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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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06.01.2008
 

Nerius und Duden
Allmähliches Verschwinden?

Als ich mich umsehen wollte, ob Nerius seinen zuletzt bei Duden erschienenen Band "Deutsche Orthographie" nach zwei amtlichen Revisionen neu bearbeitet hat, stellte ich fest, daß Duden dieses doch immerhin repräsentative Werk aus dem Programm genommen hat. Es erscheint jetzt in vierter Auflage bei Olms (Dezember 2007). Ich werde es durchsehen und dann hier berichten.

Der Fall erinnnert an Weinrichs deutsche Textgrammatik, die Duden eines Tages ohne Rücksprache mit dem Verfasser makuliert hat (rund 1000 Bände wurden vernichtet) und die jetzt ebenfalls bei Olms erscheint.



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Kommentare zu »Nerius und Duden«
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Kommentar von Pressemitteilung, verfaßt am 09.01.2008 um 13.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11089

Sprachwissenschaftler Eisenberg erhält Konrad-Duden-Preis

Wie der Mannheimer Morgen und andere Tageszeitungen berichten, wird Peter Eisenberg „für seine Verdienste um die deutsche Grammatik“ am 12. März 2008 den mit 12.500 Euro dotierten Konrad-Duden-Preis erhalten. Die Stadt Mannheim und der Dudenverlag vergeben den Preis seit 1960 alle zwei Jahre.
„Eisenberg war unter anderem als Kritiker der Rechtschreibreform bundesweit bekanntgeworden [sic]. Als Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung trug er maßgeblich dazu bei, dass einige umstrittene Änderungen wieder zurückgenommen wurden.“

Der Dudenverlag teilt auf seiner Homepage mit: „Peter Eisenberg zählt heute zu den profiliertesten und national wie international anerkanntesten deutschen Linguisten überhaupt“. Und bescheinigt dem Preisträger, er sei ein „streitbarer Linguist (…), der es durchaus darauf anlegt, dem eigenen Fach den Spiegel vorzuhalten, indem er für eine konsequentere Alltagsnähe der germanistischen Sprachwissenschaft eintritt“.

Siehe hier.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 09.01.2008 um 17.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11090

Wenn man dem Verweis zur Duden-Seite folgt, ist vor allem die wechselnde Schreibweise von "Grundriß" amüsant. In der Publikationsliste ist natürlich – zumindest hoffe ich das – die Schreibweise des Erstdrucks angegeben, die Verantwortlichen für die Seite schreiben hingegen beharrlich "Grundriss".

Bei Amazon finden sich ebenfalls beide Schreibweisen. Natürlich wie üblich ohne irgendeinen Hinweis auf die Orthographie des Buches, das man eventuell kaufen möchte. Womöglich kommt also auch ein bestellter "Grundriß" als "Grundriss" an. Aber heute kann man ja alles problemlos umtauschen.
Vermutlich würde Eisenberg seinem Buch heute einen anderen, weniger auffälligen Titel geben. Einen, den nicht schon Heyse auf dem Buchdeckel ziert. Live and learn.

Ab welcher Auflage hat Eisenberg denn eigentlich auf Schulorthographie umgestellt, und wie erklärt er im entsprechend revidierten Band von "Das Wort" das Problem "leid" vs. "Leid"? Adjektiv, Substantiv im Akkusativ oder "feste Fügung", mit oder ohne Duden-Probe ex negativo? Das ist keine Polemik, ich bin ehrlich gespannt auf eine Antwort.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2008 um 17.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11091

Die Eisenbergsche Grammatik ist an sich ein bemerkenswertes Werk, im Laufe der Jahre auch noch besser geworden, und der Dudenpreis ist wohlverdient. Zur neuesten Auflage hatte ich seinerzeit einige Notizen verfaßt, die ich der Einfachheit halber noch einmal hierhersetze:

Eisenberg, Peter: Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 3. Aufl. 2006. Stuttgart:Metzler.

„Wichtigste Änderung ist die Umstellung des Textes auf die seit August 2006 verbindliche Neuregelung der Orthographie. Für diesen Schritt gab es viele Gründe. Der wohl wichtigste: Ein Buch, das u. a. in der Lehrerbildung verwendet wird, sollte sich auf die Dauer nicht der Schreibweise verweigern, die das tägliche Brot der Lehrer ist. Die Umstellung erfolgt nach bestem Wissen – falls etwas übersehen wurde, bitten wir um Verständnis – und sie erfolgt auch dort, wo die Neuregelung nach Auffassung des Autors noch immer Mängel hat.“ (Vorwort)

Sind die Lehrer gefährdet, wenn sie Bücher in nicht-reformierter Rechtschreibung lesen? Das werden sie noch auf Jahrzehnte kaum vermeiden können. Welche weiteren Gründe gibt es, wenn dies der „wichtigste“ ist?

