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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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03.09.2007
 

Alles Mögliche
Wie man die Orthographie handhaben sollte

An einem Beispiel läßt sich noch einmal ganz gut veranschaulichen, worum es geht.

Zwischen alles Mögliche (= alles, was möglich ist) und alles mögliche (= alles) besteht ein feiner Unterschied, den ich nicht missen möchte. Mir ist aber klar, daß der Unterschied nicht von jedem und auch nicht in jedem Einzelfall leicht zu erkennen ist. Manchmal kommt es auch nicht darauf an. Die Neuregelung hat daraus die Konsequenz gezogen, die Kleinschreibung völlig zu verbieten. Damit wird eine Unterscheidungsmöglichkeit vernichtet, die keineswegs nur einen Distinktionsgewinn der Münteferingschen "Hochwohlgeborenen" mit sich brachte, sondern vielen gebildeten Schreibern und Lesern teuer war.

Es kann angesichts solcher Feinheiten doch nur darum gehen, sie nicht jedermann abzuverlangen, zum Beispiel nicht in der Schule darauf zu bestehen.

(Sehe gerade, daß Herr Ludwig heute morgen ähnliche Gedanken eingetragen hat.)



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Kommentare zu »Alles Mögliche«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2023 um 06.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#50963

Zum Einen hatte er versprochen... (SZ 28.4.23)

Das entspricht zwar nicht der amtlichen Regelung, ist aber konsequenter als diese. Zum Ersten .... zum Zweiten, aber zum einen ... zum Zweiten – das ist nicht verständlich zu machen. Den Rechtschreibrat kümmert es natürlich nicht, den kümmert gar nichts, er schweigt und genießt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.04.2022 um 11.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#48951

Mich würde noch einmal der Zusammenhang von prädikativem Gebrauch eines Adjektivs mit artikellosem Gebrauch (eines Substantivs oder substantivierten Adjektivs) interessieren. Ist dieser nicht doch etwas zu weit hergeholt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2022 um 03.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#48946

Was Herr Panchenko zu "Titel" sagt, hatte ich kurz zuvor hier angedeutet: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1615#48935
("Rolle"). Ob es einen gemeinsamen Nenner gibt, der alle Fälle von Artikelgebrauch und -nichtgebrauch erklärt? (Ich denke an so etwas wie den Begriff "Ignorativ", der plötzlich Licht auf scheinbar getrennte Phänomene geworfen hat.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.04.2022 um 00.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#48945

Die Hauptursache für den nur attributiven Gebrauch von Ordinalzahlen ist m. E. die von Herrn Panchenko schon angedeutete generelle Ähnlichkeit der Zahlwortendung -[s]te mit der Superlativendung -[s]te (ggf. zusätzlich noch flektiert). Das s entfällt jeweils nicht genau auf die gleiche Weise, aber insgesamt ist die Bildung doch sehr ähnlich. Der Superlativ (nicht der mit am) wird ja auch nur attributiv gebraucht.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 16.04.2022 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#48944

Dafür betrifft der Gebrauch ohne Artikel einen anderen Gesichtspunkt (Verwendung als „Titel“ oder wie auch immer man es nennen mag), hingegen würde ich den prädikativen Gebrauch eines unflektierten Adjektivs mit dem Gebrauch eines Substantivs mit unbestimmtem Artikel vergleichen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2022 um 15.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#48943

Aber er war Zweiter/Letzter verzichtet auch auf die grammatische Markierung der Einzigkeit durch den bestimmten Artikel, überläßt sie vielmehr dem lexematischen Gehalt (weil nur einer der Zweite bzw. Letzte sein kann). Das wäre in er war zweit ebenso enthalten, so daß ich immer noch nicht ganz durchblicke.
 
 

Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 16.04.2022 um 12.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#48942

Zur in #36493 aufgeworfenen Frage, warum Ordinalia nur attributiv gebraucht werden: Ich würde es mit der Einzigartigkeit erklären, es wird ja ein ganz bestimmtes Objekt herausgepickt. Anstelle von Biden ist EIN Präsident der USA sagt man Biden ist der Präsident der USA (oder auch Biden ist Präsident der USA), auf ähnliche Weise sagt man nicht Er ist zweit, sondern Er ist der Zweite oder Er ist Zweiter, außerdem der Größte oder am größten statt einfach größt, der einzige statt (Bedeutungsunterschied!) einzig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.10.2017 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#36493

Die Ordinalia werfen ein Rechtschreibproblem auf, aber nicht nur das. Die Zahladjektive können offenbar nur attributiv gebraucht werden: der zweite Spieler, aber nicht *der Spieler war zweit.
Warum das so ist, habe ich bisher nicht herausgefunden.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach , verfaßt am 21.06.2017 um 00.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#35418

Das ist so wie die Meldung: "Die Polizei sucht den mutmaßlichen Täter."
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.06.2017 um 22.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#35417

Siehe auch Wikipedia: "Brandkatastrophe in der Lüneburger Heide" (im August 1975).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.06.2017 um 22.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#35416

Nach der Katastrophe auf der Nationalstraße N-236 mit mehreren Dutzend Toten sucht man in Portugal nach möglichen Ursachen
(SZ, 20.6.2017, S. 10)

Sucht man wirklich nach "möglichen" Ursachen, sozusagen nach allem möglichen? Meines Erachtens sucht man einzig und allein nach DER Ursache. Daß dabei mehrere Sachverhalte als Ursache in Betracht kommen, mag sein, aber nach ihnen sucht man doch nicht. Man will doch wissen, woran es gelegen hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2016 um 11.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#32847

