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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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19.10.2007
 

Germanistennachwuchs
Exzellente Erstsemester

Gestern habe ich die Erstsemester den Kurztest zum Grammatikwissen schreiben lassen (der beim letzten Mal durch die Presse ging und viele Kommentare hervorgerufen hat).
Ich habe den Test nicht selbst entwickelt, aber darauf kommt es nicht an. Hier möchte ich meine Beobachtung erwähnen, daß Heyse ziemlich flächendeckend angekommen ist, wenn es auch mit der Beherrschung bei den Studenten sehr hapert.
Die inhaltlichen Ergebnisse sind wie erwartet: Von 37 erreichbaren Punkten schafften die Probanden im Durchschnitt etwa 20 bis 22. Gar nicht bekannt sind den Schulabgängern offenbar die Präpositionalobjekte, sie wurden in keinem Fall erkannt. Das war schon früher zu beobachten.
Man muß bedenken, daß der Grammatikunterricht praktisch in der 8. Klasse aufhört, außer in Latein und vielleicht noch in anderen Fremdsprachen.
Gestern stand ich vor einem Hörsaal, der von Studenten überquoll. Vierzig waren erwartet, siebzig gekommen, und dabei hatten wir schon über Nacht einen fünften Parallelkurs zur Einführung in die germanistische Linguistik eingerichtet. Soviel zum Exzellenzgerede unserer Kultuspolitiker. Wem es noch nicht genügt, der kann sich die neuen Bachelor-Studien- und Prüfungsordnungen herunterladen.
Übrigens ist unsere Erlanger Uni jetzt in nur noch fünf Fakultäten gegliedert, und das wird als größte Revolution ihrer Geschichte gefeiert. Fünf Fakultäten waren allerdings überall das Normale, als ich 1963 mein Studium begann. Dann wurden sie in Fachbereiche aufgelöst – und nun wieder zusammengeführt. Der kleine Unterschied hierorts: Die Theologie ist jetzt eine Abteilung der Philosophischen Fakultät, worüber sich wohl ein Immanuel Kant im Grabe herumdrehen würde.
Wir heißen neuerdings "Department für Germanistik und Komparatistik", aber auch die rein englischen Bezeichnungen sind schon im Internet zu finden, passend zum Bachelor und Master: "Master der Germanistik" klingt noch ziemlich unvollendet. Unser Rechtschreibproblem wird vermutlich nicht die von Augst ersehnte biologische Lösung finden, sondern sich durch Sprachwechsel auflösen.



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Kommentare zu »Germanistennachwuchs«
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Kommentar von S.L., verfaßt am 19.10.2007 um 20.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10451

Aus dem Schulalltag (Katholisches Mädchengymnasium, 9. Klasse):

Ich korrigiere gerade den ersten Aufsatz des Schuljahres. Etwa 10 von 32 Schülerinnen schreiben 'Misstand' (!) und 'aufweißt' (von 'aufweisen').
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 20.10.2007 um 09.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10453

Wo sind der Test bzw die Bachelor-Studien- und Prüfungsordnung im Internet verfügbar?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 20.10.2007 um 10.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10454

Im Diskussionsforum die KMK-Pressemitteilung vom 18.10.2007 ist ein eindrucksvoller Beleg für die geistige Verwirrung unserer Politkaste. Sie zeigt sich in verqueren Formulierungen und eigenartigen Bezügen. Den Sinn kann man nur noch erahnen.
Niemand erwartet Formvollendung beim Sprechen und Schreiben. Jeder macht Fehler. Von einer staatlichen "Kultur"-Institution kann jedoch erwartet werden, daß Pressemitteilungen mit Sorgfalt formuliert sind. Das Gegenteil ist der Fall; die eigenen Defizite scheinen nicht einmal mehr zu Bewußtsein zu kommen, Worte erscheinen bloß als Transportmittel für Gefühle, als Mittel zum sachlichen Austausch von Fakten werden sie nicht mehr benötigt. Darin zeigt sich die tiefe Krise der Führungsschicht: sie verliert allmählich jede Bodenhaftung.
Ich habe nicht den gesamten Text der KMK-Mitteilung gelesen, mir genügten einige Kostproben, zum Beispiel:

»Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Prof. Dr. Jürgen Zöllner, erklärte: „Die Länder unternehmen konkrete Anstrengungen, um die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss weiter zügig und wirksam zu verringern. ... Wir legen großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der beruflichen Praxis ... und den Übergang von allgemein bildenden Schulen in die Berufswelt."«

