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11.03.2008
Reclam
Brigitte Kronauer in klassischer Rechtschreibung
Es geht also doch – sogar bei Reclam!
Der neue Band mit Brigitte Kronauers Erzählungen (siehe hier) ist so gedruckt, wie die Süddeutsche Zeitung auch schon diese schätzenswerte Autorin im Feuilleton abgedruckt hat. Thomas Steinfeld bespricht das Büchlein in der heutigen SZ.
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Kommentar von hannah schmalk, verfaßt am 12.03.2008 um 21.54 Uhr
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die faz veröffentlicht walsers "ein liebender mann" in gleichgeschalteter orthographie – ebenso bereits vor zwei jahren walsers tagebücher aus den 50ern. ohne zustimmung des autors dürfte das wohl nicht möglich sein. ist walser nun ein "wendehals", steht das buch also auch in neuschreib? und wenn nicht: ist der veränderte abdruck dann eine (ver)fälschung, hat man womöglich sonst noch etwas "verbessert"?
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 13.03.2008 um 23.27 Uhr
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Liebe Frau Schmalk,
fast sieht es so aus, als sei Walser nach einer kleinen Verlagsodyssee (Hoffmann & Campe, Gutleut Verlag, Faber & Faber) nun beim Rowohlt Verlag angekommen. Und der hat sich bekanntlich schon vor geraumer Zeit gleichgeschaltet.
Das allein besagt freilich noch nicht viel, denn auch Friedrich Christian Delius ist Rowohltautor und schreibt – so wie ich das überblicke – nach wie vor in normaler Rechtschreibung. Daß Walser seine drei letzten Rowohltbücher (die Romane "Der Augenblick der Liebe" 2004, "Angstblüte" 2006 und nun "Ein liebender Mann" 2008) in Schulorthographie drucken ließ, spricht allerdings sehr für Ihren "Wendehals".
Der Rowohltausflug begann sich wohl im Jahr 2005 mit der insgesamt sehr wohlwollenden Walserbiographie aus der Feder von Jörg Magenau (auch in Schulorthographie) zu zementieren. Damit bleibt der Autor nun auch gleich im Hause seines Historiographen. Besser kann er es doch eigentlich gar nicht antreffen.
Walsers letztes Suhrkampbuch scheint mir somit der Roman "Meßmers Reisen" von 2003 gewesen zu sein. Ich bitte um Korrektur, falls mir noch ein Suhrkamptitel nach 2003 entgangen sein sollte.
Somit hat nun die große und für Suhrkamp zugleich auch recht kostspielige Werkausgabe von 2002 (anläßlich des 70. Geburtstages) etwas von einem – für mich auch stilistischen - Schwanengesang.
Aber vermutlich wird Walser weder gegen Ihren "Wendehals" noch gegen meinen Schwanengesang viel einzuwenden zu haben. Denn er hielt es ja schon immer gern mit Oscar Wilde: "[...] for there is only one thing in the world worse than being talked about, and that is not being talked about." ("The Picture of Dorian Gray", 1890/91)
Denken Sie nur zurück an die Walser-Bubis-Debatte anläßlich Walsers Friedenspreisrede in Frankfurt am Main. Damals hatte er auch verschiedene Rollen im öffentlichen Repertoire. Von der beleidigten Leberwurst bis zur mißverstandenen Unschuld vom Lande. Hauptsache, er war in der Presse.
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Kommentar von hannah schmalk, verfaßt am 14.03.2008 um 21.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11660
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inzwischen habe ich selbst nachgeschaut - und bin doch entsetzt, daß walser sich tatsächlich gleichgeschaltet hat; er galt ja mal als gegner der reform. mir fällt auf, daß sich verfälschende zitate häufen. theodor ickler fand es ja bemerkenswert, daß die sz den kronauer text korrekt in der originalfassung bringt, doch ich stolpere in der juristischen fachliteratur immer öfter über entstellte zitate: das altorthographische original wird zwar wörtlich, aber in neuschrieb zitiert, was gegen alle regeln verstößt. hätte die faz nun ein gesamtes buch umgetextet, dann wäre das ein neuer tiefpunkt gewesen.
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.03.2008 um 17.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11662
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Liebe Frau Schmalk,
trösten Sie sich bei Walser einfach damit, daß seine große Zeit vorüber ist. Ich glaube, es war David Weiers, der hier in einem anderen Zusammenhang einmal anmerkte, daß Autoren, die in Schulorthographie schreiben, die Lektüre eigentlich nicht wert seien. Recht hat er. Und was Walsers Haltung, bzw. Haltlosigkeit angeht, kann ich nur erneut auf Oscar Wilde hinweisen.