Zu den störendsten Reformschreibungen gehört die obligatorische Großschreibung Verschiedenes, auch in eindeutig indefinitem Gebrauch: Mich stört Verschiedenes. Das bedeutet nach meinem Verständnis: "Mich stört etwas, was verschieden ist/wenn es verschieden ist." Das ist aber in der Regel nicht gemeint, sondern "einiges, mehreres". Die Neuregelung fällt hier ins tiefe 19. Jahrhundert zurück.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 22.01.2016 um 22.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#31415

Das ist auch bei Word 2013 und Word 2016 der Fall.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 22.01.2016 um 22.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#31414

Angeblich findet sich in Word 2010 unter Datei > Optionen > Dokumentprüfung die Option »Deutsch: Neue Rechtschreibung verwenden«, die deaktiviert werden kann. In früheren Versionen stand das unter Extras > Optionen > Rechtschreibung.
 
 

Kommentar von Jan Deichmohle, verfaßt am 22.01.2016 um 21.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#31412

Eine Frage habe ich, von der ich hoffe, daß sie hier hineinpaßt. Ich bemühe mich, Verlage meine Bücher in klassischer Rechtschreibung veröffentlichen zu lassen. Meist kann ich das zwar durchsetzen, doch werden die Texte nachbearbeitet. Dabei werden nach klassischen Regeln falsche Silbentrennungen automatisch eingefügt.
Eine Lösungsmöglichkeit wäre, von Hand alle möglichen Trennungen vorzugeben. Das ist mühsam und zeitraubend, hält von inhaltlicher Denkarbeit ab. Doch auch an diesen verborgenen Trennungen haben sich Leute beim Formatieren gestört. Selbst verwende ich Programme wie LibreOffice, kein Word.
Kann jemand einen Hinweis geben, wie der Verlag ohne Kosten und Aufwand mit Word Silbentrennungen nach klassischen Regeln automatisch vornehmen kann? Ich denke dabei auch an "s-t" Trennungen, die zu vermeiden sind, wenn eine "st" Ligatur in Fraktur stünde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2016 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#31405

Zum Haupteintrag: Bei alles Beliebige empfinde ich die verordnete Großschreibung als noch störender. Ich meine doch im allgemeinen nicht alles, was beliebig ist. (Diese Prädikativprobe ist ganz gut anwendbar.) Natürlich könnte ich mir eine "klassische Dämpfung" verordnen (s. "Dicke Texte") und einfach alles sagen. Aber Damit kann man alles Beliebige beweisen geht mir wirklich gegen den Strich, und es ärgert mich, daß die Reformer die elegante Kleinschreibung schlichtweg als falsch anzustreichen gebieten. Sprachkultur muß Raum für Feinheiten lassen.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 08.09.2007 um 17.53 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10140

Kern und Peripherie

Zum Raster der in der Beschreibung akzeptierten Wortarten meint Theodor Ickler: "Man könnte allenfalls mit Kern und Peripherie der Kategorien arbeiten, dann gäbe es im Kern Präpositionen mit Kasusrektion und in der Peripherie solche ohne."

Darauf scheint das Problem des Dudens und der Deformer hinsichtlich der Schreibung von Wörtern nach "Präpositionen" zu beruhen. Die leicht einfältige Argumentation geht dahin, daß ein Wort nach einem Element, das aussieht wie eine Präpostion, ein Nomen sein muß. Derselben Denkungsart sind bis heute nicht auszurottende Bezeichnungen wie "präpositionaler Infinitiv" etc. entsprungen. Gruppierungausdrücke wie zu dritt bzw. zu dreien müßten in einem solchen Fundus "präpositionale Ordinalia" (oder so) heißen. Am besten als Superlativ des Adverbs gut ist in solcher Sicht dann wohl ein "präpositionales Adverb" (oder so). In Sätzen wie Die Tür ist noch auf, aber Aldi ist schon zu werden sodann prädikative Präpositionen mit verlorengegangenem Nomen gesehen. Solches könnte man "freischwebende Präpositionen" oder "präpositionale Löcher" nennen.

Einfacher wäre es wahrscheinlich, in all diesen Fällen Homonyme / Homographen zu den gegebenen Präpositionen anzunehmen und sie entsprechend ihrer grammatischen (morphologischen, syntaktischen und semantischen) Leistung einzuordnen. Gibt man diesen sprachhistorisch zweifellos auf Präpositionen zurückgehenden Homonymen dieselben Namen wie ihren fernen Ahnen, löst macht jede halbwegs tragbare Definition dieser Wortklasse auf, ohne Ersatz zu leisten.
 
 

Kommentar von Daniel Sokera, verfaßt am 08.09.2007 um 11.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10128

Herr Strasser (#10121) hat recht. Der Irrtum liegt auf meiner Seite.
Hans Krieger stellt auf Seite 107 des genannten Buches heraus:

alles mögliche = vielerlei;
Alles Mögliche = alles, was nicht unmöglich ist.

So wird ein Schuh daraus ... ;-)
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 07.09.2007 um 22.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10121

Sorry, in 10120 wurde ich Opfer der doppelten Verneinumg.

Richtig sollte es heißen:
'Alles, was möglich ist' ist das selbe wie 'alles, was nicht unmöglich ist'.
Damit wäre 'alles Mögliche' gleich 'alles mögliche', was jedoch bedeutungsmäßig nicht zutreffend ist.
Alles mögliche bedeutet einfach: manches, verschiedenes, einiges, diverses, ...
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 07.09.2007 um 21.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10120

Der Definition von Hrn. Sokera kann ich mich nicht anschließen.

