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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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20.02.2011
 

Indirekte Rede
Bleibt schwierig

Die Unbeliebtheit der indirekten Rede (manche Sprachen kennen überhaupt keine) trifft im Deutschen mit einem unstabilen System von Tempus und Modus zusammen, so daß es hier zu unendlich vielen mißratenen Sätzen kommt. Zum Beispiel so:

Er hatte sie viele Male angefleht, dass sie ihre Bluse für ihn aufknöpfen würde. (Aus einer Erzählung von Stefan Kiesby. SZ 19.2.11)

Setzt man einen Aufforderungssatz in indirekte Rede um, muß man meist ein Modalverb wie sollen, mögen einführen. Im vorliegenden Fall bietet sich der Infinitiv an: ihre Bluse aufzuknöpfen. Man kann richtig zusehen, wie der Verfasser mit daß anfängt und dann nicht mehr aus der Sackgasse herausfindet.



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Kommentare zu »Indirekte Rede«
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 20.02.2011 um 11.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18127

Eigentlich ist der Konjunktiv in der indirekten Rede gar nicht so schwer zu handhaben. Daß er unbeliebt ist, liegt m.E. an den komplizierten und oft einfach falschen Erklärungen in den Lehrbüchern. Aber gute Schreiber gebrauchen ihn auch ohne große Erklärungen richtig, habe ich bemerkt, — auch Journalisten.
Man benötigt den Konjunktiv erst mal gar nicht, wenn ein Hauptsatz klar ansagt, daß, was kommt, die Meinung eines anderen Sprechers wiedergibt: "Er sagte, / In der Zeitung steht, / Ich höre, daß sie kein Geld hat." Man braucht ihn aber auch da oft. Jedoch ist er nötig, wenn man weiter Mitgeteiltes klar als zitiertes Material wiedergeben will, weil man aus Stilgründen ja nicht jeden weiteren Satz mit "Er sagte, / In der Zeitung steht, / Ich höre, daß" einleitet: "Sie sei eben eine arme Frau. Auch mit ihrer Gesundheit stehe es nicht zum besten." Wenn da der Konjunktiv I aber die gleiche Form hat wie der Indikativ (und deshalb nicht mehr klar wäre, ob der Sprecher jemanden zitiert oder seine eigene Sicht der Sache mitteilt), ersetzt der Konjunktiv II den Konjunktiv I: "Ihre Eltern hätten ihr nie helfen können. Die staatlichen Fürsorgeinstitutionen könnten für sie auch jetzt nichts tun." Wie nun auch Frage- und Befehlssätze indirekt zitiert werden, folgt ebenfalls einem klaren System (Befehlssätze mit dem Konjunktiv von "sollen").

Mich interessierte die Frage mal, weil in Rechtsfällen Zeugen oft damit verwirrt gemacht werden, daß man sie auffordert, "wörtlich" zu zitieren, und ihnen so vormacht, daß nur wörtliches Zitat als Zeugnis gelte. Wichtig ist aber gar nicht, ob jemand gesagt hat: "Ich komme um sechs" oder "Ich bin um sechs da" oder "Sechs Uhr bin ich dann da", sondern daß der damit Angesprochene den Sprecher zu Recht um sechs hatte erwarten können. Richtig formulierte indirekte Rede gibt den Wahrheitsgehalt genauso sachgerecht wieder wie direkte Rede. Der von Ickler zitierte Kiesby-Satz ist nicht nur unbeholfen, er ist schlicht kein Deutsch. Ich weiß zwar, was der Autor sagen will; aber so sagt man's deutsch nicht.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 20.02.2011 um 14.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18129

Herr Ludwig hat recht, eigentlich ist die indirekte Rede nicht sehr schwer zu erlernen. Zu wenig Übung und Vorbilder, die selbst bei der Verwendung des Konjunktivs Probleme haben, mögen aber zu ihrer Unbeliebtheit geführt haben.

Nun habe ich zuvor noch nie etwas von Stefan Kiesby gehört, möchte aber nach dieser Kostprobe auch nichts von ihm lesen. Lektüre hilft jedoch tatsächlich bei den Feinheiten und dem richtigen Gebrauch der indirekten Rede. Aber bitte nicht etwa Heinrich Böll zur Hand nehmen, denn der hatte damit auch seine Probleme. Ich empfehle lieber Thomas Mann, das ist dann auch keine vergeudete Zeit. Einmal die "Buddenbrooks" lesen und die indirekte Rede sitzt!

Textproben gefällig?

»Wenn es ein warmer Schlag ist«, sprach Tony und nickte bei jedem Wort mit dem Kopfe, »so schlägt der Blitz ein. Wenn es aber ein kalter Schlag ist, so schlägt der Donner ein!«
Hierauf kreuzte sie die Arme und blickte in die lachenden Gesichter wie jemand, der seines Erfolges sicher ist. Herr Buddenbrook aber war böse auf diese Weisheit, er verlangte durchaus zu wissen, wer dem Kinde diese Stupidität beigebracht habe, und als sich ergab, Ida Jungmann, die kürzlich für die Kleinen engagierte Mamsell aus Marienwerder, sei es gewesen, mußte der Konsul diese Ida in Schutz nehmen.

Das Gespräch floß in einen Gegenstand zusammen, als Jean Jacques Hoffstede auf sein Lieblingsthema zu sprechen kam, auf die italienische Reise, die er vor fünfzehn Jahren mit einem reichen Hamburger Verwandten gemacht hatte. Er erzählte von Venedig, Rom und dem Vesuv, er sprach von der Villa Borghese, wo der verstorbene Goethe einen Teil seines Faust geschrieben habe, er schwärmte von Renaissance-Brunnen, die Kühlung spendeten, von wohlbeschnittenen Alleen, in denen es sich so angenehm lustwandeln lasse, und jemand erwähnte des großen, verwilderten Gartens, den Buddenbrooks gleich hinter dem Burgtore besaßen …

Quelle: http://www.gutenberg.org/files/34811/34811-h/34811-h.htm

S. 13 für das erste Zitat und S. 31 für das zweite.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2011 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18130

Die lehrbuchmäßige Darstellung der indirekten Rede und des Konjunktivgebrauchs ist mir bekannt. Wer ständig Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, hat diese Norm natürlich im kleinen Finger und sieht die Probleme nicht mehr so deutlich. Wir hatten ja schon mal eine verwandte Diskussion (siehe hier).

Das Altphilologe Otto Seel hat mal geschrieben: „Daß etwa die griechische indirekte Rede unvergleichlich viel durchschaubarer ist als die lateinische, merkt schon der Schüler.“ (Römertum und Latinität, S. 474)

Ich gebe hier versuchsweise mal eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Erscheinungen bei der Redewiedergabe im Deutschen:

1. Direkte Rede
Bei direkter oder wörtlicher Rede spielt der Sprecher vor, was gesagt worden ist oder gesagt werden könnte. Es handelt sich also um ein nachahmendes oder vormachendes, jedenfalls fingiertes Sprachverhalten. Das vorgeführte Verhalten wird nur seinem Wortlaut nach abgebildet, nicht in seiner originären Funktion (Illokution). In der Schrift wird diese Besonderheit durch Anführungszeichen ausgedrückt. Die Anforderungen an die Wörtlichkeit der Wiedergabe sind allerdings unterschiedlich streng.
Auch das Denken und sogar das Fühlen wird nach dem uns geläufigen naiv-psychologischen Modell offenbar so aufgefaßt, daß man seinen „Inhalt“ wörtlich wiedergeben kann. Die Grammatiken erwähnen diesen Sachverhalt nur nebenbei:
„Von Redewiedergabe spricht man dann, wenn in einem Sprachspiel ein anderes Sprachspiel als Referenz eingeblendet ist. 'Rede' wird dabei im weitesten Sinne des Wortes verstanden und umfaßt nicht nur lautsprachliche Äußerungen, sondern auch Bewußtseinsinhalte aller Art.“ (Harald Weinrich: Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim 1993: 895)
Die Rechtschreiblehren berücksichtigen es unter der Rubrik „Anführungszeichen“.
Die originäre Funktion der vorgeführten Rede kann durch ein redeeinleitendes (oder -ausleitendes) Verb umrissen werden, das den vorgeführten Sprechakt kommentiert. Neben den eigentlichen sprechaktbezeichnenden Verben wie sagen, fragen (Verba dicendi), nach dem zuvor Gesagten aber auch Verba sentiendi und putandi (fühlen, denken), werden im literarischen Stil auch andere Verben oder Verbkomplexe in diesem Sinne gebraucht:
„Bonn ist der Auffassung, daß die Förderung nicht mehr nötig ist“, bedauert Geschäftsführer Haubner. (SZ 8.1.98)
„Was hast du für Hobbys?“, versuchte ich das Thema zu wechseln. (Hortense Ullrich: Liebe macht blond. Thienemann 2001:19)
Keineswegs, schüttelte er den Kopf, er sei sowieso satt. Ob sie nicht ein Stück von dem Leerdamer probieren wolle, reichte er ihr die beiden Toastbrotscheiben und schob den Käseteller zu ihr hin. (SZ 9.10.07)

2. Indirekte Rede

Nach einer verbreiteten Auffassung entsteht die indirekte Rede durch eine grammatisch definierbare Umformung aus der direkten Rede. In der „Satzmodus“-Lehre gibt es zu fast allen Satzmodi eine entsprechende Indirektheitsform (aber nicht zu Wunschsätzen, Begrüßungen ...).
Bei der Umformung sollen folgende Verschiebungen vorgenommen werden: Person, Modus, Tempus, Raum- und Zeitbestimmungen. Die Schülerduden-Grammatik lehrt z. B.:
„Bei der indirekten Rede berichtet man aus der eigenen Perspektive. Man übernimmt die Aussage des anderen so genau wie möglich, passt aber alle Hinweise auf Personen, Ort und Zeit an die eigene Perspektive an.“ (Peter Gallmann u. a.: Schülerduden-Grammatik 1998:82)
„Noch ein hohes Maß an getreuer Wiedergabe verspricht auch die so genannte indirekte Rede mit Personalform an zweiter Stelle.“ (Schülerduden-Grammatik 432)
„Aus Sie fragte, wer das schon wolle kann man die rhetorische Frage Wer will das schon? rekonstruieren, aus Sie behauptete, daß das keiner wolle nicht.“ (Meibauer 1986:39)
In Wirklichkeit gibt die indirekte Rede den Inhalt einer originären Rede (oder eines Gedankens usw.) wieder, nicht die Form. Richtig sieht B. F. Skinner die Sache:
Er sagte, daß er gehen wolle erlaubt nur eine sehr grobe Wiederherstellung des wirklichen sprachlichen Verhaltens; vom mutmaßlichen Original Ich will gehen hat nur gehen überlebt, und wir können nicht einmal sicher sein, daß nicht eine andere der Situation angemessene Reaktion stattgefunden hat. Aber wir wissen ziemlich sicher, welche Art von Situation es war und welche Art von Wirkung die Äußerung gehabt haben könnte.“ (Übs. aus B. F. Skinner: Verbal Behavior. 1957:19)
Zu vorsichtig drückt sich die IDS-Grammatik aus:
„Bei indirekter Redewiedergabe ist die Lizenz zur Nicht-Wörtlichkeit wohl etwas weiter. Neben der wörtlichen Wiedergabe (de dicto) ist auch die Wiedergabe nur der Sache nach (de re) möglich.“ (IDS-Grammatik 1997:1755f.)
Es hat nur praktische Gründe, wenn man bei indirekter Redewiedergabe weitgehend vom Material einer vielleicht vorausgegangenen wörtlichen Rede Gebrauch macht.
So entfällt das Problem der indirekten Wiedergabe nichtpropositionaler Äußerungen wie Guten Tag oder Ätsch! (Weinrich: Textgrammatik 908f.)
Die indirekte Rede kann die Form eines Konjunktionalsatzes mit Verbletztstellung haben oder als Verbzweitsatz auftreten. Zur Redewiedergabe wäre auch noch die Infinitivkonstruktion heranzuziehen.
Sogenannte faktive Verben wie bedauern, bereuen, bezweifeln, sich ärgern, sich freuen können nicht als redeeinleitend verstanden werden und lassen daher keine Inhaltssätze mit Verbzweitstellung zu.
Wie bei der direkten Rede können weitere Verben als troponyme Varianten der eigentlichen Verba dicendi auftreten.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 20.02.2011 um 21.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18133

Hoffentlich habe ich die Norm der indirekten Rede tatsächlich im kleinen Finger. Aber trotzdem bin ich doch nicht ganz blind für die Probleme, allerdings überschneidet sich m. E. hier die Grammatik mit der Stilistik. Daher stelle ich noch zwei Textbeispiele zu den Auszügen aus den „Buddenbrooks“, um einen Punkt noch etwas genauer zu erläutern.

Die US-Demokraten vermuten, George W. Bush habe den 60. Geburtstag Israels missbraucht, um sich in den inneramerikanischen Wahlkampf um seine Nachfolge einzumischen.

Obama hat im Wahlkampf argumentiert, Amerika müsse auch mit seinen Feinden reden. Er sei bereit, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad trotz dessen antisemitischer Äußerungen zu treffen. Er setzte sich damit auch von Hillary Clinton ab. (Beide Beispiele aus: Der Tagesspiegel, 17.5.2008)

Man sieht an diesen Sätzen aus dem „Tagesspiegel“ von 2008 und den Beispielen aus Thomas Manns „Buddenbrooks“ noch eine andere Funktion des Konjunktivs als nur die Wiedergabe des Inhalts „einer originären Rede (oder eines Gedankens usw.)“. Das Indirekte des Satzes Die US-Demokraten vermuten, George W. Bush habe den 60. Geburtstag Israels missbraucht, um sich in den inneramerikanischen Wahlkampf um seine Nachfolge einzumischen. drückt nämlich eine Distanz aus, die sich nicht so ohne weiteres wieder in die direkte Rede zurückführen läßt, auch nicht als „fingiertes Sprachverhalten“. Man kann nicht einfach festlegen Die US-Demokraten: „George W. Busch hat vermutlich den 60. Geburtstag Israels mißbraucht, um sich in den inneramerikanischen Wahlkampf um seine Nachfolge einzumischen.“ oder Die US-Demokraten vermuten: „George W. Bush hat den 60. Geburtstag Israels mißbraucht, um sich in den inneramerikanischen Wahlkampf um seine Nachfolge einzumischen.“ sei die originäre – obwohl so nie geäußerte – Rede. Das Verb „vermuten“ macht klar, daß die US-Demokraten ihre Vermutung wohl niemals offen als gemeinsame Parteimeinung ausgesprochen haben. Der Leser blickt bei dieser Vermutung gleichsam in die Köpfe der Demokraten. Ich habe nun im ersten Fall zwar aus dem Verb „vermuten“ das Modaladverb „vermutlich“ gemacht, aber beide Sätze bleiben mehr als „nur eine sehr grobe Wiederherstellung des wirklichen sprachlichen Verhaltens“ (Skinner), da man eine Vermutung ja auch ebensogut vom Hörensagen oder aus Andeutungen herleiten kann.

Anders ist es bei den Konjunktivformen des zweiten Beispiels, die man sich tatsächlich als eine „der Situation angemessene Reaktion“ (Skinner) vorstellen kann. Etwa so:Obama hat im Wahlkampf argumentiert: „Amerika muß auch mit seinen Feinden reden. Ich bin bereit, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad trotz dessen antisemitischer Äußerungen zu treffen. Ich setze mich damit auch von Hillary Clinton ab.“

Die oben gezeigte Distanz oder Unsicherheit läßt sich auch am ersten Auszug aus den „Buddenbrooks“ verdeutlichen. »Wenn es ein warmer Schlag ist«, sprach Tony und nickte bei jedem Wort mit dem Kopfe, »so schlägt der Blitz ein. Wenn es aber ein kalter Schlag ist, so schlägt der Donner ein!« Natürlich ist das auch nur wieder „nachahmendes Sprachverhalten“, aber mit etwas Phantasie können wir die kleine Tony fast schon hören und dazu den Kopf nicken sehen. Anders in dem Satz Herr Buddenbrook aber war böse auf diese Weisheit, er verlangte durchaus zu wissen, wer dem Kinde diese Stupidität beigebracht habe, und als sich ergab, Ida Jungmann, die kürzlich für die Kleinen engagierte Mamsell aus Marienwerder, sei es gewesen, mußte der Konsul diese Ida in Schutz nehmen. Hier schiebt sich der Erzähler kommentierend vor den Leser. Eine wiederum konstruierte Rede wie Herr Buddenbrook aber war böse auf diese Weisheit und wollte wissen: „Wer hat dem Kinde diese Stupidität beigebracht?“ wird dem Satz nicht gerecht. Erstens wird nicht klar, von wem Herr Buddenbrook das eigentlich wissen wollte, zweitens stört das wertende „durchaus“ und drittens ist unklar, wer genau antwortete. Einleuchtend ist nur, daß Zeit vergangen sein muß, denn nur so kann man „und als sich ergab“ erklären. Nach Skinner weiß der Leser aber nun nicht einmal, „welche Art von Situation es war und welche Art von Wirkung die Äußerung gehabt haben könnte“. Herr Buddenbrook könnte theoretisch jeden im Raum befragt haben („Wissen Sie, wer dem Kinde diese Stupidität beigebracht hat?“ „Nein? Wissen Sie es vielleicht?“), es gab vielleicht als Reaktion nur ein Achselzucken oder vorsichtiges Drucksen. Und auch die Antwort bleibt unklar. Hat jemand tatsächlich „Ida Jungmann, die kürzlich für die Kleinen engagierte Mamsell aus Marienwerder war es“ gesagt? Man weiß es nicht, und genau diese Unsicherheit wird hier besser durch die indirekte Rede ausgedrückt als durch die direkte, die noch einer eindeutigen Festlegung von Fragehergang, Befragten und Gewißheit der Antwort bedürfte.

Vielleicht war daher mein letzter Satz „Einmal die "Buddenbrooks" lesen und die indirekte Rede sitzt!“ ein bißchen zu arrogant. Ich relativiere ihn daher: Einmal die „Buddenbrooks “ und auf die stilistischen Feinheiten der Grammatik achten! Bis die indirekte Rede dann tatsächlich „sitzt“, braucht es wohl noch sehr viel Schreiberfahrung.

 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 20.02.2011 um 21.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18134

Ich habe zwar alles vorgeschrieben, aber mir sind dennoch zwei Fehler unterlaufen. Nun habe ich keine Sekretärin, der ich kündigen kann, und bitte deshalb die Redaktion um Korrektur.

Das zweite Zeitungsbeispiel muß heißen:

Obama hat im Wahlkampf argumentiert, Amerika müsse auch mit seinen Feinden reden. Er sei bereit, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad trotz dessen antisemitischer Äußerungen zu treffen. (Beide Beispiele aus: Der Tagesspiegel, 17.5.2008)

Und entsprechend muß die wiederhergestellte direkte Rede heißen:

Anders ist es bei den Konjunktivformen des zweiten Beispiels, die man sich tatsächlich als eine „der Situation angemessene Reaktion“ (Skinner) vorstellen kann. Etwa so:Obama hat im Wahlkampf argumentiert: „Amerika muß auch mit seinen Feinden reden. Ich bin bereit, Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad trotz dessen antisemitischer Äußerungen zu treffen.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2011 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18138

Schöne Analyse, Herr Höher. Mein Hauptpunkt war, die indirekte Rede von der direkten wegzurücken. Das Umformen hin und her ist eine didaktisch sinnvolle Übung, mehr zunächst nicht, also vor allem keine "Transformation" im grammatischen Sinne. Allerdings pragmatisch gesehen wird doch viel Material übernommen, so daß man auf den Gedanken einer Umformung kommen kann.
Interessant ist die Beobachtung der Gerichtspraxis: Was ist als Wiedergabe einer Zeugenaussage zu werten? Was unterschreibt der Zeuge als seine Aussage, obwohl er es so gar nicht gesagt hat?
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 21.02.2011 um 10.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18141

Das unstabile System von Tempus und Modus (ich verstehe die Bedeutung der Formulierung hoffentlich recht) fördert ja nicht nur Fehlleistungen im Umgang mit der indirekten Rede, sondern setzt auch Grenzen. Es fehlt an Konjunktiven: Er erzählte von Venedig, Rom und dem Vesuv, er sprach von der Villa Borghese, wo der verstorbene Goethe einen Teil seines Faust geschrieben habe, er schwärmte von Renaissance-Brunnen, die Kühlung spendeten, von wohlbeschnittenen Alleen, in denen es sich so angenehm lustwandeln lasse … Sollten die Brunnen in der Mehrzahl Kühlung spenden, mußte sich selbst Thomas Mann mit dem Indikativ bescheiden – tot oder lebendig.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 21.02.2011 um 11.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18142

Aber nein, Herr Virch, hier fehlen keine Konjunktive. Ich markiere sie einmal zusätzlich durch Fettdruck

Er erzählte von Venedig, Rom und dem Vesuv, er sprach von der Villa Borghese, wo der verstorbene Goethe einen Teil seines Faust geschrieben habe, er schwärmte von Renaissance-Brunnen, die Kühlung spendeten, von wohlbeschnittenen Alleen, in denen es sich so angenehm lustwandeln lasse, und jemand erwähnte des großen, verwilderten Gartens, den Buddenbrooks gleich hinter dem Burgtore besaßen …

Der Dichter Hoffstede erzählt immer wieder gern und vor allem ausführlich von seiner italienischen Reise, sie ist "sein Lieblingsthema". Das bedeutet, die im Roman anwesenden Zuhörer haben das alles schon xmal gehört. Und genau diese Kenntnis (zumindest der "Italienischen Reise" von Goethe) unterstellt der Erzähler nun auch beim Leser. Thomas Mann verwendet die indirekte Rede hier, um gewissermaßen die erzählte Zeit zu raffen, um den Leser nicht unnötig mit Reiseanekdoten Hoffstedes zu langweilen, die dieser (in der fiktiven Welt des Romans) immer wieder zum besten gibt. Zumal es sich bei dieser italienischen Reise um eine olle Kamelle handelt, sie fand vor fünfzehn Jahren statt. Daß Hoffstede keinen sachlich nüchternen Reisebericht gibt, erfahren wir aus der Wahl der Verben "schwärmen", "lustwandeln" und dem damit zusammenhängenden Adverb "angenehm". Das erste Verb ist noch vom Erzähler gewählt: er sprach von der Villa Borghese, aber dann ist bei Hoffstede kein Halten mehr. Davon jedoch möchte der Erzähler sich distanzieren und kann zugleich die endlosen Geschichten von der Italienreise raffen. Hätte Thomas Mann hier in den Erzählerbericht die direkte Rede Hoffstedes einfließen lassen – was ja gut möglich gewesen wäre –, dann hätte dieser Reisebericht zuviel Gewicht bekommen, und gleichzeitig hätte Thomas Mann ihn nicht durch die indirekte Rede ironisieren können. Das ist hier viel subtiler als ein unhöfliches "jaja, das kennen wir doch schon alle". Denn natürlich kennt der Leser diese Geschichten tatsächlich nicht (wie denn auch?), aber der Erzähler steckt hier mit dem Leser gleichsam unter einer Decke. Er und der Leser kennen diese Art von Anekdötchen und damit es nun für den Leser nicht zu langweilig wird, rafft der Erzähler die Zeit ein wenig. Und am Ende ist man dann auch endlich wieder beim eigentlichen – auch für den Leser wichtigen – Thema: den Buddenbrooks.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.02.2011 um 12.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18143

Soll man denn nicht, um den Leser nicht zu verwirren, in der indirekten Rede zwischen allgemein bekannten Tatsachen und persönlichen Eindrücken unterscheiden? Also unstriitige Tatsachen im Indikativ und persönliche Eindrücke im Konjunktiv?
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 21.02.2011 um 19.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18147

Sie haben recht, Herr Höher, der zitierte Satz enthält alle drei Konjunktive. Wenn der Leser drauf kommt. Mit Erwähnung der Villa, in welcher der verstorbene Goethe geschrieben habe, fühle ich mich in die Vergangenheit geführt, sehe sodann Brunnen, die (einst Goethes großem Kollegen Hoffstede?) Kühlung spendeten, und lande schließlich im eindeutigen Präsens, wo es sich lustwandeln lasse. Demnach war das „spendeten“ ebenfalls Präsens? Konjunktiv, aha. Oder doch Indikativ Imperfekt? Der häufigeren Form nach allemal, mag der Kontext noch so dagegen sprechen.