Es ist insgesamt schon fast komisch anzusehen, wer von den einstigen Mahnern und Kritikern der sogenannten Rechtschreibreformen nun umgefallen ist und geradezu panische Angst hat, den Anschluß zu verpassen. Ich frage mich dabei eigentlich nur, woran man sich genau anschließen will und wie tief unten dieser Anschlußpunkt wohl liegen mag. Zu meiner Jugend gab es dieses nicht besonders komische Magazin "Mad" (ich glaube Herbert Feuerstein war mal dessen Chefredakteur, was aber jetzt keine Wertung sein soll). Da wurde in den Sprechblasen überwiegend in dem Stil von "würg", "ächz", "stöhn" geschrieben. Ein- oder zweimal war das auch ganz lustig, aber da waren wir in der Pubertät! Die Kultusminister und sogenannten Bildungsexperten sollten derselben eigentlich entwachsen sein. Vermutlich sind aber alle diese Beteiligten und Verantwortlichen der großen Sprachvergewaltigung erst zufrieden, wenn "würg", "ächz" und "stöhn" dem allgemeinen deutschen Bildungsstandard entsprechen. Eben das hier schon mehrfach angesprochene Nivellieren des Niveaus nach unten.
Die von Ihnen angesprochene orthographische Verfälschung von Zitaten ist mir allerdings ebenfalls schon unangenehm aufgefallen. Da gibt es eigentlich nur eines zu tun: Immer wieder den Fälschern auf die Finger hauen. Also den entsprechenden Verlagen und Redaktionen schreiben und nicht müde werden, auf die Mißstände hinzuweisen. Die sollen ruhig wissen, daß es nicht wenige Menschen gibt, die sich dem "Mad"-Niveau (eigentlich ein sehr schönes Wortspiel) verweigern. Und wenn wir uns dabei unbeliebt machen, was soll's? Dann machen wir uns wenigstens in perfektem Deutsch unbeliebt. Herr Ickler wies ja schon einmal daruf hin, daß wir schließlich keine Bomben werfen.
Mein vor zwei Jahren verstorbener Buchhändler hat jeden Morgen – jahraus, jahrein – vor Geschäftsöffnung vor seinem Laden gefegt. Als der hochbetagte Mann einmal von einem Kunden gefragt wurde, warum er denn diese Arbeit nicht einem Lehrling (pardon, Auszubildenden) überlasse oder doch wenigstens später mache, hat er geantwortet: "Wer, wenn nicht ich, wann, wenn nicht jetzt?"
Also, in diesem Sinne...
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Kommentar von hannah schmalk, verfaßt am 15.03.2008 um 20.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11664
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Sie meinen, daß "Autoren, die in Schulorthographie schreiben, die Lektüre eigentlich nicht wert" seien – dem kann ich mich nicht anschließen. erstens, weil ich nicht weiß, wie die schreiben (sondern nur, wie sie gedruckt sind), und zweitens, weil orthographie nicht alles ist (der schluß von hier aufs ganze werk demnach zu grob wäre). im ergebnis aber sind wir sehr einig, denn ich lese privat keine schulorthographie. beruflich läßt es sich allerdings nicht vermeiden, und das entstellende zitieren ist eine unsitte, die mit rechtschreibung ja eigentlich nichts zu tun hat. walser übrigens hat zum thema: "was hilft mehr: kritik oder zustimmung?" etwas zu sagen, siehe hier.
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Kommentar von PaulW, verfaßt am 15.03.2008 um 20.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11665
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Zur "Verfälschung von Zitaten" meine eigene, heute wieder einmal gemachte Erfahrung zur Ergänzung: Da publiziere ich in einer Fachzeitschrift. Der Herausgeber hat sich vorbehaltlos der reformierten Rechtschreibung angeschlossen, ich als Abonnent wurde nicht gefragt. wie ich dazu stehe, auch nicht als Autor. Auf meinen eigenen Internetseiten, auf denen ich meine Publikationen zumindest in der Zusammenfassung zum Herunterladen anbiete oder inhaltlich bespreche, verwende ich nur die klassische Rechtschreibung. Als ich heute die Zusammenfassung einer neuen Publikation in ein pdf-Dokument konvertierte, mußte ich vorher die ss-Schreibung "korrigieren", damit mit den anderen Inhalten meiner Seiten Einheitlichkeit hergestellt wird.
Außerdem: Ich arbeite an einem Manuskript für ein aktualisiertes und neu bearbeitetes, schon seit Jahren vergriffenes und natürlich in der klassischen Rechtschreibung gedrucktes Werk. Ich sehe schon die Konflikte am Horizont erscheinen, wenn ich zu gegebener Zeit verlange, daß auch das neue Werk in klassischer Rechtschreibung zu erfolgen hat. In einem Vorgespräch wurden mir Kinder und Jugendliche als potentielle Leser genannt, die ich doch nicht verwirren könne (es handelt sich um ein auch für Laien benutzbares Buch über Insekten). Wer aber mein vergriffenes Werk ausleiht, wird ohnehin mit der traditionellen Schreibung konfrontiert. Warum versucht man, moralisch Druck auszuüben? Warum nur hat man diesen Schwachsinn mit der RRS so völlig ohne Not verzapft und treibt erwachsene Menschen, die noch der eigenen Überzeugung treu bleiben wollen, in derartige Konflikte?
