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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.06.2005
 

Geschäftliches

Warum befürwortet der Duden die Reform?
Dudenredakteur Scholze-Stubenrecht legt dar, „warum der Duden die Rechtschreibreform befürwortet“ (Eroms/Munske 1997, S. 205-208). Jeder weiß, warum der Duden die Rechtschreibreform befürwortet: weil der Verlag entschieden hat, daß der Duden Marktführer bleiben sollte und sich daher dem staatlichen Unternehmen nicht in den Weg stellen durfte. Deshalb hatte schon der frühere Dudenchef Drosdowski nur halbherzig Widerstand geleistet, obwohl er, wie private Äußerungen beweisen, den Humbug ganz genau durchschaute – selbstverständlich! Alles, was Scholz-Stubenrecht oder Drosdowskis Nachfolger Wermke später zugunsten der Reform anführen sollten, war nur Vorwand und Ablenkung. Die Reform, so der Redakteur, habe Erleichterungen und Vereinfachungen für die Schreibenden und Lernenden erreicht, „ohne das Lesen signifikant zu erschweren“ (S. 206). Die Leserinnen und Leser der „Woche“ könnten „die Texte dieser Zeitung wie gewohnt ohne Probleme rezipieren“, und damit entspreche „die Neuregelung den Grundanforderungen der schriftlichen Kommunikation“ (S. 205f.). Nun, das sind sehr bescheidene Anforderungen, und an die Erleichterungen und Vereinfachungen glaubt Scholze-Stubenrecht natürlich selbst nicht.
Zu den Kosten sagt er, sie hielten sich in Grenzen. „Der schulische Mehraufwand sollte sich durch die Erleichterung des künftigen Rechtschreibunterrichts am schnellsten amortisieren.“ Das ist wieder die Fabel von den eingesparten Unterrichtsstunden. Leo Weisgerber, der Großvater der Rechtschreibreform, sah 200 Millionen Kinderstunden pro Jahr allein durch die Groß- und Kleinschreibung vergeudet (Weisgerber 1964, S. 101); der Schulbuchverleger Frohmut Menze wollte in zehn Jahren gar elf Milliarden Mark einsparen, und zwar durch den Wegfall von 1.250.000.000 Unterrichtsstunden aufgrund vereinfachter Regeln. In Wirklichkeit ist als Folge der Reform der Rechtschreibunterricht zunächst intensiviert worden wie noch nie, und das führten die Kultusbeamten sogar als besonderen Vorzug an. Ungefähr mit dem Jahre 2004 brach jedoch der Rechtschreibunterricht weitgehend zusammen, immer mehr Lehrer erklärten sich angesichts der Verwirrung außerstande, überhaupt noch Orthographie jenseits elementarschulischer Grundregeln zu vermitteln.
Plausibler klingt es schon, wenn Scholze-Stubenrecht fortfährt: „Die Verlage können darauf hoffen, dass neues Kaufinteresse ihre Investitionen deckt.“ In den ersten beiden Jahren erfüllten sich diese Hoffnungen, aber das schlechte Ansehen, das die Reform mehr und mehr auf sich zog und das der Redakteur heftig beklagt, ruinierte in der Folgezeit das Wörterbuchgeschäft, nicht nur im Rechtschreibbereich.
Das Gabler Management Institut kündigte seinerzeit ganztägige „Original Duden-Seminare“ an, zu 525 DM pro Teilnehmer in 16 dt. Großstädten. (Mitteilungen W. Manekeller August 1998) Erstaunlich, wie schwer und teuer es sein muß, die "Erleichterungen" zu verstehen! Ein Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission, dessen Name mir bekannt ist, half dem Gerling-Versicherungskonzern, sich auf die Neuregelung umzustellen, mit deren Revision der Mann damals schon beschäftigt war. Eigentlich müßte er Schadensersatz leisten. Alles, was damals ausgegeben wurde, ist verloren und vergeudet, denn die teuer vermittelten Kenntnisse sind inzwischen vollkommen wertlos geworden, sogar schädlich, weil sie auch die Kenntnis der bewährten Rechtschreibung vermindert haben. Auch die BASF wurde von Kommissionsmitgliedern beraten.



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Kommentare zu »Geschäftliches«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.04.2013 um 16.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=141#23064

Wolfgang Manekeller, der in meinem Eintrag erwähnt ist, hat 2006 ein kleines Buch herausgebracht: "In keinster Weise vergleichbar". Wie man schon vermuten kann, handelt es von den gängigen Sprachschnitzern.
Manekeller hat unzähligen Menschen bei der Geschäftskorrespondenz und Bürokommunikation geholfen. In seinem Werk "Stilistik der Geschäftskorrespondenz" (1998) verhielt er sich noch abwartend zur Rechtschreibreform. Er weiß, daß die Reform nichts taugt. Es ist aber verständlich, daß diese Ratgeberliteratur dann eben doch die Reformschreibung zugrunde legen muß, ganz wie es die Reformer berechnet hatten.
In dem neueren Büchlein schreibt er:
"Es kommt zwar manchen Leuten blöd vor, etwas von 'Jährigen' zu lesen, die es nirgendwo gibt; aber wenn man sich nun mal für die neue Rechtschreibung entschieden hat, dann sollte man ihre Regeln auch befolgen." (S. 34)
In kleinem Maßstab sieht man hier, wie die Reform durchaus an die Existenz geht. Entweder man heult mit den Wölfen, oder man gibt alles auf. Man kann sich ausmalen, wie es in den Redaktionen, Lektoraten, Amtsstuben zugegangen ist. Und so haben wir eben das miese Ergebnis, das keiner gewollt, aber jeder gefördert hat.
 
 

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