Mir ging es um die im Deutschen fehlenden unverwechselbaren Konjunktivformen. Wo der Konjunktiv I nicht von einem Indikativ zu unterscheiden wäre, können wir zwar hilfsweise den Konjunktiv II wählen, büßen dabei jedoch auch Klarheit ein. Und für Fälle, in denen sich der Konjunktiv Präsens mit dem Indikativ Imperfekt deckt, gibt es anscheinend nicht mal eine vertretbare Hilfslösung. Was Thomas Mann nicht anzulasten ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2011 um 15.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18159

Für die Journalisten der DDR gab es eine Handbuch-Anweisung, Aussagen der eigenen Leute im Indikativ, solche aus dem nichtsozialistischen Ausland im Konjunktiv zu referieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2011 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18171

Jetzt hat man den Eindruck, als griffe eine Höflichkeit um sich, die man überall vermutet hätte, nur nicht in einem bundesdeutschen KWEA. (SZ 22.2.11)

Hier wäre der Konjunktiv I zu erwarten. Vielleicht mischt sich der Irrealis ein. Immerhin ein Beleg für die Unstabilität des Modus im gegenwärtigen Deutschen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.02.2011 um 16.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18200

Mich interessieren die Beispiele direkter und indirekter Rede, die Prof. Ickler in #18130 als "literarischen Stil" bezeichnet. Ich bin nicht sicher, wie das gemeint ist, denn auch die "stilistische Pracht" Mosebachs fällt wohl irgendwie unter den Begriff "literarisch". In Peter Dierlichs Mosebach-Kritik (1407#17942) steht z. B.:

"»In Mexiko übrigens, wenn ich mich recht erinnere«, erwähnte Skrba nun noch vorsichtiger. (18) Kenner unterscheiden allerdings zwischen transitiven und intransitiven Verben und freuen sich deshalb an solchen Stellen über simple und schöne Wörter wie zum Beispiel »sagen«."

Nun ist erwähnen durchaus genauso transitiv wie sagen, daß es hier nicht paßt, hat also damit nichts zu tun, sondern hängt mit der Bedeutung zusammen (man erwähnt ein Thema, aber keinen Satz; man sagt dagegen einen Satz, aber kein Thema). Aber hat Dierlich nicht im Prinzip recht? Braucht man nicht für die Einleitung oder Kommentierung der Rede immer ein transitives Verb? Sätze wie "Gib her", lachte er. erscheinen mir auch schief. Man kann doch keinen Satz lachen (höchstens scherzhaft-sprichwörtlich einen Ast).

Sind die in #18130 zitierten Sätze "literarischen Stils" nicht eigentlich ungrammatisch? Die Erststellung des Verbs ist doch nur dann erklärbar, wenn man die wörtliche Rede als Adverbial auffaßt (Objekt des einleitenden bzw. kommentierenden Verbs kann sie ja bei intransitiven Verben nicht sein). Aber einen Sinn ergibt das auch nicht:
Frage: Wie versuchte ich das Thema zu wechseln?
Antwort: "Was hast du für Hobbys?“, versuchte ich das Thema zu wechseln.

Ich habe immer geglaubt, die direkte oder indirekte Rede könne nur gleichsam als Ersatz für ein Akkusativobjekt stehen, nur dann ergebe sich daraus ein vernünftiger Satz. So wie hier "glauben" eben auch transitiv ist, und das, was geglaubt wird, das Akkusativobjekt ersetzt.
Ich lese solche "literarischen" Konstruktionen besonders oft im Lokalteil meiner Tageszeitung (Mannheimer Morgen), und ich habe dann immer das Gefühl, daß sich da ein relativ junger Journalist krampfhaft bemüht, etwas Abwechslung und Originalität (auch so eine Art Pracht) in seine wörtlichen Reden zu bringen. Sollte man nicht besser einen solchen Stil vermeiden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.02.2011 um 16.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18202

Sie haben das völlig richtig gesehen, was "erwähnen" betrifft.

Die "literarische" Stilmarotte, die ich ziemlich wertfrei anführe, ist natürlich lächerlich, aber sie kommt eben doch oft vor. Unter den Schriftstellern war z. B. Fritz von Unruh dafür bekannt. Der Mechanismus ist dieser: Statt "sagte er, indem er das Thema wechsedlte" sagt man "wechselte er das Thema". Hier noch ein paar Fälle aus meinen Sammlungen:

„Sie haben gelauscht!“, schoss Patrick den Hausmeister vor den Bug. (Wolfgang Pauls: Kommissar Spaghetti und die Doping-Falle. München 2000:27)
„Sie hat einen anderen, Steve“, nahm ich kein Blatt mehr vor den Mund. (Thomas Jeier: Hilferuf aus dem Internet. Würzburg 2000:156)
Die Nanotechnik kann sogar zu geruchsabsorbierenden Textilien führen, zeigt sich das Unternehmen zuversichtlich. (FAZ 1.7.03)
Die Methanoxidation ist „global bedeutend“, bringt es der Leiter der Arbeitsgruppe für Biogeochemie auf den Punkt. (Max Planck Forschung 1/2009:72)
„Wir möchten endlich anfangen zu arbeiten“, ruft der Grenzpolizist zur Disziplin. (Zeit 17.11.89)
„Die Ernte ist mittlerweile schon komplett verkauft“, reibt sich Willy die Hände. (Zeit 9.6.86)
„Die sind ja alle so verlogen“, sträubte es sich in Gabriele Achenbach. (FAZ 10.8.82)
„Wir konnten uns vor dem Abstieg nicht erholen, die Belastungen waren zu groß“, zeigte sich K. enttäuscht. (FAZ 9.5.83)
Die Aktionäre von deutschen Konzernen reiben sich die Augen, was ihnen plötzlich alles gehört. (FAZ 7.10.93)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 24.02.2011 um 18.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18203

Die Beispiele erinnern mich vage an Bücher meiner Kindheit. Seither habe ich kaum jemals gelesen, daß sich beispielsweise ein Mann straffe. Damals kam das öfter vor. „Gehen wirs an“, straffte sich Horst.

Daß man Sätze bzw. Äußerungen lachen kann, finde ich allerdings durchaus. Man kann sie sogar wiehern, gurgeln, grunzen oder gestisch vorbringen. „Hier kommt frischer Kaffee“, flötete Harald. „Nicht jetzt“, winkte Ingrid ab. Es muß halt passen und dosiert sein.
 
 

Kommentar von Peter Küsel, verfaßt am 24.02.2011 um 18.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18204

Ich kenne solche Konstruktionen insbesondere auch aus dem Sportjournalismus. Im Kicker Sportmagazin etwa finden sich häufig Absätze wie dieser hier:

"Diese Transferperiode wird viel Geduld erfordern - in jeder Hinsicht", stellt sich Kuntz auf eine Hängepartie ein. Sie birgt das Risiko, dass etwaige Wunschkandidaten früher die Geduld verlieren, als ihm lieb ist. "Die Gefahr ist da, doch alles andere ist unter der aktuellen Konstellation nicht möglich", wirbt Kuntz für Verständnis.

([url=http://www.kicker.de/news/fussball/2bundesliga/startseite/artikel/207417] 16. 06. 2008[/url])
 
 

Kommentar von Konstantin Steinberg, verfaßt am 01.03.2011 um 21.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18242

Interessante Diskussion. Kürzlich bin ich auf folgende "Sprachglosse" zum Thema Konjunktiv von Büchnerpreisträger Martin Mosebach gestoßen:

http://books.google.de

Er zitiert einige Sätze Kleists ohne auf den Erzählkontext einzugehn, und weist auf seine vermeintlich beliebige Verwendung des Konjunktivs hin. Daß der auktoriale Erzähler der "Marquise von O." womöglich sein gutes Recht hat, hier und da den Irrealis zu gebrauchen, kommt Mosebach offenbar nicht in den Sinn. Auch im "Michael Kohlhaas" liest man z. B. folgenden Satz:

"Doch der Vogt erwiderte, daß er das achtzehnte Mal nicht durchschlüpfen würde, daß die Verordnung deshalb erst neuerlich erschienen wäre, und daß er entweder den Paßschein noch hier lösen, oder zurückkehren müsse, wo er hergekommen sei."

Wer weiterliest oder die Geschichte kennt, weiß, daß Kohlhaas hier betrogen wird: die besagte Verordnung gibt es nicht. Der Konjunktiv macht also Sinn, und wer dem Erzähler vertraut, weiß bereits nach diesem Satz, daß hier etwas schief läuft. Ähnliches könnte natürlich auch bei den Sätzen der "Marquise von O." der Fall sein.

Natürlich kann es auch vorkommen, daß Goethe etwa aus klanglichen Gründen auf den korrekten Konjunktiv verzichtet:

"Da er hörte, daß ich viel zeichnete und Griechisch könnte."

(Gefunden bei Karl Kraus: Sprachlehre - www.balladen.de)

Oder aus rhythmischen Gründen?

"Wir fragten, ob der Weg über die Furka noch gangbar wäre? Sie antworteten, dass ihre Leute den größten Teil des Winters drüber gingen; ob wir hinüberkommen würden, das wüssten sie nicht."
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 02.03.2011 um 09.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18244

Nur weil Goethe oder Kleist so geschrieben haben, muß es nicht aus heutiger Sicht korrekt sein. Für die indirekte Rede spielt es keine Rolle, ob das Berichtete zutrifft. Wir wissen, daß Guttenberg sein Buch nicht selbst geschrieben hat, aber das führt nicht dazu, daß wir in dem Satz »Er sagte, er habe sein Buch in siebenjähriger Arbeit selbst verfaßt« habe durch hätte ersetzen.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 02.03.2011 um 12.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18246

Ich stimme R.M. lebhaft zu, weil ich finde daß jede Unterscheidungsmöglichkeit genutzt werden sollte, die uns unsere spärlichen Konjunktivformen bieten. Ich ergänze nur, daß die indirekte Rede den Irrealis nicht grundsätzlich ausschließt.

Er sagte, er hätte sein Buch gern selbst verfaßt, doch sei dafür keine Zeit gewesen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.03.2011 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18247

Z. B. Wikipedia schreibt, daß der Konjunktiv I durch den Konjunktiv II ersetzt werden könne, um einer Verwechslung mit dem Indikativ Präsens vorzubeugen, wenn in den Fallgruppen, in welchen der Konjunktiv I die richtige Konjunktivform ist, dieser mit dem Präsens Indikativ übereinstimmt.

Wann aber besteht diese Verwechslungsgefahr genau? Ein Beispiel:

Das Asthmarisiko sinke, je mehr Umweltkeime ein Kind umgäben, teilte die federführende Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) gestern in München mit.
(Mannheimer Morgen, 25.2.11, S. 16)

Ich finde, hier wäre der Konj. I umgeben nicht mit dem gleichlautenden Ind. Präsens zu verwechseln, weil der Konj. I bereits durch sinke eindeutig gekennzeichnet ist. umgeben kann also nur Konj. I sein, ich hätte hier keinen Konj. II verwendet. Ist das richtig, oder sollte man doch schon die m. E. viel geringere Verwechslungsgefahr wegen des bloßen gleichlautenden Wortes ausschließen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.03.2011 um 15.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18248


„Nun gerät auch die Verteidigung des Konjunktivs leicht in den Geruch zimperlicher Altertümelei nach alter Philologenart. 'Er erklärte, dies oder das beträfe ihn nicht' klingt vielen allzu gespreizt.“ (Karl Korn: „Mehr Konjunktiv!“ FAZ 29.8.80)

„Dem Verfasser der Glosse 'Mehr Konjunktv!' sei Dank für seine Ausführungen, denen ich zustimme. Allerdings ist ihm ein Versehen passiert in dem Beispiel: 'Er erklärte, dies oder das beträfe ihn nicht', es sollte in diesem Zusammenhang 'betreffe' heißen, da in der indirekten Rede der Konjunktiv Präsens steht, auch nach einem Hauptsatz im Imperfekt. Nur wenn die Form des Konjunktivs sich nicht vom Indikativ Präsens unterscheidet, steht der Konjunktiv Imperfekt, etwa: Er erklärte, die Vorwürfe beträfen ihn nicht ('betreffen' ist nicht als Konjunktiv erkennbar).“ (Leserbrief 6.9.80)

Ein anderer Leser beklagt in derselben Ausgabe, selbst in der FAZ finde er kaum einen Beitrag, der den Konjunktiv durchgehend richtig gebrauche. (Was für eine Sprache, in der alle alles ständig falsch machen!)

Peter Eisenberg hat 1986 treffend bemerkt:

„Kein Bereich der Grammatik des Deutschen ist in gleichem Umfang sprachpflegerischen Ambitionen ausgesetzt wie der Konjunktiv.“
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.03.2011 um 18.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18251

Lieber Herr Riemer,

stünde in dem von Ihnen zitierten Satz umgeben, würde ich darin keinen Konjunktiv I sehen, sondern einen Indikativ - trotz des vorangehenden Konj. I. Trotzdem hielte ich den Satz für "richtig".

Der genannte Satz wirft m. E. eine andere Frage auf: Inwieweit muß die indirekte Rede in alle Nebensätze eines zusammengesetzten Satzes fortgesetzt werden?

In diesem Fall besagt der Satz, daß eine bestimmte objektive Voraussetzung (höhere Zahl von umgebenden Umweltkeimen) zu einem geringeren Asthmarisiko führe. Diese Hauptaussage wird durch das sinke als fremde Aussage gekennzeichnet. Ich sehe dagegen keinen zwingenden Grund dafür, auch die objektive Voraussetzung in den Konj. I zu setzen.

Übrigens taucht der wiedergegebene Satz in der Erklärung der LMU so gar nicht auf. Insofern wäre die Bezeichnung indirekte Rede hier etwas irreführend. Der zitierte Satz faßt vielmehr den Inhalt der Erklärung sehr knapp zusammen.

Bei einer zumindest sinngemäß genauen Wiedergabe von etwas gesagtem muß natürlich der Konj. I durchgehend verwendet werden: Maria sagte, sie könne nicht kommen, weil sie krank sei. Dadurch wird klar, daß die Aussage, sie sei krank, auch von Maria stammt.

Der Duden scheint - jedenfalls auf den ersten Blick - meiner Auffassung allerdings zu widersprechen. Im Problemfälle-Duden 1985 heißt es: "Die genannte Regel gilt innerhalb der indirekten Rede für alle Arten und Grade von Nebensätzen."

Allerdings ist in Ihrem Beispiel eben fraglich, ob die Aussage sich durchgehend "innerhalb der indirekten Rede" bewegt..

Ich denke, daß man hier eine gewisse stilistische Freiheit hat, durch mehr oder weniger konsequente Verwendung des Konj. I eine mehr oder weniger starke Distanzierung von einer wiedergegebenen Behauptung anzuzeigen.

Die doppelte Verwendung des Konj. I in Ihrem Beispiel zeigt damit - ob beabsichtigt oder nicht - eine stärkere Distanzierung an. Das wird aber nur durch die Verwendung des Konj. II in "umgäben" wirklich deutlich.

Eine stärkere Distanzierung erscheint mir hier auch durchaus gerechtfertigt. Die wiedergegebene Aussage enthält ja zumindest implizit eine Kausalbehauptung (mehr Umweltkeime führen zu geringerem Asthmarisiko). Abgesehen davon, daß es entsprechende Vermutungen seit langem gibt, zeigt das, was ich über die Studien herausfinden konnte, nur, daß 1. Kinder auf Bauernhöfen ein geringeres Asthmarisiko haben und 2. von mehr "Umweltkeimen" umgeben sind. Das mag ein wertvoller Hinweis sein, belegt aber noch keinen Kausalzusammenhang. Dazu müßte man weitere Studien anstellen, etwa über das Asthmarisiko von Stadtkindern in schmutzigen und in reinlichen Haushalten.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 03.03.2011 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18255

Das Wort Distanz trifft den Sachverhalt nur insofern, als die indirekte Rede den geäußerten Inhalt als referiert kennzeichnet. Die Qualität des Referats spielt dabei keine Rolle. Es ist auch ohne Belang, ob es um Vermutungen oder Fakten geht. Die Wahl der indirekten bzw. direkten Rede ist gerade bei Kausalsätzen keine Frage größerer oder geringerer Distanz, sondern kann die Aussage völlig verändern.

Helga sagt, ihr Dieter sei zu dick, weil er zuviel esse. Laut Auskunft des Sprechers findet Helga ihren Dieter erstens zu dick, findet zweitens, daß er zuviel esse und hält drittens Dieters Appetit für die Ursache seines (von ihr behaupteten) Übergewichts.

Helga sagt, Dieter sei zu dick, weil er zuviel ißt. Laut Auskunft des Sprechers ißt Dieter erstens zuviel, zweitens findet Helga ihren Dieter zu dick (dabei ist ers vielleicht gar nicht), und drittens sagt Helga das, weil Dieter zuviel ißt.

Bei Herrn Riemers Beispiel handelt es sich allerdings um einen Vergleich, und ein solcher ist nicht zerlegbar: „Dieter ißt erstens je mehr und wird zweitens desto dicker“ ist Unfug; deshalb läßt sich auch nicht sagen: „Helga findet, Je mehr Dieter esse, desto dicker wird er“.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 10.03.2011 um 09.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18289

Bei aller Bereitschaft, dem unvermittelten Auftauchen von Indikativen eine inhaltliche Nuancierungsabsicht des Autors zugutezuhalten, erscheint es mir zunehmend, als fehle (nicht nur) der indirekten Rede hinten einfach die Luft. In einem FAZ.NET-Kommentar schreibt Nikolaus Busse heute:

„Folgt man den Wortmeldungen etlicher Politiker, nicht zuletzt des Außenministers, dann entsteht der Eindruck, es gehe um einen begrenzten Eingriff zum Schutz der Bevölkerung, für den man eigentlich nur die Zustimmung der Vereinten Nationen und der arabischen Nachbarländer braucht.“

„Bleibt die Frage, ob den politischen Interessen der EU in Nordafrika gedient wäre, wenn sie den Sturz Gaddafis militärisch unterstützt.“

(www.faz.net)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.03.2011 um 10.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18290

Mag sein, aber gerade bei diesen beiden Beispielen finde ich das nicht:

Daß man die Zustimmung braucht, ist nicht Teil des aus den Wortmeldungen der Politiker entstehenden Eindrucks, sondern das Wissen des Kommentators, deshalb im Indikativ.

Wenn die EU den Sturz Gaddafis militärisch unterstützt, dann bleibt die Frage – bis hierher ist alles im Indikativ völlig in Ordnung – ob ihren politischen Interessen in Nordafrika gedient wäre. Nur der letzte Teilsatz ist ein Irrealis, also Konjunktiv 2.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.03.2011 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18292

Es ist nicht nur "Wissen des Kommentators", sondern er glaubt vielmehr auch das Gesagte. Deshalb wird hier der Indikativ gebraucht. Ich bleibe jedenfalls bei der Ansicht, daß der Konjunktiv als Stilmittel der Distanzierung genutzt wird.

Hierzu noch die Meinung von Eduard Engel:

Es kann einer Sprache garnichts schaden, wenn nicht alles und jedes ein für allemal nach dem eisernen Kantel einer starren Regel gradegezogen ist. Eben da, wo die grammatischen Regeln aufhören, bekommt das künstlerische Sprachgefühl Spielraum, und wir wollen es nicht beklagen, daß im Gebrauche des deutschen Konjunktivs selbst bei den besten Schriftstellern eine edle Freiheit besteht. […] Dulden wir nicht, daß er durch gröbliche Schlamperei verwüstet werde; erlauben wir aber den Regelschmieden nicht, den wirklich bedachtsamen Schreibern unnötige Fesseln anzulegen.

Einverständnis über den Gebrauch des Indikativs und Konjunktivs herrscht für Sätze wie: ‚Der Fürst verdient, daß man ihn liebt‘ (er verdient die ihm schon gezollte Liebe), und: ‚Der Fürst verdient, daß man ihn liebe‘ (er verdient die ihm noch nicht gezollte Liebe). Und was sollten wir ohne den Konjunktiv anfangen, um zu unterscheiden: ‚Du hast es nicht verdient, daß man dich begnadigt‘ (aber du bist dennoch schon begnadigt worden), und: ‚Du hast es verdient, daß man dich begnadige‘ (aber du bist noch nicht begnadigt worden). Die Sprachmeisterei geht weiter und behauptet aus der Tiefe ihres Gemütes, keineswegs gestützt auf einen feststehenden Sprach- und Schreibgebrauch der guten Schriftsteller, es sei falsch (ebenso gut: es ist falsch), zu schreiben: ‚Er sagt mir, er ist krank.‘ Unbedingt falsch ist das nicht; eine feinere Wiederspiegelung der Gedankenwelt des Sprechenden wird aber unterscheiden, ob er das Gesagte glaubt oder bezweifelt oder in der Schwebe läßt. In den beiden letzten Fällen wird man durch den Konjunktiv abschatten: ‚Er sagt mir, er sei krank.‘

(Eduard Engel: Deutsche Stilkunst, 15. Auflage, Leipzig und Wien 1912, S. 77)

Womöglich ist die Unsicherheit über den letzten Satz aus 1419#18289 darin begründet, daß die EU den Sturz Gaddafis ja noch nicht unterstützt (bislang denkt man nur darüber nach). Busse hat meiner Meinung (und Herr Riemer sieht das ja genauso) den irrealen Teil seiner Gedanken klar durch den indirekten Fragesatz gekennzeichnet. Problematischer wäre es freilich im Präteritum, denn da bereitet der Konjunktiv tatsächlich größere Mühe. Karl Kraus hat das 1927 einmal sehr schön gezeigt:

Wenn ich nun einen Menschen ... fragte, worin also die Lehre des
Grafen Keyserling bestünde, so würde ich ....


