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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.08.2010
 

Sprachfunktionen
Wenig beachtet, weil allzu vertraut?

Wenn wir etwas Kniffliges tun, schieben wir nicht nur die Zunge in den Mundwinkel, sondern begleiten unser Handeln auch mit charakteristischen Kommentaren, z. B. "so" ("there!"), wenn es nach Wunsch geht, und "hoppla" ("whoops!"), wenn ein Versehen unterläuft.
Damit signalisieren wir zugleich einem Beobachter, z. B. einem Kind, den Unterschied zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Verhalten. Das Kind ahmt dann nur ersteres nach, weil es merkt, daß das Versehentliche nur so unterläuft.
Dies ist unter anderem von Tomasello und Carpenter beobachtet worden.
Ich möchte noch hinzufügen: Wenn man einem Kind ein Hemd oder einen Pulli über den Kopf zieht, so ist das – mancher erinnert sich vielleicht noch – ziemlich unangenehm, ja beängstigend. Man sagt dann so etwas wie "hutut" (in einer mir sehr genau bekannten Familie), so daß das Kind weiß, es passiert nichts Schlimmes, und ein Versehen ist es auch nicht.

Außerdem sind noch die sprachbegleiteten Spiele zu bedenken: Guck-guck und die Kniereiterspiele (Hoppe hoppe Reiter, So fahren die Damen usw.).

Solche Funktionen der Sprache werden wenig beachtet, sind aber wahrscheinlich sehr alt und universell.

(Für ähnliche Beobachtungen wäre ich dankbar.)



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Kommentare zu »Sprachfunktionen«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2022 um 04.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#49008

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#38358 usw. noch ein Zufallsfund:

„Among the hundred thousand mysterious influences which a man exercises over a woman who loves him, I doubt if there is any more irresistible to her than the influence of his voice.“ (Wilkie Collins: The Law and the Lady)

„Women can resist a man’s love, a man’s fame, a man’s personal appearance, and a man’s money, but they cannot resist a man’s tongue when he knows how to talk to them.“ (Wilkie Collins: Woman in White)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.01.2022 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#48104

Geolino brachte kürzlich einen neuen Merkspruch:

"Alle ehemaligen Kanzler bringen samstags knusprige Semmeln mit."
Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel


Er ist vom selben Typ wie die Aufzählung der Planeten oder die Mediziner-Merksprüche zu Hirnnerven oder Handwurzelknochen. Man kann daran auch sehen, wie die jüngste Geschichte für den Nachwuchs zum Lernstoff wird, während sie uns Älteren noch in Erinnerung ist und keiner Eselsbrücke bedarf. Endstation sind Daten, die gar keinen Bezug zum Leben des Lernenden mehr haben wie die berühmte Keilerei bei Issos oder Sieben, fünf, drei – Rom schlüpft aus dem Ei. Geschichtsdaten kann man nur selten durch Einsicht rekonstruieren, man lernt sie auswendig oder schlägt sie im Ploetz nach. (Einsicht umfaßt hier auch unser Wissen vom tatsächlichen Zusammenhang der Ereignisse, sei es nun richtig oder nicht. Wer sich eingehend mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt, braucht sich das Jahr von Stalingrad oder von Jalta nicht zu "merken".)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2021 um 05.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#45569

Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört, daß meine Großmutter zusammen mit meiner Mutter und mir (von einer Wahrsagerin?) "auspendeln" ließ, ob ihr im Krieg verschollener jüngster Sohn noch lebte. Dabei wurde ein Ring an einem Faden gehalten; die unbewußten Bewegungen der Hand schaukelten die Pendelbewegung auf.

Da meine Großmutter starb, als ich fünf war, ist das nun schon über 70 Jahre her. (Mein Onkel kam tatsächlich, gesundheitlich ruiniert, aus Workuta zurück, ein Jahr nach dem Tod seiner Mutter.)

Viele Menschen waren damals verzweifelt und griffen nach jedem Strohhalm. Dafür habe ich viel Verständnis, nicht aber für die heutigen Wohlstandsbürger mit ihren gehässigen Verschwörungstheorien. Das ist zwar auch traurig, aber aus ganz anderen Gründen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.03.2021 um 07.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#45398

Ein Frosch nimmt nur bewegte Objekte von fliegenähnlicher Art wahr, und wir wissen einigermaßen, wie das physiologisch zugeht (Lettvin/Maturana/McCulloch/Pitts (1959): „What the Frog’s Eye Tells the Frog’s Brain“).