'Alles, was möglich ist' ist das exakte Gegenteil von 'alles, was nicht unmöglich ist'.
Damit wäre 'alles Mögliche' das Gegenteil von 'alles mögliche', was jedoch bedeutungsmäßig nicht zutreffend ist.
Alles mögliche bedeutet einfach: manches, verschiedenes, einiges, diverses, ...
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 07.09.2007 um 19.59 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10117

Horst Ludwig (888#10106) gibt Beispiele, die deutlich machen, wie die Partikel bis die Erstreckung kennzeichnet:

"Das Problem bei bis ist tatsächlich, daß Herrn Schattes Erstreckungskennzeichner als Objekte eben nur eigentlich Ausdrücke ohne Fallkennzeichen zuläßt: bis München, bis heute, bis nächsten Monat (wo der Akkusativ ein adverbialer Akkusativ ist), bis an das Grab, bis daß der Tod euch scheide.

In bis der Tod Euch scheide" liegt die unterordnende Konjunktion vor, die ebenfalls aus der Reduktion um den eigentlichen Subjunktor daß hervorgegangen ist.
Die Möglichkeit der Reduktion um die eigentliche Präposition auf bis hängt, wie Horst Ludwig feststellt, von der Fallkennzeichnung ab, s. bis zur Post, und nicht bis Post.
 
 

Kommentar von Daniel Sokera, verfaßt am 07.09.2007 um 17.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10116

Vielleicht ist folgende Definition hilfreich:

Alles Mögliche = alles, was möglich ist;
alles mögliche = alles, was nicht unmöglich ist.


Sie stammt, wenn ich mich recht erinnere, aus dem von Reiner Kunze et al. herausgegebenen Buch »Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt«, das 2003 im Oreos-Verlag erschienen ist.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 07.09.2007 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10113

Zu Herrn Ickler (#10071):
»Natürlich sollte meine "Übersetzung" nicht bedeuten, daß "alles mögliche" mit "alles" identisch wäre, sondern bloß das quasi Indefinite herausarbeiten.«

Auch ich halte, wie es schon Herr Künzer in seinen Beiträgen #10066 und #10067 angemerkt hat, die "Übersetzung" von "alles mögliche" mit "alles" für inhaltlich irreführend; "alles mögliche" steht m. E. für "mehr, als sich unter einen Oberbegriff bringen ließe". Darum geht es mir jetzt aber nicht, sondern mir fiel eine Konsequenz dessen auf: Es ist zwar im Tagebucheintrag entscheidend, daß "alles mögliche" indefinit, "alles Mögliche" dagegen absolut ist, jedoch ist dieser Unterschied bei dem, wie es jetzt dasteht, wegen der inhaltlich irreführenden "Übersetzung" von "alles mögliche" mit "alles" kaum wahrzunehmen – zumindest geht es mir so. Andererseits scheint es aber in dem Tagebucheintrag geradezu gewollt zu sein, daß man diesen "feinen Unterschied" nicht direkt vorgeführt bekommt, sondern ihn selber wahrnehmen muß. Dazu muß die "Übersetzung" kurz und prägnant sein. Mein Vorschlag: "diverses".
 
 

Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 07.09.2007 um 09.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10112

Die neue Groß- und Kleinschreibung wird sich nicht halten lassen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß ein so unzureichendes und undurchdachtes Regelwerk wie das gegenwärtige auf Dauer Bestand haben wird. Der Unterschied zwischen im allgemeinen und im Allgemeinen ist fundamental und kann über Sinn und Unsinn eines Satzes entscheiden; wie hier ausgeführt wurde, ist der zwischen alles mögliche und alles Mögliche sogar noch eklatanter. Der Sprachwissenschaft fällt die Verantwortung zu, hier auf Unzulänglichkeiten und Verschlechterungen des Status quo hinzuweisen. Daß der Widerstand seitens der Wissenschaft und der Presse so kleinlaut, jedenfalls nicht deutlich genug ausgefallen ist, erschüttert mich. Immerhin sind für mich damit zwei Berufsstände aus den Wolken gefallen und wenig sanft ins Tal geplumpst, deren Vertreter ich zuvor manchmal für so etwas wie Halbgötter gehalten hatte. Damit bewahrheitet sich für mich, daß andere auch nur so unter der Dusche stehen, wie Gott sie geschaffen hat.

Ich nehme mit Befriedigung zur Kenntnis, daß wenigstens die SOK ausdrücklich im übrigen, im folgenden, im allgemeinen, im voraus, im weiteren, im nachhinein, im besonderen, im grossen und ganzen empfiehlt. Eine etwas abseitige Frage hätte ich noch, weil ich auf den entsprechenden Seiten dazu nichts gefunden habe: Empfiehlt die SOK 15-jährig und der 15-Jährige, oder kehrt sie zu den richtigen Schreibweisen zurück?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2007 um 08.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10111

Hier ein aktuelles Beispiel, das die Nützlichkeit der bisherigen Unterscheidung zeigt:

„Sie haben keine Gesetze, die alles Mögliche grundsätzlich verbieten, sondern entscheiden jedes Mal neu von Fall zu Fall.“ (SZ 6.9.07 über englische Embryonenforschung)

Omne possibile oder quidquid?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.09.2007 um 05.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10109

Was die Verallgemeinerung des Dativs als Appositionskasus (sogar zum Nominativ, wie einige Beispiele zeigen) betrifft, so ist sie schon lange Gegenstand germanistischer Untersuchungen. Die Fälle sind Legion, ich habe einfach irgendwann aufgehört zu sammeln.