Der Konjunktiv ist sicherlich eine schwierige Angelegenheit
der deutschen Sprache, die auch den besten Schriftstellern
schon Kummer bereitet hat. Selbst wenn jenes »fragte« ein
inneres Imperfektum wäre — das es hier ja nicht sein kann —,
ihm also »ich fragte« und nicht »ich frage« zugrundeläge, so
müßte es heißen: »worin die Lehre bestehe«. Der Konjunktiv
des Imperfekts wäre nur dann richtig, wenn der Satz bedingt
gedacht oder in eine Bedingung fortgesetzt würde: »bestünde,
wenn …« Er wäre richtig, wenn der Satz nicht die Frage
enthielte: »Worin besteht die Lehre?«, sondern: »Worin bestünde
die Lehre?«. (Dies wäre etwa möglich, wenn bereits alles, worin
sie nicht besteht, dargestellt wäre und der Schluß übrig bliebe,
daß sie in nichts besteht. Im Falle Keyserling zwar denkbar, aber
hier nicht beabsichtigt.) Immerhin ist es vielleicht das Bemühen
um eine consecutio temporum, die im Deutschen so leicht wider
den Gedanken geht. Aber der Konjunktiv imperfecti ist an und
für sich das Prunkstück der Bildung.


(Die Fackel, XXVIII. Jahr, Februar 1927, Heft 751–756, S. 41)

Aber zum Glück mußte Busse hier ja nicht um das "Prunkstück der Bildung" ringen.
Um noch einmal kurz auf Engel einzugehen, zeigt gerade die Verwendung des Konjunktivs in Busses indirektem Fragesatz, daß er bezweifelt, daß ein Sturz Gaddafis für die politischen Interessen der EU dienlich wäre. Der Fragesatz referiert daher nicht etwa die Diskussionen der EU ("Sollen wir den Sturz Gaddafis Unterstützen?" "Ist sein Sturz unseren politischen Interessen dienlich?"), sondern zeigt vielmehr die Meinung des Kommentators.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 10.03.2011 um 11.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18293

Im zweiten Beispiel kommt man sogar besser ganz ohne Konjunktiv aus:

Bleibt die Frage, ob den politischen Interessen der EU in Nordafrika gedient ist, wenn sie den Sturz Gaddafis militärisch unterstützt.

Denn soweit den politischen Interessen der EU mit einem Sturz nicht gedient ist, bleibt keine Frage mehr.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 10.03.2011 um 14.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18294

Es geht nicht darum, ein Urteil über richtig oder falsch zu fällen, sondern festzustellen, welche Bedeutung sich vermittelt. „Etliche Politiker“ führen „die Zustimmung der Vereinten Nationen“ derzeit im Munde. Das möchte Busse sichtlich wiedergeben. Er tuts aber nicht, da hat Herr Riemer recht. Daß ein Indikativ an solcher Stelle einen direkten Sinn ergibt, liegt auf der Hand, nur ist es hier schwerlich der vom Autor beabsichtigte.

In der Äußerung „er sagt mir, er ist krank“ einen nuancierten Glaubensausdruck zu erkennen, gelingt mir nicht. Ich empfinde sie eher als umgangssprachlich, bewußt hemdsärmelig – insofern aber auch nicht als „unbedingt falsch“. Eine Nuance ganz anderer Art.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.03.2011 um 23.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18298

Lieber Herr Riemer,

ich glaube nicht, daß "bis hierher alles im Indikativ völlig in Ordnung" ist. Aus Ihrer Wenn-dann-Konstruktion ergibt sich eindeutig, daß die Frage nur dann bliebe, wenn die Bedingung erfüllt ist/wäre. Also handelt es sich doch eindeutig um einen Irrealis. Wenn der Irrealis "wäre" erforderlich ist, dann genausogut auch der Irrealis "bliebe".

Und müßte dann nicht auch im Wenn-Satz der Irrealis stehen? Das ist doch die ursprüngliche von Herrn Virch aufgeworfenen Frage. Auf die Frage "kommst du?" kann man "wenn ich kann, komme ich" oder "wenn ich könnte, käme ich" antworten, aber wohl kaum "wenn ich könnte, komme ich" oder "wenn ich kann, käme ich".

Allerdings ist der vorliegende Fall wieder etwas anders gelagert. Denn was immer die EU unternimmt, so bleibt unklar, ob sie damit ihren Interessen dient oder nicht. Die Lage ist eben unübersichtlich. Das ist m.E. die implizite Aussage des FAZ-Zitats. Damit könnte man auch die Vermischung von Indikativ und Konjunktiv rechtfertigen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.03.2011 um 01.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18299

Lieber Herr Achenbach,
daß man auch eine Vermischung von Indikativ und Konjunktiv rechtfertigen kann, finde ich auch. Ich hatte in der Tat zunächst angenommen, daß Herr Virch die angeführten Zitate für sprachlich falsch hielt, nur deshalb schrieb ich, sie seien in einem gewissen Sinne schon in Ordnung. Wie Herr Virch gerade auch schreibt, es ergibt sich daraus, je nachdem, eine unterschiedliche Bedeutung.

Ich will nun nicht den gleichen Fehler wie in einer anderen längeren Diskussion über den Konjunktiv machen, die damit ihren Anfang nahm, daß in einem Satz unbedingt ein Irrealis stehen müsse. Anstatt nur zu entgegnen, daß er wohl möglich, aber nicht zwingend ist, habe ich mich selbst damals etwas ungeschickt in die Ecke manövriert, daß ein Konjunktiv in dem besprochenen Zusammenhang gar nicht möglich sei.

Ich finde Herrn Höhers und Prof. Ickler Ausführungen sehr überzeugend, daß man die Modi des Verbs doch relativ frei als Stilmittel und zur Bedeutungsveränderung einsetzen kann. Ich denke daher inzwischen, daß man eindeutige Antworten auf Fragen wie "Inwieweit muß die indirekte Rede in alle Nebensätze eines zusammengesetzten Satzes fortgesetzt werden?" kaum geben kann.

Dazu möchte ich Ihr Beispiel aufgreifen und erweitern:
Ich komme, wenn ich kann.
Ich käme, wenn ich könnte.
*Ich käme, wenn ich kann.

Mag sein. Aber hier wird es vielleicht deutlicher:
Er sagte, er komme, wenn es dunkel wird/werde.
Er sagte, er käme, wenn es dunkel wird/würde.
In diesen Sätzen halte ich u. U. auch die gemischten Formen für sinnvoll, z. B. da es mit Sicherheit täglich dunkel wird, könnte ein Konjunktiv hier befremdlich wirken.

Ich würde sogar meinen, daß sich ein Sachverhalt konstruieren läßt, wo Ihr Satz "wenn ich kann, käme ich" ganz gut paßt. Zum Beispiel auf die Frage "Kommst du, wenn du wieder laufen kannst?" könnte jemand antworten: "Ja, wenn ich kann, käme ich gern, aber ich habe K. schon den ersten Besuch versprochen."
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 11.03.2011 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18300

Ich möchte noch einmal zu dem Beitrag 1419#18294 von Herrn Virch zurückkommen. Dabei geht es mir weniger darum, Überzeugungsarbeit zu leisten, als vielmehr die Möglichkeit der Abschattung (Engel) klarer herauszuarbeiten. Ich nehme dafür einfach wieder die Beispiele von Engel und ergänze sie um das fingierte Sprachverhalten der direkten Rede.

(a) Er: „Ich bin krank.“
(Natürlich ist das – wie Herr Ickler in 1419#18130 ausführte – nur der Wortlaut und nicht die Illokution. Wir wissen somit nicht, ob das Satzende damit zusammenfällt, daß „er“ Hut und Mantel nimmt und zum Arzt geht, und noch weniger, ob am nächsten Tag noch die Perlokution folgt, daß er beispielsweise krankgeschrieben wurde. Aber tatsächlich ist das für unser Problem auch nicht so wichtig.)

(b) Er sagt mir, er ist krank.
(c) Er sagt mir, er sei krank.

Der Hauptunterschied der Sätze (b) und (c) gegenüber (a) ist das mir, das die Perspektive der inhaltlichen Wiedergabe des Sprachverhaltens von (a) verschiebt. Der Indikativ in (b) übernimmt den Modus von (a), womit sich die inhaltliche Wiedergabe von (a) und (b) weitgehend decken. Man könnte vielleicht sagen, in (b) nimmt mir die Perspektive von er aus (a) an.

Anders sieht es hingegen in Satz (c) aus. Der Konjunktiv hebt die in (b) weitgehende Kongruenz der Perspektiven wieder auf: er und mir haben nun durchaus unterschiedliche Stellungen. Engels Hinweis, der Konjunktiv erlaube „eine feinere Wiederspiegelung der Gedankenwelt des Sprechenden“ bezieht sich ja nicht auf er, sondern den Sprecher mir. Und damit kann tatsächlich recht gut ausgedrückt werden, ob der Sprecher (mir) das in Satz (a) Gesagte Ich bin krank bezweifelt oder schlicht offen läßt, ob er es glaubt oder nicht.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 11.03.2011 um 14.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18306

(a) Er: „Ich bin krank.“
(b) Er sagt mir, er ist krank.
(c) Er sagt mir, er sei krank.

Der Hauptunterschied der Sätze (b) und (c) gegenüber (a) liege, wie Sie sagen, Herr Höher, im mir, das die Perspektive der inhaltlichen Wiedergabe des Sprachverhaltens von (a) verschiebe. Das trifft fraglos zu und zeigt, daß „indirekte“ Rede (etwa umgangssprachlich) auch im Indikativ möglich ist.

Daß der Indikativ in (b) den Adressaten der Leidensklage zu deren Repräsentanten mache, folgt daraus nicht. Eine Kongruenz der Standpunkte bei (a) und (b) kann ich nicht erkennen – der Leidende bezeichnet sich als krank, der Überbringer der Äußerung tut dies nicht; er referiert nur, gleich in welchem Modus. Man mag dem Indikativ eine gewisse tendenziöse Anmutung unterstellen (nur darum geht es, scheint mir) doch auf mich hat er diese Wirkung nicht.

Zu Herrn Riemers Beispielen „Er sagte, er komme/käme, wenn es dunkel wird“ ist anzumerken, daß der Moduswechsel hier ein heftiges Tempusrumpeln mit sich bringt.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 11.03.2011 um 18.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18309

Bitte Korrektur zur Kenntnis nehmen:

Eine Kongruenz der Standpunkte bei (a) und (b) kann ich nicht erkennen – der Leidende bezeichnet sich als krank, der Überbringer der Äußerung nennt ihn nicht so; er referiert nur, gleich in welchem Modus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2011 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18330

Max Frisch, dessen 100. Geburtstag zur Zeit begangen wird, schrieb ein Deutsch, mit dem ich nie froh geworden bin.

Er war glücklich, daß niemand ein weißes Hemd trägt. (Gantenbein)

Vielleicht Absicht, aber unangenehm zu lesen. Es gibt viele Stellen von unsicherem Tempus- und Modusgebrauch, aber auch anderes:

daß eine Dame angerufen habe, seinen Anruf erbetend (ebd.)

Ich habe vor ungefähr 35 Jahren Montauk, Gantenbein, Stiller und Homo faber gelesen, aber das war mir dann auch genug, zumal mich der Inhalt nicht besonders interessierte.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 22.03.2011 um 06.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18337

Es scheint, als benutze man den Indikativ Präsens geradezu bockig.

"Bis zuletzt war der 68-Jährige offenbar davon ausgegangen, dass keine Einheit aus westlichen und arabischen Staaten gegen sein Regime zustande kommt."

(www.n-tv.de)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2011 um 12.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18338

Ich weiß nicht, in welchem Buch von Mosebach es steht, aber Michael Klonovsky wird wohl richtig zitiert haben:
Als feststand, daß sie heirateten, war sie am nächsten Morgen bereits im Bett geblieben.
Mir kommt das falsch vor, es sollte heißen: daß sie heiraten würden.
Man kann natürlich das Praesens pro futuro gebrauchen (wir heiraten nächste Woche), aber wenn das Ganze in der Vergangenheit spielt, geht es nicht mehr: *Es stand fest, daß sie heirateten.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 22.03.2011 um 15.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18339

Ob ers will oder nicht, Mosebach sagt, es habe nach anfänglicher Ungewißheit festgestanden, daß seine Figuren soeben getraut würden. Daß dabei entweder die plötzliche Gewißheit ins Plusquamperfekt gehört hätte oder die Bettschwere ins Imperfekt, ist ein zweiter Mißgriff.
 
 

Kommentar von Timo, verfaßt am 23.03.2011 um 11.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18340

Wo findet man denn die beste systematische Abhandlung über den Gebrauch des Konjunktivs, mit der auch Schüler etwas anfangen können?
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 24.03.2011 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18341

Eine Übersicht findet sich beispielsweise unter www.univie.ac.at/Germanistik/schrodt/grammatik/konjunktiv.htm, aber ob das für Schüler geeignet ist, wage ich zu bezweifeln.

Ja, ich weiß: Schrodt hat sich für die Rechtschreibreform ausgesprochen, aber seine Begründung ist so schlagend dämlich, daß er sich damit letztlich nur selber vorführt: »Wie man es auch dreht und wendet: Es mag wenig Gründe für diese Reform geben, aber es gibt zweifellos noch weniger Gründe gegen diese Reform. Daher muss man sie entschieden unterstützen [...]«
(www.univie.ac.at/Germanistik/schrodt/rechtschreibreform/rsfragen.html)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 24.03.2011 um 22.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18343

Schrodt hat diese Beobachtungen ja nur abgeschrieben. Sein Einwand gegen (9) ist sehr berechtigt.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 25.03.2011 um 01.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18344

In der von Schrodt zitierten Aufstellung wird in (6) die Behauptung wiederholt (wie auch im Duden), daß die Verwendung des Konjunktiv II in der indirekten Rede eine "Distanz/Skepsis" ausdrücke. Ich bezweifle das. Der angeführte Satz Klaus sagte, du wärest ge­sund klingt in meinen Ohren schlicht falsch. Wie könnte man denn damit eine Distanz ausdrücken, wenn doch die Verwechslung von Konj. I und II einer der häufigsten "Fehler" bei der indirekten Rede ist?

Außerdem besteht zwischen (6) und (7) ein gewisser Widerspruch. Ist die Einschränkung auf "dass-Sätze" in (7) wirklich berechtigt?

Die (5) ist zumindest unbeholfen ausgedrückt. Gemeint ist anscheinend (s. Ziffer (6)), daß in den anderen Personalformen der Konj. I "formal anders ist als der Indikativ Präsens". Dann liegt aber keine "Einschränkung" vor. Auch sachlich erscheint mir (5) nicht ganz zutreffend.

Auch die Auffassung von Eduard Engel, durch Indikativ oder Konj. I in indirekter Rede werde ausgedrückt, ob man einer Aussage glaube oder nicht, halte ich für zweifelhaft. Das schon deshalb, weil viele, zu denen ich auch gehöre, jedenfalls in der gehobenen Rede grundsätzlich den Konj. I für die indirekte Rede gebrauchen. Zudem ist der Indikativ nur möglich, wenn die indirekte Rede eingeleitet ist, etwa durch er sagte. Dann ist der Konj. I ja auch redundant. Herr Ludwig hat dazu ja schon alles gesagt.

Was ist schließlich mit dem Engelschen Beispiel Du hast es verdient, daß man dich begnadige? Schadt sagt zwar, die wichtigste Funktion des Konj. I sei die indirekte Rede, zu anderen Funktionen sagt er aber nichts.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.03.2011 um 10.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18345

Lieber Herr Achenbach,
wieso soll man mit dem K.II keine Distanz ausdrücken können, nur weil er oft mit dem K. I verwechselt wird? Was hat das damit zu tun?
Ist es denn nicht allgemeiner Konsens, mit du seiest gesund eine Behauptung neutral wiederzugeben, während man mit du wärest gesund seine Zweifel an dieser Behauptung oder die Gewißheit, daß die Behauptung nicht stimmt, ausdrückt? Das klingt für Sie falsch?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2011 um 11.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18346

Das ist ganz und gar nicht Konsens. Die Verwendung von K II für die indirekte Rede auch da, wo geeignete K I-Formen zur Verfügung stehen, ist schlicht nicht (mehr) hochsprachlich. Werden die Formen durcheinander verwendet, ist das ein Zeichen von Unsicherheit und nicht von Differenzierungsvermögen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.03.2011 um 11.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18347

Das überrascht mich jetzt aber! Dann muß ich bisher bestimmte umgangssprachliche Formen fälschlich für hochsprachlich gehalten haben. Kann man das überhaupt so klar abgrenzen? Eine ganze Reihe von Germanisten muß dann wohl demselben Irrtum unterliegen.
 
 

Kommentar von Timo, verfaßt am 25.03.2011 um 12.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18349

Wie kann es ein "ein Zeichen von Unsicherheit und nicht von Differenzierungsvermögen" sein, wenn man den Konjunktiv II in indirekter Rede als Mittel zur Differenzierung zwischen neutraler und nicht-neutraler Wiedergabe gebraucht? Mag sein, daß es verschiedene Gebrauchsweisen gibt, und daß es gute Gründe gibt, eine Gebrauchsweise der andern vorzuziehen, aber wie will man eine Gebrauchsweise grundsätzlich als "Unsicherheit" disqualifizieren?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2011 um 13.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18351

Wenn es die behauptete Differenzierungsmöglichkeit tatsächlich gäbe, würde gerade in juristischen Texten reichlich davon Gebrauch gemacht, um bestimmte Aussagen als weniger plausibler als andere hinzustellen. Das ist aber nicht der Fall. »Der Beklagte behauptet, er sei gar nicht in der Lage, sich in der Nase zu bohren« ist schon distanziert genug.

Wer den K I nicht durchhält und hier wäre wählt, fällt schlicht aus dem hochsprachlichen in den umgangssprachlichen Gebrauch. Sollte es Germanisten geben, die anderes behaupten (Belege bitte!), haben sie unrecht.
 
 

Kommentar von Timo, verfaßt am 25.03.2011 um 14.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18352

Karl Kraus schreibt etwa:

"Auch er [Wustmann] verwendet zufällig das Beispiel einer Krankmeldung, aber freilich um jede Sprachsimulation zu erlauben. Es sei »ebensogut möglich, zu sagen« : er sagt, er wäre krank, wie: er sagte, er sei krank u. dgl. Aber das erste ist in Wahrheit, nur möglich, wenn der Krankmeldung das stärkste Mißtrauen entgegengesetzt wird."
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 25.03.2011 um 14.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18353

Ich weiß nicht, ob das hier schon angesprochen worden ist, aber im Zweifelsfälle-Duden (»Richtiges und gutes Deutsch«) steht unter dem Stichwort »Konjunktiv« folgendes:

»Der Konjunktiv II kann gebraucht werden:

1. als Ausdruck des nur Vorgestellten, der Irrealität [...]

2. als Ersatz für Formen, die nicht eindeutig Konjunktiv I und deshalb missverständlich sind [...]

3. als Ausdruck des Zweifels, der Skepsis gegenüber einer berichteten Aussage [...]

Karl erklärte [zwar], er hätte alles getan, was in seiner Macht gestanden hätte[, aber ich glaube es nicht].«
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2011 um 14.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18354

Stuß – wer seinen Zweifel hervorheben will, muß eben schreiben oder sagen, was zwischen den Klammern steht.

Aus der Rechtssprache: 3 Treffer für »behauptet, der Beklagte wäre« vs. 4820 Treffer für »behauptet, der Beklagte sei«.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.03.2011 um 14.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18355

Manchmal erreicht man ja gerade dadurch, daß man etwas ganz offenbar Unmögliches (sich nicht in der Nase bohren können) als durchaus denkbar hinstellt (indem man den neutralen K. I benutzt), den besseren Effekt.

Was Belege betrifft, von einem (Schrodt, der überdies weitere Germanisten als Quelle angibt) waren wir ja gerade ausgegangen.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 25.03.2011 um 14.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18356

Ich stimme R.M.s Auffassung zu. Ein Irrealis innerhalb indirekter Rede scheint mir nur sinnvoll, wenn die Aussage bereits in direkter Rede im Irrealis war: "Ich wäre ja dafür,..."
 
 

Kommentar von Timo, verfaßt am 25.03.2011 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18357

Ich protestiere, Herr Riemer! Es kann durchaus Umstände geben, die es unmöglich machen, sich in der Nase zu bohren. Nicht nur, wenn man von der Lockung des Irrealis niedergestreckt wurde.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.03.2011 um 17.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18358

Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich schon Gesagtes wiederhole, aber ich möchte mein Befremden über die Erklärung des Duden äußern, der Konjunktiv II eigne sich „als Ausdruck des Zweifels, der Skepsis gegenüber einer berichteten Aussage [...]“. Das ist tatsächlich Stuß.

Entweder dient der Konjunktiv II als Ausweichform für einen unhandlichen Konjunktiv I bei indirekter Rede, oder es handelt sich um einen Irrealis/Potentialis. Distanzierungsschattierungen bietet letzterer nicht. Er sagt keinen Deut darüber aus, ob eine Äußerung zutrifft oder bezweifelt wird. Er signalisiert lediglich, daß sie sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nur als Möglichkeit existiert.

Ilse sagt: „Ich äße nichts, wenn ich abnehmen wollte.“

Ilse langt womöglich gerade zu und bekundet dabei, sie täte es nicht, wenn sie abnehmen wollte – so der Autor. Ob er die Wahrheit sagt oder Zweifel an Ilses Aussage hat, ist nicht zu erkennen. Er behauptet schlicht: Ilse will nicht abnehmen. Und zwar in direkter wie indirekter Rede:

Ilse sagt, wenn sie abnehmen wollte, äße sie nichts.

Im Konjunktiv I hingegen ließe der Autor seine Ilse nur Auskunft über ihre Diätgewohnheiten geben. Ob sie gerade abnehmen will oder nicht, bliebe dann verborgen:

Ilse sagt, wenn sie abnehmen wolle, esse sie nichts.

