert. Ich habe heute z. B. die Urteile über den Philosophen Radu Bogdan gelesen und finde, das alles nützt niemandem.

Meine Frau und ich haben gefunden, daß man sich auch auf die Beurteilung durch persönlich bekannte Kommilitonen nicht verlassen kann. Manche akademischen Lehrer standen weithin in einem schlechten Ruf, aber wenn man sich dann auf ein Seminar einließ, standen sie weit über den meisten anderen und waren manchmal richtig faszinierend.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.06.2015 um 18.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#29187

Der festgenommene (mutmaßliche) Attentäter von Charleston wird deutschen Gepflogenheiten entsprechend "Dylann R." genannt, aber es ist heutzutage natürlich kein Problem, ihn in amerikanischen Medien als "Dylann Storm Roof" mit Foto zu finden.

Allerdings braucht man auch nicht besonders begabt zu sein, um innerhalb Deutschlands die "unkenntlich" gemachten Namen von Kinderschändern usw. herauszufinden. Es ist eh alles vernetzt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.12.2015 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#30905

Statt "Haßbotschaften" zu löschen und damit die Meinungsfreiheit zu gefährden (denn wo endet die Kritik und beginnt der Haß?), könnte man erwägen, die Anonymität aufzuheben. Dann würde sich vieles von selbst erledigen. Man ist ja ganz erschlagen von den unendlichen Haßausbrüchen allein schon in den öffentlichen Diskussionsforen, selbst noch nach der Filterung durch Redaktionen.

Ich weiß, daß es besondere Gründe für Anonymität gibt, z. B. Anfragen wegen irgendwelcher Krankheiten usw. Dafür könnte mit anderen Mitteln gesorgt werden.

Der jetzige Zustand des Internets gewöhnt schon Kinder an die Vorstellung, anonym könne man alles sagen. (Dann muß man freilich auch alles ertragen.)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 16.12.2015 um 16.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#30909

Mit „Haßbotschaften“ sind ja veritable Straftaten gemeint wie Beleidigung, Verleumdung, Aufforderung zur Gewalt, Volksverhetzung. Löschen ist allerdings viel einfacher und billiger ist als Strafverfolgung. Idee: Man könnte auch Geld sparen, indem man Verkehrsvergehen mittels sofortiger Löschung ihrer Dokumentation bekämpft. Wer gern mit hundert durch die Stadt brettert und rote Ampeln überfährt, täte dies dann in dem quälenden Wissen, daß jeder Bildbeweis nach der Aufnahme vernichtet würde.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.12.2015 um 16.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#30910

Von ihrem Freund Erdogan kann sich Frau Merkel noch viele gute Ratschläge geben lassen, wie man mit diesem Interdings am besten umgeht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.12.2015 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#30911

Ich habe eigentlich angenommen, daß mit dem Löschen eine Strafverfolgung ggf. nicht behindert würde. D.h. daß die Texte nur dem öffentlichen Zugriff entzogen werden, aber nicht den ermittelnden Behörden, falls sie dem nachgehen wollen.
Aber vielleicht gibt es damit organisatorische Schwierigkeiten.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.12.2015 um 21.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#30912

Es geht sicherlich gerade auch um die Arbeitsvermeidung. Die Staatsanwaltschaften haben schon jetzt zuviel damit zu tun, ernsthafte Delikte nicht zu verfolgen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2016 um 03.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#33454

Manche Medien sind neidisch, weil nicht sie es waren, die das Pseudonym einer italienischen Bestsellerautorin aufgelöst haben. Als wenn sie auch nur einen Augenblick gezögert hätten, dasselbe zu tun. Hoch moralisch:

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/elena-ferrante-aufdeckung-des-pseudonyms-war-akt-der-gewalt-a-1115109.html

Wer es geschafft hat, macht eine Weltsensation daraus und läßt seine Leser tagelang nicht in Ruhe. Wenn das kein "Akt der Gewalt" ist...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2016 um 04.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#33800

Gegenüber Ernst Schnabel (NDR) gab Celan die Ausspracheanweisung, „daß ich meinen Namen nicht französisch ausspreche, sondern t s e l a n, also ohne Nasallaut am Ende und mit Betonung auf der ersten Silbe.“ Laut Brigitta Eisenreich, die Celan 1952 in Paris kennenlernte, sei die Betonung „irgendwann auf die zweite Silbe verrutscht“. Sie empfehle, die von Celan selbst verwendete Betonung auf der ersten Silbe „wieder heimisch zu machen“.
Auf rumänisch wird der Name wie Tschelan (analog zu Antschel) ausgesprochen.
(Wikipedia)

Ich kenne Celan-Forscher, die den Namen ebenfalls auf der letzten Silbe betonen, etwa ßelán. Diesem Druck hält er wohl nicht stand. (Ich hatte schon erwähnt, daß die Erlanger sich dem Druck der Zugewanderten fügen und den Namen ihrer Stadt und ihren eigenen auf der ersten Silbe betonen.)

Celan klingt und sieht aus wie aus einer unbekannten Fremdsprache. Mit der Wahl dieses Pseudonyms kündigt der Dichter schon an, welche Art von Texten er veröffentlichen will. Er hätte nicht z. B. Ringelnatz heißen können.

Schlagersternchen brauchen auch Künstlernamen, die dann wie aus Groschenromanen klingen (Bianca...).

Das will alles gut überlegt sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.10.2017 um 04.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#36494

William Dalrymples Buch über Delhi (City of Djinns) ruft so viele Erinnerungen wach. Zu den Eindrücken kommen die historischen Exkurse, ausgezeichnet! Dalrymples Jahr in Delhi war etwas später als mein Aufenthalt, aber es war alles noch genau so, eben muddle and mystery.

Weshalb ich das aber hier einrücke: Dalrymple erinnert an die zigtausend Anglo-Inder, deren Leben sich im 19. Jahrhundert bei zunehmendem Rassismus verdüsterte, die zum Beispiel weder in der britischen noch der indischen Armee Karriere machen konnten und in der guten Gesellschaft gemieden wurden. Ihre Loyalität nahm man ihnen nicht ab, die Wahnidee vom "Blut" war stärker. Tausende wanderten in die USA oder nach Australien aus.

Die Sänger Engelbert Humperdinck aus Madras, eigentlich Arnold George Dorsey, und Cliff Richard, eigentlich Harry Rodger Webb aus Lucknow, gehören dazu.

Über Humperdinck schreibt Wikipedia:

Mitte der 1950er Jahre siedelte er in die Vereinigten Staaten um. Da er dort zunächst nur begrenzten Erfolg hatte, nahm er auf Vorschlag seines Managers als Künstlernamen den Namen des deutschen spätromantischen Komponisten Engelbert Humperdinck (1854–1921) an, der für seine Märchenoper „Hänsel und Gretel“ weltberühmt ist. Der Beweggrund für die Wahl dieses Namens war jedoch nicht dessen Berühmtheit, sondern die Skurrilität des Namens. Danach begann Engelberts Weltkarriere, die bis heute anhält.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.08.2023 um 05.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1618#51611

„No boldness is more insolent than the boldness of the coward who feels safe.“ (Nirad C. Chaudhuri: Thy Hand, Great Anarch! India 1921-1952. London 1987:795)

Einer der Gründe, warum ich nie anonym schreiben würde. Ich käme mir irgendwie dreckig vor.
 
 

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