"Die Zahl der Jugendlichen ... verringern" (Auswanderung ?)
"Zusammenarbeit mit der Praxis" (Praxis, eine neue Institution oder Person ?)
"Wert legen auf den Übergang von allgemein bildenden Schulen in die Berufswelt" (Wie ???)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 20.10.2007 um 12.08 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10455

Angesichts der europäischen Bildungshaltung, "daß der Grammatikunterricht praktisch in der 8. Klasse aufhört" (besser in der 6.), setzt man für die zukünftige philologische Elite eine Protektoraufbringung (Runderneuerung) aufs Gymnasialwissen: "[...] und dabei hatten wir schon über Nacht einen fünften Parallelkurs zur Einführung in die germanistische Linguistik eingerichtet", da ein primitiver Lehrgegenstand wie Beschreibende Grammatik des Deutschen völlig überflüssig ist angesichts der Tatsache, daß die Studienanfänger in ihrer Muttersprache ja schon ganz fröhlich parlieren. Eventuelle, auch von Kult-Bürokraten nicht zu verheimlichende Defizite beseitigt Sick im Volksempfänger.

Grammatik hatten die Adepten schon so viel oder gar zu viel als Schulkinder. Nun "machen" sie – kreativ – "in Linguistik". Was ein "Präpositionalobjekt" ist, können sie nicht wissen, weil die deutsche Muttersprachdidaktik für diesen schwer erfaßbaren Gegenstand mindestens ein Dutzend wunderlicher Namen und doppelt so viele Definitionen hat. Man schaue sich in den "Lehrbüchern" um!
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.10.2007 um 21.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10458

Gerade weil der Grammtikunterricht im 8. Schuljahr endet, ist es notwendig, daß linguistische (sprachwissenschaftliche) Fachausdrücke "motiviert", d.h. aus der Bedeutung ihrer Bestandteile erschließbar sind. (Gegenteil: idiomatisiert oder demotiviert) Das wollte ich schon längst mal gesagt haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.10.2007 um 05.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10459

Zur Frage von Herrn Strasser:
www.uni-erlangen.de/studium/pruefungsordnungen/index.shtml
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.10.2007 um 05.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10460

Unser Rechtschreibproblem wird vermutlich nicht die von Augst ersehnte biologische Lösung finden, sondern sich durch Sprachwechsel auflösen.

Sprachwechsel? Nicht unbedingt. Größerenteils (das heißt abgesehen von ss und Rollladen) wird die Schriftsprache gehandhabt werden wie im 20. Jahrhundert, und irgendwann werden die lächerlichen staatlichen Regeln wiederum "optimiert" werden. Man weiß nur noch nicht, wie oft.

Beispiel (Google):

pleite geht + Pleite geht: 49.100
pleitegeht: 545
Bei der letzteren Anfrage erkundigt sich Google:
Meinten Sie: pleite geht

pleite ging + Pleite ging: 23.600
pleiteging: 282
Rückfrage Google:
Meinten Sie: pleite ging

pleite gegangen + Pleite gegangen: 59.700
pleitegegangen: 1320
Rückfrage Google:
Meinten Sie: pleite gegangen

bankrott geht + Bankrott geht: 922
bankrottgeht: 6
Rückfrage Google:
Meinten Sie: bankrott geht

Wir haben da keinen Sprachwandel, sondern im alten Duden stand in diesem Fall ganz richtig, wie man schreibt. Wenn überhaupt Sprachwandel, dann wird sich mit der jüngeren Generation die Getrenntschreibung (ganz allgemein gesagt) weiter ausbreiten. Man muß ja schon froh sein, wenn es einem Jugendlichen gelingt, in Programm Download einen Bindestrich unterzubringen. Die neueste Neuschreibung pleitegehen hat keine Aussichten auf durchschlagenden Erfolg. Wir können die Daumen drehen und abwarten, was diese Spinner (Gallmann usw.) sich als nächstes einfallen lassen.
 
 

Kommentar von Laie, verfaßt am 21.10.2007 um 13.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10462

"Was ein "Präpositionalobjekt" ist, können sie nicht wissen, weil die deutsche Muttersprachdidaktik für diesen schwer erfaßbaren Gegenstand mindestens ein Dutzend wunderlicher Namen und doppelt so viele Definitionen hat."