Zur indirekten Rede (auf die Gefahr hin, naiv zu klingen): wo der Indikativ zu lesen ist, hören wir gleichsam die Stimme des Autors, es sei denn, er macht anhand von Anführungszeichen oder anderen Signalen deutlich, daß ein anderer spreche:

Ilse sagt: „Ich esse nichts, ich will nämlich abnehmen.“

Wir hören, wie Ilse von Autor angekündigt wird, dann hören wir sie selbst sprechen. Wird Ilse indirekt wiedergegeben, hören wir nur die Stimme des Autors:

Ilse sagt, sie esse nichts, sie wolle nämlich abnehmen.

Wird ein Teil von Ilses Erklärung aus dem Konjunktiv I in den Indikativ gesetzt, wird dieser Teil zu einer Aussage des Autors:

Ilse sagt, sie esse nichts, sie will nämlich abnehmen.

Das ist alles. Keinerlei Unklarheiten. Ursache der unleugbaren Probleme bei der Anwendung der indirekten Rede ist allein die Lückenhaftigkeit des modalen Formengefüges.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.03.2011 um 17.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18359

Zwischenbemerkung: Bei Hilfs- und Modalverben verwenden viele Menschen den Konjunktiv, die ihn sonst kaum kennen. Ganz üblich ist zum Beispiel er sagt, er wäre ... usw., durch alle Personen durchzukonjugieren und ohne irrealen Sinn.
Juristen formulieren natürlich schriftsprachlich-normgerecht und stabilisieren die Konvention, die in der Umgangssprache nicht mehr so ohne weiteres gilt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 25.03.2011 um 19.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18360

Fakt ist, daß der KII in der indirekten Rede vorkommt. Festzulegen, daß er stehen darf oder muß, wenn der KI nicht erkennbar ist, aber nicht sein darf, wenn sich Ind. und KI unterscheiden, halte ich für unlogisch, willkürlich und praxisfern. Es gibt den KII in der indirekten Rede, also darf er dort auch stehen! Und wo sogar beide, KI und KII, sich vom Ind. abheben, liegt es natürlich nahe, damit einen gewissen Bedeutungsunterschied zu verknüpfen.

Noch ein paar Belege dazu (den Duden sowie Schrodt hatten wir ja schon):

Helbig/Buscha, Deutsche Grammatik:
"Beim Gebrauch der indirekten Rede gibt es eine gewisse Freiheit in der Moduswahl." Als Beispiel wird angeführt:
"Sie hat mir gesagt, sie sehe / sähe ihn jetzt selten."

Großes Handbuch Deutsch Grammatik, Compact Verlag:
"Sie gäbe ihren letzten Pfennig für ihre Enkel, sagte sie damals."
Das läßt sich natürlich auch als Irrealis interpretieren, im Buch heißt es aber:
"Hier gibt der Sprecher die Aussage einer Großmutter wieder und ... bringt damit zum Ausdruck, dass er sich nicht für die Wahrheit der Aussage verbürgt."

Eisenberg, Der Satz:
"Weithin akzeptiert ist die Auffassung, der Sprecher nehme »wenn er in indirekter Rede den KonjII verwendet, gegenüber dem Inhalt der referierten Aussage eine skeptische Haltung ein« (Jäger 1971a: 250)."
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.03.2011 um 20.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18361

Die Wissenschaftsgeschichte kennt viele »weithin akzeptierte« Auffassungen, die doch falsch waren. Eisenberg sollte besser darlegen, ob er selbst diesem Irrglauben anhängt oder nicht.

Die hochsprachliche Konvention kann Presse- und juristischen Texten abgelesen werden. Erstaunlich bleibt, wie sehr sie auf die Schriftsprache beschränkt ist, obwohl jeder täglich mit Meldungen im K I berieselt wird.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 25.03.2011 um 21.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18362

Wie ich gezeigt habe, können K I und K II einen krassen Bedeutungsunterschied bewirken – etwa den zwischen Essenwollen und dem Nichtessenwollen. Verstehe ich recht, Herr Riemer, daß Sie diese Differenzierungsmöglichkeit trotz simpler Anwendungsregel und trotz ohnehin unvollkommener modaler Möglichkeiten in den Wind schlagen möchten, um der spontanen umgangssprachlichen Praxis entgegenzukommen?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 25.03.2011 um 22.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18363

Lieber Herr Riemer,

wenn ich eine Distanz "ausdrücken" möchte, dann möchte ich doch auch, daß diese Distanz verstanden wird. Ansonsten sollte ich besser den Mund halten.

Wenn aber der K.II "oft mit dem K.I verwechselt wird", dann werden viele, vielleicht sogar die meisten meiner Gesprächspartner diese Distanz doch gar nicht verstehen können. Daraus ziehe ich den Schluß, daß ich meine Distanz besser anders und zwar so ausdrücken sollte, daß möglichst alle sie auch verstehen.

Was nun die Germanisten anbetrifft, so enthalten die von Schrodt zitierten Regeln m.E. einige Ungereimtheiten. Nimmt man die Ziffer (6) wörtlich, könnte ich Distanz nur in der 2. oder 3. Person durch den K.II ausdrücken. Jedenfalls kann ich die Distanz nicht ausdrücken, wenn K.I und Indikativ zusammenfallen.

Nach Ziffer (7) könnte ich Distanz in dass-Sätzen nur in öffentlicher, aber nicht in privater Rede ausdrücken. Auf den Widerspruch zwischen (6) und (7) hatte ich ja bereits hingewiesen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 26.03.2011 um 09.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18364

Wessen Argumente auch immer die besseren sind, ich habe mir den K.II als Ausdruck der Distanz, des Zweifels oder gegenteiliger Gewißheit ja nicht ausgedacht. Alle Grammatiklehrbücher, die ich kenne, vertreten diesen Standpunkt. Es wurden hier ja schon einige genannt. Vielleicht noch diese:

Hermann Paul, Deutsche Grammatik:
"Bei den eigentlichen Verbis dicendi handelt es sich immer um eine wirkliche oder vorgegebene Auffassung des Subjekts. ... vgl. er behauptete, daß er noch niemals in Berlin gewesen wäre (sei); er leugnete, daß er mir jemals etwas versprochen hätte."

Wikipedia:
"Ausdruck des Zweifels am Inhalt des Berichteten
Der Konjunktiv II wird auch verwendet, wenn der Sprecher gegenüber dem, was er berichtet, Zweifel hat oder es für unzutreffend hält (implizite Bewertung). Zum Beispiel
- Paula sagte, sie hätte fleißig gelernt (der Sprecher glaubt es aber nicht).
- Hitler war der Überzeugung, das internationale Judentum wäre schuld an Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg"

Vielleicht sollte ich einmal andersherum fragen:
Gibt es denn überhaupt Grammatikbücher, die klipp und klar lehren, daß in der indirekten Rede grundsätzlich nur der K.I stehen darf (mit der Ausnahme bei nicht Unterscheidbarkeit von K.I und Ind.)?
Woher nehmen Sie, lieber R.M., Herr Virch, Herr Achenbach, Ihre Gewißheit angesichts der Vielzahl gegenteiliger Veröffentlichungen?

Es leuchtet mir auch nicht ein, daß juristische Texte nun DER Maßstab für Hochdeutsch sein sollen. Sie müssen meist objektiv, neutral sein, es ist also m.E. kein Wunder, daß dort in indirekter Rede fast nur der K.I vorkommt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.03.2011 um 13.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18365

Die indirekte Rede hat vor allem Bedeutung für die Rechtssprache und den Nachrichtenjournalismus. Nun hat in den letzten Tagen die deutsche Presse ausführlich über die Situation im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi berichtet. Viele Journalisten haben sich darin gefallen, den offiziellen Verlautbarungen der japanischen Behörden und des Energieversorgers zu mißtrauen. Trotzdem haben sie regelmäßig (sinngemäß) geschrieben: Der Betreiber Tepco behauptet, die Lage sei unter Kontrolle und nicht wäre unter Kontrolle. Das ist der Usus, wie er von den Agenturen vorgegeben wird.

Daß Grammatiker voneinander abschreiben, ohne groß nachzudenken, läßt sich leider nicht bestreiten.
 
 

Kommentar von Timo, verfaßt am 26.03.2011 um 14.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18366

Ihre Argumentation ist sinnlos. Sie schreiben, der Gebrauch des KII als Ausdruck des Zweifels sei nicht hochsprachlich, da von Journalisten stets der KI gebraucht werde. Wann sollen denn Journalisten, die Äußerungen grundsätzlich neutral wiederzugeben haben, durch den KII ihren Zweifel an dem Wahrheitsgehalt jener Äußerungen ausdrücken? Ebenso könnte man einem Schlafenden vorhalten, daß er nicht Trompete spielen kann, weil er während des Schlafens nie Trompete spielt.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.03.2011 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18367

Journalisten dürfen selbstverständlich Zweifel an den Aussagen anderer äußern, in Kommentaren, in Glossen, in Reportagen usw. Beispiele dafür sind jeder Zeitung zu entnehmen. Daß Juristen erst recht Interesse daran haben, die von ihnen wiedergegebenen Äußerungen als zweifelhaft erscheinen zu lassen, versteht sich (siehe unten). Sie bedienen sich dazu aber nicht des K II.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 26.03.2011 um 21.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18368

Helbig/Buscha (Deutsche Grammatik – Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig 1972, 7., unveränderte Aufl. 1981) stoßen in dasselbe Horn. Sie geben dem Beispielsatz Er sagt, daß er krank gewesen ist/sei/wäre folgende Erläuterung bei:

»Das mögliche Nebeneinander der genannten Formen schließt jedoch nicht aus, daß ihnen unter stilistischem Aspekt eine bestimmte Funktionsteilung zugeschrieben werden kann. So wird mit dem Indikativ in bestimmten Fällen eine „Identifizierung“ ausgedrückt, mit dem Konjunktiv Präs. (= Gleichzeitigkeit) und Perf. (= Vorzeitigkeit) eine „Neutralisierung“ und mit dem Konjunktiv Prät. (= Gleichzeitigkeit) und Plusq. (= Vorzeitigkeit) eine „Distanzierung“:

Der Journalist schreibt, Schiller ist/sei/wäre der größte deutsche Dichter.«

Diese und andere Darstellungen scheinen mir daran zu kranken, daß sie mit Nebeneinanderstellungen arbeiten, die zu realitätsfernen Betrachtungen einladen. Was nützt die schöne Theorie vom Konjunktiv II als Mittel der Distanzierung, wenn sie durch die krude Sprachwirklichkeit nicht gedeckt ist? Sicher, wenn man sich die Sätze nur oft genug laut vorliest und sich dabei sehr genau zuhört, kann man irgendwann finden, daß aus sie wäre krank mehr Skepsis klingt als aus sie sei krank oder gar sie ist krank. Aber der Konjunktiv II kommt in der Alltagssprache nun einmal so oft in indirekter Rede vor, ohne daß sich der Sprecher damit von der zitierten Äußerung distanzieren wollte, daß man sich schwertut, ihm in geschriebenen Texten, soweit er dort überhaupt einmal auftaucht, diese Funktion zuzuschreiben.

Ich gehe sogar so weit zu behaupten, daß im heutigen Deutsch (zumindest jenseits der Modalverben) die Formen des Konjunktivs I am ehesten geeignet sind, Skepsis auszudrücken, und zwar deshalb, weil sie zum Teil recht gespreizt wirken: man sieht förmlich die spitzen Finger vor sich, mit denen die Aussage angefaßt wird. Vgl. etwa den Satz »Noch in der vergangenen Woche hatte Kahn gegenüber der Münchner tz zu Protokoll gegeben, er beschäftige sich nicht mit der Schalker Offerte« in einem Artikel mit der Überschrift »Kahn verhandelt mit Schalke« (sueddeutsche.de, 19.03.2009).
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 26.03.2011 um 23.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18369

Lieber Herr Riemer,

wir sind uns doch alle einig, daß in der indirekten Rede K.I und K.II benutzt werden. Wir sind uns auch einig, daß viele Grammatiker behaupten, daß der K.II in der indirekten Rede eine Distanz ausdrücke.

Ob diese Behauptung aber richtig ist, das ist seit langem umstritten.

Von den fünf Zitaten, die Sie hier anführen, stützt nur eine, nämlich Wikipedia, ausdrücklich diese Behauptung (wie wir ebenfalls alle wissen, tut das auch der Duden).

Die anderen vier Zitate sind zumindest unklar, zumindest Paul scheint aber etwas anderes zu behaupten, nämlich die Austauschbarkeit von K.I und K.II. Um das zu beurteilen, müßte man den Zusammenhang kennen (zu Helbig/Buscha hat Herr Merz inzwischen mehr Zusammenhang nachgetragen. Anscheinend legen sich diese Autoren jedoch nicht wirklich fest: "Das mögliche Nebeneinander", "schließt jedoch nicht aus", "zugeschrieben werden").

Es gibt seit langem drei Haltungen in dieser Frage:

1. K.II in indirekter Rede ist hochsprachlich "falsch". Die Diskussion zeigt, daß viele das so empfinden.

2. K.I und K.II sind selbst hochsprachlich austauschbar (so Wustmann, vielleicht auch Paul). Daß umgangssprachlich oder mundartlich häufig kein Unterschied gemacht wird, scheint mir "weithin akzeptiert" zu sein.

3. K.II in indirekter Rede drückt eine "Distanz" aus (lt. Eisenberg "weithin akzeptiert", so jedenfalls Duden, Wikipedia und anscheinend Karl Kraus).

Was können nun Germanistik und Sprachwissenschaft dazu sagen? Sie können natürlich leicht feststellen, daß in indirekter Rede mal K.I, mal K.II und nach Einleitungssatz auch häufig Indikativ benutzt werden. Sie können wohl auch feststellen, daß dabei gewisse Unterschiede zwischen Mundart, Umgangs- und Hochsprache bestehen. Aber wie können Sie feststellen, was sich Sprecher/Schreiber und Hörer/Leser dabei vorstellen? Dafür wären – wenn irgend jemand – Psychologen oder Meinungsforschungsinstitute vielleicht kompetenter.

Lieber Herr Riemer,
Sie haben wahrscheinlich recht, daß es kaum Grammatiken gibt, die eindeutig die Haltung 1. vertreten. Aber bedenken Sie, daß heutzutage normative, präskriptive Haltungen unter Sprachwissenschaftlern "weithin" verpönt sind.

Für mich als laienhaftem Benutzer des Deutschen stellt sich allerdings hauptsächlich die Frage, wie ich mich so klar ausdrücken kann, daß ich verstanden werde. Im Lichte dieser Diskussion und der verschiedenen Zitate komme ich zu dem Ergebnis, daß der K.II nicht dazu taugt, eine weitergehende Distanz ggü. den Aussagen Dritter auszudrücken. Allein dadurch, daß ich eine Aussage nicht als meine, sondern als die eines anderen kennzeichne – ob in direkter, in indirekter Rede oder sonstwie – drücke ich Distanz aus. Wenn ich darüber hinaus gehen will, hilft mir der K.II nicht weiter.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.03.2011 um 00.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18370

Paul und Wustmann und Kraus helfen hier ohnehin nicht weiter. Es geht ja um den gegenwärtigen Usus und dessen »inhärente Norm«, die natürlich eine andere sein kann als vor achtzig oder hundert Jahren.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 27.03.2011 um 13.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18372

In nachrichtlichen Texten (wie wohl auch in der Gerichtssprache) dient die indirekte Rede dazu klarzustellen, wer spricht, nicht, ob das Gesagte wahr oder zweifelhaft ist. Ein Journalist, der hier die Distanzierung über das zur Unterscheidung zwischen Berichterstatter (bzw. Medium) und berichteten Aussagen erforderliche Maß hinaustreibt, verfehlt seine Aufgabe deshalb ebenso wie einer, der diese Unterscheidung nicht oder nur unzureichend trifft. Der Leser sieht eine (entweder tatsächliche oder vermeintliche) Aussage des Journalisten selbst, wo er von ihm lediglich eine Information über Aussagen Dritter erwartet.

Wie von R.M. schon angemerkt, hat die Bewertung der Nachricht in anderen journalistischen Formen ihren Platz. Auch dort sollte klar sein, wer spricht. Das Problem in dem von Herrn Virch (#18289) zitierten Satz aus dem FAZ-Kommentar entsteht dadurch, daß er scheinbar nachrichtlich beginnt und dann in die Artikulation eines Zweifels übergeht: „Bleibt die Frage, ob den politischen Interessen der EU in Nordafrika gedient wäre, wenn sie den Sturz Gaddafis militärisch unterstützt.“ Aber nicht erst die Äußerung des Zweifels ist kommentierend, sondern schon die Behauptung, es gebe da überhaupt eine Frage. In beiden Fällen spricht Nikolas Busse.

Weil daran kein Zweifel besteht, hätte er den Satz ebensogut – und besser – gleich ganz im Indikativ formulieren können. Es sei denn, er wollte die Selbstdistanzierung als Stilmittel einsetzen. Doch dann wäre "Bliebe die Frage, ob den politischen Interessen der EU in Nordafrika gedient wäre, wenn sie den Sturz Gaddafis militärisch unterstützt" die sauberere Lösung gewesen.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 27.03.2011 um 13.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18373

"Bliebe die Frage, ob den politischen Interessen der EU in Nordafrika gedient wäre, wenn sie den Sturz Gaddafis militärisch unterstützt."

Wenn das Wörtchen wenn nicht ist, wär mein Vater Millionär? Man muß kein Jurist sein, um sich da zu gruseln. Und: unter welchen Umständen „bliebe“ denn die Frage? Das möchte man doch gern wissen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 27.03.2011 um 14.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18374

Also, ich find's eher gruselig, wenn jemand eine mit wenn eingeleitete Konditionalaussage zusätzlich mit einem Konjunktiv verziert, damit auch ja jeder merke, daß es sich um eine solche handelt. In "Wenn das Wörtchen wenn nicht wär ..." liegt witzigerweise trotz "wenn" gerade keine solche Aussage vor. Es wird nämlich nicht für möglich erklärt, sondern bestritten, daß eine bestimmte Bedingung erfüllt ist. In diesem Fall paßt der Irrealis schon.

Der Umstand, unter dem die Frage von Nikolas Busse "bliebe", ist dann gegeben, wenn er sich zum Zweck der Selbstdistanzierung unausdrücklich selbst zitiert; ausbuchstabiert etwa so lautend: "Nikolas Busse behauptet, es bliebe die Frage, ob den politischen Interessen der EU in Nordafrika gedient wäre, wenn ..." usw.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.03.2011 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18375

Die FASZ schreibt heute auf Seite 1:

Die von Wichert beklagte Zeitschrift "Der Spiegel" verpflichtete sich, künftig nicht mehr zu berichten, dass Wichert dem Minister gegenüber die Existenz von Berichten über die Bombardierung zweier Tanklastwagen "geleugnet" hätte.

Der K.II (Fettmarkierung von mir) scheint mir hier ganz klar dadurch gerechtfertigt zu sein, daß eine Distanzierung zur Behauptung des Spiegel vorliegt. Auf Seite 2 der FASZ steht nämlich:
Wichert habe "mithin nicht gelogen", heißt es in der Formulierung des Prozessvergleichs.

Ich habe bei der Zeitungslektüre (FAZ, Süddeutsche, Mannheimer Morgen) der letzten Tage besonders auf die indirekte Rede geachtet. Man findet natürlich jede Menge K.I, darunter einige K.II, die entweder als Ersatz fur indikativgleichen K.I stehen oder weil sie auf einem Irrealis beruhen. Es gibt wenige unnötige K.II an Stellen, wo auch der K.I schon unterscheidend gewesen wäre. Ich habe nur diesen einen K.II (Beispiel oben) gefunden, der für eine Distanzierung in der indirekten Rede steht.

Aber: Ich habe kein einziges Beispiel in den Zeitungen gefunden, wo der K.I eindeutig trotz einer Distanzierung steht. Die Zeitungen versuchen m. E. doch im großen und ganzen neutral zu sein und äußern offenen Zweifel nur in sehr gut begründeten Fällen, z. B. wie hier, wenn sie Deckung durch ein Gerichtsurteil haben.
Ich finde es tatsächlich sehr schwer zu belegen, daß auch bei Distanzierung der K.I benutzt wird. Bisher gibt es auch in diesem Tagebuchstrang noch keinen konkreten Beleg dafür.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 27.03.2011 um 19.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18376

Bleibt die Frage, was wäre, wenn ich reich bin …
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.03.2011 um 19.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18377

Dann müßten Sie sich aber bei "als ob" + Konjunktiv genauso gruseln, lieber Herr Bärlein (siehe www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1355).
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.03.2011 um 20.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18378

Indirekte Rede (K I) ist immer distanziert, das liegt in der Natur der Sache.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.03.2011 um 20.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18379

Das sind aber zwei verschiedene Arten der Distanzierung.
Der K.I distanziert sich, indem er neutral ist, der K.II distanziert sich jedoch viel stärker dadurch, daß er eben nicht neutral ist, sondern das Gegenteil vermutet oder behauptet. Zumindest das ist es, was die Grammatikbücher meinen und wofür der genannte Beleg steht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 27.03.2011 um 21.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18380

Lieber Herr Bärlein,
Entschuldigung, Sie haben natürlich recht, ich hatte übersehen, daß Sie ja den K.II als Irrealis nach "wenn" anerkennen, das ist im Grunde das gleiche wie bei "als ob".
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.03.2011 um 21.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18381

Der genannte Einzelbeleg steht für einen Lapsus. Keine sprachliche Norm wird zu 100 % erfüllt. Wenn man aber bedenkt, wie stark der K II oder gar der Indikativ in der Alltagssprache vorherrscht, ist es ganz beachtlich, in welchem Maße der K I im Journalismus gepflegt wird.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.03.2011 um 23.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18382

Drei Belege für vollständige Distanzierung:

Albrecht Beutel: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, 2007, S. 71:
»jahrhundertelang durch die unzutreffende Behauptung, er sei an über 20.000 Todesurteilen in Hexenprozessen beteiligt gewesen, beschädigt blieb«

Karl Heinz Quirin, Karl Quirin: Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte, 1961, S. 141:
»und die für Dagobert unzutreffende Behauptung, er sei Herzog gewesen, ehe er König wurde«

Siegfried Unseld: Chronik 01. 1970: Mit den Chroniken Buchmesse 1967/ Buchmesse 1968, 2010, S. 11:
»Im Vorfeld der Wahl Blochs kursierte die (unzutreffende) Behauptung, er sei in der Weimarer Republik Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands gewesen«

Google Books meldet: »Keine Ergebnisse für "unzutreffende behauptung, er wäre" gefunden.«
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 28.03.2011 um 01.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18383

Lieber Herr Riemer,

Ihr Beispiel aus der FASZ hinkt aber gewaltig.