In den Hinweisen für den Benutzer schreibt Eisenberg, daß er auch die Beispielsätze angepaßt habe. Auch Zierrat schreibt er reformiert, obwohl er es ausdrücklich als Ableitung auf -at erklärt. Lediglich das Wort plazieren will er traditionell schreiben. Er behauptet sogar, Schreibweisen wie platzieren und nummerieren ließen sich „nicht verteidigen“. Das ist weit übertrieben. Es sind auch nicht nur „Regelungen von 1996“, sondern ebenso von 2006, und Eisenberg hat sie im Rechtschreibrat mitbeschlossen – wie denn überhaupt sein Anteil an den so scharf kritisierten Reformregeln allzu sehr verdunkelt scheint.

Schon auf der ersten Seite findet man erstere, letztere und um so – wobei gerade dies in der vorigen, nicht reformierten Ausgabe reformiert, also umso geschrieben war! Es geht weiter mit im wesentlichen und weiteren Verstößen gegen die „verbindliche“ Neuregelung, auch volladen ist traditionell geschrieben.

Eisenberg trennt durchweg st nicht: zugun-sten, Mu-ster usw. groß schreiben und klein schreiben schreibt er meist getrennt, was seit 1996 nicht mehr zulässig ist; erst in den Lösungshinweisen geht er zur Zusammenschreibung über.

Die inkonsequente Handhabung der Reformorthographie muß Lehrer, wenn sie denn so gefährdet sind, erst recht verwirren.

Eisenberg tadelt die Reformschreibungen spazieren gehen und irgendeiner als „klare Systemverstöße“. Offenbar hält er irgend einer für die nichtreformierte Schreibweise. Unter der Getrennt- und Zusammenschreibung erörtert er Formen, die es weder nach traditioneller noch reformierter Schreibweise gibt, deren Rolle in der Argumentation daher unklar ist: biertrinken, geldwaschen usw. Die Ausführungen zu leid tun, pleite gehen, irre werden S. 348f. sind merkwürdig ausweichend, man weiß nicht recht, ob Eisenberg den adjektivischen Charakter dieser Wörter tatsächlich in Frage stellen will. Es gibt keine Regel, die für leertrinken Zusammenschreibung „erzwingt“, wie Eisenberg S. 429 behauptet; übrigens ist es nur eine fakultative Neuschreibung.

„Vor der Neuregelung waren auch die morphologischen Schreibungen <geschrieen> und <gespieen> erlaubt.“ (S. 428) Gibt es dazu weiter nichts zu sagen? Wie konnte Eisenberg im Rechtschreibrat einer Regelung zustimmen, die das verbietet?

Die Schreibung überschwänglich ist von der Reform nicht „zugelassen“, sondern vorgeschrieben worden (S. 303, später wird der Sachverhalt richtiger dargestellt [S. 325]). Eisenberg meint, die Reform von 1996 habe für vonseiten (das er offenbar für die traditionelle Schreibweise hält), Getrenntschreibung zugelassen (S. 333). Manche Schreibweise wie mithilfe oder nicht im Entferntesten hat Eisenberg schon vor der Reform gepflegt, so daß sie in dieser Auflage nicht wirklich neu sind.

Daß der Plural Kritiken auf der ersten Silbe betont werde (S. 431), läßt sich in dieser Ausschließlichkeit kaum halten; von Kants drei Kritiken habe ich in dieser Betonung noch nie reden hören.

Die seltsame Schreibweise glottal Stop (S. 320) steht schon in der ersten Auflage, ebenso der Druckfehler Gegenatz S. 341. Die Kritik stellte zurecht fest (S. 429) – das entspricht weder alter noch neuer Orthographie.

Das Werk ist weiterhin politisch korrekt, es heißt also stets jede Sprecherin und jeder Sprecher usw.

Insgesamt ist nicht einzusehen, warum Eisenberg die Unterwerfung unter eine von ihm so negativ beurteilte Neuschreibung als das Gebot der Stunde darstellt und selbst mit schlechtem Beispiel vorangeht. Damit ist niemandem wirklich geholfen.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 09.01.2008 um 19.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11092

Vielen Dank für die detaillierten Ausführungen. Das animiert mich nun freilich nicht gerade, mir ein Buch (bzw. gleich zwei) zu kaufen, das sich selbst widerspricht und nicht recht über den Weg traut.