Und was ist das nun – ein "Präpositionalobjekt"? Von den Lesern dieser Seite wissen das bestimmt auch nur ganz wenige.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 21.10.2007 um 19.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10463

Ein Präpositionalobjekt ist ein vom Verb ("Tätigkeitswort" etc.) abhängiges Objekt ("dingwörtliches Satzglied") mit Präposition ("Fügewort" etc.), d.h., es steht nicht im reinen Kasus ("Fall") wie Dativ "Gebefall", "Zuwendgröße" etc.) oder Akkusativ ("Nehme-Fall" etc.).
Beispiel: Er beschäftigt sich mit Egon mit Briefmarken.
Eins der "mit"-Glieder ist Präpositionalobjekt, das zweite indessen nicht.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 21.10.2007 um 20.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10464

Als Laie (obwohl ich nicht der Laie aus #10462 bin) wird man durch metasprachlich geheimnisvolle Ausdrücke wie "Präpositionalobjekt" zunächst verwirrt. Warum? Man ist mit dem einschlägigen Germanisten-Metakauderwelsch nicht auf du, weil er im außergermanistischen Sprachgebrauch auch nicht vorkommt.
Geht man der Sache dann nach, stellt sich heraus, daß ein "Präpositionalobjekt" schlicht ein Wort der Wortart Präposition (Vorwort, Verhältniswort) ist. Wenn ich also schreibe "Ich warte auf meine Schwester", dann hat hier "auf" die Wortart Präposition, es ist also ein Präpositionalobjekt.
Beim genannten Test ist also das "an" in "Ich dachte an sie" ein Präpositionalobjekt.
Germanisten können den Sachverhalt sicher aber auch komplizierter darstellen.
 
 

Kommentar von David Konietzko, verfaßt am 21.10.2007 um 21.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10465

Lieber Herr Strasser, Ihre Erklärung ist nicht ganz richtig. In dem Satz Ich warte auf meine Schwester lautet das Präpositionalobjekt nicht auf, sondern auf meine Schwester. Präpositionalobjekte bestehen nicht nur aus einer Präposition, sondern auch aus dem, was von der Präposition abhängt.
 
 

Kommentar von Karl Berger, verfaßt am 22.10.2007 um 02.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10467

»Wenn ich also schreibe "Ich warte auf meine Schwester", dann hat hier "auf" die Wortart Präposition, es ist also ein Präpositionalobjekt.«
Lieber stefan strasser, Ihr "Metakauderwelsch" scheint nicht weniger "geheimnisvoll" zu sein. Wen wollen Sie damit eigentlich auf den Arm nehmen?
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 22.10.2007 um 02.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10468

Sie ist tatsächlich verwirrend, die Bezeichnung "Präpositionalobjekt". Denn wir haben die "präpositionalen Ausdrücke", und so wie ich es gelernt habe, bestehen sie, wie z. B. "auf dem Tisch", "außer ihm", aus einer Präposition und dem damit verbundenen Nominalausdruck (Substantivausdruck, Pronomen). Dieser Nominalausdruck ist das "Objekt der Präposition". Da die genannten Objekte einen Fall haben und man sie deshalb schön in Gruppen einteilen kann, meinen manche, das sei das Wesentliche an Präpositionen. Aber wir haben auch Adverbien, adverbiale Ausdrücke und Nebensätze und Infinitivkonstruktionen als Objekte von Präpositionen: "bis heute", "bis zu dem Tage", "ohne daß er ein Wort gesagt hätte", "ohne sich länger damit aufzuhalten". Präpositionale Objekte stehen neben Satzobjekten, die rein durch einen Fall gekennzeichnet sind (Akkusativ-, Dativ- und Genitivobjekte) und sind wie diese Satzobjekte, aber sie stehen eben mit einer Präposition: "sie wartet auf ihn". Hier ist "auf ihn" nicht als Adverb zu verstehen — oder nur sehr, sehr schwer. Es ist leichter, den Ausdruck als Objekt zu "warten" zu verstehen, naja, und es enthält eben eine Präposition, doch es steht neben dem fast dasselbe bedeutenden "sie erwartet ihn" mit einem Akkusativobjekt. Aber die Übergänge sind manchmal fließend.
Wir dürfen nicht vergessen, daß einmal bei "sich vor dem Hund ängstigen" das "vor dem Hund" sehr lokal verstanden wurde, und wenn jemand sich mit Egon mit Briefmarken beschäftigt, dann hilft manchmal eine Erweiterung wie z. B. hier durch "zusammen [mit Egon]", um das, was man sagen will, schneller erfaßbar mitzuteilen. Manchmal ist das "Präpositionalobjekt" für Tests nur am Vergleich mit einem ähnlichen Ausdruck zu erkennen, der etwas anderes bedeutet: auf jemanden warten – auf jemandem warten; an einen Tisch denken – an einem Tisch denken; sich mit sich beschäftigen – sich mit einem Spiel beschäftigen, wobei ich bei letzterem schon nicht mehr genau wüßte, ob da irgendeine Grenze überschritten ist oder nicht. Bei "sich mit etwas befassen" bin ich dagegen sicher, einfach weil "sich befassen" ohne etwas weiteres nicht existiert und mir hier "mit etwas" als Instrumentaladverb einfach nicht liegt. Aber wer weiß schon, ob alle unsere Adverbkategorien, die wir da manchmal schön aufgelistet finden, und das mit manchmal durchaus wirklich wunderlichen Namen, wirklich schon alle sind.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.10.2007 um 11.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10470