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 16.03.2008 um 17.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11672
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Zu # 11664:
Liebe Frau Schmalk,
ich glaube, es war Frau Pfeiffer-Stolz, die hier in anderem Zusammenhang wiederholt feststellte, daß man sprachlich komplexe Inhalte auch nur mittels eines differenzierenden Werkzeugs ausdrücken kann. Im Falle Walsers (und anderer Wendehälse) bedeutet das nun, daß diese Schriftsteller eine sprachliche Verarmung ihrer Werke billigend in Kauf nehmen. Denn Sie könnten ja – wie viele andere ihrer Kollegen auch – darauf bestehen, weiterhin in normaler Rechtschreibung gedruckt zu werden. Um mal mit Saussure zu sprechen, Walser beraubt seine sprachlichen Zeichen damit ihrer Arbitrarität. Wenn er sich nicht mehr differenzierend ausdrücken möchte, nehme ich als Leser an, daß er auch nichts Differenzierendes mehr zu sagen hat. Warum sollte ich dann aber noch Literatur lesen, die den sprachlichen Anspruch von Gebrauchsanweisungen hat?
Mit Ihrem Hinweis auf einen möglichen Unterschied zwischen privater Rechtschreibung und der Rechtschreibung in einer selbständigen Publikation bin ich allerdings nicht einverstanden. Da Walser keine Schulbücher schreibt, unterliegt er hier auch keinen äußeren Zwängen. Schon Kant hat festgestellt, daß unsere Unmündigkeit selbstverschuldet ist. "Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen." (I. Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, 1783)
Es liegt also bei jedem Einzelnen, sich dem Zug der Lemminge anzuschließen, oder kritisch den Sinn und das Ziel dieses Zuges zu hinterfragen und ihn gegebenenfalls zu verlassen, nach Hause zurückzukehren, ohne über die Klippe gestürzt zu sein.
Zu # 11665:
Lieber PaulW,
lassen Sie sich doch bitte bei Ihren Verlagsverhandlungen nicht in Konflikte treiben und versuchen Sie, unbeirrt bei dem Standpunkt zu bleiben, den Sie als richtig anerkennen. Der Verlag wird sich schließlich den Wünschen seines Autors (und damit den Rechten des Urhebers) anschließen müssen, wenn ihm an dieser Publikation ernsthaft gelegen ist.
Daß dieser Konflikt, in dem viele von uns sich häufig befinden, philosophisch betrachtet eigentlich nur ein Scheinkonflikt ist, hat im 16. Jahrhundert bereits sehr hellsichtig der Freund Montaignes, Etienne de La Boétie, festgestellt. Nicht umsonst steht auch in den "Essais" Montaignes ein Selbst im Mittelpunkt, das sich nun endgültig aus den Zwängen der Scholastik befreit. Die frühesten Belege des Wortes moi in französischen Wörterbüchern stammen ebenfalls aus dieser Zeit.
In seinem berühmtem "Discours de la servitude volontaire" (Abhandlung von der freiwilligen Knechtschaft) gibt Boétie einen Hinweis auf den Weg aus dieser freiwilligen Unterjochung unter einen Tyrannen:
"Encores ce seul tiran, il n’est pas besoin de le combattre, il n’est pas besoin de le defaire ; il est de soymesme defait, mais que le pais ne consente à sa servitude ; il ne faut pas luy oster rien, mais ne lui donner rien, il n’est pas besoin que le pais se mette en peine de faire rien pour soy, pourveu qu’il ne face rien contre soy. [...] Quoi ? si pour avoir liberté il ne faut que la desirer, s’il n’est besoin que d’un simple vouloir, se trouvera il nation au monde, qui l’estime ancore trop chere la pouvant gaigner d’un seul souhait et qui pleigne sa volonté a recouvrer le bien, lequel il devroit racheter au prix de son sang, et lequel perdu tous les gens d’honneur doivent estimer la vie desplaisante, et la mort salutaire ?"
1910 hat das der deutsche Anarchist Gustav Landauer so übersetzt:
"Noch dazu steht es so, daß man diesen einzigen Tyrannen nicht zu bekämpfen braucht; man braucht sich nicht gegen ihn zur Wehr zu setzen; er schlägt sich selbst. Das Volk darf nur nicht in die Knechtschaft willigen; man braucht ihm nichts zu nehmen, man darf ihm nur nichts geben; es tut nicht not, daß das Volk sich damit quäle, etwas für sich zu tun; es darf sich nur nicht damit quälen, etwas gegen sich zu tun. [...] Wie! Wenn man, um die Freiheit zu haben, sie nur wünschen muß; wenn weiter nichts dazu not tut, als einfach der Wille, sollte sich wirklich eine Nation auf der Welt finden, der sie zu teuer ist, wenn man sie mit dem bloßen Wunsche erlangen kann?"