Im Anschluß an ein Beispiel Skinners habe ich schon dargestellt, daß es auf Reize wie die rote Farbe keine Reaktion gibt außer eben dem Aussprechen des Wortes rot. Umgekehrt kann man durch Wörter auf Reize (Gegenstände, Muster, Zusammenhänge) aufmerksam gemacht werden, die zunächt kein vitales Interesse erregen – also auf Beliebiges. Dies kann dann weitergegeben werden, so daß es als gemeinschaftliches „Wissen“ akkumuliert wird. In praktischen Gebräuchen und Techniken kann solches „Wissen“ implizit enthalten sein (d. h. ohne daß der Mensch sein Verhalten begründen könnte), aber durch Versprachlichung zur „Theorie“ ist die Reichweite größer.
Dazu gehört die Kenntnis der Folgen beim Genuß von Speisen usw., aber auch Entlegeneres. Wir bemerken einfach viel mehr als alle anderen Tiere. (Dabei unterlaufen auch Fehler, Aberglaube, Verschwörungstheorien. Wenn etwas angepaßt ist, vermuten wird, daß es angepaßt worden ist usw.)
Wir sehen z. B. lauter Artefakte, die eine Funktion haben: Möbel, Musikinstrumente, Postkarten, Bücher; der Hund sieht dasselbe, aber es bedeutet ihm nichts, bleibt Hintergrund für die relevanten Objekte und Vorgänge. Schon das macht seine Welt (auch abgesehen von physiologischen Unterschieden) unvorstellbar verschieden von unserer. Allerdings kann ein Hund auf Objekte aufmerksam gemacht (konditioniert) werden, die ihn primär nicht interessieren, z. B. als Polizeihund auf Kokain oder Covid-19.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2020 um 07.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#44915

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#43854

Die Selbstinstruktion durch innere Rede dürfte weit verbreitet sein. Ein banales Beispiel: Beim Zwiebelschneiden, besonders mit einem schön scharfen Messer, kommt es bekanntlich besonders oft zu Schnittwunden. Seit ich das Wort Krallengriff kenne, stellt es sich in der prekären Situation jedesmal automatisch ein, und seither amputiere ich mir auch nicht mehr die Fingerkuppen. Die Macht der Sprache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2020 um 06.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#44841

Wir haben schon gesehen, daß es kaum möglich ist, die wirklich vorkommenden Sprachereignisse in ein Schema a priori entworfener "Sprechakt-Typen" zu pressen. Hinzu kommt die "linguistische Relativität".

Es soll Völker geben, die den Sprechakt des Sich-Entschuldigens nicht kennen. Nach ihrer Auffassung geschieht alles, wie es geschehen muß – wozu sollte man sich entschuldigen oder etwas bedauern oder bereuen?

Hermann Oldenberg (Die Religionen des Veda, S. 310) stellt fest, daß es im vedischen Sanskrit kein Verb gibt, das unserem danken entspricht. Das vedische Opfer, um das sich die ganze Kultur dreht, ist auch niemals Dankopfer. Das ist bemerkenswert, weil diese Sprache überaus reich belegt ist, so daß ein zufälliges Fehlen wie in dünn belegten Korpussprachen nicht plausibel scheint.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2020 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#44091

Die Maler haben christliche Motive nutzen müssen, um der weiblichen Schönheit zu huldigen. Dem entspricht die wortreiche Schwärmerei für ein (imaginiertes) junges Mädchen bei zölibatären Männern. Man kann das nicht überhören, wenn man etwa das „Apostolische Schreiben Rosarium Virginis Mariae“ von Papst Johannes Paul II. liest (https://m2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/2002/documents/hf_jp-ii_apl_20021016_rosarium-virginis-mariae.html – nichtreformierte Rechtschreibung). Der Mann auf der Straße und auch der verheiratete protestantische Pfarrer finden das alles ziemlich übertrieben. Es geht hier um Tatsachen des Lebens, die man heutzutage doch etwas entspannter sieht.

Aber eigentlich bin ich im Zusammenhang mit Gebet und Sprachfunktionen auf den Rosenkranz gestoßen. In den üblichen, hier schon oft kritisierten Sprachfunktionsmodellen kommt so etwas gar nicht vor. Wikipedia teilt im sehr instruktiven Artikel „Rosenkranz“ mit:

„Das British Medical Journal berichtete im Jahr 2001 von einer Studie der Universität Pavia, bei der herausgefunden wurde, dass Rosenkranzgebete und Mantras, bei denen sechs Mal pro Minute geatmet wird, positive psychologische und möglicherweise physiologische Effekte hervorrufen.
Unter psychologischen Gesichtspunkten ist das Rosenkranzgebet als repetitives Meditationstraining einzuordnen, obwohl dieser Begriff erst in jüngster Zeit entstanden ist. Die von dem Musikpädagogen Hermann Rauhe und dem Präventivmediziner Gerd Schnack entwickelte Entspannungsmethode des repetitiven Meditationstrainings ist quasi die säkularisierte Form sowohl des Rosenkranzgebets als auch des Jesusgebets, weil sie auf demselben Prinzip beruht, nämlich der rhythmischen Wiederholung einer Formel, die sich nach und nach an der Atmung orientiert und bei regelmäßiger Übung sehr positiv auf den Parasympathicus wirkt.“

Die Linguistik hat sich mit solchen Sprachverwendungen zu wenig befaßt. Sie gehen ja weit über diesen Sonderfall hinaus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2020 um 07.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#43873

Terre d’Hermès beschreibt die Beziehung zwischen Mann und Erde. Sein Dialog mit der Natur und den Elementen ist geprägt von Bescheidenheit und Harmonie. Terre d’Hermès ist das Parfum, das den Mann mit seinem Ursprung und der Quelle seiner Schaffenskraft verbindet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2020 um 14.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#43854

Zum zitierten Merkvers, zugleich Arbeitslied:
Up high, down low,
Up quick, down slow –
And that’s the way to blow.