Wenn der Spiegel sich verpflichtet, etwas nicht mehr zu behaupten, dann liegt es ja nicht so fern, in der fraglichen Behauptung einen Irrealis zu sehen. Ich hätte zwar selbst in diesem Fall vermutlich nicht wäre geschrieben, würde mich aber nicht daran stoßen. Betrachten wir zur Vereinfachung folgendes:

Der Spiegel behauptet, er habe gelogen.

Der Spiegel behauptet nicht, er hätte gelogen.

Ich kann gut verstehen, wenn man im zweiten Beispiel den Irrealis verwendet. Das hat aber mit Distanzierung nichts zu tun.

Außerdem sind die Möglichkeiten der Distanzierung durch den K.II sehr beschränkt. Nach der von Schrodt zitierten Regel (5), soll die Ersetzungsregel bei der 1. Person sing. und pl. und der 3. Person pl. gelten - also in drei von sechs Formen. Das reduziert die Möglichkeiten der Distanzierung schon auf die Hälfte. In der Sprachwirklichkeit erfolgt die Ersetzung aber noch häufiger.

Konjugieren wir mal den K.I an einem Beispiel durch:

Er behauptet, ich gehe fremd.

Er behauptet, du gehest fremd.

Er behauptet, er gehe fremd.

Er behauptet, wir gehen fremd.

Er behauptet, ihr gehet fremd.

Er behauptet, sie gehen fremd.

Formen wie gehest oder gehet sind heute derart antiquiert, daß man wohl mit der einzigen Ausnahme der 3. Person sing. zum K.II greifen würde.

Aus rein pragmatischer Sicht empfiehlt sich daher doch ganz klar, zu einfacheren und eindeutigeren Möglichkeiten der Distanzierung zu greifen:

Er sagt, er sei krank.

Er behauptet, er sei krank.

Er gibt vor, er sei krank.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 28.03.2011 um 03.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18384

"Wenn man aber bedenkt, wie stark der K II oder gar der Indikativ in der Alltagssprache vorherrscht, ist es ganz beachtlich, in welchem Maße der K I im Journalismus gepflegt wird." (#18381) Beachtlich schon, aber einmal ist professionell geschriebene Sprache immer konservativer als Alltagssprache, und dann kennt auch die Sprache des Rechts — das Journalisten beim Zitieren ja besonders beachten müssen — den Konj. I (und den Konj. II als klaren Ersatz für den Konj. II bei indirekten Zitaten) noch sehr gut. Sowas ist schon guter Beweggrund. In der Alltagssprache reicht der Indikativ in den meisten Fällen, und auftretende Unklarheiten lassen sich schnell nachträglich klären. Daß der Konj. II für indirekte Zitate mehr verwendet wird als nötig, liegt wohl daran, daß er sich immer vom Indikativ Präsens unterscheidet und so den Leuten entgegenkommt, die — aus welchen Gründen auch immer — auf jeden Fall auf Nummer sicher gehen wollen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 28.03.2011 um 03.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18385

Zu #18384 in "(und den Konj. II als klaren Ersatz für den Konj. II bei indirekten Zitaten)": Ich meinte natürlich "als klaren Ersatz für den Konj. I bei indirekten Zitaten". Wenn hier überhaupt von "Distanzierung" gesprochen werden kann, dann ist es die, die nötig ist, um rechtlich nicht fürs Berichtete zur Rechenschaft gezogen werden zu können.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 28.03.2011 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18386

- Der Spiegel sagt: "W. hat die Existenz geleugnet."
- Der Spiegel sagt, W. habe die Existenz geleugnet.
- Der Spiegel sagt, W. hätte die Existenz geleugnet.

Wenn der zweite Satz einen Irrealis enthielte, dann sähe er ausführlich so aus:
Der Spiegel sagt, W. hätte die Existenz geleugnet, wenn ...
Dann hätte der Spiegel also gar nicht behauptet, daß W. tatsächlich geleugnet hat, sondern nur unterstellt, daß er unter einer bestimmten Bedingung geleugnet hätte. Könnte man für so eine Unterstellung auch zur Unterlassung verurteilt werden? Wohl nicht, deshalb denke ich auch nicht, daß mein Beispiel hinkt.
Eher stimme ich Herrn Markner zu, daß es ein isoliertes Beispiel ist und auch versehentlich passiert sein kann.
Na gut, vielleicht finden wir hier ja noch mehr.

Ich stimme Ihnen zu, lieber Herr Achenbach, daß von allen Ihren 6 Beispielen nur bei einem die Wahl zwischen K.I / K.II besteht:
- Er behauptet, ich ginge / du gingest / wir/sie gingen / ihr ginget fremd
- Er behauptet, er gehe/ginge fremd.
Daher sind die Möglichkeiten, mit dem K.II eine Distanz auszudrücken, sicherlich sehr begrenzt und auch dann nicht eindeutig, da umgangssprachlich sowieso oft K.II benutzt wird.

Im Grunde sehe ich die Probleme damit schon ähnlich, nur möchte ich angesichts der weiten Verbreitung dieser Auffassung nicht direkt sagen, daß sie falsch ist. Sonst hieße es ja, die Deutschen sprechen im Alltag falsch, und Journalisten und Juristen schrieben eine andere Sprache als die Mehrheit des Volkes.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 28.03.2011 um 19.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18388

Selbstverständlich schreiben Juristen und Journalisten völlig anders, als das Volk spricht. Sie sprechen selber im Alltag anders – und beileibe nicht falsch. Wir verstehen einander doch ausgezeichnet! Dank Tonfall, Mimik, Gestik können wir auf viele grammatische Feinheiten pfeifen, die für den schriftlichen Ausdruck unverzichtbar sind (wenn es nicht gerade um eine SMS geht wie „heute abend italiener?“). Vom Imperfekt werden nur einige Formen benötigt, das Futur braucht man überhaupt nicht, Den Konjunktiv I ebensowenig, kurze Sätze kommen auf den Punkt (dafür darf man sich so oft wiederholen, wie man will) umständliche Nebensätze läßt man, und wenn es schon einer sein muß, sind Konjunktionen wie „während“ Fremdwörter, da kommt stattdessen ein knackiges „wie“ hin: „Das hat vielleicht geschüttet, wie wir beim Italiener waren!“ Unentwegt werden neue Wörter erfunden und verschwinden wieder, Wortbedeutungen ändern sich oder werden völlig auf den Kopf gestellt, manchmal wird aus purer Lust und Laune der Satzbau variiert: statt „Mann, ist das lecker“ heißt es zur Zeit: „Wie lecker ist das denn?!“ Die Umgangssprache ist großartig, sie muß halt nur aus dem Maul kommen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.03.2011 um 23.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18391

"lekker" ist im Niederländischen sehr verbreitet für "schön", ob eher umgangssprachig, weiß ich nicht. Es scheint unter dieser Bedeutung als Modewort ins Deutsche einzuwandern.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.03.2011 um 19.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18395

Also dann noch diesen Beleg aus dem heutigen Mannheimer Morgen (S. 25), weil er so erheiternd ist:

Totgeglaubter zeigt sich quietschfidel

Ein geschockter Zeitungsträger alarmierte am frühen Morgen über Notruf die Polizei und teilte mit, dass er am Treppenabgang der Neckarpromenade kopfüber den Leichnam eines jungen Mannes gefunden habe, der sich vermutlich aus einem Hochhaus in die Tiefe gestürzt hätte.

Im Wissen darüber, daß sich der sportliche Zeitungsträger, der da kopfüber am Neckar unterwegs war, nur über eine "Schnapsleiche" erschrocken hatte, die auf der Treppe ihren Rausch ausschlief, hat der Reporter des MM hier in seiner indirekten Rede den K.II hätte benutzt. Na ja, vielleicht stammt das hätte auch aus dem Polizeibericht.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 29.03.2011 um 20.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18396

Der Autor wollte wohl die Wiederholung von habe vermeiden. Löbliche Absicht, ungenügende Ausführung – habe muß mit sei abgewechselt werden, nicht mit hätte.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 29.03.2011 um 23.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18399

Lieber Herr Riemer,

es freut mich, daß wir nicht so weit auseinander sind. Vielleicht sind wir uns aber noch näher, als sie denken. Ich habe bewußt das Wort "falsch" immer in Anführungsstrichen verwendet. Denn wir wissen ja alle, daß viele Menschen den K.II in der indirekten Rede gebrauchen. Das mag verschiedene Gründe haben: Mundart, Zweifel an der berichteten Aussage oder eine vermeintliche Zeitenfolge. Manche mögen auch davon beeinflußt sein, daß sie es in einer Grammatik so gelesen haben.

Das ist so ähnlich wie die alte Frage um größer als und größer wie. Da sehr viele Menschen das größer wie gebrauchen (so auch Bismarck), käme es mir nie in den Sinn, das als "falsch" zu bezeichnen. Ich selbst ziehe aber größer als vor.

Was Journalisten und Juristen anbetrifft, so ist m.E. nicht behauptet worden, daß diese "besser" schrieben als andere. Allerdings wäre doch zu hoffen, daß sie sich in ihren beruflichen Texten einer präzisen Sprache bedienen. Dazu gehört, sachlichen Bericht und eigene Meinung deutlich zu trennen.

Was das Zitat aus der FASZ anbetrifft, so scheinen Sie meinen Einwand mißverstanden zu haben. Ich hatte darauf abgestellt, daß der Spiegel sich verpflichtet hat, eine bestimmte Aussage nicht zu wiederholen und deshalb die Verwendung des Irrealis in der Wiedergabe dieser Aussage verständlich sei. Deshalb gehen Ihre Beispiele an der Sache vorbei.

Ein richtiges Beispiel wäre: Der Spiegel sagt nicht, W. hätte die Existenz geleugnet.

Ich würde hier zwar immer noch habe sagen, kann aber gut verstehen, daß bei der Wiedergabe einer nicht erfolgten, also irrealen Aussage der Irrealis benutzt wird. Der Irrealis setzt auch keinen wenn-Satz voraus.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.03.2011 um 00.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18400

Aber was der Spiegel nicht sagt, kann er oder jemand anders ja schließlich auch sagen, und umgekehrt. Die bloße Negation verändert doch keinen Irrealis. Wenn Sie das Beispiel
Der Spiegel sagt nicht, W. hätte die Existenz geleugnet.
absolut korrektes Hochdeutsch nennen, dann müssen Sie doch
Der Spiegel sagt, W. hätte die Existenz geleugnet.
als ebenso korrekt anerkennen.
Und damit müßten Sie jeden beliebigen K.II in der indirekten Rede anerkennen, weil man ihn nach Ihrer Auffassung als Irrealis deuten kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2011 um 12.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18401

Ein Konjunktivgebrauch, den ich erst hier in Mittelfranken kennengelernt habe, ist vielleicht tatsächlich nicht überall bekannt: Wenn Kinder eines ihrer Rollenspiele anfangen, z. B. Vater-Mutter-Kind, ist dies die Einleitung: Ich wäre die Mama usw. Ich kann mich noch genau erinnern, wie sonderbar ich das fand, und bin daher sicher, daß es bei uns zu Hause nicht üblich war.
 
 

Kommentar von MG, verfaßt am 30.03.2011 um 16.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18403

| Wenn Kinder eines ihrer Rollenspiele anfangen,
| z. B. Vater-Mutter-Kind, ist dies die Einleitung:
| "Ich wäre die Mama" usw." Ich kann mich noch
| genau erinnern, wie sonderbar ich das fand,

Für mich ist das ein sauber konstruierter Irrealis.

"Wenn wir nicht alle Kinder wären, sondern eine richtige Familie, dann wäre ich die Mama."

Inwiefern unterscheidet sich diese Konstruktion vom üblichen Politikerdeutsch: "(Wenn man mich nach meiner Meinung fragen würde, dann) würde ich sagen ..."?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.03.2011 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18404

Was mich überraschte, war das Fehlen jeder übergeordneten Äußerung wie "Ich stelle mir vor" o. ä. – Die genannte Einleitung ist völlig ritualisiert. Es ist gewissermaßen der Duktus der Spielsituation, der den fehlenden grammatischen Rahmen ersetzt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.03.2011 um 17.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18405

Vielleicht bin ich ja auch etwas regional geprägt.
Ich meinte, der Irrealis beruhe auf dem K.II und nicht auf einer Verneinung mit "nicht", hätte schon gar nichts mit einem "nicht" im übergeordneten Satz zu tun. Jetzt frage ich mich aber, ob er nicht doch nach "Der Spiegel sagt nicht, daß ..." besser klingt als nach "Der Spiegel sagt, daß ...". Oder ist es nur die fehlende Symmetrie bei der Verneinung (er sagt, er habe / er sagt nicht, er hätte), die mich als Mathematiker den K.II in der indirekten Rede vermissen läßt?
 
 

Kommentar von Timo, verfaßt am 30.03.2011 um 23.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18407

K. war telephonisch verständigt worden, daß am nächsten Sonntag eine kleine Untersuchung in seiner Angelegenheit stattfinden würde. (Kafka)

Ein Buchstabe macht den Unterschied.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.03.2011 um 00.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18408

Auch Musil war unsicher, wann würde stehen dürfe, und suchte Rat bei Wustmann.
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 31.03.2011 um 10.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18409

Herder, Stifter, Eckermann/Goethe, Droste-Hülshoff, Carossa, Carl Schurz, Wilhelm Müller, Fürst Pückler, Anselm Feuerbach, Georg Witkowski, Robert Lembke und ... und ... und. Bei allen findet sich der Konjunktiv II in der indirekten Rede. Irgendwann wurde mir deutlich, daß das Problem der Tummelplatz von Schulmeistern war und ist, und hörte auf, weitere Belege zu sammeln.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 31.03.2011 um 11.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18410

Die Schulmeister haben sich (im Hinblick auf die Schriftsprache) durchgesetzt – das ist doch die Pointe an der Geschichte.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.03.2011 um 12.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18411

Trotz Ihrer Erläuterungen, lieber Herr Achenbach, ist mir eine Sache immer noch unklar. Manche (z. B. auch Wikipedia) sehen den Irrealis generell als Synonym für den K.II, d. h. jeder K.II ist ein Irrealis. Auch Sie schreiben ja, der Irrealis muß nicht unbedingt die Form einer Bedingung haben. Richtig, nehmen wir das Beispiel "Wäre er doch gekommen!", es impliziert Er ist nicht gekommen. Im Grunde steckt in jedem K.II schon eine Negation, daher der Irrealis.

Nun noch einmal das vorige Beispiel:
W. hätte geleugnet bedeutet als Irrealis also W. hat in Wirklichkeit nicht geleugnet.

Aus Der Spiegel sagt nicht, W. hätte geleugnet wird damit Der Spiegel sagt nicht, daß W. nicht geleugnet hat. Aber ist das nicht fast der umgekehrte Sinn des ursprünglichen Satzes? Das ist der Grund, weshalb ich hier Probleme habe, in W. hätte geleugnet einen Irrealis zu sehen anstelle einer einfachen indirekten Rede, und weshalb ich versucht bin, den Irrealis mit einer (ggf. nur gedachten) Bedingung zu verknüpfen. Ist der Irrealis außer vom K.II noch kontextabhängig oder nicht?

Und der zweite Punkt, der mir noch nicht klar ist: Wenn eigentlich jeder K.II ein Irrealis ist, wie verträgt sich das mit der Auffassung, die indirekte Rede dürfe zwar jederzeit einen Irrealis enthalten, aber ansonsten keinen K.II (außer Ersatz-K.II für K.I)?
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 31.03.2011 um 12.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18412

Und der zweite Punkt, der mir noch nicht klar ist: Wenn eigentlich jeder K.II ein Irrealis ist, wie verträgt sich das mit der Auffassung, die indirekte Rede dürfe zwar jederzeit einen Irrealis enthalten, aber ansonsten keinen K.II (außer Ersatz-K.II für K.I)?

Diese Regelmäßigkeit ist nur unter Bedingungen realisierbar, wenn die Worte ausreichend abgewogen werden (z.B. bei juristischen Stellungnahmen). Sonst geht es eben als umgangssprachliche Entfeinerung durch, auch bei angesehenen Schriftstellern.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 01.04.2011 um 08.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18413

Gut, der Ausdruck "umgangssprachliche Entfeinerung"!

Da die Diskussion von indirekter Rede auf den Irrealis übergegangen ist, hier, wie ich's mir verständlich mache.
Ich habe den Eindruck, daß in dieser Diskussion Unterschiedliches unter "Irrealis" verstanden wird. Ich lehre den Konj. II auf englisch und sage meinen Studenten, der Konj. II wird gebraucht in

a. irreal condition / irreal result clauses: If I had studied, I would get a good grade now. (Lokal mit Vergangenheitsimplikation: Ich hatte hier irgendwo mal einen ganz amusanten Aufsatz zu "woulda" [If I woulda studied, I woulda gotten a good grade].)
Zum Ersatz des Konj. II durch würde/would + Infinitiv: Das ist eine Frage der Entwicklung (If you had come, he had not died. [King-James-Bibel –> "he would not have died" [heute]). Hierher gehören letztlich auch "ich möchte" und "ich dächte", welch letzteres mein Vater noch für "ich denke" benutzte. (Aber er war eben noch im altösterreichischsten Oberschlesien zu Hause; und höfliche Leute wie er wußten ja gar nicht, daß es den Indikativ gibt.)

b. irreal wishes (= unerfüllbare Wünsche): If only I had studied! Und das sind praktisch Sätze nach a., aber ohne Folgesatz.

c. irreal comparisons: He acts as if he were rich (mit implizierter Wahrscheinlichkeit [wenn auch nicht letzter Sicherheit], daß er nicht reich ist).

Bei a.–c. deutet "irreal" an, daß es nicht so ist, ohne daß man das Adverb "nicht" gebraucht. Die Bezeichnung "irreal" nimmt also einen alten grammatischen Terminus auf, wendet ihn aber auf Satztypen unserer (germanischen) Sprachen an.

d. zum Ausdruck der Höflichkeit: "And how much would this coat cost?" - "That one would cost only 495." (Auch diesen Gebrauch könnte man letztlich wohl unter a. [mit fehlendem Bedingungssatz] einordnen.

e. in indirekten Zitaten als Ersatz für den Konj. I, wo der mit dem Indikativ Präsens formgleich ist. Natürlich weiß ich, daß in der indirekten Rede von vielen überhaupt nur der Konj. II benutzt wird (ob dies bei Herder, Stifter, Eckermann/Goethe, Droste-Hülshoff, Carossa, Carl Schurz, Wilhelm Müller, Fürst Pückler, Anselm Feuerbach, Georg Witkowski, Robert Lembke und ... und ... und ... so einseitig zutrifft, weiß ich aber nicht); aber ich sehe, daß gute Schreiber sich an e. halten.
(Natürlich nenne ich sie deshalb auch gute Schreiber. Aber Kafka ist natürlich auch ein guter Schreiber, wenn er schreibt; "K. war telephonisch verständigt worden, daß am nächsten Sonntag eine kleine Untersuchung in seiner Angelegenheit stattfinden würde." Aber "stattfände" und "stattfinde" würde ich von ihm hier auch akzeptieren bzw. akzeptierte ich von ihm hier auch.)

Mein e. gilt übrigens auch fürs Englische; nur muß man wissen, daß da der Konj. II (ganz natürlich fast) immer den Konj. I ersetzt hat: He said that he would/will arrive (oder: arrives) at six and that he would/will take (oder: takes) a taxi to the hotel. Then he would first shower and get dressed. In all probability he would also have to phone a few people. We could come to the hotel at 7:15; he would meet us in the lobby.
Auch would/würde sind ja Konj.-II-Formen. Daß "studied" in "if you studied, you would get a good grade" ein Präsens ausdrückt, geht meinen Studenten nicht mehr auf. (Aber die studieren ja auch nicht!) Bestenfalls fragen sie nach: "If I would (oder: were to) study, you would give me a good grade?" Und den Unterschied zwischen irrealer und realer Bedingung verstehen nur die wenigsten (You mean to say, if I study, I get a good grade?). Aber interessant ist für mich, daß am Fernsehen eine ganze Menge Leute des öffentlichen Lebens die englischen Konjunktive richtig beherrschen ("Suffice it to say: Baloney!" — letzten Sonntag hier auf irgendeinem religiösen Kanal für erfüllbare Wünsche, aber auch, wenn's zum indirekten Zitieren kommt).

Zu "der Auffassung, die indirekte Rede dürfe zwar jederzeit einen Irrealis enthalten, aber ansonsten keinen K.II (außer Ersatz-K.II für K.I)": Der Bedingungssatz darf nicht fehlen! "Er sagte, er würde auch kommen, wenn er das Geld dazu hätte." Das unterscheidet sich klar von "Er sagte, er würde auch kommen." Ist es das, was hier zur Debatte steht?

Zurück zur zitierten Rede. In www.welt.de/kultur/article13015286/Die-Zeit-der-Rechtschreibreformen-ist-vorbei.html wird sie übrigens gepflegt verwendet. Deshalb muß ich die Studenten auch den Konj. I lehren, auch wenn ihnen zur eigenen indirekten Rede auf Grund des Gebrauchs bei einer Menge Deutscher der Konj. II reichte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.04.2011 um 09.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18414

Dazu fällt mir diese allerliebste Geschichte ein:

Der Schulrat visitiert die Klasse, nimmt sich einen Knaben vor: "What might be your name, son?" – "It might be George, sir, but it isn't."
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 02.04.2011 um 12.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18415

Eine Mieterin verweigerte ihre Zustimmung zur Mieterhöhung. Die Forderung wäre bereits deswegen unwirksam, da die Vermieterin die Fördermittel nicht angegeben hätte.
Die Richter gaben der Vermieterin Recht.

In der Nacht hätte jemand versucht, den Motorroller zu stehlen. Um die Sperre zu überwinden, hätte er den Lenker überdreht. Da dies wohl nicht klappte, hätte der Täter anschließend den Roller zwar nicht gestohlen, aber beschädigt. Seine Teilkaskoversicherung müsste für die Reparaturkosten aufkommen, meinte der Rollerbesitzer.
Der Versicherer sah dies anders und bekam vom BGH recht.

(Mannheimer Morgen, 2.4.11, Seite 6)
In beiden Fällen wird nicht der geschilderte Sachverhalt selbst bezweifelt, sondern es wurde die Ansicht des Klägers, daß der Sachverhalt einen Anspruch für ihn begründete, gerichtlich zurückgewiesen. Das wird mit dem K.II betont.

