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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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29.02.2008
 

Profilbildung
Zu einer Verlegenheitsvokabel

Die Bundesregierung will "so genannte Kleine Fächer" fördern, indem sie ihnen die Zusammenarbeit mit größeren nahelegt: http://www.bmbf.de/press/2243.php.
Wie wir alle wissen, geht es um das Gesund- und Totschrumpfen der Geisteswissenschaften. Der Schmerz wird durch befristete Geldspritzen gelindert. Es ist unvermeidlich, daß in diesem Zusammenhang das Wort "Profilbildung" auftaucht. Das wird uns hier an der Uni seit Jahren allwöchentlich um die Ohren gehauen. Sehr nützliche Fächer wie zum Beispiel die Slavistik verschwinden einfach, und damit ist unser Profil wieder etwas schärfer geworden.

Mir ist aufgefallen, wie beliebt das Wort "profiliert" auch sonst geworden ist, besonders im Superlativ mit einschränkender Partitivkonstruktion: "X ist einer der profiliertesten Vertreter seines Faches" usw. Damit ist eigentlich noch gar nichts über die Qualität gesagt, sondern nur die sich selbst verstärkende Prominenz noch einmal bestätigt. Insofern paßt die Aufforderung zur "Profilbildung" bestens in unser rhetorisches Zeitalter. Es ist kaum zu glauben, welchen Platz die Selbstdarstellung auch im akademischen Leben einnimmt, es werden neuerdings sogar "Schlüsselqualifikationen" als obligatorischer Bestandteil der ohnehin knapp bemessenen Studienzeit im BA-Studium gelehrt. Zwar weiß man noch nicht genau, was das sein soll, aber es steht schon fest, daß es eine ganze Batterie sogenannter "Kompetenzen" sein wird, bis hin zur krönenden "Selbstkompetenz". (Wer es nicht glaubt, kann unter den Stichwörtern nachsehen.)



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Kommentare zu »Profilbildung«
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 29.02.2008 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#11568

Wo starke Worte verwendet werden, schwinden die Sachen. Es ist immer umgekehrt, als es auf den ersten Blick erscheint. Wer keinem Irrtum aufsitzen will, muß nicht nur harmlose Vokabeln, sondern vor allem die Kampfbegriffe aus dem Mund von Politikern und Politfunktionären von innen nach außen wenden. Verbalradikale Versuche, die Wirklichkeit zu verändern, sind jedoch grundsätzlich zum Scheitern verurteilt, sie alle tragen ein Verderblichkeitsdatum.
Was den rasch voranschreitenden Verfall der Orthographie (und der parallel dazu schwindenden Fähigkeit, sich schriftlich korrekt auszudrücken) betrifft: Ich kann nur immer wieder zu Geduld aufrufen – es geht alles seinen Gang.
 
 

Kommentar von contraReform, verfaßt am 29.02.2008 um 09.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#11570

Es gärt schon noch Unmut im Volk. Bei einer Organisation proKöln liest man:
»... Die „pro Köln Jugend“ ist nämlich auf der Suche nach Mitstreitenden, die mit ihnen in den Kampf gegen die „Millionenfache Arbeitslosigkeit, immense Staatsverschuldung, hohe Kriminalität und arrogante Entscheidungen gegen den Willen unseres Volkes“ zieht. Die Notwendigkeit dieses Kampfes „wird vor allem am Beispiel der Rechtschreibreform deutlich, mit der wir tagtäglich konfrontiert sind und die uns und unsere Lehrer stets aufs neue verwirrt“ . „Unruhe ist heute die erste Bürgerpflicht“ und da darf die ClownsArmee, Spezialeinheit für Unruhe, natürlich nicht fehlen.«
(http://de.indymedia.org/2008/02/209139.shtml)

Nebenbei: beim Börsenblatt, bei dem gestern ein Artikel "Neue Deutsche Rechtschreibung" zu finden war und hier im Forum kritisiert wurde, ist dieser jetzt wieder weg:
http://www.boersenblatt.net/181736/
(Mit Suche nach "Rechtschreibung" findet man noch die Überschrift.)
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 29.02.2008 um 09.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#11571