Ganz einfach ausgedrückt: Intransitive Verben können nur mit Hilfe einer Präposition ein Objekt haben: "gehen"; "in die Schule gehen". Dieses Objekt "in die Schule" beim intransitiven Verb "gehen" nennt man auch Präpositionalobjekt.

In den slawischen Sprachen gibt es noch den ohne Präposition auskommenden Instrumental bei "durch den Park gehen", "mit der Metro fahren" usw.
Im Lateinischen gab es den Richtungsakkusativ ohne Präposition: "Romam proficisci", "Romam advenire" (nach Rom aufbrechen, in Rom ankommen).

Die meisten Präpositionen sind unter den großen Sprachgruppen (germanisch, romanisch, slawisch) so verschieden, weil es sie gemeinindogermanisch überhaupt nicht gab, sondern sie erst nach der Trennung in die Sprachgruppen in diesen entstanden sind.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.10.2007 um 13.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10472

"in die Schule" und "auf dem Tisch" würde ich aber nicht als Präpositionalobjekte bezeichnen. Es sind m.E. überhaupt keine Objekte, sondern lokale Adverbialbestimmungen.

Kann man sagen, "gehen" ist intransitiv? Wie ist es mit der häufigen Redewendung "Alles geht seinen Gang"?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.10.2007 um 13.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10473

Oder:
"Sie geht den ganzen Weg allein."
"den ganzen Weg" müßte doch eigentlich ein reines Akkusativobjekt sein, also transitiv.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.10.2007 um 14.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10474

Ich hatte ein falsches Beispiel gewählt: Manche Verben, besonders Verben der Bewegung, können nur bestimmte fachgebundene Akkusativobjekte haben: einen Weg gehen, eine Bahn schwimmen, die Außenbahn laufen, eine Kurve fahren, ein Rennen rennen, einen Gedanken denken. Sie können mit diesen Objekten sogar ein persönliches Passiv bilden: Die Außenbahn wird geschwommen von ... Da Zeitangaben im Akkusativ stehen ("einen Monat arbeiten", "den ganzen Abend fernsehen"), weiß ich nicht, ob das echte Akkusativobjekte sind.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.10.2007 um 15.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10475

Wenn die Diskussion schon mal um die Objekte geht, ich bin mir immer nicht ganz im klaren darüber, was eigentlich genau als Genitivobjekt zählt und was nicht. In dem Satz
"Er erinnert sich des Weges ..." ist "des Weges" sicherlich ein Genitivobjekt. Aber in "Da kam ein Wanderer des Weges" ist es, glaube ich, keins. Aber was sind dafür im allgemeinen die Unterscheidungskriterien? Beide Genitive kommen ja ohne Präposition aus und beziehen sich auf das Verb.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.10.2007 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10476

1.) Intransitive Verben können ein "inneres Objekt" im Akkusativ haben, welches die Verbaltätigkeit genauer bestimmt: ein Spiel spielen, einen Kampf kämpfen, einen Traum träumen, einen Schlaf schlafen, einen Gang gehen, Tränen weinen, Galopp reiten, Bindfäden regnen.
2.) Ein Genitiv-Objekt muß vom Verb verlangt werden: des Arztes bedürfen, der Toten gedenken.
Eine Genitiv-Ergänzung ist nicht zwingend: sich der Tat schämen, jeder Beschreibung spotten, sich des Erfolges freuen, des Weges kommen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2007 um 18.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10479

In dem erwähnten Grammatiktest wird auch ein Textstückchen aus der "Süddeutschen Zeitung" verwendet, worin es noch reformiert "so genannte" heißt. Von dieser widersinnigen Getrenntschreibung hat sich die Zeitung inzwischen wohl verabschiedet, auch Duden und Wahrig empfehlen Zusammenschreibung. Heute stieß ich bei der KMK auf die stupiden "allgemein bildenden" Schulen, und zwar gleich mehrmals (Homepage, Aktuelles). Duden und Wahrig sind sich auch hier einig: sie empfehlen Zusammenschreibung. Es macht den Eindruck, als habe die KMK seit 1996 nichts mehr hinzulernen wollen.
 