Aber das anscheinend im Vorwort und auch sonst verstreut angedeutete "geballte Fäustchen in der Tasche" läßt zumindest hoffen, daß Eisenberg anläßlich der Preisüberreichung gerade hierauf noch einmal eingehen wird. Womöglich erfahren wir dann, daß sein Fäustchen auch außerhalb von Taschen stets geballt war und ist. Vielleicht trug er es gelegentlich sogar hinter seinem Rücken geballt. Nur schade, daß man es weder in seinen Taschen, noch hinter seinem Rücken sehen kann. Sehen kann man hingegen die Umstellung seines Buches auf die nun angeblich verbindliche Neuregelung der Orthographie sowie deren fadenscheinige Begründung. Wird das Vorwort wohl bei weiteren Subreformen noch einmal angepaßt?

Tut mir leid, aber daran erkenne ich nicht, wo "die Neuregelung nach Auffassung des Autors noch immer Mängel hat", sondern lediglich den Kotau vor der angeblichen Verbindlichkeit des Chaos.

Als Autorität sollte Eisenberg sich doch eigentlich bewußt sein, daß ihm nun viele blind ergeben in den Treibsand folgen werden. Im Lateinunterricht habe ich noch gelernt, "Autorität" könne man definieren als "freiwillige Unterwerfung auf Grund wechselseitiger Anerkennung". Aber das war damals, vor 1998... Sic transit gloria mundi.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.01.2008 um 21.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11094

Als ich gestern früh den Mannheimer Morgen las, mußte ich mir erst nochmal die Augen reiben: Das Bibliographische Institut und die Stadt Mannheim vergeben auf der Jahrestagung des IDS den Duden-Preis an einen bekannten Rechtschreibreformgegner?!

Seite 27 (Hervorhebung von mir):
"Er war Mitglied der zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung, welche die Umsetzung der Orthografiereform begleiten sollte, trat aus dieser aber aus Protest gegen die Haltung der Kultusminister wieder aus. Fortab machte Eisenberg als Gegner der Reform von sich reden. Im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, deren langjähriges Mitglied er ist, erarbeitete Eisenberg das Konzept einer alternativen Reform."

Auch wenn hier schon öfters von seiner widersprüchlichen Haltung die Rede war, habe ich doch erst "heute Abend" wieder in seinem "Grundriss" gesehen, daß er viel mehr Befürworter als Gegner ist. Klar, mit solchen "Gegnern" verdient es sich gut beim Duden-Verlag.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2008 um 05.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11096

Eisenberg ist ein Kritiker der Rechtschreibreform, aber kein Gegner. Er hat niemals die Rücknahme bzw. den Abbruch der Reform gefordert, sondern im Gegenteil von einer "kulturpolitischen Katastrophe" für den Fall gesprochen, daß die Reform abgebrochen würde (und zwar schon lange vor deren Inkrafttreten).
Wie gesagt, der Dudenpreis ist verdient, unschön ist allenfalls, daß er an einen führenden Dudenautor geht. Der Verlag wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit dem Preisträger zu werben. Die Identifikation der deutschen Sprache mit dem Duden wird also weitergetrieben werden. Erst jüngst hat ja der famose Bastian Sick wieder zu erkennen gegeben, daß für ihn nur das zur deutschen Sprache gehört, was im Duden steht – mag Google auch zigtausend Gegenbeispiele liefern. (Es ging um die Fugenelemente, von denen er wieder mal nichts versteht.)
 
 

Kommentar von GL, verfaßt am 10.01.2008 um 08.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11097

Sicher beantworten Sie mir noch eine letzte Frage!?

Gehört Herr Sebastian Sick zu einer der Wortführer von Duden mit marktkonformer Entlöhnung?
 
 

Kommentar von rrbth, verfaßt am 10.01.2008 um 09.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11099

Verzeihung, so sollte es (hoffentlich) klappen:

Sick und der Duden

Siehe hier:
[url=http://nachrichtenbrett.de/Forum/showthread.php?postid=32042#post32042] Schleich(?)-Werbung[/url]

redi

(Das klappt so nur im Forum, nicht hier bei den Kommentaren. – Red.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.01.2008 um 15.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11100

Wenn es um eine Ehrung geht, dann mag Herr Eisenberg diese sicher verdient haben, das will ich gern glauben. Auch ich schlage, zwar mit einer gewissen Vorsicht, in seinen Büchern nach.