(für Blasebalg des Hufschmieds)

Versifizierung zwecks Erinnerung ist universal verbreitet.

Ebenso das Rehearsal der Telefonnummer usw., damit wir sie nicht vergessen, bis wir das Telefon erreicht haben.

Wenn ich schriftlich addiere, benutze ich immer noch das kindliche "drei hin, eins im Sinn" aus meiner Grundschulzeit.

Irgendwo habe ich gelesen, daß besonders afroamerikanische Kinder die Einkaufsliste singen, um sie auf dem Weg zum Laden nicht zu vergessen.

Das sind wichtige Sprachfunktionen, die in den linguistischen Einführungsbüchern nicht vorkommen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2019 um 05.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#42038

Im Selbstbedienungsrestaurant:
Vier Frauen holen sich Ofenkartoffeln mit Kräuterquark. Die dickste verkündet laut: „Also nee, das schaffe ich nicht, zwei sind mir einfach zuviel“ (usw.).
Welcher Sprechakttyp, welche Sprachfunktion? An solche alltäglichen Fälle haben die Pragmalinguisten nicht gedacht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2018 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#39744

Manche Menschen begleiten ihre Handlungen mit Einschaltungen wie das wär’s oder einfach so!, auch wenn sie allein sind. Das "interpungiert" die Arbeit; meine Frau zum Beispiel meint, es helfe ihr bei der Konzentration. "Eins nach dem andern!" ist ja wirklich eine ganz gute Maxime.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2018 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#38436

Auch auf eine Entschuldigung wartet die Münchnerin bislang vergeblich - in der Email von Aldi steht lediglich, dass das Unternehmen den Vorfall sehr bedauere. (tz)

Die Zeitung bauscht einen Fall auf, der viel Lächerliches enthält. (Haselnuß-Allergikerin kauft falsch etikettierten Joghurt und wäre dadurch fast einer "Katastrophe" zum Opfer gefallen. Allergiker sollten eben keine solche Matschepampe kaufen.)

Hätte die Firma nicht ihr Bedauern ausgedrückt, sondern "sich entschuldigt", wäre ihr gleich Bastian Sick aufs Dach gestiegen, weil man sich ja nicht selbst entschuldigen könne usw.

Immerhin wissen wir jetzt, warum auf allen Produkten vom Gummibärchen bis zum Rasendünger steht: "Kann Spuren von Haselnüssen enthalten".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.03.2018 um 16.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#38358

Zum vorigen:

An African American teenager in Los Angeles told Edith Folb that rap was a good way to compete for sex. “Hey baby, you one fine lookin’ woman,” the teen supplied as an example. “Let’s you and me get better acquainted.” A teenage girl from the same neighborhood said, “I likes to hear a brother who knows how to talk. Don’t hafta blow heavy, can sweet talk you too. Don’ hafta make whole buncha sense, long as sounds pretty.“ (Aus Locke: Duels and Duets)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2018 um 08.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#38088

Ich bin der Größte – solche Äußerungen gehörten bei Menschen wie Muhammad Ali zur professionellen Show und wurden nicht seiner Person zugerechnet. Auch James Brown, Michael Jackson und andere haben sich in ähnlicher Weise präsentiert. Das betrifft das Sprechen, die Kleidung und die Körpersprache. Anna Wierzbicka hat gezeigt, daß die prächtige Selbstdarstellung zur schwarzen Kultur gehört, nämlich im Dienst der Unterhaltung eines Publikums. Weiße mißverstehen es als Charaktereigenschaft.
Elvis Presley hat diese Art der Selbstdarstellung übernommen; weniger das „sound like a negro“, wie sein erster Produzent es nannte, sondern das Auftreten war von den Schwarzen übernommen, während die Person zeitlebens ungewöhnlich „humble“ und geradezu gehemmt blieb, wie allgemein bezeugt ist. (So hatte seine christliche Mutter ihn erzogen, und das Milieu der armen Südstaatler trug dazu bei.)

Jeder darf seine Gruppe (Partei, Kabinett) loben, aber im allgemeinen nicht sich selbst. Das gilt als vulgär. Ausnahmen waren etwa die aus Heldenepen bekannten ritualisierten Imponierreden der Recken vor einem Zweikampf, als Teil des Kampfes. Die eigenen Vorfahren und früheren Taten in den Himmel zu heben galt nicht als Charakterfehler.