Nebenbei: Recht geben, aber recht bekommen
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 02.04.2011 um 23.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18419

Leider hüpft Kratzbaum mit seinen Kommentaren hierzu auf eine andere Seite (www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=31#7652 und #7655). Aber hier kurz von mir:
Optativ (nach der Einstellung des Sprechers): "Hätte ich mich nur auf die Prüfung besser vorbereitet!"
Irrealis nach der Struktur (mit ausgelassenem Folgesatz): "Hätte ich mich nur auf die Prüfung besser vorbereitet, wäre ich nicht durchgefallen."
Nach Kratzbaums #7652/#7655 ist der Irrealis auf irreale Bedingung / irreale Folge beschränkt. Das ist seine Definition, und da gäb's also eigentlich nichts weiter zu diskutieren. Aber bei "irrealen" Vergleichen (mein c., hier #18413) haben wir auch den Konj. II; und davon haben wohl auch einige Grammatiken die Vorstellung des "Zweifels des Sprechers" beim Konj. II auch für indirekte Rede her: Er tut so, als ob er krank wäre/sei. / Er sieht aus, als ob er krank wäre/sei. Wäre vielleicht der Konj. II bei diesen Vergleichen als indirekte Rede zu verstehen? Und wenn nicht ganz ja, dann vielleicht zu welchem Grade doch?

Herrn Riemers Zitat aus dem MM (#18415) zeigt, daß hier wer nur den Konj. II in indirekten Zitaten anwendet. Ganz anders also (und gepflegter, wie gesagt, — wie von mir gesagt!) schreibt da der Autor des Welt-Artikels, auf den ich schon hingewiesen habe (und auf den ich nochmal hinweise, auch weil ich da auf den Kommentarseiten 2 und 3 was eingesetzt habe [in der Diskussion da sah nur einer die Rechtschreibreform und Zehetmairs Vorstellung dazu nicht negativ]).

Und vielen Dank für die allerliebste Geschichte in #18414. Vielleicht hilft sie meinen Studenten zu verstehen, was ich mit d. beim Konj. II meine. ("Politeness? What's that?") Einige verstehen aber, worauf sie im Leben achten müssen, wenn ich sie frage, wo die Preise höher sind: Da wo dem Käufer die Preisinformation im Konjunktiv II gegeben wird ("That coat would cost only 495.") oder im Indikativ ("That one is 49.99.")?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 03.04.2011 um 01.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18420

Kein Leser kann bereits der Sachverhaltsschilderung entnehmen, wie das Gericht entschieden hat, nur weil darin K II für die indirekte Rede verwendet wird.
 
 

Kommentar von MG, verfaßt am 03.04.2011 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18421

| Eine Mieterin verweigerte ihre Zustimmung zur Mieterhöhung.
| Die Forderung wäre bereits deswegen unwirksam,
| da die Vermieterin die Fördermittel nicht angegeben hätte.
| Die Richter gaben der Vermieterin Recht.

| (Mannheimer Morgen, 2.4.11, Seite 6)

Wir wollen die Tatsache, daß viele Zeitungsmenschen die indirekte Rede nicht mehr korrekt konstruieren können, nicht gleich überinterpretieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2011 um 09.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18435

Um ihre herausgehobene Funktion sichtbar zu machen, tragen sie nun Bäffchen, in die silberne oder goldene Kreuzzeichen eingewebt sind – als ob sie Offiziere irgendeiner Heilsarmee seien. (Friedrich Wilhelm Graf: Kirchendämmerung. München 2011:109, über evangelische Kirchenfunktionäre)

Man kann den Konjunktiv I wohl als Konstruktionsmischung erklären: Aus der Sicht des Verfassers ist es ein Irrealis, also Konj. II, aber es mischt sich die Meinung der Betroffenen ein, wie eine indirekte Rede mit Konj. I.

Mir war übrigens Bäffchen bisher nicht bekannt, ich kenne nur Beffchen, nur so auch im Duden.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.04.2011 um 09.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18436

Das Äffchen hat ein Lätzchen an,
Das Pfäffchen trägt ein Beffchen:
Da bin ich doch ein wenig baff,
Gewissermaßen bäffchen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.04.2011 um 10.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18437

Mit der indirekten Rede hängt ein vieldiskutiertes philosophisches Problem zusammen.
„Ob Geist auf Natur reduzierbar ist, entscheidet sich für viele Philosophen am Schicksal der intensionalen Kontexte.“ (Geert Keil: Kritik des Naturalismus. Heidelberg 1993:104)
Wer das Argument der intensionalen Kontexte zugunsten des Mentalismus ausspielt, vertritt gewöhnlich eine dazu passende Zeichentheorie, in der es, unter welchem Namen auch immer, so etwas wie „intentionale Begriffe“ gibt.
„Intentionale Begriffe schaffen intensionale Kontexte, d. h. solche, in denen die Substitution extensionsgleicher Termini nicht immer wahrheitswerterhaltend ist.“ (Keil ebd.)

Das Argument der intensionalen Kontexte enthält jedoch in allen mir bekannten Darstellungen einen Fehler, der sich vielleicht aus der Sprachferne der analytischen Philosophen erklären läßt. Betrachten wir eine der zahllosen, im wesentlichen immer gleichen Darstellungen:
„Ödipus freut sich darüber, Jokaste zu heiraten; er freut sich aber nicht darüber, seine Mutter zu heiraten. Wie kann ein Satz allein dadurch seinen Wahrheitswert ändern, daß man einen Ausdruck durch einen anderen ersetzt, der denselben Gegenstand bezeichnet?! (...) An dieser Eigenart der durch die mentalen Verben erzeugten Kontexte kommt kein zeitgenössischer Naturalist vorbei. In Abwesenheit einer erfolgreichen Reduktion des Idioms der propositionalen Einstellungen bleiben die entsprechenden Sätze opak, semantisch undurchsichtig. Aus diesem Grunde identifizieren wir mentale Zustände über ihre semantischen Gehalte und nicht über die ´objektiven´ Sachverhalte in der Welt, auf die sie sich ´beziehen´, denn eben die Undurchsichtigkeit dieses Bezuges ist das Problem der Intentionalität.“ (Keil ebd.)

Keil führt noch an: „Während es wahr ist, daß Ödipus absichtlich den Verkehrsrowdy erschlug, ist es unwahr, daß er absichtlich seinen Vater erschlug.“ (Keil 1993:205) Beliebt ist auch das Beispiel: Er glaubt, daß Blaubeeren gesund sind vs. daß Heidelbeeren gesund sind. Natürlich wird auch Freges Beispiel von Morgenstern und Abendstern in diesem Zusammenhang diskutiert. Quine nennt solche Kontexte „referentiell opak“, die Scholastiker unterschieden zwischen Aussagen de re und de dicto. Verhaltenstheoretisch geht es darum, daß die Rede de re von den Blaubeeren selbst gesteuert wird, die Rede de dicto jedoch von dem Wort Blaubeeren bzw. Heidelbeeren.

Auf seine einfachste Form gebracht, lautet das Argument also: Während der Satz
a) Ödipus heiratete Jokaste
ebenso wahr ist wie der Satz
b) Ödipus heiratete seine Mutter
– ist zwar der Satz
c) Ödipus wollte Jokaste heiraten
wahr, der Satz
d) Ödipus wollte seine Mutter heiraten
aber nicht.
Diese Behauptung ist jedoch falsch. Genauer gesagt, sie wäre nur dann richtig, wenn der Satz d) auf eine Lesart festgelegt wäre, die ihn als Paraphrase folgender Darstellung erscheinen ließe:
Ödipus dachte: „Diese Frau ist meine Mutter. Ich will sie heiraten.“
Die Identifizierung (und gegebenenfalls Benennung) der betreffenden Frau als seine Mutter müßte also von der erwähnten Person selbst vorgenommen werden. Eine solche Interpretation wird aber von Sätzen des Typs d) niemals erzwungen, sie muß vielmehr durch weitere Sätze erst hergestellt bzw. gesichert werden. In einigen Darstellungen geschieht das auch ausdrücklich – womit das Argument jedoch hinfällig wird.

Allgemeiner gesagt: Die Herrschaft der Benennung von im Text erwähnten Gegenständen liegt so lange beim Sprecher, wie dieser sie nicht an eine der von ihm erwähnten Personen abtritt. Dies kann nur durch wörtliche Rede eindeutig geschehen.
Da die gewünschte „intensionale“ Lesart durch mindestens einen zweiten Satz hergestellt bzw. gesichert werden muß, verschwindet das Problem im Grunde, denn aus zwei oder mehr Sätzen läßt sich das Argument nicht mehr konstruieren. In natürlicher Sprache gehen intensionale und nichtintensionale Lesart in oft unklarer Weise nebeneinander her, d. h. die Benennungsherrschaft oder „Perspektive“ wechselt in kaum kontrollierbarer Weise, vgl. etwa:
Sir Ernest Rutherford entdeckte im Jahre 1911 den Atomkern. (FAZ 14.2.1996)
Rutherford wurde erst 20 Jahre nach dieser Entdeckung geadelt, so daß er zum erwähnten Zeitpunkt noch nicht Sir Ernest Rutherford hieß. Das wird aber von dem zitierten Satz auch nicht behauptet, man kann es lediglich aufgrund salopper Gewohnheiten vermuten und wäre dann in diesem Falle auf dem Holzweg.
Man kann also sagen, daß für alle Äußerungen, die keinen Zitatcharakter im engeren Sinne haben, die Herrschaft der Wortwahl beim primären Sprecher verbleibt.

Diese Verhältnisse können und müssen aufgeklärt werden, was ich hier nur andeutungsweise tun konnte. Es ist für die Sprachkritik ebenso wichtig wie für die Philosophie, aber auch allgemein für das Verständnis von Sprache und Grammatik.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2011 um 09.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18500

Vor ein paar Jahren hat ihn sein Arbeitgeber fotografieren lassen, damit er die Firma als sympathischer Pappaufsteller auf einer Messe im Ausland vertrat. (SZ 16.4.11)

vertrat?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.04.2011 um 10.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18502

... woraufhin er die Firma als sympathischer Pappaufsteller auf einer Messe im Ausland vertrat.
... so daß er die Firma als sympathischer Pappaufsteller auf einer Messe im Ausland vertrat.
... damit er die Firma als sympathischer Pappaufsteller auf einer Messe im Ausland vertrat.

Die Verwendung des Indikativs hängt mit der begrifflichen Nähe von damit zu den beiden anderen Konjunktionen zusammen. Schreiber vergessen oft den genauen Wortlaut, den sie zuvor gewählt haben, und richten sich bei der weiteren Formulierung danach, was sie inhaltlich ausdrücken wollten. So kann es passieren, daß man bei zwölf Wörtern Abstand nicht mehr weiß, ob man damit oder so daß geschrieben hat. Ein Zweifel kommt nur dem gewissenhaften, selbstkritischen Schreiber. Es ist anzunehmen, daß der Verfasser eine korrekte Formulierung gewählt hätte, wenn er den Satz noch einmal geprüft hätte.

Mit dem Konjunktiv ... damit er die Firma als sympathischer Pappaufsteller auf einer Messe im Ausland vertrete hätte sich der Schreiber – abgesehen von einem kleinen Stilbruch bei dem distinguierten vertrete – den beträchtlichen Nachteil eingehandelt, daß nur die Absicht "Verwendung als Pappaufsteller" mitgeteilt worden wäre, nicht aber, ob der Pappaufsteller tatsächlich eingesetzt worden ist: ein weiteres Motiv für das Ausweichen in den Indikativ vertrat.

Außerdem: Der Indikativ wäre bei folgender Erweiterung in Ordnung oder jedenfalls ziemlich unauffällig ... damit er die Firma als sympathischer Pappaufsteller auf einer Messe im Ausland vertreten konnte.

Der Indikativ vertrat nach damit ist zweifellos schlecht, aber als ganz falsch möchte ich ihn nicht einordnen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 17.04.2011 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18503

Dieses damit hat auf daß verdrängt – DWb: »als einfache conjunction für dasz, auf dasz, ut, welchen gebrauch die alte sprache nicht kennt.« Süddeutschen Ursprungs, so wie das nicht hochsprachliche nachdem für weil?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 19.04.2011 um 00.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18517

Bei dem Satz mit damit geht es m.E. weniger um den Indikativ als um die Zeitenfolge oder die Modalität der Aussage.

Nach damit wird heutzutage wohl ganz überwiegend der Indikativ gebraucht. Damit er seine Firma ... vertrete, klänge heute sehr altmodisch.

Ein Nebensatz mit damit bezeichnet allerdings eine Absicht und nicht eine Tatsache. Deshalb empfinde ich hier die Verwendung von vertrat durchaus als "falsch".

Die Wendung vertreten konnte halt ich deshalb für "richtiger" und nicht nur – wie Herr Wrase – für "in Ordnung" oder "unauffälliger".
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 19.04.2011 um 11.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18521

Herr Achenbach hat recht. Festzuhalten ist, daß der Konjunktiv vertrete korrekt wäre, aber altmodisch oder gestelzt klingt. Der Indikativ ist allgemein viel gebräuchlicher – er hört sich aber noch falscher an.

Es scheint kaum möglich zu sein, für eine in der Vergangenheit angesiedelte Absicht in einem damit-Finalsatz die ideale Verbform zu finden:

Er bekam Nachhilfe, damit er bessere Aufsätze
(Indikativ)
schreibt, schreiben kann
schrieb, schreiben konnte
(Konjunktiv)
schreibe, schreiben könne
schreiben würde, würde schreiben können
schriebe
?

Bei einer Stichprobe (Suche nach damit er) habe ich herausgefunden, daß überwiegend das Hilfsverb kann im Präteritum Indikativ eingesetzt wird, das wäre hier schreiben konnte.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 01.05.2011 um 18.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18573

Es geht also auch mal so bei bild.de: "Fußgänger siebenmal überfahren - tot" (1. Mai 2011, 11:36 UHR) Dann aber weiter nach der Beschreibung des grauenhaften Vorgangs, den zu berichten Bild sich natürlich nicht entgehen läßt: "Der Mann habe die Autobahn vermutlich überqueren wollen." Wegen des "vermutlich" ist übrigens der Konjunktiv I hier gar nicht nötig. Das Plusquamperfekt täte es hier ganz sicher besser. Denn im Satz davor ging der Indikativ ja auch: "Der Tote konnte zunächst nicht identifiziert werden, wie die Polizei in Offenbach mitteilte."
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.05.2011 um 00.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18575

Lieber Herr Ludwig,

hier sind Sie ausnahmsweise etwas zu kritisch.

Bei dem einen Satz handelt es sich überhaupt nicht zwingend um indirekte Rede, und zwar wegen des Nachsatzes "wie die Polizei ... mitteilte". Hätte es geheißen "teilte die Polizei ... mit", wäre indirekte Rede schon angemessener gewesen. Allerdings hat die Diskussion hier gezeigt, daß selbst dann häufig der Indikativ gebraucht wird.

Bei dem anderen Satz ist die indirekte Rede dann vollkommen angemessen, wenn "vermutlich" Teil der indirekten Rede (der Polizei) ist. Ansonsten wäre unklar, wer die Vermutung angestellt hat.
 
 

Kommentar von J. Vogel, verfaßt am 31.05.2011 um 15.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18764

Ich habe aus "juristischer" Sicht eine Frage.

Wenn ich ein Urteil wiedergeben möchte, und dort wird z.B. ausgeführt:
"Die Höhe der Gebühr ist auch dann verfassungsgemäß, wenn ein außergewöhnlich hoher Streitwert zugrundeliegt."

Welche Form der indirekten Rede ist in diesem Fall die bessere?

Das Gericht führte aus, die Höhe der Gebühren sei auch dann verfassungsgemäß, wenn ein außergewöhnlich hoher Streitwert zugrundeliege.

Oder aber:

Das Gericht führte aus, die Höhe der Gebühren sei auch dann verfassungsgemäß, wenn ein außergewöhnlich hoher Streitwert zugrundeliegt.

Sind beide Formen vertretbar, weil die erste Variante konsequent den Inhalt des Urteils wiedergibt, wohingegen die zweite Variante klarstellt, dass der Fall des außergewöhnlichen Streitwerts tatsächlich vorliegen kann?

Vielen Dank für jedwede Antwort oder Anregung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.05.2011 um 21.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18768

Eine ähnliche Frage hat Herr Achenbach hier schon in #18251 aufgeworfen:
"Inwieweit muß die indirekte Rede in alle Nebensätze eines zusammengesetzten Satzes fortgesetzt werden?"

Speziell in einer Bedingung, z. B. mit wenn eingeleitet, halte ich die indirekte Rede nicht unbedingt für falsch, aber für überflüssig. Der Sachverhalt, der neutral wiedergegeben werden soll, ist ja nicht die Bedingung, denn diese steht fest bzw. wird als gegeben angenommen und steht somit außerhalb alles Zweifels, sondern neutralisiert werden soll die Schlußfolgerung, denn ein anderer könnte etwas anderes folgern.

Die zwei Varianten von J. Vogel finde ich also beide richtig, die zweite jedoch ist für mich logischer. Einen Bedeutungsunterschied (etwa konsequenter die erste, realistischer die zweite) sehe ich aber nicht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.05.2011 um 22.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18769

Auch grammatisch völlig korrektes kann logisch falsch sein: "Er erklärte, daß die Erde eine Kugel sei." – "Er erklärte, daß die Erde eine Kugel ist." Klare Tatsachen wirken als Konjunktivform lächerlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.06.2011 um 08.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18770

Ich schließe mich der Meinung von Herrn Riemer an. Anders sieht es natürlich aus, wenn statt des Konditionalsatzes ein Kausalsatz steht. Dann kommt es darauf an, ob nur der Zusammenhang behauptet wird (wie beim Konditionalgefüge) oder auch die Tatsächlichkeit des Kausalsatzes für sich genommen.
 
 

Kommentar von J. Vogel, verfaßt am 02.06.2011 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18781

Vielen Dank für die hilfreichen Anmerkungen.
Dann habe ich nun die herrschende Meinung der hiesigen Forumsteilnehmer, an die ich mich halten kann. ;-)
Beste Grüße
J. Vogel
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2012 um 09.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19906

Strukturen, die auch bei Muttersprachlern ständig zu Fehlern führen (tatsächlich Fehlern, denn sie werden auch von den Fehlenden bei kurzem Nachdenken als solche erkannt), deuten auf einen objektiven Mangel an Systemgüte hin. Ich stolpere in einem Jugendbuch über den Satz:

Er schreit mich an, dass ich mich dafür verantworten werden muss.

(Google gibt über 300 Belege für verantworten werden muss.)

Der Verbalkomplex wird also schon bei recht einfachen Aussagen nicht beherrscht. Unsere französischen oder englischen Nachbarn scheinen ein solches Problem im Kernbereich ihrer Grammatik nicht zu haben.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.01.2012 um 15.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19908

Warnhinweis: Das Erlernen lebender Fremdsprachen kann Ihre deutsche indirekte Rede beschädigen.
Deutsch scheint die einzige Sprache zu sein, in der die indirekte Rede auch für Tatsachenfeststellungen den Konjunktiv vorschreibt. In der gesprochenen Sprache ist er hier nicht (mehr?) üblich. Alle romanischen, germanischen und slawischen Sprachen verwenden in der indirekten Rede den Indikativ, außer wenn es sich um Wünsche, Meinungen, Möglichkeiten usw. handelt.
Die Dudenübersetzung für Indikativ heißt Wirklichkeitsform und für Konjunktiv Möglichkeitsform. In reinen Tatsachenfeststellungen kann der Konjunktiv in der indirekten Rede Zweifel an der Wirklichkeit der Tatsachen erzeugen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.01.2012 um 18.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19910

Zu "Deutsch scheint die einzige Sprache zu sein, in der die indirekte Rede auch für Tatsachenfeststellungen den Konjunktiv vorschreibt." Die indirekte Rede schreibt nicht vor. Wenn überhaupt: Wir beobachten Strukturen, untersuchen sie und versuchen die Ergebnisse unserer Untersuchungen sachgerecht zu beschreiben und dann möglichst geschickte Verwendungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Bezeichnungen wie "Wirklichkeitsform" und "Möglichkeitsform" und "Indikativ" und "Konjunktiv"/"subjunctive" sollten uns nicht zur Annahme verführen, daß wir damit schon alles Verständnis zur Sache erreicht hätten und daß, was sie uns vereinfachend nahelegen, schon die alles umfassende Wahrheit sei.

"In reinen Tatsachenfeststellungen kann der Konjunktiv in der indirekten Rede Zweifel an der Wirklichkeit der Tatsachen erzeugen." — Mir sagt der Konjunktiv I (und als dessen Ersatz, wo der Konjunktiv I die gleiche Form wie der Indikativ hat, der Konjunktiv II) in der indirekten Rede eigentlich nur, daß der Sprecher zitiert und nicht seine eigene Erfahrung der Sache berichtet. Das ist relevant (und vereinfacht den Ausdruck), wenn mehrere Sätze zitiert werden: In der Zeitung steht, er kommt/komme heute um acht an. Dann gehe er erst einmal ... Und erst danach werde er ... Er habe nämlich ... Seine Begleiter würden aber ... Von Zweifel keine Rede; alle Konjunktivformen zeigen nur klar an, daß immer noch zitiert wird. Sie funktionieren hier also als "Zitierform". Im Englischen übrigens: It says in the newspaper that he comes ... Then he would first go ... Only after that would he / he would ... It is suggested that he (+ "Past indicative" = eigentlich Konjunktiv II oder "would")... His company, however, would ...

Zu "außer wenn es sich um Wünsche, Meinungen, Möglichkeiten usw. handelt": Das ist mir zu vage. Wenn immer man zitiert, handelt es sich um die "Meinung" eines anderen, selbst wenn Wissenschaftler sagen, daß etwas so und nicht anders ist/sei (ich brauche nicht den Konjunktiv II "wäre", denn "sei" ist in der Form von "ist" ja schon verschieden). Sonst wäre es ja nicht nötig, direkt oder indirekt zu zitieren. Ich muß mich nicht auf jemanden beziehen, wie ich sage, Licht kommt von der Sonne in achteinhalb Minuten auf der Erde an.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.01.2012 um 19.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19911

Zu #19906: Natürlich ist die muttersprachlich richtige Struktur für *Er schreit mich an, dass ich mich dafür verantworten werden muss* eine eigentlich gar nicht so einfache und auf jeden Fall nicht jedem gewohnte: Er schreit mich an, daß ich mich dafür werde verantworten müssen. Denn gewöhnlich haben wir in Sätzen mit einleitender unterordnender Konjunktion die finite Verbform am Ende, hier aber nicht. Hier spielen offensichtlich "Regeln" zum "doppelten Infinitiv" stärker mit als wie wir es sonst gewöhnt sind. Das soll doch mal jeder wissen! Kein Wunder, daß Google also über 300 Belege "für verantworten werden muss" gibt. Aber wer sowas schreibt, sollte nun doch stutzen und sich dann eben informieren.
Und nicht nur beim "doppelten Infinitiv" haben wir diese Doppelte-Infinitiv-Besonderheit, — wir haben sie auch da, wo's nur danach aussieht: Er schreibt, daß die sich dafür haben/hatten/hätten verantworten müssen. Hier ist "müssen" ein Perfektpartizip und hat nur die gleiche Form wie der Infinitiv. (Bei modalen Hilfsverben mit Infinitiv haben wir aber eh mehr das Imperfekt als das Perfekt.)