Fragt sich nur, ob und für wen der heutige Duden-Preis überhaupt noch eine Ehrung ist. Konrad Duden kann zwar nichts dafür, aber was die Preisverleiher selbst mit der deutschen Sprache machen, ist doch zumindest sehr umstritten. Wie sollte man denn diesen Preis, so wie die Umstände zur Zeit sind, eigentlich einschätzen?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 10.01.2008 um 17.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11103

Die tatsächlich eingetretene kulturpolitische Katastrophe war die Ablehnung der KMK, die vor dem Inkraft-Treten (wörtlich gemeint) bemerkten Fehler der Reform noch rechtzeitig zu beheben. Dadurch hat sich die gleich danach trotzdem als notwendig erkannte Nachbesserung um viele Jahre und mit unnötigen Kosten für die Anwender verlängert. Der Grund für die Beratungsresistenz war immer nur stures Durchsetzen der Staatsräson.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 10.01.2008 um 17.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11105

Der Verlag Olms hat ein glückliches Händchen für gelungene Werke (z.B. die Textgrammatik von H. Weinrich).

Wann endlich legt dieser Verlag das einst von der Partei- und Staatsführung der DDR zu Hunderten in die Germanistiken der "Bruder"länder usw. zentrifugierte Werk "Grammatik und Orthographie" von Nerius neu auf. Die Lektüre dieses Buches würde diesem und jenem Jüngeren klar werden lassen, wie und wofür dieser Autor hochverdient ist und hinsichtlich Linientreue bis heute seinesgleichen sucht. Man könnte ihn in einer historischen Linie mit dem ähnlich hochverdienten Rust sehen; nicht hinsichtlich der Ansichten, sondern der Haltung.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 10.01.2008 um 17.52 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11106

An GL (945#11097)

Wie gesagt, Sebstian Sick ist nicht Wortführer, sondern Reigenführer im Rechtschreibreform-Zirkus. Sein Salär sichern ihm Fernsehanstalten mit "Bildungs"ambitionen. Da braucht´s das Haus Duden nicht.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.01.2008 um 18.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11108

Welche Grammatik ist denn eigentlich empfehlenswert?

Herr Ickler hat hier ja auch schon grundlegende Bücher der Linguistik empfohlen. Den Kauf des Buches von Jespersen verdanke ich ihm ebenfalls, auch wenn ich kleinlaut gestehen muß, den Paul (Prinzipien der Sprachgeschichte) weder damals, nach der ersten Empfehlung von Henne, noch jetzt, nach der zweiten Empfehlung von Ickler, ganz gelesen zu haben. Mea culpa.

Ein Nachteil der alten Duden-Grammatik ist meiner Meinung nach ihr sehr konfuser Aufbau. Über die reformierte Neufassung hat Herr Ickler das Nötige in seiner Amazon-Rezension geschrieben. Da kommt ein Kauf ja wohl nicht ernsthaft in Frage. Aber die Rezension sollte man ernsthaft unbedingt lesen, wenn man das bisher versäumt hat.
Die alte "Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht" von Gerhard Helbig und Joachim Buscha eignet sich schon weitaus besser zum Nachschlagen und ist vor allem mit ihren Partikeln- und sonstigen -listen immer wieder ganz hilfreich. Durch den Reform-Fleischwolf gedreht hat sie dann prompt Langenscheidt, aber man bekommt antiquarisch noch normale Exemplare.
Nur einen recht groben Überblick vermittelt meiner Meinung nach das "Handbuch der deutschen Grammatik" von Hentschel und Weydt (ich habe es eigentlich nur wegen Rehbock).
Bewundernswert ist und bleibt für mich die dreibändige "Grammatik der deutschen Sprache" von Zifonun, Hoffmann und Strecker. Aber sie ist leider ebenso schwierig zu benutzen wie die ähnlich bewundernswerte Frankfurter Hölderlin-Ausgabe von D. E. Sattler. Ich brauche jedesmal fast einen Tag, um auch nur einigermaßen damit klarzukommen. Außerdem sind beide Ausgaben fast unerschwinglich teuer.
Gibt es daher gar keine sinnvolle Alternative, auch und gerade zu Eisenberg?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 10.01.2008 um 19.27 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11110

In Eisenberg kann man den klassischen Fall eines Bedeutenden sehen, der im Prinzip dafür und prinzipiell dagegen (das ist Dialektik!). Zum anderen macht er sich zum Anschauungsexmeplar derer, die weder den Zustand vor noch nach der "Reform" kennen bzw. begriffen haben bzw. ganz und gar nicht wissen, was gehauen und gestochen ist. Auch das ist preiswürdig. Und ob das Morphem `leid´ in es tut mir leid ein Adjektiv, ein Nomen oder etwas noch Unerforschtes ist, spielt in den höheren Sphären der Linguistik keine Rolle und stört deren überirdische Klänge nicht. Nur in der Grundschule gibt es für Verstöße gegen die Staatsraison eins auf die Finger.