Ich bin mir nun nicht ganz sicher, ob ich mit Boétie als Trostpflaster bei Ihnen nicht vielleicht über das Ziel hinausgeschossen bin. Bitte sehen Sie mir das etwaigenfalls nach. In jedem Fall ist er ein gewichtiges Argumentum cum auctoritate im Kampf gegen jeden Dogmatismus, also auch in unseren Bemühungen gegen die Rechtschreibreformen. Ich glaube, er wurde hier bislang noch nicht genannt.
Auf Nachfrage bin ich gerne bereit, auch noch die exakten bibliographischen Nachweise meiner beiden Zitate nachzutragen sowie die eine oder andere Boétie-Ausgabe, bzw. -Übersetzung zu empfehlen. Die Lektüre ist in jedem Fall lohnend.
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Kommentar von David Weiers, verfaßt am 16.03.2008 um 18.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11679
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Den von Herrn Höher (#11662) angesprochenen Zusammenhang kriege ich nicht mehr zusammen. Und auch meine Äußerung ist mir entfallen. Aber ich will damit niemanden tadeln, der evtl. ein besseres Gedächtnis hat als ich. Kurz: Kann gut sein, daß ich mal geäußert habe, Bücher seien der Lektüre nicht wert, wenn ihre Autoren sie bewußt in Schulothographie geschrieben haben.
Ich will da aber kurz (ähem!) noch etwas zu bemerken: Wenn ein Autor sich bewußt für die "Schulorthographie" – nein, bleiben wir besser bei "Reformorthographie", denn in der Schule existiert de facto keine "Ortho"graphie mehr; also wenn ein Autor sich für diese Reformorthographie entscheidet, entscheidet er sich dafür, seinem Text ein Haltbarkeitsdatum im amtlichen Sinne aufzudrücken.
Das bedeutet zweierlei: 1. Er unterwirft sich aus freien Stücken einer in orthographischen Fragen im allerhöchsten Grade zweifelhaften Instanz, was auf seine eigene schlechte Orientierung in seiner Muttersprache hindeutet; ein Umstand, der einen nur noch mehr verwundern kann, wenn es sich bei dem Autor nach eigenen Angaben doch tatsächlich um einen Schriftsteller handeln soll. Denn ein Schriftsteller sollte sich dann doch in und mit seiner Muttersprache auskennen. Das allerdings kann man von einem angeblichen Schriftsteller (wenn also ebenjener Autor einer zu sein vorgibt) nicht behaupten, der sich durch sein Handeln geradezu selbst disqualifiziert.
2. Er verzichtet freiwillig darauf, seinem "Werk" Dauerhaftigkeit zu verleihen, indem er eine amtlich abgesegnete Orthographie verwendet, die als solche unbedingt dadurch gekennzeichnet ist, daß sie ihre amtliche Gültigkeit von jetzt auf gleich wieder einbüßen kann. Das kann ihm entweder gar nicht bewußt sein: dann ist er als Schriftsteller eine Niete, denn er muß sich sagen lassen, entweder jahrelang gepennt zu haben, um den Reformstreit nicht mitzubekommen (und jahrelanges Pennen zeichnet nicht einen anständigen Schriftsteller aus), oder aber ebensolange dieses Thema ignoriert zu haben, was für einen Schriftsteller ja nun auch dann eben doch ein recht seltsames Verhalten ist; immerhin geht es um sein Handwerkszeug. Oder es ist eine bewußte Entscheidung: dann fragt man sich aber erst recht, was der Blödsinn soll (s.1.), mehr noch: der Verdacht drängt sich auf, man hätte es mit einem Menschen zu tun, der wirklich nur darauf aus ist, mit der Sache Geld zu machen (denn Neuauflagen müssen dann ja sein).
Und nun frage ich mal: "Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, daß solch ein 'Schriftsteller' etwas wirklich Wichtiges und Lesenswertes produzieren kann?" Eben: geht gegen null.
Anders mag es bei Sachbuchautoren aussehen, die einfach von ihren Verlagen die Orthographie diktiert bekommen und sich nicht dagegen wehren bzw. wehren können – warum auch immer. Und hierbei kann man es sich eben nicht immer aussuchen, ob man sie lesen will oder nicht.