Ein Beispiel für Kasusrektion bei "bis" wäre die norddeutsche Wendung "bis die Tage!", - aber das ist natürlich nicht Standard.

Man darf nicht vergessen, daß "bis" selbst schon eine verdunkelte Zusammensetzung ist, die moderne Kombination "bis zu" wiederholt gewissermaßen die Entwicklung. (Dies zu eventuell auffindbaren früheren Belegen.)

Die Diskussion zeigt außerdem, daß unser Inventar von Wortarten ganz unzureichend ist. Man könnte allenfalls mit Kern und Peripherie der Kategorien arbeiten, dann gäbe es im Kern Präpositionen mit Kasusrektion und in der Peripherie solche ohne.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.09.2007 um 00.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10108

Wie Herr Ludwig anmerkt, gilt das Singular-Dativ-e männlicher und sächlicher Substantive als antiquiert und ist im Verschwinden. Bei Gebrauch von Präpositionen ohne den Artikel des Substantivs ist (wie schon immer bei weiblichen Substantiven) im Singular keine Unterscheidung zwischen Dativ und Akkusativ möglich. Auf Dauer wird als synthetische Fallkennzeichnung des Substantivs im Singular nur das Genitiv-s und -es überleben. Im Plural bleibt das Dativ-n, wenn das Substantiv nicht schon im Nominativ auf -n endet, und sind Genitiv und Akkusativ ohne Artikel nicht unterscheidbar, bei Pluralen auf Nominativ-n ohne Artikel überhaupt kein Fall.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 06.09.2007 um 22.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10106

Vielen Dank für Ihre klasse Liste, lieber Herr Prof. Ickler, der tatsächlich eine Tendenzbezeugung nicht abzusprechen ist, im Gegenteil. Mir war das Phänomen offenbar schon mal aufgefallen, aber wie sich an meinem einen (und einzigen) Beispiel mit Paul Breitner zeigte, liegt das doch etwas arg weit zurück. Falls ich nun nach dem System zu diesem interessanten Dativ beim doch "nachgestellten Attribut im gleichen Fall" gefragt werde, kann ich auf Ihre ganz imposanten "paar Beispiele" verweisen.

Das Problem bei "bis" ist tatsächlich, daß Herrn Schattes Erstreckungskennzeichner als Objekte eben nur eigentlich Ausdrücke ohne Fallkennzeichen zuläßt: bis München, bis heute, bis nächsten Monat (wo der Akkusativ ein adverbialer Akkusativ ist), bis an das Grab, bis daß der Tod euch scheide. Bei "bis der Tod Euch scheide" wäre aber die Grenze zur unterordnenden Konjunktion überschritten; doch wie schon angedeutet, halte ich diese Grenze nicht mal für so wichtig. Ich befrage nämlich diese zwei Arten Sprachteilchen einfach danach, was sie denn – wo sie doch offenbar vor etwas stehen (Prä-position) – so alles hinter sich im gleichen Ausdruck tolerieren. Denn man kommt in Teufels Küche, wenn man gleich damit anfängt, daß in einigen Situationen "Fälle regiert" werden, und dann also Präpositionen nur Präpositionen sind, wenn sie eindeutig ihre Fälle regieren, weshalb wir sie dann in Gruppen ganz schön auswendig lernen; und sie sind keine, wenn sie nicht in das System passen, das wir ihnen damit verpaßt haben.

Dann brauchen wir halt dazu noch auf einmal "Erstreckungskennzeichner" und Vergleichspartikeln und welche Bezeichnung wir sonst noch aufgrund der Bedeutung bei den von uns gesammelten Beispielen hinreichend genau formulieren können — als ob "mit" dann wiederum nicht auch ein "Zusammenhangskennzeichner" und "gegen" nicht auch eine Adversativpartikel wäre. Aber wegen der Terminologie will ich mich nicht streiten; ich sehe dagegen mit Interesse, daß nach "als" alle vier Fälle stehen können (und noch einiges mehr) und daß diese Fälle durch die Syntax bestimmt werden.

Dagegen "regiert 'wegen'" mindestens zwei Fälle (wegen mir kann er doch kommen, wegen des Geldes darf er mir aber nicht kommen), wobei ich allerdings auch bemerke, daß in "wegen Geld darf er mir aber nicht kommen" kein Genitiv-"s" verwendet wird und die durchaus heute noch mögliche Dativform mit "e" (wegen dem Gelde) hier nur Kopfschütteln hervorriefe: *wegen Gelde darf er mir aber nicht kommen. Ein Dativ kann "Geld" hier also auch nicht so recht sein. Leute haben deshalb vermutet, daß dieses "Geld" eine Akkusativform ist. Na, was man zur Rektion der Präpositionen nicht alles sagen kann!

Ceterum censeo, ich brauche weiterhin Zeit und Geld fürs Sprachenstudium, dem mir nach wie vor so geliebten. So würde ich z. B. gern wissen, ob nicht in einem geschichtlich weit zurückliegenden Deutsch Ortsnamen nach "bis" noch Fallzeichen hatten, so daß man sehen könnte, welchen Fall diese Präposition damals regierte? Vielleicht wäre derart noch ein annehmbar "eindeutiger Fall von Kasusrektion für 'bis'" aufzutreiben.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.09.2007 um 10.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10100

In welchem Fall die Apposition zu stehen hat, ersieht man ganz klar, wenn man sie durch den Relativsatz ersetzt, für den sie steht: Dessen Relativpronomen bestimmt den Fall der Apposition.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.09.2007 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10099

Zum Dativ als Appositionskasus: es ist eine Tendenz, aber unverkennbar. Ich bringe ein paar Beispiele aus meiner Sammlung