Die ganz großen Linguisten müssen nicht so genau wissen, wie heute was geschrieben wird, denn sie sind Mitinhaber der Konfusion. Die kleinen Schülerlein, die armen Lehrerlein und die gedeckelten Beamten (oder die nur so genannten Staatsbediensteten) indessen müssen es sehr wohl, denn auf sie paßt drohgebärdlich der bundesländerübergreifende kollektive Schießhund auf. Sein Name ist tabu, man sollte ihn also – behufs Unheilsverhütung – nie schreiben oder gar aussprechen.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 10.01.2008 um 21.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11111

Mag ja sein, daß es in "den höheren Sphären der Linguistik" keine Rolle spielt, was leid tun denn nun eigentlich grammatisch ist. Die Krux bei diesem Beispiel – im Gegensatz zur arg strapazierten "Gämse" – ist nur, daß es so häufig im täglichen Sprachgebrauch vorkommt.

Und genau deshalb muß es auch erklärbar sein. Zumal von einem, der an dem wie auch immer gearteten Ergebnis mitgewurschtelt hat. Auch wer kein studierter Germanist ist, weiß, daß sich irgendetwas grundlegendes geändert hat, wenn ein Wort, das jahrzehntelang klein geschrieben wurde, plötzlich groß geschrieben werden soll. Und nun erinnert sich auch Lieschen Müller wieder daran, daß im Deutschen zunächst einmal die Wörter groß geschrieben werden, die Substantive sind. Aha, Leid wird nun groß geschrieben. Es muß also ein Substantiv sein. So weit, so gut. Nun darf Lieschen Müller aber auch die berechtigte Frage stellen, warum gerade das denn vorher niemandem aufgefallen war.

Ein großes Problem bei den sogenannten Reformen ist ja doch, daß man immer sehr schön ein Vorher mit einem – häufig grotesk entstellten – Nachher vergleichen kann. Entgegen den Hoffnungen der Reformer leben auch noch genügend Menschen, denen dieses Vorher nicht ausschließlich aus Märchen und Sagen ihrer Großmütter bekannt ist. Herr Ickler hat hier an anderer Stelle (Tagebucheintrag vom 5.08.2006) einmal auf sehr amüsante Weise die Erklärungsversuche der Reformer, bzw. ihrer Institutionen in speziell diesem Fall dargelegt. (Mein persönlicher Favorit ist der letzte Versuch beim Duden mit der "festen Fügung".)

Und genau diese real existierende Satire kratzt dann an der Gloriole von Eisenberg und all den anderen, bzw. verursacht einen blinden Fleck auf dem aktuellen Duden-Preis. Da hilft auch kein Polieren mehr.

Übrigens lasse ich mir tatsächlich gerne eine sinnvolle Grammatik empfehlen. Nicht, daß das jetzt völlig untergeht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.01.2008 um 00.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11112

Im Eintrag vom 5.8.06 schreibt Prof. Ickler, daß bei "nicht recht haben" und "sehr leid tun" nicht das Adjektiv, sondern der ganze Ausdruck verneint wird. Meiner Meinung nach würde das durch Zusammenschreibung der Infinitivform "rechthaben", "leidtun" usw. deutlicher. Ebenso bei "ich kann nicht radfahren" vs. "ich kann kein Rad fahren" usw., weil das etwas Verschiedenes bedeutet. Die Verneinung ganzer Wortgruppen ist wegen der freien Wortstellung etwas schwierig auszudrücken, und Zusammenschreibung ist manchmal ungewohnt: "ich kann nicht busfahren" vs. "ich kann keinen Bus fahren", obwohl die Bedeutung klarer würde. Ich bevorzuge im Zweifel Zusammenschreibung, auch dann, wenn sie noch nicht codifiziert ist.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 11.01.2008 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11113

Andererseits schreibt Theodor Ickler am 22.4.2005 im Tagebuch:
»Übrigens ist der Übergang wohl noch nicht ganz abgeschlossen, so daß man bei sehr leid tun nicht klar erkennt, worauf sich die Steigerung bezieht, vgl. den möglichen Dialog: ‚Hat es dir nicht leid getan? - Sehr leid sogar!‘«
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.01.2008 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11114

Man kann ja auch sagen: "Es würde mir doch zu leid tun, wenn ..."
Dabei geht die Zusammenschreibung leidtun aus grammatischen Gründen auch überhaupt nicht.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 11.01.2008 um 17.37 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11116

Oliver Höher besteht zu Recht darauf, daß die im nicht unbedingt kurzfristig Erfolge verheißenden Geschäft der Grammatik (und so) Stehenden eigentlich eine halbwegs widerspruchsfreie, bündige usw. Grammatik (gemeint: ein Buch) empfehlen können müßten. Mir wurde diese Frage auch schon oft gestellt.