Jaja, ProKöln ist ganz und gar nicht ohne. Aber das ist ja das Dilemma: Solidaritätsbekundungen im Kampf gegen die RSR von dieser Seite aus sind Wasser auf die Mühlen der Progressivschreibfanatiker (= Reformtreiber und -betreiber). Klar, es macht (vor allem politisch) ja auch mächtig Eindruck, wenn die sagen können: "Sehr ihr, die Rechten wollen sich auch nicht umstellen! Alles 'ewig Gestrige'. Also her mit der Reform, das ist freiheitlich, das ist demokratisch, das ist links! Und wenn schon nicht das, dann wenigstens 'nicht-rechts'!" Und schon haben sie Gehör.
Da fragt man sich doch: Ja, ist denn Grass jetzt rechts? Die RSR-Hetzer würden das vermutlich fast schon behaupten wollen... aber das würde dann wirklich keiner mehr glauben... oder?

Ist ja drollig, daß Schlüsselqualifikationen jetzt mir nichts dir nichts (das könnte man doch auch mit Bindestrichen schreiben, oder? Wird immerhin wie ein Adverb gebraucht...) gelehrt werden können. Wie lange man wohl dafür braucht, sie zu lernen? Ein Semester – oder doch anderthalb?
Ja, "Kompetenzen" sind was Feines! Neben "Produkt" ein heißer Kandidat für die Wahl zum "Haßwort der Dekade".
 
 

Kommentar von SL, verfaßt am 02.03.2008 um 19.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#11582

Was ist gegen 'Pro Köln' einzuwenden?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.06.2009 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#14669

Um sein Lehrdeputat zu erfüllen, muß der Hochschullehrer in Bayern bekanntlich 9 Wochenstunden Lehre anbieten (Die Erhöhung der Arbeitsbelastung um 25% ist vor Jahren weitgehend unbemerkt über die Bühne gegangen). Man kann sich aber die Betreuung von Abschlußarbeiten anrechnen lassen (wovon ich fast nie Gebrauch gemacht habe). Interessant sind die "Betreuungsfaktoren für Abschlußarbeiten" (wie es an unserer Universität in bester Rechtschreibung immer noch heißt). Den niedrigsten Wert haben nach Einschätzung der Universität Bachelor- und Staatsexamensarbeiten in den Geisteswissenschaften: 0,5 und damit nur ein Viertel des Wertes, den die entsprechenden Arbeiten in den Naturwissenschaften erreichen. Selbst eine Magister- oder Masterarbeit in den Geisteswissenschaften wiegt nur halb so viel wie eine Bachelorarbeit in den Naturwissenschaften.
Damit ist klar, wie die Verantwortlichen die geisteswissenschaftlichen Fächer einschätzen: im Grunde als Schwatzveranstaltungen. Warum sollten Kandidat und Betreuer sich unter solchen Umständen krummlegen? Ich will nicht sagen, daß die Einschätzung immer unzutreffend wäre, aber irgendwie reproduziert sich diese Geringwertigkeit immer wieder selbst, weil nicht viel Ehre zu gewinnen ist.
Nach den Vorstellungen der Bertelsmann-Stiftung sollen unsere Universitäten amerikanischer werden, ausgenommen natürlich die Betreuungsrelationen ...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.06.2011 um 17.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#18898

Die "Exzellenzinitiativen" haben dazu geführt, daß auf Bautafeln der Universität nicht mehr eine schlichte Funktionsbezeichnung wie etwa Frauenklinik steht, sondern Exzellenzcluster und ähnliches.
Die erst noch zu erbringende Leistung wird vorab als ganz vortrefflich gelobt. Der Erlanger Philosoph Jens Kulenkampff kommentierte vor einiger Zeit: »Alle diese Elite-, Forschungskolleg- und Exzellenzprogramme werden am Ende nichts hervorgebracht haben als neue, die Eitelkeit schmückende Kleider. „Eliteuniversität“! Welche wirklich bedeutende akademische Institution wird sich schon selbst das Schild „Elite“ oder „exzellent“ umhängen? Die „Exzellenzcluster“ (was für ein Wort!) werden erforscht haben, was man ohne sie auch erforscht hätte; die „Graduate Schools“ werden Doktoren produziert haben, die man ohnehin ausgebildet hätte; und die „Zukunftskonzepte“ werden sich als der Marketingschwindel erweisen, als der sie schon heute durchschaubar sind.«
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.07.2011 um 10.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#18947