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Kommentar von PaulW, verfaßt am 17.03.2008 um 18.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11702
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Zu #1172: Lieber Herr Höher, vielen Dank für Ihre freundlichen und aufmunternden Worte. Ich werde mich an sie erinnern, wenn es um die Entscheidung geht, welche Schreibung in meinem Buch verwendet wird. Besten Dank auch für die für mich neuen, aber hilfreichen Zitate von Boétie und seinem Übersetzer. Ich bin immer wieder froh, daß es dieses Forum hier gibt, denn wo sollte ich sonst die moralische und fachlich-sprachliche Unterstützung für mein Handeln finden? Ich bin auch immer wieder erstaunt, wie belesen viele Teilnehmer dieses Forums sind (und da zähle ich Sie dazu), da muß ich doch immer wieder passen.
Herzliche Grüße
PaulW
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 17.03.2008 um 19.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11705
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Lieber PaulW,
falls Sie sich – durch das Zitat angeregt – Boétie nun zulegen möchten, so empfehle ich Ihnen folgende, zweisprachige Ausgabe. Das erspart Ihnen dann auch gleich den zusätzlichen Kauf einer französischen Ausgabe.
Etienne de la Boetie: Von der freiwilligen Knechtschaft. Übersetzt und hrsg. von Horst Günther unter Mitwirkung von Neithart Bulst. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt 1980 (= Europäische Bibliothek Bd. 2).
Sie finden die Ausgabe momentan ab 12 Euro beim ZVAB. Eine andere brauchbare deutsche Übersetzung, etwa die von Landauer, ist zur Zeit leider nicht im Buchhandel erhältlich. Aber die Ausgabe von Günther kann man fast schon eine kritische nennen. Da haben Sie dann fast eine kleine Boétie-Bibliothek in einem Band.
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Kommentar von PaulW, verfaßt am 17.03.2008 um 20.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11706
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Lieber Herr Höher,
recht herzlichen Dank für den Tip (sic!). Ich werde mir den Titel anschaffen. Als Gegner der RRS fühle ich mich ja schon fast wie ein Anarchist ;-) – oder wird man von den Reformern gleich als ein solcher betrachtet?
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 19.03.2008 um 13.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11727
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Lieber PaulW,
ich möchte das Spiel nicht ad infinitum treiben, aber Ihre Frage reizt dann doch dazu, Landauer selbst zur Beantwortung zu Wort kommen zu lassen. Daran zeigt sich dann auch gleich, daß die Frage, wer denn nun der Störenfried sei, gar nicht so einfach zu beantworten ist.
Die Befürworter der sogenannten Reformen werfen uns doch gerne vor, was Gustav Landauer so formulierte:
[…] Wie wir die Worte „herrschen“ und „regieren“ haben, so haben sich im Anschluß an die entsprechenden griechischen Zeitwörter die Ausdrücke einerseits Autokratie, Aristokratie, Demokratie und andererseits Monarchie, Oligarchie, Polygarchie gebildet. Da es in all diesen Herrschaftsformen, die für Kirche wie Staat als Gesamtheit Hierarchie heißen, entweder in Folge von Krieg oder innerem Aufruhr oder Streitigkeiten zwischen denen, die sich für die rechtmäßigen Herrscher hielten, vorübergehend Zustände der Auflösung, des Durcheinanders und der völligen Unsicherheit gab, brauchte man für diese Episoden, wo alles außer Rand und Band war, ein Wort und nannte sie Anarchie. Das Wort hat also seinen Ursprung in keinerlei Theorie, sondern in einer Tatsache, die von niemandem mit Willen herbeigeführt war: alle wollten sie irgendeine Herrschaft, weil sie aber nicht alle dieselbe wollten, weil eine Zeitlang keine Richtung den Sieg erlangte und mit starker Hand Ordnung schaffen konnte, weil es sogar so aussah, als ob jeder etwas anderes wollte und alles auseinanderstrebte und auseinanderzufallen drohte, war ein Zustand der Unordnung infolge mangelnder Herrschaft da, den man Anarchie nannte. Bald aber mußte man merken oder zu merken glauben, daß es doch in jedem solchen Übergangszustand eine Menschenschicht gab, die sich den Wirrwarr zu Nutze machte, ihn zu verlängern suchte, seine Freude daran hatte oder sogar nach erfolgter Beruhigung ihn wieder herbeizuführen trachtete. So kam denn das Wort Anarchist als Bezeichnung für einen Unruhestifter und Störenfried, für einen Freund der Gesetz- und Zuchtlosigkeit auf. […]
(Gustav Landauer: Zur Geschichte des Wortes „Anarchie“, in: „Der Sozialist“, Berlin; Bern, Jg. 1,1909, Nr. 7, 15.5.)
Wenn man nun Anarchie als „Zustand der Unordnung infolge mangelnder Herrschaft“ definiert, dann haben wir diesen Zustand de facto auch in der Rechtschreibung nach den diversen Reformen seit 1998. Aber wer trägt eigentlich dafür die Verantwortung, bzw. wer gehört genau zu jener „Menschenschicht“, die sich diesen „Wirrwarr zu Nutze machte“? Wir, oder die Reformbefürworter?