1. mit "als"

(...) setzt sich der Drang zum Zweiparteiensystem in den Länderparlamenten fort, ergänzt durch die Grünen als dem unliebsamen Appendix der Großparteien. (Zeit 5.8.83:1)

(...) eine bescheidene Überzeugung, die sich auf die Abstraktion als einzig verfügbarem Mitel verläßt, die beschränkten Verstandeskräfte zu erweitern. (Friedrich A. von Hayek in Ordo 18, 1967:12)

Ein Autor (...) muß sich auf seinen Lektor als der letzten korrigierenden Instanz vor Publikum und Kritik verlassen können. (FAZ 28.11.83:24)

Daher entschieden wir uns für das Interview als der wesentlichen Methode (...) (Clahsen/Meisel/Pienemann: Deutsch als Zweitsprache. Tübingen 1983:60)

Sozialgeschichtliche Interpretation als einer umgreifenden Interpretation hätte zu zeigen, wie alle diese Faktoren in die Bilderwelt eingegangen sind. (Helmut Brackert in Ders./Jörn Stückrath: (Hg.) Literaturwissenschaft I, 1989:133)

Der schönste Beleg für die Kultur als einem offenen Prozeß ist Marx' "historische Nachrede" auf "Bruno Bauer und Konsorten". (FAZ 20.11.84:Beilage)

Sie wendeten sich, den Schöpfer anbetend, gegen die aufgehende Sonne, als der auffallend herrlichsten Erscheinung. (Goethe: Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Divans. Frankfurt:136)

Sie plädierte dennoch für die Fortsetzung der seit neunzehn Jahren gepflegten Kontakte zu den sowjetischen Gewerkschaften als einem "Stück Normalität" und als Gelegenheit, den eigenen Standpunkt gerade in strittigen Punkten zu erläutern. (FAZ 12.7.83:2)

Der Volksschule geht es heute auch um "Intellektualisierung" als der Überwindung der Barriere volkstümlicher Welterklärung. (Peter Struck: Die Hauptschule. Stuttgart 1979:23)

Unter diesen Regeln kann es keine geben, die sich auf den Überzeugungserfolg als der möglichen Wirkung eines Persuasiven Sprechaktes beziehen. (Josef Kopperschmidt: Rheotirk 83)

In beiden Fällen werden Kategorien als dem Ergebnis der Operation der In-Beziehung-Setzung von Objekten und Ereignissen gebildet. (Hannelore Grimm: Psychologie der Sprachentwicklung. Bd. 2. Stuttgart:28)

Das Modell der Wahrnehmung als eher konstruktivem als rezeptivem (oder bloß analytischem) Akt geht zurück auf William James. (Klaus Müller: Rahmenanalyse des Dialogs. Tübingen 1984:14)

(...) kommt nur noch die Umstellung der Wortstellung als alleinigem oder zusätzlichem Mittel zur Markierung der Subordination in Frage. (Kurt Braunmüller in: Kontroversen - alte und neue. Bd. 3. Tübingen 1986:310)

Der Mensch bedarf deshalb mythischer Sinnbezüge als den, wie J. Pieper definiert, "gestalthaften Konzeptionen letzter Grundstrukturen unseres Daseins". (Theo Elm/Hans H. Hiebel (Hg.): Medien und Maschinen. Freiburg 1991:37)

(...) die Rechtfertigung der neuen Methode als einem Kernstück literaturwissenschaftlicher Forschung (...) (Walter Müller-Seidel in: Geisteswissenschaften als Aufgabe. Berlin, New York 1978:140)

(...) die Überwachung Brechts als potentiell gefährlichem, kommunistischem Politiker und Drahtzieher einer Exilbewegung (...) (Zeit 8.6.79)

In diesem Sinne meint er eher "Erwartungshaltung" als einem Produkt kommunikativer, sozialer Vorerfahrung." (Linguistik und Didaktik 42, 1980:129)

Da aber Bedeutung auch ein untrennbarer Bestandteil des Wortes als solchem ist (...) (Harro Stammerjohann (Hg.): Handbuch der Linguistik. München:414)

(das Postulat), eine allgemeine Wissenschaft von den Zeichen (mit dem Teilgebiet Linguistik für die Sprache als reichhaltigstem Zeichensystem) zu schaffen (Karl Stocker (Hg.): Taschenlexikon der Sprach- und Literaturwissenschaft:434)

Die Fixierung auf die Satzeinheit als der obersten linguistischen Bezugseinheit (Klaus Brinker in: Sprache der Gegenwart 30:11, Überschrift)

Mit der Einstellung Thomas Beckermanns als verantwortlichem literarischen Lektor hat S. Fischer einen Anfang gemacht. (FAZ 29.3.78:25)

(Aussicht), über das Berufsschuljahr als einem Gelenk (...) (Peter Struck: Die Hauptschule. Stuttgart 1979:35)

Bei dem diesjährigen Weltpfadfindertreffen in Kananaski Country in Kanada haben zwanzig Teilnehmer aus Taiwan aus Protest gegen die kanadische Anerkennung der Volksrepublik China als einzigem chinesischem Staat ihre Teilnahme abgesagt. (FAZ 7.7.83:7)

Als Hauptgegner sieht Hegenbarth die Hermeneutik als führender Methode der herrschenden Auslegungslehre. (Friedrich Müller (Hg.): Untersuchungen zur Rechtslinguistik. Berlin 1989:115)

Gadamer wendet die Einsicht in die Vorurteilsstruktur des Verstehens zu einer Rehabilitierung des Vorurteils als solchem um. (Jürgen Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften. Materialien. Frankfurt 1971)