Bei unsern "englischen Nachbarn" stehen finite Verbform und das Verb, zu dem sie gehören, eben immer eng beieinander: that he would have to take responsibility <–> daß er sich werde verantworten müssen. Manchmal steht im Deutschen die finite Verbform noch weiter vom dazugehörenden "Infinitiv" weg: daß er nicht werde/hatte nach Hause fahren können. Bei sowas ist für manch einen wohl doch schon mal eine zuverlässige Erklärung angebracht.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 26.01.2012 um 01.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19958

Solche Nebensätze mit zweifachem Infinitiv - überhaupt mit mehreren Verben - sind in der Tat etwas schwierig. Gelegentlich brüte ich auch darüber, was die richtige Ausdrucksweise ist.

Allerdings scheint mir das kein besonderes Problem der indirekten Rede zu sein. Bei den Google-Fundstellen zu "verantworten werden muß" handelt es sich nicht nur um indirekte Rede, nach flüchtiger Durchsicht auch nicht mehrheitlich. Ein Beispiel: "Der 55-jährige Viersener, der sich wegen Diebstahls mit Waffen und Bedrohung verantworten werden muss, wurde ins Polizeigewahrsam eingeliefert."

Ich empfinde diese Ausdrucksweise auch eindeutig als falsch. Aber warum ist sie falsch?

M. E. ist sie deshalb falsch, weil das falsche Verb in den Futur gesetzt wird. Als Hauptsatz hieße es: "Er wird sich verantworten müssen." Das Verb im Futur ist hier doch eindeutig "müssen" - in "verantworten werden muß" wäre es dagegen "verantworten". Korrekter wäre es daher, "verantworten müssen wird" (in indirekter Rede "verantworten müssen werde") zu sagen.

Das kommt mir durchaus nicht als "falsch" vor, ja eigentlich sogar als regulärer als "sich wird/werde verantworten müssen", auch wenn ich letztere Wendung als etwas gehobener und eleganter empfinde.

Wenn das ein "Systemfehler" ist, dann müßte man schon tief in die deutsche Sprache eingreifen, um ihn zu beseitigen, und in Zukunft etwa sagen "ich werde müssen mich verantworten" (ein bei Ausländern nicht seltener "Fehler").

Haben aber nicht alle Sprachen ihre jeweils besonderen Schwierigkeiten – wenn man so will also auch ihre besonderen "Systemfehler"?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2012 um 07.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19959

Ja, so ist es wohl, alle Sprachen dürften Systemfehler haben. Das liegt am geschichtlichen Charakter der Sprachen: Vereinfachungen, die sich irgendwo einstellen, z. B. Abschleifungen, Assimilationen usw., führen an anderen Stellen zu neuen Komplikationen. Das Auslassen von Vokalen führt zu Konsonantengestrüpp, dies wird dann wieder vereinfacht usw. (du wäschst > du wäscht).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.01.2012 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19960

Nachdem ich früher schon mal einen Abschnitt über den Ersatzinfinitiv eingeschaltet habe, könnte es sinnvoll sein, hier eine etwas ausführlichere Übersicht zu geben:

Frühstellung des Finitums und Ersatzinfinitiv

FRÜHSTELLUNG

Abweichungen von der Grundordnung der Satzglieder sind häufig, in manchen Fällen sind sie sogar zur neuen Regel geworden, so daß die Grundordnung ihrerseits als Abweichung erscheint.
Hier zunächst ein eingeleiteter Nebensatz in der Grundordnung:
wenn Leute sich auf mich mehr als auf andere verlassen zu dürfen glauben (Wilhelm Raabe)
Das finite Verb (außer sein)kann weiter nach vorn gezogen werden:
wenn Leute sich auf mich mehr als auf andere glauben verlassen zu dürfen
(Wird das Verb vor den gesamten Prädikatskomplex gestellt, so handelt es sich um eine „inkohärente“ Stellung [Extraposition] mit satzwertiger Infinitivkonstruktion: wenn Leute glauben, sich auf mich mehr als auf andere glauben verlassen zu dürfen. Vgl. „Herausstellung“)
Wohin das finite Verb gestellt werden kann, ist nicht leicht zu sagen. Es scheint hier individuelle und auch regionale Vorlieben zu geben:
daß man das nicht mehr durchhalten wird können (H. Wieczorek-Zeul in einem Gespräch in der „Zeit“ 5.11.82)
Hier wäre auch die Stellung wird durchhalten können normal; vgl.:
Ohne Schäden für beide Lager wird es diesmal kaum abgehen, auch wenn letzten Endes beide zur Seite werden fahren müssen. (SZ 4.2.84)
Mindestens drei verschiedene Positionen sind im folgenden Satz möglich:
daß eine solch verwirrende Vielfalt von Kompetenzbegriffen in ihrem Zueinander hätte besser erläutert werden müssen (Praxis Deutsch 36, 1979)
Auch möglich: besser hätte erläutert werden müssen; besser erläutert hätte werden müssen; wohl auch besser erläutert werden hätte müssen – abgesehen von der Grundordnung: besser erläutert werden müssen hätte.

ERSATZINFINITIV
Das letzte Beispiel zeigt zugleich eine morphologische Besonderheit: Das periphrastische Perfekt der Modalverben besteht „eigentlich“ aus der Personalform des Hilfsverbs haben und dem Partizip II des Modalverbs. In vielen Fällen wird das Partizip jedoch mehr oder weniger regelhaft durch den Infinitiv ersetzt; man spricht dann vom „Ersatzinfinitiv“:
Der Fehler hatte nicht sofort gefunden werden können. (FAZ 15.3.83)
Hier steht hatte ... können anstelle des eigentlich (von der Verbmorphologie her) zu erwartenden, aber unüblichen hatte ... gekonnt.
Die beiden Mechanismen kommen aus naheliegenden Gründen oft gemeinsam zur Wirkung und führen dann zu einer erheblichen Verdunkelung der Grundordnung:
Überall habe ich müssen dich vor mir gehen und hantieren sehen. (Theodor Storm I:108)
- statt habe ... hantieren sehen gemußt. Und im Nebensatz:
Da fehlte doch wohl einiges, was sicher nicht ohne weiteres mit Fakten und Daten belegt hätte werden können. (SZ 21.10.82)
- statt belegt werden gekonnt hätte.


Anmerkungen:
1. Das Vorziehen des finiten Verbs wird manchmal als obligatorisch bezeichnet; dagegen sprechen jedoch die Tatsachen:
Mit dem Aktienpaket hat er den Kredit besichert, den er nicht zurückzahlen können wird. (FAZS 12.5.2002)
Solche Konstruktionen lassen sich in großer Zahl belegen.
2. Einige Autoren sehen auch den Ersatzinfinitiv als obligatorisch an, wollen also die Nichtersetzung gar nicht mehr als normgerecht anerkennen. Zum Beispiel hält Peter Eisenberg (Grundriß II:91) für falsch: *Er hat schlafen gemußt.
Auch das ist jedoch zu strikt, wie viele Belege zeigen:
Beim Frühstück jedoch hatten alle Eltern schimpfen gemußt. (Franz Fühmann: Die dampfenden Hälse ... Berlin 1978:21)
Er sprach: Hast du laufen gemußt? – Nein, es ging nicht. Dein Mittel war zu schwach. – Was? Zu schwach? Und du hast nicht laufen gemußt? (Johannes Gillhoff: Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer 3, 5)
3. Die Ersetzung kommt auch bei einigen Vollverben vor, die einen Infinitiv regieren wie brauchen, fühlen, heißen, helfen, hören, lassen, lehren, lernen, machen, sehen sowie nach den als Vollverben gebrauchten Modalverben:
Außerdem suchen die Beamten Zeugen, die am späten Donnerstagabend einen Mann in der Matterhornstraße 23 kommen oder weglaufen haben sehen. (SZ 25.7.83:9)
- statt gesehen haben. Ebenso:
Kohl hat die Gemeinschaftsregelungen durchsetzen helfen. (Zeit 9.1.87)
Auroras Vater hat ihre Mutter erst geschwängert und dann sitzenlassen. (FAZ 8.1.02)
Nach einem halben Jahr habe ich die Stücke und Lieder alle auswendig können. (Zeit 8.5.87)
Obwohl die Scheidung, die hat er nicht wollen. (...) Er hat nicht wollen, daß meine Mutti mit dem Staubsauger drübergeht. (M. Behn, Hg.: Geschichten aus der Geschichte der DDR. Darmstadt 1985:276f.)
Bei Modalverben in Vollverbgebrauch ist die Ersetzung seltener, im übrigen gelten dieselben Schwankungen wie unter 2.
4. Die dargestellten Konstruktionen sind unübersichtlich und führen daher auch bei Muttersprachlern zu Fehlern:
Warum sollte er sich so leichtfertig eines Verbrechens gerühmt und sein Geständnis auch noch von einem SA-Führer protokolliert haben lassen? (Zeit 21.2.86 - statt protokollieren)
5. Die Wortstellung ist meist so geregelt, daß der Ersatzinfinitiv ganz am Schluß steht. Es gibt aber Ausnahmen (s. o. das Beispiel von Storm):
Die führenden Politiker der Republik hätten müssen ein wenig begabter, kühner, schöpferischer sein. (Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken. Frankfurt 1991:562)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 26.01.2012 um 12.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#19962

Diese Probleme hätten wir nicht, wenn wir nach dem Muster aller anderen lebenden indogermanischen Sprachen das Verb bei zusammengesetzten Zeitformen nicht durch zwischengeschobene andere Satzglieder völlig zerreißen würden, sondern die zusammengesetzten Verbformen beieinanderlassen würden, wie die anderen Sprachen es machen. Sollen wir auf diese Eigenart der deutschen Sprache stolz sein, wo es doch einfacher ginge?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2013 um 05.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#22269

Im Deutschen hat die Verb-Zweitstellung, also ein strukturelles Signal anstelle eines lexikalischen oder mophologischen, die Information "Aussage" übernommen. Die Verb-Endstellung "versammelt Bezeichnungen", wie Zemb gesagt hat. Strukturelle Signale sind in der Regel schwerer zu verarbeiten und brechen bei Störungen leichter zusammen als lexikalische und mophologische. Solange es funktioniert, ist es natürlich ein sehr ökonomisches Mittel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2013 um 05.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#23970

Noch zur "Frühstellung":

Besonders findige Geister bedenken schon vor Abgabe eines Wahlversprechens mögliche Gründe, warum sie es später nicht halten werden können. (FAZ 30.8.13)

Bei Google ungefähr gleich oft halten werden können und werden halten können. Die Ergebnisse müßten noch überprüft werden, aber es dürfte keine wesentlichen Verschiebungen geben. Ich selbst wüßte auch nicht, welche Reihenfolge die bessere ist, würde allerdings die zweite benutzen. Dieser Bereich scheint im Deutschen ungeregelt zu sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2013 um 11.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24204

Die indirekte Rede muß, wie gesagt, nicht den Wortlaut einer angeblich zugrunde liegenden direkten Rede erkennen lassen. Man hat dies zu einem Fall von "kommunikativer Ethik" erklärt, aber zu Unrecht.

Brenzliger ist eine Frage, die auch von der "Allgemeinen Semantik" behandelt wurde und in der Journalistenausbildung eine Rolle spielt. Bei Wikipediea lese ich zum Beispiel:

Riexinger entstammt nach eigenen Angaben einem Arbeiterhaushalt. Als überzeugter Pazifist hat er den Wehrdienst verweigert.

Woher weiß der Wikipedia-Autor, daß Bernd Riexinger ein überzeugter Pazifist ist? Vielleicht hat er es einmal gesagt, aber es muß ja nicht wahr sein.

( Arbeiterhaushalt wird heute oft statt des naheliegenden Arbeiterfamilie gebraucht, das immer noch viel häufiger ist. Es kommt mir so vor, als sei Familie für manche Leute ein wenig vom Hauch des Reaktionären umwittert (wie Volk). Bei Haushalt sieht man demonstrativ nüchtern nur die Wirtschaftseinheit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2013 um 16.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24265

Er wolle einen Kaffee trinken, hielt er auf dem Flur eine Sekretärin an. (ZEIT 9.2.90)

Ohne falschen literarischen Ehrgeiz hätte der Schreiber es auch nach folgendem Muster machen können:

Manfred war nur widerstrebend mit Rita gegangen. Er eigne sich nicht zum Prinzgemahl, außerdem seien Empfänge langweilig. (Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München 1983:81)

Also: Auf dem Flur hielt er eine Sekretärin an. Er wolle einen Kaffee trinken.

Noch zeitgemäßer wäre es natürlich, sich den Kaffee selbst zu besorgen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2013 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24689

In der Online-Grammatik "GRAMMIS" vom IDS steht zur Redewiedergabe:

"Ich habe gesagt, dass wir jetzt das Hotel verlassen müssen, wenn wir nicht hetzen wollen, und da hast du gesagt, dass du fertig wärst, und da habe ich gefragt, warum wir nicht gehen, und dann hast du gesagt, dass du nur wartest, bis ich aufstehe, und da habe ich gesagt, dass ich so lange sitzen bleibe, bis du fertig bist. (Loriot, Aufbruch)

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück erklärte wiederholt, dass die Regelung zur Pendlerpauschale haushaltspolitisch notwendig sei. (Die Zeit 24.1.2008, o. S.)

Bei indirekter Redewiedergabe darf die Nicht-Wörtlichkeit wohl etwas weiter gehen. Neben wörtlicher Wiedergabe (de dicto) ist auch Wiedergabe nur der Sache nach (de re) möglich. Allerdings sind dabei Missverständnisse und Auseinandersetzungen über die Korrektheit der Wiedergabe geradezu angelegt, denn unterschiedliche Ausdrücke geben nur selten wirklich dasselbe zu verstehen. Besonders brisant ist dies bei der Wiedergabe von Politikeräußerungen in den Massenmedien."

Dieser Text ist seltsam inkonsistent. Die Sonderbarkeit löst sich auf, wenn man seine Herkunft kennt: Er stammt aus der IDS-Grammatik (1997, S. 1955f.), wo er in einem ganz anderen Zusammenhang steht. Er folgt dort nämlich auf Erklärungen zur Lizenz der direkten Rede, vom Wortlaut des Originals abzuweichen.

Die allgemeinere Regel, von der die IDS-Grammatik noch nichts wußte, die ich hier und anderswo aber schon mehrmals dargelegt habe, steht bei GRAMMIS jetzt in einem Kasten mit Ausrufezeichen obenan:

"Man kann von Äußerungen anderer auch indirekt berichten. Dabei bleibt prinzipiell offen, wie der genaue Wortlaut war und oft auch, wie man selbst dazu steht."

Damit wird die ganze Lehre von der indirekten Rede endlich vom Kopf auf die Füße gestellt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2013 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24690

Wikipedia schreibt unter den entsprechenden Stichwörtern:

„Die indirekte Rede ist ein Mittel zur distanzierten, berichtenden Wiedergabe von Äußerungen.“
„Die direkte Rede (lat.: oratio recta) ist ein grammatisches Element in einer natürlichen Sprache, bei der eine Rede oder ein Gedanke direkt im Wortlaut wiedergegeben wird.“ (Die Beispiele zeigen aber ausnahmslos Redewiedergabe, keine Gedankenwiedergabe.)

Bei der indirekten Rede wird also nicht einmal erwähnt, daß sie auch Gedanken usw. wiedergibt. Bei der direkten wird ohne weiteres (wie auch bei der indirekten in den meisten Grammatiken) vorausgesetzt, daß Gedanken und sogar Gefühle einen zitierbaren Wortlaut haben. Das ist doch eigentlich merkwürdig.

„Er dachte stöhnend: O, o.“ (Alfred Lichtenstein: Dichtungen. Zürich 1989:182)

(Lichtenstein parodiert in diesem Text – Café Klößchen = Café des Westens am Kurfürstendamm – Georg Heym, vgl.: "Er sang: 'O Tränen. O Güte. O Gott. O Schönheit.'“ Ebd.)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.12.2013 um 18.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24691

Man kann von Äußerungen anderer überhaupt nur indirekt berichten, denn wörtliche Wiedergabe ist ja kein Bericht, sondern Zitat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.12.2013 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24693

Na ja, sagen wir: Wiedergabe oder Weitergabe, dann ist diese terminologische Frage entschärft. Interessant bleibt zweierlei: Wie wird fremde Rede wiedergegeben? Und wieso haben Gedanken usw. einen Wortlaut, den man anführen kann?

In vielen Sprachen gibt es unsere "indirekte Rede" gar nicht. Im Sanskrit wird - jedenfalls der Form nach - stets wörtlich zitiert, und es folgt ein iti = "so" als Äquivalent unserer Anführungszeichen. Bei der Homerlektüre wundert sich der Anfänger, daß z. B. ein Auftrag wortgetreu wiederholt und nicht in indirekte Rede umgesetzt wird, wie denn überhaupt im Griechischen nichts dem Lateinischen Vergleichbares mit der Redewiedergabe geschieht (nach einleitendem hoti = "daß" kann es geradezu wie bei uns nach einem Doppelpunkt weitergehen).

Die zweite Frage stößt zu einem Kernpunkt der analytischen Philosophie durch, weil sie die Sprachlichkeit des naiven Konstrukts "Bewußtsein" betrifft. Grundlage ist wohl die Erfahrung, daß man ständig "innerlich" vor sich hinspricht, sich alles mögliche in sprachlicher Form zurechtlegt usw. Nach behavioristischer Auffassung ist dieses stumme Sprechen ein durch die Gesellschaft erzwungenes Leiserwerden und schließlich Innerlichwerden des Sprechens. ("Children should be seen but not heard" usw. - so kommt nach Skinner dieses stumme Sprechen zustande.)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.12.2013 um 23.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24702

Die Regel, daß in der Indirekten Rede grundsätzlich der Konjunktiv stehen muß, gibt es nur im Deutschen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2014 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#25232

Besonders Überschriften sind oft nach folgendem Muster abgefaßt:

Warum die SPD-Idee absurd ist, Ärzte zum besseren Umgang mit Kassenpatienten zu zwingen (SZ 9.2.11)

Das sieht aus wie ein Nebensatz und ist auch einer. Statt eines Hauptsatzes steht der gesamte folgende Text, und man versteht: "Dieser Text sagt..." und dann folgt die Überschrift. Trotzdem ist es keine Ellipse.

Hermann Paul hat auf der Zweiteiligkeit aller Äußerungen bestanden, und wenn jemand "Feuer!" ruft, ist die gesamte Situation des Thema, dem der Alarmruf als Rhema gegenübergestellt wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.12.2014 um 06.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#27497

Schmachthagen beschäftigt sich mit dem Ersatzinfinitiv (HA 2.12.14) Er stellt die Regel so dar, wie es in den meisten Grammatiken steht, also zu strikt:
Nach einem Infinitiv ohne zu steht sehen ebenfalls im Infinitiv: Ich habe das Unglück kommen sehen. Wer das Unglück kommen "gesehen" haben will, bewegt sich nicht auf hochsprachlichem Niveau, sondern schludert ein wenig mitten in der Umgangssprache.
Das entspricht, wie gezeigt, nicht dem wirklichen Sprachgebrauch.
Die Schülerin muss schwimmen können. - Hier liegt gar kein Ersatzinfinitiv vor.
Die Syntax, der Bauplan eines Satzes, kann im Deutschen so ausufern, dass die Kenner beim Übergang der Grammatik zum sprachlichen Kunstwerk genüsslich mit der Zunge schnalzen, Fremdsprachler aber aufgeben und lieber englisch reden. Wenn unsere Konstruktionen des doppelten Infinitivs nämlich mit dem zu-Infinitiv von haben erweitert werden, heißt es: Kommando zurück! An die Stelle des Ersatzinfinitivs tritt wieder das Partizip II: Statt Ich habe ihn laufen lassen, heißt es jetzt: Ich erinnere mich, ihn laufen gelassen zu haben. Er glaubt, die Frau weinen gesehen zu haben (nicht: "weinen sehen" zu haben).
Auch dies ist zu streng formuliert. Vgl. „Nun erreicht den Hundehalter ein Schreiben der Behörde, wonach ihm vorgeworfen wird den Hund unbeaufsichtigt laufen lassen zu haben.“ Solche Beispiele sind gar nicht selten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.01.2015 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#27790

Ahmet Davutoglu, der türkische Regierungschef, hat die "Pegida"-Bewegung scharf kritisiert. Für ihn stellen die Demonstranten ein großes Problem dar. Und das nicht zuletzt, weil die Bewegung Parallelen zur Terrormiliz "Islamischer Staat" aufweisen würde. (Focus 14.1.15)

Die Umschreibung des Konjunktivs durch die würde-Form kommt zwar auch in indirekter Rede oft vor, aber für mein Gefühl ist sie immer noch falsch. In studentischen Referaten habe ich sie unzählige Male hingenommen, aber in schriftlichen Arbeiten angestrichen, schon weil sie nicht eindeutig genug ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2015 um 16.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#28340

Ich hatte die Sucht erwähnt, redeein- und ausleitende Verben durch irgendwelche anderen zu ersetzen. William Zinsser hat dazu gesagt (beinahe hätte ich "bemerkt" geschrieben...): „I've never heard anybody smile.“
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.06.2015 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29102

Auch in Duden Band 9 wird wieder ohne jede Erklärung behauptet, direkte und indirekte Rede gäben wörtlich bzw. nicht wörtlich etwas wieder, wie es gesagt "oder gedacht" worden ist. Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, so ohne Diskussion zu unterstellen, daß das Denken einen Wortlaut hat. Er überlegte, ob er den Garten umgraben sollte. Hat er da wirklich innerlich vor sich hin gesprochen: "Soll ich den Garten umgraben?" Ich halte die ganze mentalistische Psychologie für wertlos, aber es sei doch einmal erwogen, ob wir nicht allesamt davon überzeugt sind, daß man so etwas schnell mal "denken" kann, ohne sich überhaupt die Mühe der sprachlichen Formulierung zu machen.

In der breiten Literatur zum "unbenannten Denken" ist auch das Denken eines Musikers oder eines Malers erörtert worden.