Die allfällige Antwort war (bisher), daß man, um von der jeweiligen Grammatik nicht von vornherein über den Tisch gezogen zu werden (egal, ob sie wie die von Eisenberg als Roman zu lesen oder im Fisimatenten vermeidenden Telegrammstil gefaßt), zunächst wissen muß, wonach man so ein Buch überhaupt befragen möchte (mit teils peinlichen Ergebnissen in den Verweisen). Die Antwort fällt aus, wie die des Milchmanns aus dem "Fiedler auf dem Dach". Für dies und jenes (nicht gerade "Korrelat" oder "Demonstrativpronomen") ist die Grammatik von Helbig / Buscha ganz brauchbar und streckenweise konsistent. Ihre Reformulierung durch Götze, die bei Knaur zu haben ist, macht es dort besser, wo sie auf speziell von Helbig Induziertes verzichtet. Ansonsten – im Stil des Sängers.

Die Grammatik von Ulrich Engel (die alte und die Neubearbeitung) ist für dies und jenes nützlich, auch wenn er die Inflektiva partout "Partikeln" nennen will und in hin und her gegen die eigene Definition Adverbien dünken und auch ihm solch halt Pronomen bleibt, wenn auch ein nicht so eigentlich ganz und gar, aber eben irgendwie eben doch und so. Man muß ja nicht gleich – wegen der berüchtigten Subklassenspezifik – die ganze Ideologie der Kopulaverben als Vollverben, pardon "Haupt"verben, kaufen oder gar subjektlose Verben annehmen, die im Lexikon inifinitvlos bzw. -beraubt als es regnet erscheinen. Der Ärger beginnt dann bei der Überordnung von Phasenverben wie beginnen, weil auch diese dann mit ihrem es brav im Lexikon stehen müssen.

Die deutschen Grammatiken haben zwischen vier und 17 oder mehr Satzarten, d.h., sie haben sie de gusto. Die meisten (Werke!) verwechseln Satzart (gramm. Illokutionstypen) mit (pragm.) Handlung(stypen), aber das kann in der Hitze des Gefechts ja mal passieren.

Die IdS-Grammatik kennt keinen anderen Sachverhaltsptyp als Ereignis, aber das muß so sein aus ideologischen Gründen (eine abstruse Ontologie). In diesem Werk sind sogar Existenzbehauptungen wie Das Weltall existiert (vielleicht) trotz ihrer ergreifenden Einfachheit ein "Ereignis". Naja, wenn’s "in dieser Welt" nicht anders geht, dann muß es halt so sein.

Kurzum: Eine solche zu empfehlende Grammatik gibt es nicht, egal ob in logisierender Attitüde oder sich volkstümlich gebarend und ipso teutonisiert wie die Duden-Grammatik in der Redaktion von Grebe, Drosdowski und letztens Eisenberg. Da geistern Tätigkeits-, Bei- und Dingwörter durch den Äther, der an einen Felsen im Harz an der Wende von April zu Mai vors geistige Auge zerrt bzw. an Franz Anton Mesmer erinnert.

Die deutsche Grammatik ist bestenfalls zur Hälfte beschrieben bzw. erfaßt, und in dieser zu großen und / oder speziellen Teilen inkonsistent, lückenhaft, widersprüchlich, esoterisch, büldungs- und kültür-ambitioniert. Vom Benennungswesen zu schweigen (das Installierte verdient den Namen Terminologie nicht – da sei Wüster vor!).

Den (Bewußtseins)stand der Dinge in diesem Segment humanistischer Wissenschaften machte die Deform der deutschen Graphie eklatant deutlich: Leid tun vs. leid tun ist ein Fanal! Das von den ohnehin meritorisch immer absolut unterbelichteten Ministerialbürokraten staatsmachtlich durchgeprügelte Reform"werk" ist die Bankerott-Erklärung der deutschen Grammatikographie und die Versteigerung des Vermögens (in jedem Sinne) der an dieser Beteiligten bis zum letzten Hemd.

Es steht nur zu hoffen, daß Subjekt und Prädikat trotz dieses Desasters unterscheidbar bleiben und nicht in igendwelchen "Gefügen" oder gar "Fügungen" und "uneigentlichen Bedeutungen" untergehen. Im Bereich des Lexikons ist diese "Reform" dem Tunguska-Kometen vergleichbar, d.h ein absoluter Kahlschlag in ihm wie einst in ihr. Dieses gewissermaßen kosmische Ereignis haben die Oberpriester (samt ihrer Schriftgelehrten) dem deutschen Lexikon angedeihen lassen. Kult-Oberen ist Scham generell fremd, ergo sind sie stolz auf diese ihre (eigene und selbst st ändige) nationale Großtat (etwa wie 70/71). Um die Raison ging es, und nicht um irgendein den Priestern ohnehin tumb geltendes Wahlvolk (so defätistisch-arrogant waren nicht einmal die Zeiten von Willem Zwo).