Die parlamentarische Kontrolle erstreckt sich in erster Linie auf die Tätigkeit der Kommission als ausführendem Organ der EG. (Thomaus Laufer: Die Europäische Gemeinschaft. Bonn 1989:35)

Anhand dieses Schemas als dem der eigentlich regelmäßig gebildeten Tempusformen (...) (Peter Eisenberg: Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart 1986:112)

Ingrid Olbricht singt das Hohelied des Busens als dem Spender des Lebens, der Brücke zum anderen, dem Organ der Verschmelzung. (FAZ 14.12.85:26)

Gericht wie Staatsanwaltschaft reichte diese Darlegung als der geforderten Ehrenerklärung aus. (FAZ 7.10.92:4)

Verben, welche sich auf den Vorgang der Produktion eines Gesetzes als ganzem Text beziehen (die "Textfunktion" sollte sich ja auf die Funktion eines Textes "als Ganzem" beziehen)... (Dietrich Busse. Recht als Text. Tübingen 1992:99)

Die Provokation durch Handschriften als eigentlicher Entstehungsbedingung der Graphologie hat immer etwas Verführerisches gehabt. (Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. 13. München 1981:100)

Sein besonderes Interesse richtete sich auf das menschliche "Ich" als dem Geist im Menschen. (Christoph Lindenberg: Rudolf Steiner. Reinbek 1992:19)

Die Linearstruktur des Satzes als nächstem zu behandelnden Modul ist insgesamt völlig anders zu beurteilen. (Hans Werner Eroms: Syntax der deutschen Sprache. Berlin 1999:6)

die Streichung des 3. Oktober als arbeitsfreiem Nationalfeiertag (NN 6.11.04)


2. ohne "als"

Eine Conditionierungstheorie der Bedeutung bildet auch die Basis für einen Versuch zur Klärung eines anderen Problems, dem der Zweisprachigkeit. (Hans Hörmann: Psychologie der Sprache. Heidelberg, Berlin 1977:117)

Für seine eigenen Briefe, der ersten Publikation eines umfangreichen Briefwechsels aus dem Universitätsleben der Jahre zwischen 1950 und 1970, scheint er das Genre einer Gelehrtenkorrespondenz gewählt zu haben. (FAZ 19.3.94:Beilage)

Sarrasine stirbt durch die verlängerte Hand eines Kardinals, dem Gönner des Sängers. (Zeit 2.8.85:34)

Jetzt haben sich Show-Profis aus aller Welt für dieses Haus, dem zweitgrößten Theater der Stadt, ernsthaft interessiert. (SZ 5.5.87:37)

So liegen die Kosten des medizinischen Bedarfs - den wichtigsten im Sachkostenbereich - in Herdecke um rd. 18 DM unter den Kosten vergleichbarer Krankenhäuser. (Parlament 14.3.87:5)

Das Pokerspiel um die Löhne für 3,6 Millionen Metallarbeiter, dem wichtigsten Tarifabschluß in der deutschen Wirtschaft (...) Zeit 3.3.78:15)

Krämpfe können bei Anwendung des Hemmstoffs des IPSP, dem Strychnin, einem lange bekannten Gift und Alkaloid aus dem indischen "Brechnuß"-Baum (Strychnos nux-vomice) tatsächlich beobachtet werden. (Rainer Sinz: Neurobiologie und Gedächtnis. Heidelberg 1979:61)

Eines der klapprigen Uralttaxis aus den frühen fünfziger Jahren, einem letzten kuriosen Überbleibsel der Privatwirtschaft, brachte mich ins alte Zentrum der Stadt. (SZ 16.2.80:106)

Zu gleicher Zeit arbeitete Bach an der Vollendung eines anderen Werks, den 15 zwei- und dreistimmigen Inventionen und Sinfonien. (Hermann Keller: Das Wohltemperierte Klavier von J. S. Bach. Kassel 1965:15)

Durch die Arbeit, einem unmittelbaren Bestandteil der Lebensweise, nehmen Menschen Einfluß (...) (Aus Politik und Zeitgeschichte 21.4.84:22)

Neben das Bemühen um die Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit und seiner direkten Folge, dem Zweiten Weltkrieg, sind inzwischen auch andere Akzentsetzungen getreten. (Aus Politik und Zeitgeschichte 13.8.83:40)

Und gläubig sind die Mohammedaner Pakistans, dem drittgrößten islamischen Staat der Erde. (Zeit 2.9.83:13)

Das einzelne Wort ist also der Schnittpunkt der Sprachmagie oder, weniger magisch gesagt, der sprachlichen Suggestion, und der Struktur, dem Gewebe sinnvoller Beziehungen. (Martin Lehnert: Struktur und Sprachmagie. Stuttgart 1966:7)

Bemerkenswert daran ist die Tatsache, daß es sich um keinen Geringeren als Paul Schnitker, dem Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, handelt. (SZ 15.7.83:15)

Dazu gehört auch die Unterdrückung der Interferonbildung, dem zelleigenen Schutzstoff gegen Viren. (FAZ 29.9.78)

Der Untergang des Frachters "München" im Dezember 1979, einem der modernsten deutschen Schiffe (...) (Zeit 6.2.81:64)

Die Marktwirtschaft funktioniert auf der Basis des individuellen Egoismus, einem wesentlichen Charakterzuig des Menschen schlechthin. (SZ 5.10.91:33)

Die Entstehung der späteren vorderasiatischen Großreiche, wie dem der Hethiter, ist ohne Schrift undenkbar. (Friedhart Klix: Erwachendes Denken. Berlin 1980:186)