Ähnliches Befremden beim Artikel "Ethnomethodologie" in Wikipedia:
Ethnomethodologische Forschung liefert präzise Beschreibungen der Methoden, die von Mitgliedern einer Gesellschaft, Gruppe oder Gemeinschaft verwendet werden, um das zu tun, was auch immer sie tun.
Wie präzise die Ergebnisse sind, hängt von der Güte der geleisteten Arbeit ab, man kann es doch nicht in die Definition aufnehmen!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.11.2011 um 14.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#19517

Wenn man es nicht schafft, ein Exzellenzcluster einzurichten, begnügt man sich mit einem Kompetenzzentrum. Mir wird gerade erst bewußt, wie viele tausend Kompetenzzentren in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Wir leben in grandiosen Zeiten.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 04.07.2013 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#23554

Wie fragwürdig es ist, an Universitäten den Exzellenzstatus zu verleihen, zeigt ein Artikel von Jürgen Kaube in der Netzausgabe der FAZ. Die Universität Freiburg gehört nun nicht mehr zum Kreis der elitären Universitäten. Eine der Begründungen ist, daß sie dafür zu elitär ist.

"Kognitive Orientierung ersetzt das Wissenschaftsmanagement, auch mangels eigener Intellektualität, gerne durch politische Perspektiven. Die kamen in dem Satz des damaligen DFG-Präsidenten Matthias Kleiner zum Ausdruck, man wolle keine Strukturen innerhalb von Universitäten, die denen von Max-Planck-Instituten ähnelten. Nicht nur lässt tief blicken, und zwar ins Leere, dass dem Ingenieur und den Seinen dieser Effekt der Exzellenzinitiative, den man sich organisationssoziologisch an den Fingern einer Hand abzählen konnte, erst nach sechs Jahren der Förderung einer solchen Struktur aufgefallen ist."

Zur Realsatire von Kaube geht es hier.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.08.2014 um 09.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#26494

Was treiben eigentlich die Exzellenzcluster? Schaun wir mal:

Der Göttinger Philosoph Prof. Dr. Holmer Steinfath hat am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ über Werte und Glück als Bedingungen für ein „gutes Leben“ gesprochen. Wer im Leben nur nach Glück, Lust und Freude suche, könne sich schnell verlaufen. Denn das Streben nach Glück allein gebe im menschlichen Leben noch keine Orientierung, so der Wissenschaftler. „Wenn wir das Glück absichtlich und direkt anpeilen, verfehlen wir es mit großer Sicherheit. Es kommt oft unerwartet und scheinbar nebenbei“, sagte Prof. Steinfath in seinem Vortrag „Werte und Glück“ zum Auftakt der Tagung „Philosophie, Theologie und die Frage nach dem guten Leben“. (Uni Münster)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 03.09.2017 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=978#36122

Julia Friedrichs berichtet im „Zeit Campus“, die Zahl der Privatschüler steige kontinuierlich. "Fast jede zehnte Familie hat das staatliche System verlassen. Bildung gegen Geld, das scheint heute ein normales Geschäft zu sein.“ So trifft sie zwar eine Aussage über die Qualität des staatlichen Systems, läßt aber zugleich durchblicken, an Privatschulen gehe es vor allem ums Krawattenbinden. Da ist natürlich auch Deutschlands Elitenforscher gefragt:

Michael Hartmann ist inzwischen emeritiert. Zur Ruhe gekommen ist er nicht. Er hält Vorträge und forscht weiter. Schnellen Schrittes stapft er durch Wittenberg. "Lassen Sie uns in die Elbaue gehen", sagt er. Er läuft und läuft und läuft. Irgendwann bleibt er auf einem Hügel stehen. Unter uns eine Güterbahnstrecke, die Elbe, die Kirchtürme von Wittenberg. Ein Ort, der Überblick verschafft.

Dort oben überrascht Hartmann die Journalistin mit dem Forschungsergebnis, daß die krawattenbindende Elite sich nicht nur gegen gegen Menschen aus dem falschen Milieu abschottet, sondern auch gegen kleine Männer. Er hat das im Gespräch mit "Tausenden Managern, Gewerkschaftern, Politikern“ herausgefunden.

http://www.zeit.de/2017/36/elite-salem-finanzkrise-mittelstand-leistung?utm_content=zeitde_redpost_zon_link_sf&utm_campaign=ref&utm_source=facebook_zonaudev_int&utm_term=facebook_zonaudev_int&utm_medium=sm&wt_zmc=sm.int.zonaudev.facebook.ref.zeitde.redpost_zon.link.sf
 
 

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