Warum gibt es in Deutschland – ähnlich den Pharaonenstaaten – eigentlich Kult(us)minister" statt "Kulturminister"? – Pardon. Das geht entschieden zu weit.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2008 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11117

Ja, über die naive Philosophie mancher Grammatiker kann man sich schon wundern, und sogar der gute alte Helbig/Buscha ist zuletzt durch die "Kasustheorie" in zweifelhafter Weise bereichert worden. Im übrigen ist Helbig, obgleich entgegen dem Titel nicht erkennbar auf ausländische Lernende ausgerichtet, erklärtermaßen eine Resultatsgrammatik und schon deshalb nicht mit Eisenbergs argumentierender Grammatik vergleichbar, die ja außerdem auch umfangreiche Fragen und Lösungen enthält.
Die IDS-Grammatik ist sehr ungleich, wie eben ein Gericht, an dem viele Köche mitgekocht haben, und mancher hat dabei seinem ganz persönlichen Hobby gefrönt. Trotz erstaunlicher Fehler insgesamt des Durcharbeitens wert. Es gab ja mal eine Sonderausgabe, und wer gelegentlich bei ZVAB vorbeischaut, muß auch jetzt noch nicht den vollen Preis zahlen.
Meine Anmerkungen zur IDS-Grammatik haben inzwischen fast Buchformat erreicht, vielleicht gebe ich mal einen Extrakt zum besten, wenn ich Zeit dazu finde.

Zum Verhältnis unseres alten Freundes Götze zu Helbig, das Herr Schatte so amüsant umschreibt, noch ein Nachtrag: In der Zeitschrift "Zielsprache Deutsch", Heft 3 (1971), veröffentlichte Götze einen Vortrag "Zur Applikation moderner linguistischer Theorien im Fremdsprachenunterricht", der im wesentlichen identisch ist mit einem fast gleichlautend betitelten Aufsatz von Gerhard Helbig in "Deutsch als Fremdsprache" von 1969. Ein krasser Fall, ich konnte es fast nicht glauben. Beide Texte liegen vor mir, während ich dies schreibe. Allerdings: Hat Helbig es besser verdient? Als Emeritus brachte er 30 Jahre später, wie schon gezeigt, ein etymologisches Wörterbuch heraus, das ganz und gar anderswo abgeschrieben ist – natürlicherweise, denn Helbig hat von Etymologie keinen Schimmer.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 11.01.2008 um 19.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11118

Die Leistung "Zur Applikation moderner linguistischer Theorien im Fremdsprachenunterricht" war mir entgangen. Der Titel bürgt für Qualität. Den Text werde ich mir dennoch nicht applizieren, denn die Platitüde, daß die Katze das Mausen nicht läßt, ist mir ohnehin bekannt und überreichlich belegt.
Genau diese Sentenz entfuhr mir einst – vielleicht vohersehend – auf den Hinweis eines neben mir sitzenden Adepten hin, daß die Vorträgerin gerade seinen mir vor Augen gelegten Text (über "Die Brille" von Stri.) vorlese. Jahre später – nach der zweiten Reichseinigung – stampfte man dann zwei ihrer Bücher ein, weil es wie mit der Katze war. Deutsche Gremien, in denen diese Hochverdiente saß, wollten diese ihre Katzeneigenart in ihrer ewig währenden Erhabenheit nicht wahrhaben, bevor Boykott drohte. So etwas kann einem fürs kollektive Eigentum sein Blut vergießenden Politiker natürlich nicht passieren.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 13.01.2008 um 21.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11141

Bleibt noch zu sagen, daß nicht nur der Grammatik von Helbig (und Buscha) die Mesaliance mit Kasustheoretischem (in der es de gusto zwischen sechs und 27 semantischen Kasus hat) unbekömmlich war, sondern auch der von Ulrich Engel und zwei anderen ebenso. Inzwischen ist glücklicherweise der Nachhall der Kasus"theorie" schon weitgehend verklungen, nur durch die Grammatiken wabert sie noch.
Das stimmt nur mäßig optimistisch.
Im nachhinein kann man sich – an einem langen Winterabend etwa – flüchtig anschauen, was beispielsweise zum Kasus "Instrumental" niedergelegt wurde, um das Gelesene dann flugs zu vergessen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.02.2008 um 09.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11370

Es war seinerzeit schon ziemlich gewagt vom Dudenverlag, den Wälzer von Nerius und Genossen herauszubringen, denn es war doch abzusehen, daß dieses Werk, das sich nur auf die Reform von 1996 beziehen konnte, bald überholt sein würde. Meiner Rezension von damals möchte ich noch folgendes hinzufügen:

Nerius hält zwar nicht viel von der Rechtschreibreform (er selbst wollte eigentlich nur die Substantivkleinschreibung, anderes hat ihn nie interessiert), muß sie aber in dem Duden-Buch „Deutsche Orthographie“ doch irgendwie verteidigen. Offene Kritik kann er seinem Auftrag- und Geldgeber nicht antun, aber als altgedienter SED-Professor weiß er, wie man so etwas macht. Er favorisiert eigentlich die von seinem Mitarbeiter aus alten DDR-Zeiten, Dieter Herberg, vorgelegte GZS (mit vermehrter Zusammenschreibung), verteidigt aber die reformierte Schreibweise durch zwei auffallend wertlose Zitate, eines von Florian Kranz (!), der aber wenige Zeilen später mit einem weiteren Zitat seiner Unbedarftheit überführt wird, und eines von Augst/Schaeder aus deren Verteidigungsschrift, die damals Horst H. Munske veranlaßte, die Rechtschreibkommission zu verlassen; Nerius hält erklärtermaßen von Augst und Schaeder herzlich wenig. Genüßlich zitiert Nerius ohne Kommentar die beiden Beliebigkeitsklauseln aus dem Regelwerk von 1996, die darauf hinauslaufen, daß man bei der GZS von verbalen und nominalen Gefügen keine Entscheidung treffen muß, wenn sich keine Entscheidung treffen läßt.

Nerius ist zwar stolz darauf, alles mögliche unter das "lexikalische Prinzip" zu zwingen: die Groß- und Kleinschreibung, die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Unterscheidungsschreibung bei Homophonen, den Apostroph …, aber in Wirklichkeit ist das kein Gewinn, sondern führt nur zu einem Riesenkapitel unzusammenhängender Einzelheiten. Außerdem ist das "lexikalische Prinzip" nicht definiert, nicht einmal was "lexikalisch" bedeutet, wird klar. Es scheint irgendwie um Semantik zu gehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.02.2008 um 17.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#11566

Die Neubearbeitung von Nerius' Werk ist also nun bei Olms erschienen. Es gibt kaum Änderungen. Die Revision von 2006 ist jeweils knapp vermerkt, sozusagen schmallippig. Im eigenen Gebrauch der Reformschreibung ist aus "weiter gehend" wieder "weitergehend" geworden und solche Kleinigkeiten. Nerius behauptet im Vorwort und später, daß die Reformschreibung für "Bildungseinrichtungen und Behörden verbindlich" sei. Das ist nach so vielen Jahren kein Irrtum mehr, den man dem staatsgläubigen ehemaligen SED-Professor nachsehen könnte, es ist bewußte Irreführung.
Im pädagogischenTeil hat Küttel die Prognose gestrichen, daß in Zukunft weniger Kommafehler unterlaufen werden, und stattdessen die Bemerkung eingefügt, die Liberalisierung der Kommasetzung sei wieder zurückgenommen worden.

Was ist eigentlich aus Florian Kranz geworden, den sowohl Nerius als auch das IDS als Autorität in Rechtschreibfragen zitieren? Man hat nie wieder etwas von ihm gehört, oder? Vor zehn Jahren kam sein Büchlein "Eine Schifffahrt mit drei f" heraus. "Florian Kranz hat soeben sein sprachwissenschaftliches Studium an der Universität Bielefeld abgeschlossen" stand auf dem Vorsatzblatt. Das genügte dem Verlag Vandenhoeck offenbar, um dieses schlichte Opus zu verbreiten. Es fiel mir gerade wieder einmal in die Hände. Wie komisch das alles nach den Revisionen klingt! Kranz verteidigt die Reform in ihrer damaligen Fassung, lobt die Weisheit der Kommission usw. Übrigens verurteilt Kranz die Monopolstellung des alten Duden, gleichzeitig beklagt er aber den wirtschaftlichen Schaden, der 1995 durch die Intervention Zehetmairs entstand – obwohl dieser Schaden ausschließlich den Dudenverlag betraf und nicht ganz unverdient war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2017 um 11.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=945#35970

Die große Rechtschreibreform von 1996 ist gewissermaßen eine DDR-Erfindung. Denn im Osten war man in Sachen Orthografie-Anpassung stets deutlich weiter gewesen als im Westen. Das musste 1979 sogar der "SPIEGEL" zugeben. (mdr.de 6.8.17)

"Anpassung"? Woran? Dazu wird Nerius (früher SED) befragt, der immer noch stolz darauf ist, daß die DDR voraus war.
 
 

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