(...) wenn er einer Onyx-Antilope ansichtig würde, dem edelsten, aber nahezu ausgerotteten Wild Arabiens. (FAZ 1.6.85:Beilage)

Der aussichtsreichste Konkurrent eines industriellen Produkts wie dem "Hamburger" ist die Pizza. (FAZ 15.7.80:23)

Und er konnte sich eine abfällige Bemerkung über Stephan Hermlin nicht verkneifen, dem Initiator der "Berliner Begegnung", einem Treffen von Schriftstellern aus Ost und West in Sachen Frieden. (Zeit 23.9.83:20)

In kohärenten Texten kreuzen sich hier zwei Verständnisebenen: der von Sprecher-Hörer und der von Textemittent und -rezipient. (Hans-Werner Eroms: Funktionale Satzperspektive. Tübingen 1986:65)

Zu hohe Netznutzungsentgelte, dem größten Kostenblock des Strompreises, vermutet das Kartellamt bei mehreren Verbundunternehmen. (FAZ 16.7.02)
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 05.09.2007 um 23.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10098

Präposition ohne Anführungsstriche (Zu #10094, #10093)
Nun ja, ich akzeptiere Prof. Icklers Argument. So kann man es auch sehen. Es ist aber nicht zu leugnen, daß die Appositionen hier eben im Dativ stehen! Und wieweit "der Dativ sich [...] zum verallgemeinerten Appositionskasus entwickelt hat", das ist zu Recht so bekannt nun wieder auch nicht: "spielte ohne Breitner, dem besten deutschen Verteidiger" gibt es zwar, aber "wir werben eben auch für München, die Hauptstadt Bayerns" - und zwar nur! Und wenn man "gegen Breitner, den besten deutschen Verteidiger, spielt", geht auch geradezu nichts mit einem Dativ. Prof. Schattes Argument akzeptiere ich jedoch gar nicht, denn ich weiß nicht, in welche Partikelart deutsche "Erstreckungskennzeichner" einzuordnen wären, und das mit dem "Aussparen" ist für mich nicht überzeugend. Wir haben nämlich jetzt so oft präpositionale Ausdrücke, wo früher Fälle gang und gäbe waren. So ist "das Geld von diesem Mann" dem "Geld dieses Mannes" schon fast sein Tod geworden. Daß unter solchen Umständen eine Präposition "ausgespart" ist, aber die Rektion eines Falles hinterlassen hat oder bewirkt (wie auch immer), nehme ich mit meiner Argumentation also nicht an. Echt an dieser Frage Interessierte könnten auch mal bei Reinhard Rapp (www.fask.uni-mainz.de/user/rapp/rapp.html) vorbeischauen (www.fask.uni-mainz.de/user/rapp/papers/disshtml/main/node324.html) und sehen, wo der "bis" einordnet und was er überhaupt unter Partikeln einordnet. Ich sehe übrigens den Unterschied zwischen einer Präposition und einer unterordnenden Konjunktion nur darin, daß letztere vor einem Ausdruck mit einer kleingeschriebenen Verbform steht (englisch: after he [had] changed his style; deutsch: Doch vor es Nacht wird, ... [Brecht]; ohne groß zu protestieren), während erstere vor Ausdrücken meist mit Fällen steht ("noun phrases" [after him, vor einer Stunde, vor ihn treten]), — wobei aber eben auch Adverbien und adverbiale Ausdrücke (die ja keine Fälle anzeigen können, aber auch keine "Sätze" mit Verben sind) Objekte von Präpositionen sein können: ab heute, bis nächsten Mittwoch, außer sonntags, ja sogar "das ist der Beton für unters Fenster" (denn ich schreibe ja keinem, der Deutsch als Muttersprache spricht, vor, welche Struktur, die ihm ganz natürlich kommt, er verwenden darf oder nicht, — und schon gar nicht meinem Polier, unter dem ich mir als Hilfsarbeiter Geld fürs Sprachenstudium, das hochinteressante, verdiene).

 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.09.2007 um 23.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10097

Ich habe eigentlich das Wörtchen bis bis jetzt auch immer für eine Präposition gehalten, deshalb fand ich diese drei Beiträge darüber sehr lehrreich.

Besonders schön und interessant ist auch Herrn Schattes Formulierung "ganz ohne weggelassene Präposition". Da sieht man mal, daß sich auch im Hochdeutschen zwei Negationen nicht unbedingt aufheben müssen.

Das erinnert mich an einen alten DDR-Witz, den ich aber leider nur noch sinngemäß nacherzählen kann:
Jemand wollte Gurken kaufen und ging anstatt zum Gemüsehändler versehentlich in die benachbarte Bäckerei.
Auf die Frage, ob es denn keine Gurken gäbe, antwortete der Verkäufer, nein, wir haben hier keine Brötchen. Keine Gurken gibt es nebenan.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 05.09.2007 um 18.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10096

Germanist (888#10074) hat die analytische Kontradiktion Ein Mal ist kein Mal gefunden, die sich der Dummschreibung von Einmal ist keinmal "aus der Sammlung dummer Sprüche" verdankt. Dummheiten sind also – zumindest per Schreibung – steigerbar: Dümmer geht´s nimmer.