Ich bin der Größte ist nicht weit von Ich habe den Längsten, ist denn auch reine Männersache.

Trump wirkt stilbildend.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2018 um 07.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#37812

Gegen Tomasellos und vieler anderer Behauptung, das Kind müsse erst lernen, daß auch der Partner einen Geist (ein Innenleben) habe:

Descartes assumes that we can ascribe mental states to ourselves. But what does this ability require? We can argue that, for instance, a child cannot learn that it is angry without also learning what it means to say, of someone else, that they are angry. The ability to ascribe mental states to oneself is learned, and is interdependent with the ability to ascribe mental states to other people. To learn the meaning of "anger" is to learn its correct application to both oneself and others, simultaneously. In general, a sense of self (of oneself as a self) develops as part of the same process as the sense of others as selves. If there can be no knowledge of oneself as a mind without presupposing that there are other minds, the problem does not arise. (Michael Lacewing)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.12.2017 um 19.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#37363

Witze sind auch deshalb lustig, weil darüber gelacht wird. Je fortgeschrittener die Stimmung der Runde, desto dürftiger kann der Witz sein – Hauptsache, es wird kräftig gelacht, das ist dann sehr lustig und befriedigend.

In Sitcoms werden gewöhnlich Lachsalven eines imaginären Publikums (canned laughter) eingespielt, dadurch wirken die Pointen lustig. Das ist oft bewiesen, z. B. hier:
Due to my hatred for the television show "The Big Bang Theory," I expose how unfunny the show actually is when you take out the laugh track. Enjoy!
(https://www.youtube.com/watch?v=jKS3MGriZcs)

Früher habe ich manchmal in Karnevalssitzungen hineingehört. Die minimal geistreichen Pointen werden durch (manchmal dreifache) Tuschs einer Kapelle kenntlich gemacht und wirken darum sehr lustig. ("Prunksitzung" ist an sich schon lustig.)

Näheres bei Darwin, Cannon usw., aber ganz geklärt ist die Sache nicht.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 12.08.2017 um 21.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#35973

Aus dem Amerikanischen ist mir eher "Boy", "Oh Boy" oder "Boy oh Boy" geläufig.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 12.08.2017 um 09.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#35969

Im Niederländischen sagt man jonge jonge!, öfter noch hört man aber die Variante tjongejonge!, bei der der Anlaut aufgepeppt wird, um den Ausdruck des Staunens, des Unwillens, der Bewunderung usw. noch zu steigern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2017 um 03.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#35965

Ist es nicht seltsam, daß man im Deutschen Junge Junge! ruft, im Englischen my boy, my boy! (o. ä.) und im Russischen molodéc!? Gibt es eine Erklärung? Weitere Sprachen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2016 um 16.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#32695

Mesopotamien am Anfang des 3. Jahrhunderts nach der Geburt Christi! (Erster Satz von Geo Widengren: Mani und der Manichäismus. Stuttgart 1961:7)
Ein solcher Ausruf ist nicht ungewöhnlich am Anfang eines Buches. Es ist wie das Öffnen eines Theatervorhangs, die Szene soll mit einem Schlag im Scheinwerferlicht liegen. Was bedeutet das Ausrufezeichen? Man könnte mitlesen „Was für ein Thema, was für eine Zeit!“ Ich empfinde es als Aufforderung, etwas zu tun, mich zurückzuversetzen in jene Zeit, mir etwas vorzustellen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.12.2015 um 05.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30796

Die Zukunft und damit die Vorsorge (oder, naja, mit Heidegger, die "Sorge") setzt ja wohl Sprache voraus.

Dawkins erzählt in "The ancestors tale":

No doubt there were moments of creative discovery, as when people first noticed that if you put seeds in the ground they make plants like those from which they came. Or when somebody first observed that it helps to water them, weed them and manure them. It was probably more difficult to work out that it might be a good idea to keep back the best seed for planting, rather than follow the obvious course of eating the best and planting the dross (my father, as a young man fresh out of college, taught agriculture to peasant farmers in central Africa in the 1940s, and he tells me that this was one of the hardest lessons to get across).

Bienen und Eichhörnchen sorgen auch vor, aber das ist angeboren, sie "wissen" nicht, warum sie es tun.

Es gibt Berichte von Hungersnöten, als die Menschen das Saatgetreide aßen, um nicht gleich zu verhungern, aber wußten, daß sie eben deshalb später verhungern würden.

Einer jeweiligen Absprache annähernd gleichwertig wäre die Tabubewehrtheit, die wiederum einer Bewährheit im Verlauf kultureller Evolution entspringen könnte. Rationalisten versuchen ja, z. B. das Schweinefleischtabu mancher unserer Zeitgenossen so zu begründen: Ohne Genaueres darüber zu wissen, hätten die Altvorderen die Erfahrung gemacht, daß Schweinefleisch Trichinen enthält, und das Tabu verhindere dann diese Parasitosen. Aber das ist wahrscheinlich ebenso wenig richtig wie die Heiligung der indischen Kühe aus entsprechenden Gründen.