Landauer sah den Anarchismus freilich anders und wenn wir auch mit diesem Anspruch leben können, dann könnten wir die Beschimpfung, Anarchisten zu sein, auch gut als Ehrenbezeugung annehmen:
[…] Ich müßte um Entschuldigung bitten, daß ich auf einem neutralen Boden [gemeint ist Maximilian Hardens Zeitschrift „Die Zukunft“ und nicht Landauers eigenes Organ „Der Sozialist“] „Propaganda für den Anarchismus“ mache, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß, was ich hier, aber ohne mich irgend an das Wort zu binden, Anarchie nenne, eine Grundstimmung ist, die in jedem über Welt und Seele nachdenkenden Menschen zu finden ist. Ich meine den Drang, sich selbst noch einmal zur Welt zu bringen, sein eigenes Wesen neu zu formen und danach die Umgebung, seine Welt, zu gestalten, so weit man ihrer mächtig ist. […] Den nenne ich einen Anarchisten, der den Willen hat, nicht doppeltes Spiel vor sich selber aufzuführen, der sich so wie einen frischen Teig in entscheidender Lebenskrise geknetet hat, daß er in sich selber Bescheid weiß und so handeln kann, wie sein geheimstes Wesen ihn heißt. Der ist mir ein Herrenloser, ein Freier, ein Eigener, ein Anarchist, wer seiner Herr ist, wer den Trieb festgestellt hat, der er sein will und der sein Leben ist. […]
(Gustav Landauer: Anarchistische Gedanken über Anarchismus, in: „Die Zukunft“, Berlin, Jg. 10, 1901/02, Nr. 4, 26.10.)
Aber damit mache ich nun wohl besser Schluß, denn von Brigitte Kronauer bei Reclam habe ich mich doch recht weit entfernt.
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Kommentar von PaulW, verfaßt am 27.03.2008 um 15.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#11791
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Lieber Herr Höher,
auch wenn es nichts mehr mit Brigitte Kronauer zu tun hat: Das mir von Ihnen empfohlene Buch (La Boétie, Von der freiwilligen Knechtschaft), das ich heute erhielt, ist wie eine Offenbarung. Es vermittelt Einsichten in die politische Philosophie und in menschliche Verhaltensweisen im Zusammenhang mit "Autoritäten" (hier: reformierte Rechtschreibung), die das Werk sehr lesenswert machen. Außerdem hat es mir sehr deutlich vor Augen geführt, wie lesefreundlich die klassische Rechtschreibung doch war (ist). Besten Dank nochmal für diesen Literaturhinweis.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2010 um 07.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#15624
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In der Reclam-Ausgabe von Judith Kerrs „When Hitler stole pink rabbit“ (Stuttgart 2000) gibt es ein Nachwort in Reformschreibung, aber mit Fehlern (läßt, Nationalsoziali-sten; merkwürdig sieht unplatziert wirken aus). Der Herausgeber, der Lehrer Erhard Dahl, gibt die üblichen Interpretationsversatzstücke zum besten: "personale Erzählperspektive" usw. Ansprechender wäre es gewesen, sich auf die biographischen Ergänzungen zum Leben der Familie Kerr zu beschränken.
Beim Lesen des Büchleins, das ich für meine jüngste Tochter gekauft habe, mußte ich an eine betagte Nachbarin denken, mit der ich mich in Berlin bei Schneeschippen über Alfred Kerr unterhalten habe. Sie hatte Kerr gut gekannt und bewunderte ihn immer noch. Es ist immer seltsam, wenn man plötzlich mit den Erinnerungen der Leute und den eigenen ein ganzes Jahrhundert überspannt. Einmal hörte ich den Dirgenten Paumgartner erzählen, wie er als kleiner Junge auf dem Schoß von Johannes Brahms gesessen hatte. Für besagte Tochter, die Klavier spielt, hat es etwas noch Unwirklicheres, wenn sie auf einmal erkennt, daß diese legendären Klassiker tatsächlich vor überschaubarer Zeit gelebt haben und nicht vor der Eiszeit ...