 

Kommentar von Getrennt Schreibung, verfaßt am 22.10.2007 um 18.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10480

Auf österreichischen Schulzeugnissen wird (oder wurde jedenfalls noch am Ende des letzten Schuljahres) dem Schüler bescheinigt, sein Verhalten in der Schule sei "sehr zufrieden stellend" (oder "zufrieden stellend" oder "nicht zufrieden stellend"). Hoffentlich nehmen sich die Schüler das nicht zum Vorbild.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 23.10.2007 um 03.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10482

Zu 10465 und 10467:
Zunächst hatte ich den Satz "Ich warte auf meine Schwester" im Sinn. Den wollte ich nach den Kriterien von Prof. Schatte (10463) analysieren.
Erstes Kriterium: Abhängigkeit von einem Verb (warten) – nämlich: "auf meine Schwester", ist also okay.
Nächstes Kriterium, enthält eine Präposition: "auf" – ist also auch okay.
Und schließlich: nicht im reinen Kasus. Hier hapert es bei mir offensichtlich, ich kenne nämlich den Unterschied zwischen Kasus und reinem Kasus nicht. Ich dachte, auf "wen oder was" warte ich, auf meine Schwester, eigentlich ein (reiner) Akkusativ, ist daher nicht okay. Was bleibt also über? Nur das Wörtchen "auf" ;-)
Der mehr oder weniger freundliche Protest gegen diese Interpretation folgte auf den Fuß.
 
 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 23.10.2007 um 11.12 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10483

Belege für mangelnde Grammatikkenntnisse in Theorie und Praxis gibt es viele; ich fand z. B. vor einigen Monaten durch einen Test zufällig heraus, daß viele Schulabgänger mit Fachoberschulreife (heute: "Mittlerer Schulabschluss") den Unterschied zwischen sie und Sie nicht mehr kennen. Dazu passen behördliche Schreibungen wie so genannt, allgemein bildend, allein stehend, wild lebend, im Allgemeinen etc.: Alle solche Beispiele sind Belege für den funktionalen Analphabetismus der Reformer und ihrer Auftraggeber, Förderer, Mitläufer und Opfer – allerdings auf unterschiedlich hohen Niveaus: Funktionalen Analphabetismus gibt es eben nicht nur auf der Stufe desjenigen, der ein Hinweisschild nicht (richtig) entziffern kann, sondern auch auf dem "höheren" Niveau derjenigen, die einen Sach- oder Fachtext nicht mehr verstehen oder schreiben können. Die Rechtschreibreform ist letztlich der erfolgreiche Versuch einer kleinen Gruppe, ihre eigene unzulängliche sprachliche Intelligenz in wichtigen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens verbindlich zu machen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.10.2007 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10484

Mit "reiner Kasus" ist wohl ein Kasus ohne Präposition gemeint, also "rein" in der Bedeutung "pur", "bloß". Alle Fälle können so gebraucht werden: jemandes gedenken, jemandem vertrauen, jemanden kennen. Hier bestimmt das Verb den Kasus.
Das Gegenteil dazu sind keine "unreinen Fälle", sondern "präpositive Fälle", also Fälle mit Präposition, wobei die Präposition den Fall bestimmt. Das können notwendige Objekte des Verbs oder Ergänzungen zum Verb sein: "auf jemanden vertrauen" (präpositionales Objekt, vom Verb verlangt) vs. "an jemanden glauben" (präpositionale Ergänzung, nicht zwingend notwendig). Durch Zusammenrückung wird daraus auch Präpositional-Objekt bzw. Präpositional-Ergänzung.
 