Immerhin mag ein begründungsloses, aber nützliches "Das macht man eben so" gelegentlich geben. Ich selbst habe ja schon vermutet, daß die Herstellung von Werkzeug (Faustkeilen) bei schwersten Strafen so und nicht anders weitergegeben wurde, was einerseits das Überleben sicherte, andererseits Innovationen verhinderte. Ich spekuliere gern, ob es nicht mit dem Sprachverhalten ebenso war: Wer zu wem wie sprach/sprechen durfte/mußte, stand ein für allemal fest wie die Liturgie.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 30.11.2015 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30708

Ein gehoben-altmodisches Äquivalent von schlicht und ergreifend ist schlechterdings.

Die ironische Verwendung von schlicht und ergreifend dürfte auf den salbungsvollen Ton der Nachkriegszeit gemünzt gewesen sein, etwa so wie Bölls Dr. Murke.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.11.2015 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30707

Als umgangssprachliches Synonym des Abtönungswortes einfach wird die Wendung schlicht und ergreifend gebraucht: Er ist schlicht und ergreifend dumm.

Diese Redewendung hat im Laufe der Zeit - insbesondere bezüglich des zweiten Wortes "ergreifend" - einen Bedeutungswandel erfahren. Anfangs handelte es sich nicht um eine feste Wortverbindung, sondern wurde im wörtlichen, nicht-idiomatischen Sinne benutzt - insbesondere bei der Beschreibung von Kunst und Literatur, die schlicht und doch ergreifend ist. In dem wohl ältesten Beleg aus dem Jahr 1841 schreibt Johann Peter Lange über die Schriftstellerin Bettina von Arnim: "So hat sie die Mutter Göthes und Beethoven, so den Rheingau, so den Freiheitskampf der Tyroler schlicht und ergreifend, mit den scharfen Strichen des Genies, mit den ächten Farben liebender Begeisterung gezeichnet" (Recensionen, Werke und Gegenstände der schönen Literatur betreffend, S. 99). Hier wird "ergreifend" im Sinne von "rührend, herzbewegend" benutzt. Etwa seit den 1960er Jahren wurde die Wortverbindung ironisch-scherzhaft gebraucht, doch davon ist heute auch nichts mehr zu spüren. Und so ist der Ausdruck zur festen Redewendung erstarrt, die nur noch "schlicht, einfach" bedeutet und in der das "ergreifend" kaum noch Bedeutung besitzt. 

(http://www.redensarten-index.de/suche.php?suchbegriff=~~schlicht%20und%20ergreifend&suchspalte[]=rart_ou)

Es ist klar, daß die Redensart nicht den jeweils genannten Sachverhalt qualifiziert, sondern auf jener "höheren" Ebene operiert, so daß man paraphrasieren könnte. "Ich sage schlicht und ergreifend: Er ist dumm."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2015 um 07.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30701

Interjektionen und ähnliche Wörter fügen sich oft nicht den phonotaktischen Regeln der Standardsprache. Nach meiner Beobachtung wird ein (ironisch) kommentierendes soso oft mit stimmlosem Anlaut gesprochen. (Wermke vermerkt es in seiner Deutschen Grammatik, sonst habe ich keine Erwähnung gefunden,)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2015 um 08.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30003

Zu meinem letzten Satz: Das meint auch A. Kirchmayr in seinem Buch "Witz und Humor" (Wien 2006), wobei er insbesondere seine theologischen Fachgenossen im Auge hat. Er zitiert Altbischof Kurt Krenn: Anthropologie ist jener inhaltliche Duktus, der in jener Wissenschaft aufbricht, die um die Vorläufigkeit ihres Gegenstandes, ihres Tuns und um die Verpflichtung zu größeren Zusammenhängen weiß. (S. 40) Kirchmayr bezeichnet solchen Sprachgebrauch als „entartet“ und das „Theologisieren“ als „eine der schwachsinnigsten Arten des Blödelns“.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 20.09.2015 um 08.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30002

...was einem die Einschätzung mancher Zeitgenossen eintragen kann, der ist ja kindisch. Auch wenn ursächlich das nachlassende Gedächtnis, eine Krankheit, oder das Langzeitgedächtnis an die Kinderzeit sein mögen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2015 um 08.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#30001

Marginale Sprachfunktionen wie Schmollen und Blödeln sind von der Forschung wenig beachtet worden. Einiges findet man bei Skinner, der nichts ausläßt, sonst hauptsächlich in der kinderpsychologischen Ratgeberliteratur.
Es geht um Sprachverhalten, das typisch für Kinder ist und bei Erwachsenen als infantil verworfen wird (Kinder können nicht infantil oder kindisch sein). Es findet sich aber in verschiedenen Transformationen auch im anerkannten erwachsenen Sprachverhalten, wie man immer deutlicher erkennt, je älter man wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.04.2015 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#28612