Ein anderes Reclam-Heft ist mir im Bücherkeller in die Hände gefallen: Reclam- Arbeitsheft: Deutsche Sprache der Gegenwart. Stuttgart 1977/1980. Das Vorwort beginnt:
„Da sich die im vorliegenden Band zusammengefaßten Texte zur deutschen Gegenwartssprache vorwiegend an Schüler der Sekundarstufe I und II, nicht aber an den Linguisten und Sprachwissenschaftler wenden, kann die sonst unumgängliche wissenschaftstheoretische Positionsbestimmung auf wenige Aspekte reduziert werden.“
In der Tat war die sprachwissenschaftliche Literatur damals infolge der generativistischen Ausrichtung von „wissenschaftstheoretischen Positionsbestimmungen“ durchsetzt, und gerade dies macht sie heute unlesbar und führte dazu, daß dreißig Jahre später die Bibliotheken von all diesem Zeug befreit werden. Es fällt weiterhin auf, daß die feministisch korrekte Sprachregelung damals noch nicht als zwingend empfunden wurde.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2012 um 13.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#20020
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Zur Neugestaltung der Universalbibliothek gibt es ein Sonderbändchen der Reihe, das unser Beiratsmitglied Friedrich Forssman mitherausgegeben hat. Man kann es herunterladen:
www.reclam.de/data/media/Die_Welt_in_Gelb.pdf
Die Beiträge sind teils in bewährter, teils in reformierter Rechtschreibung gedruckt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2012 um 15.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#20023
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Die reformiert gedruckten Seiten in dem genannten Bändchen enthalten erwartungsgemäß etliche Fehler: im wesentlichen, plaziert, numeriert, 125jährig, 13stellig, im folgenden, Jug-endsprache usw.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2012 um 16.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#20024
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In demselben Heft heißt es:
"Parallel zu dieser Ausweitung wurden die Ausgaben vieler klassischer Schultexte im Zuge der Rechtschreibreform revidiert. Zunächst wurde ihre Textgrundlage überprüft und sie, wo nötig, auf eine bessere, philologisch gesicherte Grundlage gestellt. Sodann wurden die Texte orthographisch »modernisiert«, wobei dieser terminus technicus eigentlich in die Irre führt, denn das Ziel dieser »Modernisierung« ist keineswegs die einfache Umsetzung dessen, was das neue Regelwerk als für die Schule verpflichtend vorgibt, sondern mindestens so sehr die Bewahrung der ursprünglichen, historischen Textgestalt. Im Ergebnis zeigen diese etwa 100 Schultitel nach ihrer durch die Rechtschreibreform ausgelösten Textrevision einen authentischeren und historischeren Text als vorher."
Das kann schon sein und würde nur beweisen, wie rückwärtsgewandt die Reform ist. Zufällige Übereinstimmungen mit älteren Schreibweisen (wahrscheinlich Getrenntschreibungen) haben aber nichts mit einer historisch-kritischen Textbearbeitung zu tun.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 10.02.2012 um 20.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#20028
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Es hat schon etwas dialektisches. Einerseits staunt man immer wieder, wie gut in vieler Hinsicht Bücher, die vor 120 oder 150 Jahren geschrieben wurden, der Reformschreibung entsprechen. Andererseits stelle ich immer wieder fest, daß historischen Texten wenig Respekt entgegengebracht wird. Viele haben natürlich einfach keine Ahnung und schicken alles unterschiedslos durch ihr Rechtschreibprogramm (barbarisch!). Manche fürchten aber vielleicht wirklich schwere geistige Verwirrungen, wenn irgendwo litterarische Thätigkeiten illustrirt werden oder gar von Thürringen ( = Türklopfern) die Rede ist. Ich will gar nicht mal das Hohelied auf die Frakturschrift singen, bei der noch sorgfältig zwischen Haustoren mit rundem s und Haustorien mit langem s unterschieden und hoffen, schaffen, Scheffel mit ff-Ligatur geschrieben wurde, Hoffahrt, hoffähig und Schaffell aber ohne (kompliziert, aber lesefreundlich). Ich bin zugegeben ein sehr altmodischer Mensch, der etwa den Simplicissimus oder auch das Nibelungenlied allemal lieber im Original liest als in irgendeiner modernisierten Fassung (wobei Simrock auch schon wieder etwas antiquiert ist), aber wie will man ein historisches Verständnis entwickeln, wenn man alte Texte nur durch die Brille heutiger Schreibweise zu sehen bekommt?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.01.2013 um 06.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#22261
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"Der Yogaleitfaden des Patanjali", Reclam 2010. Das Bändchen ist in Reformschreibung gedruckt, aber eigentlich nur Heyse. Es heißt also im allgemeinen usw., obwohl die Reform das nicht zuläßt. Ebenso hält es Wolfgang Krischke mit seinem (sehr guten) Buch "Was ist Deutsch?" bei C. H. Beck: FAZ-Orthographie, weder klassisch noch reformiert.
Das dürfte die Zukunft sein. Die übertriebene Großschreibung wird stillschweigend zurückgenommen, eines Tages wird der Rechtschreibrat das übernehmen.
Das Reclambuch ist übrigens ein ziemliches Wagnis, mit Sanskrittext in Devanagari und Transkription. Aber es gibt anscheinend genug Yogabegeisterte, die sich damit beschäftigen könnten. Mich machen solche Texte ganz kribbelig, weil ich zwar die Wörter, aber nicht den Sinn verstehe. Zum Glück gibt es vieles Lesenswertere.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.08.2015 um 05.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#29799
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Auch die Neuauflage der Reden des Buddha (Reclam 2015) ist in einer halben Reformschreibung gehalten: Heyse, aber im folgenden, jeder einzelne.