 

Kommentar von Gerd-Peter Kossler, verfaßt am 23.10.2007 um 12.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10485

Zu Genitiv- und Präpositionalobjekt im Rahmen unseres Bildungswesens: Im Grammatikunterricht meiner Tochter (6. Klasse Gymnasium) waren das zwei Themen, mit denen die Lehrerin überhaupt nicht zurechtkam. Dadurch konnte den Kindern auch nicht eindeutig vermittelt werden, was ein Objekt ist. Ich hatte mehrmals versucht, der Lehrerin, die ich schätze und die eine gute Pädagogin ist (außerdem Fachleiterin Deutsch an der Schule), zu helfen, und vorgeschlagen, diese schwierigen Kapitel ganz zurückzustellen, um erst einmal die Grundlagen zu festigen – ohne Erfolg. Die Eltern interessiert das Thema Grammatik sowieso nicht. Zwei anderen Lehrern, denen ich das erzählte, war die genaue Bedeutung von Genitiv- und Präpositionalobjekt ebenfalls nicht bekannt. – Man fragt sich halt, was das Ganze eigentlich soll. Bzw. wieso steht das im Lehrplan der 6. Klasse?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2007 um 12.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10486

Auch in "unserem" Grammatiktest ist das Anredepronomen "Sie" zweimal klein geschrieben, in der Anrede an die Probanden, die den Testbogen ausfüllen sollen ...
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.10.2007 um 15.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10487

Wenn ein Objekt nicht direkt mit einem Verb verbunden ist, braucht es für ein "Verhältnis" mit einem Verb ein Verhältniswort. Ein Verhältnis ist ohne grammatische Folgen, d.h. Grammatikfehler, wieder lösbar, weil Verben auch ohne ein Verhältnis leben können.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.10.2007 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10488

an Germanist:
Ich möchte mich für die Antworten auf meine Fragen bedanken.

Mit der Übersetzung der grammatischen Fachausdrücke ins Deutsche gibt es noch Schwierigkeiten. Ein Objekt bezeichnet man auf deutsch auch als Satzergänzung. Deshalb kann man wohl ein Ding, welches kein Genitivobjekt ist (wie in "des Weges kommen"), nicht als Genitiv-Ergänzung bezeichen. Aber was ist es dann? Ich würde hier eigentlich sagen, eine Umstandsbestimmung. Aber trifft das auf alle Genitive dieser Art (die keine Objekte sind) zu?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.10.2007 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10489

Wir haben in der Schule auch "Umstandsbestimmung" gelernt, heute sagt man meistens "Angabe" oder "Adverbiale" oder noch anders. Allerdings liegt bei "des Weges kommen" auch noch eine phraseologische Bindung vor, die alle genaueren Analysen überspielt. Anders gesagt: die Konstruktion ist nach heutiger Grammatik nicht auflösbar; besser wäre ein Beispiel wie "des Abends kommen".
Die Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben ist ein Dauerthema der deutschen Grammatik. Es gibt prototypisch klare Fälle und dann die leidigen Übergangsformen. Eine wirklich interessante Frage ist, ob die Präpositionen der Präpositionalergänzungen (-objekte) eben deshalb, weil sie nicht mehr frei gewählt werden können, auch keine Bedeutung haben. Nehmen wir die Verben, die mit "auf" verbunden werden (warten, hoffen, sich verlassen usw.), so stellen wir eine gewisse gemeinsame Bedeutung fest.
 
 

Kommentar von Y.N., verfaßt am 23.10.2007 um 20.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10490

Im Satz "In Tokyo wohnen viele Leute in kleinen Häuschen" sind m. E. "in Tokyo" und "in kleinen Häuschen" beide Umstandbezeichnung bzw. Adverbiale. Die Präpositionen hier sind nicht fest mit dem Verb gebunden, sondern je nach der Bedeutung wählbar. "In Tokyo" ist allerdings eine Angabe, während "in kleinen Häusern" eine Ergänzung ist. Die erstere ist weglaßbar, die letztere nicht.
Im Satz "Auf dem Bahnhof warte ich auf meine Frau" ist "auf dem Bahnhof" eine Umstandbezeichnung und eine Angabe; "auf meine Frau" ist eine Ergänzung, und zwar ein Präpositionalobjekt, denn die Präposition ist durch das Verb fest bestimmt.
Ein Objekt ist formfest aber nicht unbedingt obligatorisch. Ein Adberbial ist nicht formfest aber nicht unbedingt fakultativ wie beim Verb "wohnen". Ergänzungen sind demnach Objekte plus obligatorische Adverbiale, oder?
Ernste Probleme sind aber nicht die Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben, sondern, daß ich in Tokyo ein "Kaninchenstall" bewohnen muß und daß ich auf dem Bahnhof vergeblich auf meine Frau warte.
Noch ernster ist natürlich die Rechtschreibreform, die offensichtlich gescheitert ist aber nicht gänzlich zurückgenommen wird.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 23.10.2007 um 20.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10491