Der Mensch ist ein "Tragling", angelegt auf ständigen Kontakt mit der Mutter, auch Hautkontakt. In einem Aufsatz wird zusammengestellt, wie dem Säugling die Anwesenheit der Mutter vorgespiegelt wird:

– Wiegen, die dem Kind vorgaukeln, auf der Hüfte oder dem
Arm der Mutter in den Schlaf gewiegt zu werden;
– Spieluhren, die geduldig - wenn lange genug aufgezogen - in
den Schlaf singen;
– immer mit sich getragene, nie gewaschene Schmusetiere die
durch ihre stete Verfügbarkeit und den bekannten beruhigenden
Duft Verlassenheitsangst stillen;
– Flaschensauger und Schnuller, die als Attrappen der mütterlichen
Brustwarzen nutritives und nichtnutritives Saugen und
Nuckeln erlauben.

(Gabriele Haug-Schnabel: List bei Kindern. In: H. von Senger: Die List. Frankfurt 1999:459-474)

Das ist die Umgebung, in die nun die Sprache hineingegeben wird und in der sie möglicherweise entstanden ist. (Auch für die Krippen-Diskussion interessant, nebenbei.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2014 um 16.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#24956

Bei Moser steht die Stelle in einem Zusammenhang, der nicht klar trennt zwischen Ursprungstheorien und einem logischen bzw. sachlichen Vorrang. Aber schon die Behauptung, in jeder (!) Sprachgemeinschaft, also auch den ganz frühen, sei die prosaische Zwecksprache vorrangig, genügt für meine Bedenken.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 27.01.2014 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#24954

Zu „Die Sprache hat zunächst in jeder Sprachgemeinschaft die Aufgabe der Mitteilung, ist Zwecksprache und bedient sich als solche fast ausschließlich der Prosa.“ (Hugo Moser: Deutsche Sprachgeschichte. 4. Aufl. Stuttgart 1961:15): Ich kenne nicht den Zusammenhang, aus dem das Zitat stammt. Aber "zunächst" muß da nicht unbedingt auf die Entwicklungsgeschichte hinweisen, darauf, was wem folgt; es könnte auch deren Ergebnis beschreiben, also das, was wir heute haben.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2014 um 07.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#24952

„Die Sprache hat zunächst in jeder Sprachgemeinschaft die Aufgabe der Mitteilung, ist Zwecksprache und bedient sich als solche fast ausschließlich der Prosa.“ (Hugo Moser: Deutsche Sprachgeschichte. 4. Aufl. Stuttgart 1961:15)

Versteht sich, daß ich dem überhaupt nicht zustimmen kann. Mir scheint mit Herder, Jespersen und einigen anderen die Zwecksprache und Prosa eine späte Entwicklung zu sein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.04.2013 um 07.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#22911

Manche Sprachspielereien, mit denen man aufgewachsen ist, hält man für Familienbesitz, bis man entdeckt, daß sie allgemein bekannt und längst auch dokumentiert sind. Dabei ist Google wirklich nützlich. Zum Beispiel – jetzt zu "Ostern" fiel es mir wieder ein –:

O Sterbén ohné Glaubén
íst ewíges Vérderbén


Beiläufig: Werden die Kinder in der angestrebten Fremdbetreuung nicht ohne all die Kniereiterspiele und die Sprachakrobatik aufwachsen, die sie sonst überall auf der Welt genießen? Das kann doch selbst die beste "Kita" nicht bieten.
 
 

Kommentar von Lw, verfaßt am 17.08.2010 um 19.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16735

Apropos Dromedar fahren. Als interessierter Laie auf dem Gebiet der Etymologie mußte ich schon häufiger lachen, wenn ich wiedereinmal sah, wie weit ich mit meinen gebastelten "Erklärungsversuchen" daneben lag. Hier nun ein weiterer gebastelter "Erklärungsversuch": Wüsten werden mit Sandmeeren verglichen. Dromedare laufen rasch und schwanken wie ein Schiff. Schiffe werden gefahren. – Schneller Blick in das Wörterbuch der Deutschen Umgangssprache von Küpper. Eintrag zum Stichwort Kamel: "1. Nichtverbindungsstudent. Man hält ihn für sehr fleißig und meint, vom vielen und angestrengten Lesen in den Büchern bekäme er einen gekrümmten Rücken oder einen Höcker, wie ihn das Dromedar hat. Stud etwa seit 1800. [2. ...] 3. dummer Mensch. Vom emsigen Studenten übertragen zum Sinnbild der Weltunerfahrenheit. 1800 ff." So kann es dem Kamel ergehen.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 17.08.2010 um 13.50 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16731

