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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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09.01.2008
 

Unfreiwillig die Wahrheit sagen
Die Rechtschreibung von gestern

Irgendwo schreibt eine gewisse Ute Nardenbach: "Nichts ist so falsch wie die Rechtschreibung von gestern."

(In Wirklichkeit zwickt sie in diesen kurzen Satz noch ein Komma hinein, aber das wollen wir nicht kritisieren.)

Gemeint ist es zwar anders, aber wenn man unter der gestrigen Rechtschreibung die von 1996 versteht, stimmt es wieder.



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Kommentare zu »Unfreiwillig die Wahrheit sagen«
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Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 12.01.2008 um 14.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=947#11127

Natürlich hat Stach eigentlich nur einen Eingriff rückgängig gemacht, lieber Herr Markner. Mir ging es vornehmlich um seine überhebliche Begründung für diesen Eingriff.
Wie ich schon schrieb, waren die Herausgeber 1982 über die Entscheidung des Verlages nicht gerade glücklich. Übrigens genauso wenig glücklich wie die Herausgeber der einzelnen Ausgaben des damaligen Prestigeprojekts von Siegfried Unseld, des Deutschen Klassiker Verlags. Dort entschied Unseld (übrigens nachdem er befreundete Lehrer um ihre Meinung gebeten hatte!) für eine sogenannte behutsame Modernisierung der Orthographie. Eine fatale Entscheidung, denn zahlreiche Editionen wurden speziell für diese Reihe ganz neu aus den Quellen ediert und brachten vielfach neue Texte oder die Fassungen der Erstdrucke, die nun, wie etwa bei Herder, Lessing, Wieland, Arnim oder Tieck unnötigerweise modernisiert wurden. Wieland und Tieck werden vermutlich niemals abgeschlossen vorliegen. Aber bei Herder und Lessing hätten die Ausgaben des Deutschen Klassiker Verlages ernsthafte Alternativen zu Suphan oder Lachmann/ Muncker werden können. Diese Chance wurde zugunsten einer verkaufsförderlicheren Modernisierung vertan. Nach längeren Diskussionen mit Unseld konnten lediglich die Ausgaben des 17. Jahrhunderts unmodernisiert erscheinen. Günther schlüpft wohl als Übergangsgestalt durchs Netz, zum Glück für ihn und uns.
Um aus meinem Exkurs aber wieder zu Stach zurückzukommen, so zeigt der Hinweis von Peter-André Alt zu Beginn der Anmerkungen in seiner Kafka-Biographie (Franz Kafka. Der ewige Sohn. München: C. H. Beck 2005), daß man durchaus auf diesen Mangel der Kritischen Kafka Ausgabe hinweisen kann und eben diese Ausgabe dann doch unverändert zitiert. Aber auf eine dergestalt elegante Lösung ist Stach wohl nicht gekommen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.01.2008 um 22.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=947#11121

Stach hat nur einen Eingriff rückgängig gemacht, der sich in einer historisch-kritischen Ausgabe ohnehin verbietet. Völlig in Ordnung.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 09.01.2008 um 20.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=947#11093

Ich möchte diesen Satz auch nicht bezüglich der inzwischen schon wieder historisch gewordenen Schulorthographie von 1996 kommentarlos unterschreiben. Sie hat sich zum Glück – und zu einem großen Teil dank der Arbeit von Herrn Ickler – nicht durchgesetzt und ist nun eben ein Teil der Geschichte geworden und hat dort ihren Platz. Sei es auch nur als Beispiel menschlicher Hybris. Überheblich erscheint auch der Satz von Frau Nardenbach, wenn man bedenkt, daß das Schibboleth der Reform(en) seit 1996 ebenfalls von gestern ist, nämlich aus dem 19. Jahrhundert.

Nicht mehr nur überheblich, sondern geradezu gefährlich wird dieser Satz freilich, wenn man ihn auf nicht-reformierte Literatur anwendet. Denn dann gibt es plötzlich Autoren, die recht schreiben, und solche, die u(U)nrecht schreiben.

Ein mahnendes Beispiel hierfür ist die – übrigens wenig motivierend geschriebene – Kafka-Biographie von Rainer Stach (Kafka. Die Jahre der Entscheidungen. Frankfurt am Main: S. Fischer 2002). Im Anhang zu "Siglen und Zitierweise" kann man dort auf Seite 608 lesen:

Zitate aus Werken, Briefen und Tagebüchern Franz Kafkas folgen der im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, erschienenen Kritischen Ausgabe. [...]
Eine Ausnahme ist Kafkas Gebrauch des "ss" anstelle von "ß" (durchgängig seit 1907): Hier folgten die Herausgeber der Kritischen Ausgabe den Rechtschreibregeln, die bei Beginn der Edition (1982) gültig waren. Da jedoch diese Regeln inzwischen revidiert wurden, wird in der vorliegenden Biographie [sic] in sämtlichen Zitaten das von Kafka verwendete "ss" unverändert wiedergegeben. Das betrifft auch die Romantitel DER PROCESS und DAS SCHLOSS, die Kafka nach den heutigen Regeln 'richtig' geschrieben hat.

In drei Punkten sind diese Ausführungen Stachs zu revidieren, um bei seinem kaufmännischen Sprachgebrauch zu bleiben.
Es ist zunächst richtig, daß Kafka seit 1907 gar kein ß mehr schrieb. Stach verschweigt jedoch den Grund. 1907 wechselte Kafka seine Schrift von deutscher Kurrentschrift zu lateinischer Schreibschrift, die eigentlich kein ß kennt. Kafkas Geburtsort Prag zeigt sich darüber hinaus in Worten wie "Teater", das er vor und nach 1907 stets ohne h schrieb, weil das Tschechische die Verbindung th nicht kennt. Gar kein ß mehr zu schreiben ist aber nach "heutigen Regeln" keineswegs 'korrekt', wie Stach meint. Denn nach langem Vokal oder Dipthong soll ja weiterhin ß geschrieben werden. "Teater" hätte auch nach der ersten Dudenreform mit th geschrieben werden müssen. Auch hier war Kafka bereits damals eigentlich nicht 'korrekt'.
Außerdem war es 1982 keineswegs die Entscheidung der Herausgeber, die Texte entsprechend den Rechtschreibregeln anzupassen, sondern die des Verlages. Ich weiß das aus zuverlässiger Quelle. Ironischerweise ist es derselbe Verlag, der dann ganz schnell nach 1998 auf Reformschreibung umstellte, was er nur konnte.
Der dritte Punkt schließlich betrifft Stachs eigenmächtige Eingriffe in eine textkritische Ausgabe, die nicht gerade den seriösen Wissenschaftler erkennen lassen. Noch dazu mit dieser überheblichen Scheinrechtfertigung. Womit ich wieder bei Frau Nardenbach angekommen bin.
 
 

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