Warum die eine Präpositionalphrase weglaßbar sein soll, die andere aber nicht, erschließt sich mir nicht. Könnten Sie das bitte erläutern, sehr geehrter Herr Nakayama?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.10.2007 um 23.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10492

In Tokyo wohnen viele Leute geht, Wohnen viele Leute in kleinen Häuschen geht nicht. (Außer bei Bettina Wegner: Sind so kleine Hände –)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.10.2007 um 23.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10493

Vom Satzbau her betrachtet, brauchen manche Satzaussagen (Prädikate) eine Ergänzung und bilden mit ihr die Prädikatsgruppe: 1.) die Nenn-Ergänzung; 2.) die Fall-Ergänzung oder das Objekt, im bloßen Akkusativ, Dativ oder Genitiv; 3.) die Umstands-Ergänzung.
Vom Inhalt her betrachtet heißt die Umstandsergänzung Umstandsbestimmung: 1.) des Ortes (lokal); 2.) der Zeit (temporal); 3.) der Art und Weise (modal); 4.) des Grundes (kausal); 5.) des Zweckes (final); 6.) des Mittels und Werkzeugs (instrumental); 7.) der Folge (konsekutiv); 8.) des nicht zureichenden Gegengrundes (konzessiv); 9.) der Bedingung (konditional).
Diese Herleitung mag veraltet sein, ist aber verständlich und in deutschen Wörtern. Weil die Grammatik nur in den unteren Jahrgangsstufen gelehrt wird, ist diese Darstellung geeigneter. Die lateinischen Bezeichnungen kann man immer noch dazulernen, wenn sie für den Fremdsprachenunterricht benötigt werden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.10.2007 um 00.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10494

In Wohnen viele Leute in kleinen Häuschen muß man natürlich das Prädikat an die zweite Stelle rücken: Viele Leute wohnen in kleinen Häuschen, dann geht auch das.

Was nicht geht, ist wohnen ganz ohne präpositionales Satzglied: Viele Leute wohnen.

Ob in Tokyo oder in kleinen Häuschen ist für den Satz zunächst völlig egal. Nur um die Gesamtaussage des Satzes einigermaßen zu erhalten, ergibt sich, daß man, wenn schon etwas weggelassen werden soll, in Tokyo weglassen kann, aber in kleinen Häuschen nicht.

Die Frage für mich ist aber, ob man dieses präpositionale Satzglied nun ein Objekt nennen kann, nur weil es obligatorisch ist, oder ob es sich nicht doch eher um ein obligatorisches Adverbiale handelt.
 
 

Kommentar von Y.N., verfaßt am 24.10.2007 um 02.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10495

Auf Herrn Wagners Frage hat Herr Riemer schon treffend geantwortet. Daß "in kleinen Häusern" ein Adverbiale und kein Objekt ist, scheint mir recht klar zu sein.
Die Form eines Objekts ist – von wenigen schwankenden Fällen abgesehen, wie "Ich schäme mich der RSR / für die RSR" – lexikalisch durch das Verb festgelegt. Das Verb "warten" verlangt als Präposition nur "auf". Ich kann nur "auf" meine Frau warten. Man sagt deswegen oft, daß die Präposition im Präpositionalobjekt semantisch leer ist. Ob das ganz stimmt, hat Herr Ickler anhand einer Verbgruppe (warten, hoffen, sich verlassen – "sich harren" kann man auch hinzufügen) in Frage gestellt.
Dagegen kann man die Form eines Adverbiales je nach der Bedeutung frei wählen: Ich kann auf meine Frau auf/vor/hinter/... dem Bahnhof warten.
Statt "in" einer Großstadt kann ich auch "am" See oder "auf" einer Insel wohnen. Also ist das obligatorische Glied ein Adverbiale. Da dieses Adverbiale obligatorisch ist, darf es keine Angabe sein, die frei weglaßbar und frei hinzufügbar ist, sondern eine Ergänzung, die konstitutiv für einen gramatischen Satz ist.
Ich entschuldige mich, wenn ich Schinken und Bier nach Deutschland getragen habe.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.10.2007 um 08.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10496

"Wohnen Sie schon oder schrauben Sie noch?" (Ikea) Ist das ein unvollständiger Satz? Oder ist das Adverb "schon" eine hinreichende Ergänzung?
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 24.10.2007 um 09.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10497