Weder geritten noch gefahren – die Bienen:
…apes … liquidum trans aethera vectae
(Vergil, Aeneis 7.65)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.08.2010 um 10.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16730

Klassische Lateinkenntnisse können heutzutage (heut zu Tage?) auch nachteilig sein: Die Römer sagten für reiten "equo vehi" d.h. mit dem Pferd fahren. Das galt dann später auch für Kamele.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.08.2010 um 10.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16729

Man lernt nie aus.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 17.08.2010 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16728

Dromedare sind Fahrzeuge?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.08.2010 um 21.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16726

Ich habe mal nachgesehen, wie ein anderes Werkzeug von ungeheurer Bedeutung, "Fahrzeug", bei Wikipedia definiert wird. Eingangs heißt es:

Fahrzeuge sind mobile Verkehrsmittel, die dem Transport von Gütern (Güterverkehr), Werkzeugen (Maschinen oder Hilfsmittel) oder Personen (Personenverkehr) dienen. Die Antriebsart oder die Verwendung ist für die Einordnung ohne Belang.

Es gibt verschiedene Arten von Fahrzeugen:

* Wasserfahrzeuge
* Landfahrzeuge
* Luftfahrzeuge
* Raumfahrzeuge
* Kombinationen hiervon, z. B. Amphibienfahrzeuge

[...]

Dann wird nach weiteren Gesichtspunkten untergliedert, und am Ende wird auf eine Liste der Verkehrsmittel verwiesen, in der unter anderem Schlittschuhe und das Dromedar auftauchen.

Fahrzeuge dienen, anders als laut der obigen Definition, nicht nur dem Transport von Gütern, Maschinen und Personen. Manchmal dienen sie dem puren Vergnügen, oder der Zweck der Fahrt ist ein Test, ob das Fahrzeug in Ordnung ist (Probefahrt). Andere Fahrten dienen der Einweisung von jungen Verkehrsteilnehmern. Manche Leute fahren Auto, um möglichen Partnerinnen zu imponieren oder Mutproben zu absolvieren oder um die Langeweile zu vertreiben. Das alles hat mit Transport wenig zu tun. So gesehen, ist die Definition tatsächlich lückenhaft.

Auch können mehrere Zwecke zugleich erfüllt werden: Herr X fährt zur Arbeit ("Transport von Personen"), genießt dabei das souveräne Gefühl der Fahrzeugbeherrschung, betreibt nebenbei Imagepflege ("Ich kann mir einen neuen Mercedes leisten") und baut außerdem seine Aggressionen ab.

In ähnlicher Weise dient die Sprache keineswegs nur der Übermittlung von Informationen, sondern auch diversen sonstigen Zwecken, die mit der Person des Sprechers und seiner Beziehung zum Adressaten zu tun haben.

Nur ist nicht nachvollziehbar, was ganz spezielle Situationen in einer Liste der Funktionen verloren haben. Den Transport eines Kindes zum Blockflötenunterricht würde man in einer Auflistung der Funktionen von Fahrzeugen nicht erwarten. Sonst kommt man vom Hundertsten zum Tausendsten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2010 um 17.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16725

In den letzten Jahren hat man ja sowohl die musikalischen Ursprünge der Sprache als auch die "Gossip"-Theorie stark diskutiert. Letzteres im Zusammenhang mit dem "social grooming", d. h. einer Erweiterung der sozialen Fellpflege: Mit der Stimme erreicht man eben mehr Menschen als mit dem manuellen Grooming, das bei Primaten so eine große Rolle spielt.
 
 

Kommentar von Lw, verfaßt am 16.08.2010 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16724

Wird nicht auch noch der erwachsene Mensch stärker von "der Musik hinter den Worten" beeindruckt als von der nackten Aussage? Auch das "hutut" (ein schönes Wort, das mir noch nie begegnete) kann leicht so gesprochen werden, daß es Angst einflöst. Und sind kleine Kinder nicht selber sehr sprachschöpfend? Eine meiner Töchter drückt ihre Zustimmung, Bewunderung, Zufriedenheit durch ein klar artikuliertes "ga" aus (ohne Lautverdoppelung). Von anderen hörte ich, daß sie Dinge mit einem Laut/Wort belegten, bei denen die Erwachsenen kaum Ähnlichkeiten sahen. Dennoch schienen diese Dinge vom Kind mit gleichenen Erinnerungen assoziiert. Beieinflußt nicht die Art unseres Atmens die Art unseres Erlebens der Zeit und der Welt? Beim "hutut" könnte das erste t signalisieren: es ist halb geschafft, und die Erwartung des zweiten t vorbereiten, mit dem dann der Vorgang ohne Wenn und Aber überstanden ist.