Außerdem:
Aus dem Leben eines Taugenichts: Reclam XL - Text und Kontext (Reclam 2015)
Heyse, aber im wesentlichen usw.
Das Liedchen am Anfang ist so geändert:
Hat auch mein Sach aufs Best bestellt
Das kommt zwar zufällig der Originalschreibung wieder näher, ist aber trotzdem nicht dasselbe. Zum Glück gibt es die Erstausgabe bei dtv.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2016 um 10.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#31520
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Die annotierten Klassikerausgaben bei Reclam machen einen skurrilen Eindruck. Der Text ist schlecht und recht in Reformschreibung gesetzt (Heyse), aber die altertümliche Sprache beinahe Satz für Satz durch Randnoten oder Fußnoten erläutert. Hätte man da nicht auch ein für allemal anmerken können, daß die Rechtschreibung nicht die reformierte ist (was alle Schüler ohnehin hundertfach kennen). Oder eben gleich alles in Originalfassung, wie die neuen Klassikerausgaben einiger Verlage.
Wie es jetzt ist, wirkt es beflissen, wie Pfötchengeben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.09.2016 um 17.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#33298
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#15624
In der FAZ ein Vorabdruck aus der neuen Kerr-Biographie, die bei Rowohlt erscheint. Die Zitate (von Thomas Mann vor allem) sind auf reformierte s-Schreibung umgestellt, andererseits ist gethan und ähnliches beibehalten, auch in der Leseprobe vom Verlag, aus der ich orthographisch nicht klug werde.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2018 um 08.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#38526
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Die zweisprachigen Reclam-Bändchen, zum Beispiel Platons "Timaios", sind recht praktisch. Leider hat der Verlag den deutschen Teil auf Reformschreibung umgestellt, natürlich fehlerhaft:
von Neuem sieht nur altmodisch aus, als erste könnte uns gefallen, ist aber falsch im Sinne der Reform, und von Alters her entspricht weder der klassischen noch irgendeiner Reformschreibung.
Wer macht sowas und warum?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.07.2019 um 15.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#41868
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Brigitte Kronauer ist gestorben. Sie ist immer bei der nichtreformierten Rechtschreibung geblieben, auch in ihrem letzten Roman (Klett-Cotta).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.08.2020 um 06.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=983#44186
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Reclam stellt alles auf Reformschreibung um, was nicht niet- und nagelfest ist. Andererseits gibt es zum Beispiel eine Neuübersetzung von Platons "Staat" (von Gernot Krapinger). Da habe ich nur die ersten Seiten überflogen und bin auf eine etwas skurrile Kommasetzung gestoßen, vor allem aber auf so etwas:
umso größer wird mein Verlangen nach und die Lust an Gesprächen.
So kann man doch auf deutsch nicht schreiben! Keine andere Übersetzung stellt sich so ungeschickt an, da hilft auch Reformschreibung nicht.
Es ist zu bedenken, daß Platon gerade am "Staat" sprachlich gefeilt hat – der Legende nach bis auf sein Totenbett.
Von Platons Stilkunst kann ich gerade auch noch ein Beispiel aus dem "Menon" anführen, auf das ich im Zusammenhang mit synonymischer Variation gestoßen bin (es ist der Anfang):
ἔχεις μοι εἰπεῖν, ὦ Σώκρατες, ἆρα διδακτὸν ἡ ἀρετή; ἢ οὐ διδακτὸν ἀλλ᾽ ἀσκητόν; ἢ οὔτε ἀσκητὸν οὔτε μαθητόν, ἀλλὰ φύσει παραγίγνεται τοῖς ἀνθρώποις ἢ ἄλλῳ τινὶ τρόπῳ;
"Kannst du mir wohl sagen, Sokrates, ob die Tugend gelehrt werden kann? Oder ob nicht gelehrt, sondern eingeübt? Oder ob weder eingeübt noch gelernt, sondern von Natur sie den Menschen zuteil wird oder auf irgendeine andere Art?"
Hier ist didakton stillschweigend durch matheton ersetzt, also „lernbar“ als Synonym von „lehrbar“. Außerdem Chiasmus, alles im Dienst der Kunstprosa.
"Die neue Übersetzung, die der Grazer Philologe Gernot Krapinger (...) erarbeitet hat, zieht den Leser mit klarer und unprätentiöser Sprache in das Werk hinein. Sie ist dem griechischen Text nah genug, besitzt aber zugleich eine eigene Dignität im deutschen Ausdruck." (Martin Hose in der FAZ über den "Staat")
Das schreibt man, wenn man sich die Sache nicht genauer angesehen hat.
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