Wenn das aber so ist – was wird dann aus der Lehre von der indirekten Rede? Eingeschlossen die hübschen "Verschiebungen" von Person, Tempus und Modus. Die ganze Lehre beruht ja auf der Annahme von "Umformungen" – wozu erst einmal eine Ausgangsform vorliegen muß. (Mit dem indirekten Aufforderungssatz und dem gar nicht möglichen indirekten Exklamativsatz kommt man ohnhin nicht zurecht.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.06.2015 um 10.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29112

Zur Illustration des vorigen:

„Als indirekte Aufforderungssätze bezeichnet man abhängige Sätze, die mit sollen / mögen oder haben / sein + Infinitiv gebildet sind:
Mein Freund schrieb mir, ich soll(t)e / möchte nicht vergessen... Plötzlich rief jemand, dass wir zurückzutreten hätten.“ (Duden 9, 2011:483)

Das ist aber kein besonderer Satztyp, die Formen sind grammatisch dieselben wie im abhängigen Aussagesatz. Er wird nur erwähnt, weil man glaubt, daß den direkten Satztypen jeweils indirekte entsprechen müßten. Es ist nicht einmal sicher zu erschließen, daß überhaupt ein Aufforderungssatz vorhergegangen ist.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 10.06.2015 um 17.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29114

Zu #29102 («wie [was] gesagt "oder gedacht" worden ist» und der Unterstellung, «daß das Denken einen Wortlaut hat»): Das erinnert mich an die Frage, die Studenten mir oft stellten: "Do you think in German or in English when you talk?" Worauf ich dann antwortete: "I don't think at all when I talk. Can't one notice that?", - was aber dann doch meist zu weiterer Diskussion des Problems führte. - Da haben die Leute ein Bild von "denken", das auf das Formulieren von Gedanken bei einem schriftlichen Projekt zurückgeht, die einzige Situation, wo sie sich etwas dessen bewußt sind, daß Sprechen aus ihrem Kopf hervor geht und so beobachtet werden kann.
Völlig richtig ist natürlich, daß die "Lehre von der indirekten Rede" mit anderen Worten/Erklärungen stattfinden muß. "Umformungen" sind eine Übung im Sprachunterricht, und ähnlich wie die beim Aktiv und Passiv können sie zeigen, was bei den verschiedenen Strukturen wirklich anders ist. Für mich erstaunlich ist, daß die indirekte Rede Sachverhalte genauso genau wiedergeben kann wie die direkte Rede (bei letzterer ist ja auch der Originalton nie genau nachzuahmen; letzteren müßte man bei indirekter Rede beschreiben, wenn er, z. B. in einer Gerichtsverhandlung, wichtig ist), und wichtig zu lehren ist auch, daß das Passiv die Aktivität mehr herausstellt als das Aktiv (das Aktiv kann den Agenten nicht weglassen, das Passiv kann's: We got beat / Das wurde vernichtet).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.06.2015 um 19.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29115

Ich kann mir Denken ohne Sprache schwer vorstellen. Wie soll das gehen? Ich glaube, diese Unmöglichkeit ist auch einer der Gründe, warum Kinder keine Erinnerungen an ihre ersten 2-3 Lebensjahre haben. Ein intelligenter Mensch, der aufgrund physischer Defekte nie menschliche Sprache, weder mündlich noch schriftlich, kennengelernt hat, wird sich sicher mit der Zeit irgendwie eine Art Denksprache selbst schaffen. Andererseits werden nicht alle Gedankeninhalte und -verknüpfungen, nicht alles Wissen, Gefühle immer wie in gesprochener Sprache ausformuliert. Zum Beispiel, was man mit Modalverben beschreibt, das Wollen usw., wird nicht unbedingt gedanklich formuliert.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.06.2015 um 00.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29116

Nicht Kinder haben keine Erinnerungen an ihre ersten Lebensjahre, sondern Erwachsene.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.06.2015 um 04.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29117

Natürlich ist es eine Definitionsfrage. Die breite Literatur zum Thema ("Können Tiere denken?" usw.) ist in gewisser Weise verfehlt, wenn man das nicht vorausschickt. Das "folkpsychologische" Konstrukt des Denkens stammt sicher aus unserer Erfahrung mit dem Sprechen, das nach unserem Eindruck auch stumm, also irgendwie "innerlich" abläuft (wohin es nach Skinner und anderen durch Erziehung geschoben worden ist). Daher Platons Ansicht, das Denken sei ein Dialog der Seele mit sich selbst. Mein Eindruck ist eher, daß ich zwar unablässig innerlich artikuliere (der Eindruck kann freilich täuschen), aber nicht als Gespräch mit mir selbst, sondern als Monolog, als Ausprobieren von etwas, was ich sagen könnte, gesagt haben sollte usw.

Aber man kann Denken auch objektiv definieren, wie es die Kognitionsforscher tun, als zerebrale Datenverarbeitung usw. Dieses Denken kann man Tieren nicht absprechen.

Zum wortlosen Denken noch dies: Wenn ein Musiker improvisiert und eine Modulation vornimmt - hat er das dann in Worten gedacht? Viele könnten es nicht einmal, weil sie Musik rein intuitiv gelernt haben. Dazu eine Anekdote. Evlis Presley, der bekanntlich keine Noten lesen konnte, bat den Dirigenten seines Orchesters (Joe Guercio, meine Frau hat sich kürzlich noch mit ihm unterhalten und ihm geholfen, er war schon recht schwach) um ein "b flat minor"; dann fügte er grinsend hinzu: "Of course I don't know what I'm talking about." Der Ausdruck hatte ihm einfach zu gut gefallen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2015 um 07.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29518

Wie erwähnt, hat die Frühstellung von Hilfs- und Modalverben (z. T. auch anderen) eine wichtige, aber unerklärte Ausnahme, auf die aber in der Literatur kaum je hingewiesen wird (anscheinend nur bei Sütterlin): das Hilfsverb sein. In Mundarten kommt sie noch vor, aber in der Standardsprache wirkt sie altertümlich: Wie wir Mose gehorsam sind gewesen, so wollen wir dir auch gehorsam sein. (Joshua 1, 17)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2015 um 08.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#29596

„Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Monopolkommission der Thematik annimmt.“ (FAZ 31.7.15)

Der Wechsel zum Indikativ ist eine geläufige Konstruktionsmischung; er schwächt den Eindruck des Irrealen ab.

Thematik, Methodik/Methodologie, Problematik sind Schwellwörter für Thema usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2015 um 16.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#31065

Man denkt sich: Wenn jemand lügt, dann muß er etwas zu jemandem sagen. Wir haben also drei Beteiligte, den Sprecher, den Hörer und das Etwas, den Inhalt der Rede. Die Verfehltheit dieser "Standardanalyse" habe ich anderswo besprochen ("Standardanalysen").

Wenn aber das Verb lügen "eigentlich" dreiwertig ist, dann fällt etwas auf:

„Bei diesem Verb ist es jedoch so, dass der Adressat der Lüge gar nicht realisiert werden kann.
Hans log (*ihm/*an ihn), dass er mit der Sache nichts zu tun habe.“ (Karin Pittner/Judith Berman: Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. 2. Aufl. Tübingen 2007:54)

Schon der daß-Satz ist ungewöhnlich. Unsere Valenzgrammatiker ziehen nicht den Schluß, daß lügen gar kein Mitteilungsverb ist. Vielmehr ist es ein Kommentar zu einer Behauptung. "Ich war es nicht", log er läßt sich umschreiben als "Ich war es nicht", sagte er, obwohl er wußte, daß es falsch war.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.12.2015 um 17.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#31070

Manche Verben werden erst durch ein Präfix transitiv, z.B. "anlügen".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2016 um 05.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#31718

Daß man auch "Gedanken" wörtlich oder indirekt wiedergeben kann, setzt die Sprachlichkeit des Denkens voraus. Das nehmen praktisch alle Philosophen an, ob sie es nun ausdrücklich sagen oder nur in einem Nebensatz wie Kant:

So wie man eine allgemeine Grammatic der Sprachen hat, sucht man auch eine des Denkens zu erfinden, welche gewiße allgemeine Regeln des Denkens enthalten sollte. […] Da die Form der Sprache und die Form des Denkens einander parallel und ähnlich ist, weil wir doch in Worten denken, und unsere Gedanken andern durch die Sprache mittheilen, so giebt es auch eine Grammatik des Denkens. Der Theil der Logik, welcher die Form des Gebrauchs des Verstandes überhaupt ist, ist der selbständige Theil, die selbständige Form des Denkens. Es mögen Erkenntniße a priori oder a posteriori seyn, so ist ihnen diese Form des Verstandes allen gemein.
(Enzyklopädievorlesung. Berin 1961:55)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.11.2016 um 09.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#33954

Die Dudengrammatik (7. bis 9. Auflage) schreibt:

"Die indirekte Rede wird in Grammatiken traditionell auf der Folie der direkten Rede beschrieben, als das Ergebnis von Umformungen (...)" (§ 767)

Genau das tut sie selbst. Dann aber gibt sie zu, daß die indirekte Rede nicht den Wortlaut der direkten wiedergibt. Damit entfällt aber auch die zuvor dargestellte Verschiebung der Pronomina usw. Dieser Widerspruch wird nicht bemerkt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2016 um 05.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#33956

Schließlich zündete er verzweifelt ein Haus an und alarmierte sofort die Feuerwehr, damit niemand verletzt werde.

Zu solchen Sätzen sagt die Dudengrammatik:

"Der Nebensatz beschreibt im Normalfall das, was der Subjektaktant mit der im Matrixsatz beschriebenen Handlung erreichen will. Insofern dient er auch der indirekten Wiedergabe eines Bewusstseinsinhaltes."

Aber was wäre denn die direkte Wiedergabe einer Absicht oder eines "Bewußtseinsinhalts", wenn dies die Indirektheitsform ist? Sind Finalsätze generell indirekte Wiedergabe – von was? Die Absicht ist ja nichts Sprachliches. Allerdings können nur solche Wesen Absichten haben, die ihr Verhalten auch ankündigen können. Vgl. meine „Naturalisierung der Intentionalität“. Die Grammatik sollte von naiver mentalistischer Psychologie befreit werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.01.2017 um 20.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34251

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18437

Die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat angekündigt, bei der kommenden Bundestagswahl um die Stimmen von AfD-Wählern buhlen zu wollen. (Spiegel online 7.1.17)

Sie hat bestimmt nicht gesagt: "Ich will um die Stimmen von AfD-Wählern buhlen." Ihre Absicht ist korrekt wiedergegeben, aber daß es sich um ein Buhlen handele, ist Interpretation des staatstragenden Magazins. Die Benennungsherrschaft liegt zwar bei demjenigen, der die Rede als indirekte wiedergibt, aber der Leser erwartet, daß der Kommentar vom Referat getrennt wird. Insofern ist der Umgang mit W. nicht ganz fair.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2017 um 06.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34252

Zu (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#18130)

„Sogenannte faktive Verben wie bedauern, bereuen, bezweifeln, sich ärgern, sich freuen können nicht als redeeinleitend verstanden werden und lassen daher keine Inhaltssätze mit Verbzweitstellung zu.“

Man wird trotzdem Tausende von Belegen dieser Art finden:

Leider, bedauerte er, habe er öfters Steine in den Weg gelegt bekommen und es galt viele Rechtsstreitigkeiten durchzustehen. (Augsburger Allgemeine 13.12.12)

Der ÖVP-Chef bedauerte, er habe die Ministerin nicht zum Verbleib in der Bundespolitik überreden können. (ORF 10.4.16)

Das ist eben die abgeleitete Verwendung, die alle möglichen Verben treffen kann. bedauern heißt hier bedauernd sagen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 09.01.2017 um 14.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34261

Die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat angekündigt, bei der kommenden Bundestagswahl um die Stimmen von AfD-Wählern buhlen zu wollen.
Sie hat also angekündigt, zu wollen. Oder hat sie nicht vielmehr angekündigt, bei der Wahl (also genauer davor im Wahlkampf) zu buhlen? (Wenn man diese Wortwahl so hinnimmt)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.01.2017 um 16.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34262

Im wollen steckt ein Stück Zukunft, genauso wie im angekündigt und im kommenden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.01.2017 um 17.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34263

Das ist sicher richtig, man vergleiche z. B. mit will im Englischen.
Trotzdem glaube ich, daß der Gedanke ans Futur hier nicht ausschlaggebend ist. Die Beispiele im Diskussionsforum unter "Hilfsverben" (http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=263) scheinen zu belegen, daß es eine Art unbewußten Zwang gibt, bei allen möglichen unpassenden Gelegenheiten noch ein Modalverb einzufügen.

Woher das kommt, ist mir nicht klar. Meine Theorie ist, daß sich der Sprecher durch Verwendung des geläufigeren Hilfs- oder Modalverbs manchmal die etwas schwierigere Konjugation des Vollverbs erspart. Also eine Art Sprechökonomie.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.01.2017 um 17.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34264

Im Gegensatz zu sich ärgern, sich freuen sind die anderen Beispiele transitiv. Sie müssen also auch gar nicht als redeeinleitend verstanden werden. Man kann schließlich auch etwas bedauern, bereuen, bezweifeln, was man nicht ausdrücklich in wortlicher Rede sagt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2017 um 21.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34265

„China ist der Markt, auf dem derzeit die Post abgeht“, ist Schreier hoffnungsfroh. (SZ 1.10.11)

„Der gute Mann ist bis heute bei uns“, lacht Mergenthaler. (SZ 1.10.11)

Solche Fragen, schüttelt er den Kopf, stellten offenbar nur Deutsche. (FAZ 1.6.16)

„Solche Zahlen allein aber sagen noch gar nichts“, schüttelt Prof. Dr. Hermann Handwerker vom FAU-Institut für Physiologie und Pathophysiologie den Kopf. (Friedrich – Forschungsmagazin der Friedrich-Alexander-Universität 115)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.01.2017 um 02.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34266

Ja, die Einleitung eines Inhaltssatzes ist wohl genauso eine Stilfrage wie die Redeeinleitung, siehe auch #18200 bis #18204.

Ich selbst finde, wenn man meint, daß jemand etwas lachend oder kopfschüttelnd sagt, dann sollte man es auch so schreiben, und nicht, daß er es lacht oder daß er es kopfschüttelt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.01.2017 um 13.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34274

Es stört mich jedesmal, wenn "sollten" als einfaches Futur verwendet wird. Meiner Meinung nach enthält "sollen" immer eine Absicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2017 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34277

Könnten Sie Beispiele bringen, damit man weiß, was Sie meinen?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.01.2017 um 14.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34288

Mich stören Sätze wie "Das sollte er später bitter bereuen." Hier ist "sollen" einfaches Futur und gar keine Absicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2017 um 16.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34289

Ach so, das meinen Sie. Das ist aber kein einfaches Futur, sondern das sehr komplizierte "Futur der Vergangenheit", das epische Vorausweisen. Die deutsche Futurumschreibung mit werden hat sich ja erst allmählich aus mehreren Möglichkeiten herausgeschält, vor allem sollen wurde verwendet, vgl. Englisch usw. – Für den Vorausverweis kommt noch würde vor, meiner Ansicht nach mit leicht verschiedener Tönung: Das würde/sollte er noch bereuen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2017 um 17.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34293

Ähnlich wie jenes buhlen ist auch diese Überschrift zu beurteilen:

Jetzt ist Hamburg stolz auf sein Baudesaster
(Focus online 11.1.17)

Hamburg ist vielleicht stolz auf die Elbphilharmonie, aber deren Einschätzung als Desaster ist aus der Perspektive des Journalisten geäußert. Die Hamburger würden kaum sagen: "Wir sind stolz auf dieses Desaster."
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.01.2017 um 18.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34294

Sobald Trump sich über irgendetwas kritisch äußert, wütet er in den (noch immer tränenverschmierten) Augen von dpa.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2017 um 18.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34373

Als ersten ausländischen Staatsgast will der neue US-Präsident eine Frau empfangen. (tagesschau.de 22.1.17) Es liegt nahe, daß Trump den englischen Premier empfängt, ob Mann oder Frau. Man denkt unwillkürlich, Trump habe gesagt oder gedacht: "Ich will zuerst eine Frau empfangen."
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.03.2017 um 18.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#34802

Noch ein Fund zu #18202, #34265 (MM, 31.3.17, S. 15):

"[...] Das ist ärgerlich, liegt aber im Trend der Zeit, wo viele nur an sich denken", kann Dieter Sejak aus der Stadtgärtnerei beim Anblick der zerrupften Anpflanzung nur noch den Kopf schütteln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.04.2021 um 09.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#45747

Meist leitet man so her:

Er sagte: „Ich habe davon nichts gewußt.“
> Er sagte, er habe davon nichts gewußt.


Aber man könnte auch von der dritten Person ausgehen:

Er hat davon nichts gewußt. (Das sagte er.)
> Er sagte, er habe davon nichts gewußt.


So auch Behaghel:
"Aus dieser Entstehungsweise der abhängigen Rede erklärt sich auch — nebenbei bemerkt — die eigentümliche Erscheinung, daß in derselben die persönlichen Fürwörter der unabhängigen Rede eine Verschiebung erleiden. Aus er wußte: „ich bin krank" wird er wußte, er wäre krank, weil dieses ja zurückgeht auf er wußte es, er war krank, wofür wir sogar sagen können: er war krank; er wußte es." (Dt. Spr. 2. Aufl. 253)

Damit entfällt eigentlich die "Pronominalverschiebung", und die Grammatik wird einfacher (gut für Deutschlerner).
 
 

Kommentar von , verfaßt am 09.06.2021 um 18.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#46151

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#24690

Daß offenbar auch Gedanken und sogar Gefühle einen zitierbaren Wortlaut haben, ist uns so selbstverständlich, daß wir die außerordentliche These gar nicht bemerken, die darinsteckt. Kennt jemand eine Sprache, in der es anders ist?

Lateinschüler lernen kommentarlos, daß die Verba dicendi, sentiendi, cogitandi den AcI regieren. Im Sanskrit, wo es ja nur direkte Rede gibt, ist es wie bei uns:

srgâlo ´yam iti manye „dies ist ein Schakal“, so meine ich = ich glaube, daß dies ein Schakal ist (Beispiel aus Richard Fick: Praktische Grammatik der Sanskrit-Sprache § 256)

Fick merkt ausdrücklich an, daß Verben, die "eine geistige oder sinnlichen Tätigkeit oder eine Gemütsbewegung bezeichnen", so konstruiert werden. Das ist ihm aber keinen Kommentar wert.

(Es gab übrigens berühmte Indologen, die durch das Selbststudium mit diesem vorzüglichen Büchlein in ihr Fach gefunden haben!)

Was ist von einer Diskussionsgemeinschaft zu halten, die es nicht einmal kommentierenswert findet, daß „Gedanken, Gemütsbewegungen“ usw. einen zitierbaren Wortlaut haben, so daß diese Lehre ohne weiteres in Rechtschreiblehren usw. als selbstverständlich vorausgesetzt wird? Sollte man darüber nicht staunen, und wäre dieses Staunen nicht der Anfang der Philosophie?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2021 um 04.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#46670

„‚Redewiedergabe‘ wird in dieser Grammatik als Oberbegriff für Gedanken-, Einstellungs- und eigentliche Redewiedergabe verwendet. (...) (In den Auflagen von 2005 und 2009 diente ‚Referat‘ als Oberbegriff.) (...) Im weiteren Sinne umfaßt der Begriff auch die ‚Wiedergabe‘ von etwas, was lediglich gedacht oder empfunden wird, ohne sprachlich ausgedrückt zu werden.“ (Dudengrammatik 2016 § 762)

(Die Anführungszeichen an einer theoretisch so wichtigen Stelle stören, weil man nicht mehr weiß, was eigentlich gemeint ist.)

Also nicht nur Gedanken, sondern auch Einstellungen, was immer das sein mag, haben einen Wortlaut – sonst könnte man sie nicht "wiedergeben". Wie soll man sich das vorstellen? Welche sonderbare Philosophie wird hier ganz beiläufig weitergegeben?
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 06.08.2021 um 19.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#46757

"Vor Gefahren wegen der Luftverschmutzung warnte die Chefin der Pneumologischen Klinik des Athener Krankenhauses Sotiria, Nina Gaga. ´Gehen Sie nicht aus dem Haus´, warnte sie. Normale Schutzmasken gegen Corona hülfen nicht." Schön! Und das auf NTV.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2022 um 06.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#49819

Zur Sprachlichkeit des Denkens:

Die meisten Menschen geben an, daß sie oft oder immer stumm vor sich hinsprechen oder daß ihr bewußtes Denken weitgehend in stummem Formulieren besteht. „No one can deny that we humans spend much of our waking lives talking to ourselves.“ (Howard Rachlin: „Is Talking to Yourself Thinking?“ JEAB 109, 2018:48–55, S. 48). Besonders bedeutsam ist es, wenn Nichtpsychologen die alltagspsychologische Ansicht als selbstverständliche Tatsache ausdrücken: „...das immerwährende, lautlose Sprechen des Menschen mit sich selbst, der innere Dialog des Denkens“ (Hannah Arendt: Über die Revolution. München 1986:101). „‚Die Stimme, mit der ich denke, ist doch die Stimme, mit der ich rede?‘ fragt der Sohn, als natürlich voraussetzend, daß es so sei, wenn andere die gleiche Erfahrung haben. Ich denke, auch stimmlos denken zu können, aber sobald ich’s versuche, gelingt es nicht. Es geht nur mit der eigenen Kopfstimme, die die gleiche Schwierigkeit hat, ‚Griechische Geschichte‘ richtig auszusprechen, wie wenn ich’s laut sagen müßte.“ (Johannes Gross: Notizbuch 20.10.82) – An Zungenbrecher beim stummen Reden habe ich schon erinnert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.10.2023 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1419#51946

Im Sanskrit gibt es praktisch keine indirekte Rede (wie sie den Lateinschülern soviel Mühe macht), sondern man verwendet die direkte und kennzeichnet sie durch ein nachgestelltes iti ("so") als Zitat.

Was mich aber interessiert: Genau wie bei uns wird nicht nur fremde Rede, sondern auch Gedanken usw. als Redewiedergabe ausgedrückt, d. h. die Annahme, das Denken sei ein inneres Sprechen, gilt dort ebenso. Das muß eigentlich nicht belegt werden, ich zitiere aber gern aus Speijers "Sabskrit syntax":

Die direkte Rede mit iti wird gebraucht „to express by it the object of knowing, thinking, believing, reflecting, doubting, rejoicing, wondering and the like, to expound the fact which acts as a cause or motive, to signify the object of purpose and wish, etc. (381)

„As a rule the Sanskrit speaker avails himself of the direct construction, that is, he does not change the outward form of the words and ideas quoted, but he reproduces them unaltered, just as they came from the mouth or arose in the mind of their authors.“ (379)
 
 

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