Zu fragen bleibt nur noch, ob die Deformer alle mit dem Suffixoid -mal abgeleiteten Adverbien liquidiert haben oder – höchst selektiv – nur einige von ihnen, z.B. die weniger braven. Aber sicher wird auch für diese Schizophrenie eine "Regel" formuliert, und einige Märchen der Brüder Grimm müssen nun "Es war ein Mal ..." anheben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2007 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10094

Lieber Herr Köster, ich antworte hier auf Ihre Frage im Diskussionsforum (das ich icklerfrei halten will): Wenn Sie meinen Kritischen Kommentar genauer anschauen, werden Sie feststellen, daß ein Teil der Asterisken in Zitaten vorkommt. Bekanntlich benutzt das amtliche Wörterverzeichnis von 1996 die Sternchen anders als üblich und kennzeichnet damit Neuschreibungen.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 05.09.2007 um 17.17 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10093

Die "Präposition" bis

Es ist anders als Horst Ludwig annimmt (888#10081), was sich an den gegebenen Beispielen zeigen läßt:

"Wir kamen bis Berlin, dem (!) Zentrum dieser Aktivitäten, und blieben dann bis Dienstag, dem (!) ersten Tag nach dem Pfingstwochende."

In dieser Äußerung sind die Präpositionen nach der Partikel bis ausgespart, was bis aber nicht aus seiner Wortklasse (desertieren) läßt:

Wir kamen bis nach Berlin, dem(!) Zentrum dieser Aktivitäten, und blieben dann bis zum Dienstag, dem(!) ersten Tag nach dem Pfingstwochende.

Andere Sprachen haben spezifische Präpositionen für die Kennzeichnung zeitlicher, räumlicher oder gradueller Erstreckung. Das Deutsche behilft sich mit bis, um die gegebene Präposition zu spezifizieren. In manchen Fällen darf die Partikel dann die weggelassene Präposition vertreten. Der casus rectus bleibt erhalten, wenn auch ganz ohne Regierung.
Aber:
zur Post vs. bis zur Post
poln.:
na pocztę vs. do poczty
Bis zur Post kann Polen zum Germanismus aż do poczty verleiten, dem im Deutschen jedoch gar bis zur Post entspricht.

Bis erscheint als Erstreckungskennzeichner nicht nur bei Nomina wie in Das Wasser stand uns (zur) bis Oberkante (der) Unterlippe, sondern ganz ohne weggelassene Präposition auch bei Adverbien (bis morgen, bis letztens, bis oben(hin) usw.).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2007 um 17.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10092

Die Apposition, lieber Herr Ludwig ("bis Dienstag, dem nächsten Tag"), ist nicht beweiskräftig, weil der Dativ sich bekanntlich zum verallgemeinerten Appositionskasus entwickelt hat, der die Kongruenzregeln überspielt. Mir ist nach wie vor kein eindeutiger Fall von Kasusrektion für "bis" bekannt.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.09.2007 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10075

Das ist durchaus Absicht: Wenn man in die Stadt kommt, soll man nicht alles mögliche kaufen, sondern alles Mögliche (nämlich alles, was das Konto zuläßt). Für diese Großschreibung haben die Lobbyisten des Einzelhandels schwer gekämpft.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.09.2007 um 10.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10074

Ein Mal ist kein Mal? (aus der Sammlung dummer Sprüche, früher "einmal ist keinmal")
 
 

Kommentar von stern.de, verfaßt am 04.09.2007 um 00.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10073

Nichts ist unmöglich:

"Mit seinem Ferrari drückt Fußball-Manager Günter Netzer gerne Mal aufs Gas."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2007 um 20.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10071

Natürlich sollte meine "Übersetzung" nicht bedeuten, daß "alles mögliche" mit "alles" identisch wäre, sondern bloß das quasi Indefinite herausarbeiten. Herr Künzer trifft es m. E. sehr gut.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 03.09.2007 um 19.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10070

Sätze wie: 'Man diskutierte über alles mögliche', oder: 'Er fuhr in die Stadt, um alles mögliche zu besorgen', geraten mit der Substantivierungsvorschrift automatisch zur Satire.

Die Agenturen scheinen sich dieser Art von Zwangssubstantivierung allerdings widerstandslos anzuschließen.

Und im Regelwerk steht's auch schon seit 1998.

Da soll noch einer sagen, mit der RSR kehre Beliebigkeit ein, man könne jetzt schreiben, wie man will...
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 03.09.2007 um 19.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10068

Fisimatenten?

Von der Polizei etwa erwartet man mitnichten, daß sie im Rundumschlag alles mögliche tut, um z.B. eine Gefahr abzuwehren. Erwartet wird von der Behörde, daß sie alles (ihr) Mögliche dafür tut.

Das Syntagma alles mögliche wird eher nicht als Pleonasmus auf alles reduziert, sondern als Gegenstück zum Realitätsnäheren eher als der Kosmos (oder das Chaos) der Dinge und Sachverhalte verstanden, i.S.v. `alles Gegebene und Denkbare´.

Dieselbe Differenz(ierungsmöglichkeit) besteht / bestand mit irgendetwas und irgend etwas, die andere Sprachen sich nicht nehmen lassen.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 03.09.2007 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10067

PS, apropos bloße Feinheit – der Unterschied kann sogar justitiabel sein: "Der herbeigerufene Arzt hat zwar alles mögliche versucht, es jedoch fahrlässig unterlassen, tatsächlich alles Mögliche zu unternehmen, das Leben zu retten."
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 03.09.2007 um 17.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=888#10066

"Alles mögliche" hätte ich nicht mit "alles" übersetzt, sondern vielleicht mit "jede Menge verschiedenes": "Um die Tür aufzubekommen, hat er alles mögliche versucht" – d.h. z.B. Schlüssel, Fußtritt, Stemmeisen. Was aber nicht heißen muß, daß er alles (also alles Mögliche) versucht hat – zum Beispiel hat er vielleicht keinen Schlüsseldienst angerufen.
 
 

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