"Das Verständlichste an der Sprache ist nicht das Wort selber, sondern Ton, Stärke, Modulation, Tempo, mit denen eine Reihe von Worten gesprochen werden, kurz, die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter dieser Musik, die Person hinter dieser Leidenschaft: alles das also, was nicht geschrieben werden kann." [aus dem Nachlaß von F. Nietzsche]
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 16.08.2010 um 13.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16723

Vermutlich befassen sich Sprachentstehungstheoretiker längst mit der Babysprache (ich meine die Ausdrucksform, in die man als Erwachsener gern verfällt, wenn man mit den Kleinsten spricht). Nicht nur in Hessen, sondern auch im Siegerland geht man mit dem Nachwuchs "ata ata", wie ich aus meiner Kindheit weiß, und es würde mich nicht wundern, wenn die Bezeichnung für einen Spaziergang in ganz Deutschland verbreitet wäre. Erstaunt hat mich aber die Feststellung, daß das Wort auch in Griechenland geläufig ist und dort genau dasselbe bedeutet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2010 um 09.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16722

"Genial" sollte es nicht sein, wieso denn auch!. Aber wenn man sich die klassischen Modelle vor Augen hält (Bühlers drei Funktionen, Jakobsons sechs Funktionen), kann man eben nicht übersehen, daß was fehlt. Im übrigen: einverstanden!
Außerdem – das sollte mein Hinweis am Schluß andeuten – sind solche Beobachtungen für Sprachentstehungstheorien von Bedeutung. Viele glauben ja immer noch an den Primat der Aussage, der Sachverhaltsfeststellung. Aber vielleicht war es ganz anders.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.08.2010 um 05.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1337#16721

Ich finde etwas an diesem Beitrag merkwürdig: die Überschrift. Was sollen diese Beobachtungen mit noch zu entdeckenden "Sprachfunktionen" zu tun haben?

Man kann mit Sprache alles mögliche ausdrücken und bewirken. "So" ist zweifellos kürzer als "Prima, das hat geklappt, ich bin erleichtert und zufrieden", es bedeutet aber dasselbe. Also eine ganz normale Mitteilung – dem Bedürfnis der Ökonomie entsprechend kurz gefaßt. Wo ist die besondere, unbeachtete "Funktion"? Wenn man einem kleinen Kind einen Pullover überzieht und die Phase der Verrenkung, bei der auch noch der Blickkontakt unterbrochen ist, mit beliebigen Lauten überbrückt, ist das auch nichts anderes, als wenn man beruhigend auf einen verunsicherten oder verletzten Erwachsenen einredet. Natürlich kann man irgendetwas sagen mit dem hauptsächlichen Zweck, die Kommunikation aufrechtzuerhalten und ungute Gefühle zu verscheuchen. Was ist daran bemerkenswert?

Ich möchte diese Beispiele verallgemeinern: Das wörtliche Verständnis ist oft nicht das richtige Verständnis. In unseren privaten Beziehungen gibt es oft gar nicht viel zu besprechen. Man spricht dennoch miteinander, beispielsweise um etwas von dieser Art auszudrücken: "Ich freue mich, daß wir gerade zusammen sind. Ich spreche gern mit dir. Ich möchte, daß wir in Kontakt bleiben. Wie geht es dir gerade? Ich mag es, wenn du mit mir sprichst. Ich fühle mich besser, wenn ich jemanden um mich habe." Was dann wörtlich gesagt wird, beispielsweise die Beurteilung des Wetters, ist zweitrangig oder sogar belanglos. Daran schließen sich die vielen indirekten Arten der Kommunikation an. Es geht nicht in erster Linie um das vorgeschobene Thema, sondern um etwas Drittes, oft um etwas Heikles, um die Beziehung zum anderen, den eigenen Wert usw.

Vollkommen deutlich wird der Unterschied zwischen wörtlichem Verständnis und tatsächlicher Mitteilung bei der Ironie: Man sagt absichtlich etwas anderes als das, was man meint, und zwar oft das genaue Gegenteil. "Das fand ich natürlich super" als Bewertung eines zuvor geschilderten höchst ärgerlichen Erlebnisses bedeutet das Gegenteil und wird auch mühelos vom Gegenüber entschlüsselt. Was ist der Zweck der Ironie? Meistens ist es Humor: Man bleibt locker, man gibt dem Ganzen einen witzigen Dreh, man spielt und ist ganz Mensch.

Aber wiederum: Der Ausdruck "Funktionen der Sprache" käme mir überdimensioniert vor. Man kann die Sprache zu Hilfe nehmen, um lustig zu sein, um mit dem anderen oder mit der Situation zu spielen. Na und? Man kann mit der Sprache zum Beispiel auch den anderen ermutigen, ihn disziplinieren, ihn besser kennenlernen, seine Absichten testen, ihn beeindrucken, ihn um Hilfe bitten, ihn provozieren, ihn täuschen, ihn zu einem Kaffee einladen und so weiter. Daß ein so universelles Werkzeug wie die Sprache den verschiedensten Zwecken dienen kann, ist aus meiner Sicht keine geniale Erkenntnis.
 
 

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