Wie so oft, spielt das Werbedeutsch in diesem Satz mit der Regelverletzung. Wohnst du noch? ist kein sinnvoller Satz außerhalb der Werbebranche.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.10.2007 um 10.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10498

Weitere "Grammatikfehler" aus der "harten philosophischen Sprache" (Prof. Ickler):
Cogito, ergo sum; je pense, donc je suis; ich denke, also bin ich (Descartes)
To be or not to be, that's here the question; sein oder nichtsein, das ist hier die Frage (Shakespeare, Hamlet).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.10.2007 um 11.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10499

Es gibt hier vor allem noch ein Problem mit der Nomenklatur, und manche Irritationen lassen sich sicher vermeiden, wenn man entweder nur lateinische oder nur deutsche Begriffe verwendet.
Für mich ist Objekt=Ergänzung und Adverbiale=Angabe=Umstandsbestimmung, und diese beiden Begriffe stehen auf der gleichen Ebene.
Für Germanist scheint aber die Umstandsbestimmung mit Präposition eine bestimmte Art der Ergänzung zu sein, und für Y.N. sind Angabe und Ergänzung anscheinend Arten von Adverbialien.
Das widerspricht sich alles. Vielleicht sollte das jemand mal klarstellen, entweder lateinisch oder deutsch?
 
 

Kommentar von Y. Nakayama, verfaßt am 24.10.2007 um 14.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10500

Um das Mißverständnis von Herrn Riemer zu klären: Für mich gehören zu Ergänzungen Subjekte, Objekte und obligatorische Adverbialen, obwohl man sich dabei nicht wohl fühlt. Sie sind konstitutiv für einen vollständigen Satz, d.h. entweder obligatorisch oder immer mitgedacht, wenn auch oberflächlich oft nicht präsent wie das Präpositionalobjekt im Satz "Ich warte (auf meine Frau)".
Der Satz "Ich verbringe den Winter in der Schweiz" enthält also lauter Ergänzungen: Subjekt, Akkusativobjekt und obligatorisches Lokaladverbiale.
Angaben sind freie Dative und alle fakultativen Adverbialien, obwohl dies tautologisch klingt. Im Satz "Meine Frau schläft den ganzen Tag im Bett" ist nur das Subjekt eine Ergänzung, denn "Meine Frau schläft" ist vollständig, wenn man auch das Temporaladverbiale im Akkusativ und das Lokaladverbiale wegläßt.

Das Mißverständnis kommt wahlscheinlich daher, daß man unter "Ergänzung" in der traditionellen Grammatik und in den Valenzgrammatiken(!) etwas anderes versteht. Namen sind Schall und Rauch. Wichtig ist, daß man einen Begriff klar definiert, was hoffentlich für meine schlichte Ansicht gilt. Klar und grau ist Theorie. Die Praxis ist grün und schwierig. Wie unterscheidet man praktisch das Dativobjekt vom freien Dativ, das Präpositionalobjekt vom präpositionalen Adverbiale und das obligatorische Adverbiale vom fakultativen...! Da möchte ich lieber meinen Urlaub in der Schweiz verbringen oder den ganzen Tag im Bett schlafen.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 24.10.2007 um 14.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10501

Wie steht es mit ''Ich wartete im Regen!'' oder ''Ich warte am Eingang!''
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.10.2007 um 14.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10502

Eigentlich hat Germanist genau das (auf deutsch) schon getan. Leider hat jeder Linguist darüber anscheinend eine eigene, dem anderen widersprechende Auffassung.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.10.2007 um 14.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10503

"Da möchte ich lieber meinen Urlaub in der Schweiz verbringen oder den ganzen Tag im Bett schlafen."
Ehrlich gesagt, lieber Herr Nakayama, glaube ich Ihnen diesen Satz nicht ganz, aber Sie haben jedenfalls einen sehr netten Humor.

Ihre Erklärung hilft mir schon weiter, zeigt mir aber auch, daß noch sehr viel interessanter Lesestoff auf mich wartet.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.10.2007 um 14.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10504

"Ergänzung" ist die Obermenge, die die Teilmengen "Fallergänzung" und "Adverbiale Ergänzungen" hat.
Die "Fallergänzungen" haben die Untermengen "Gleichsetzungsergänzung" im Nominativ und "Objektergänzungen" im Genitiv, Dativ und Akkusativ.
Die "Adverbialen Ergänzungen" oder "Adverbialen Bestimmungen" geben die Umstände des Geschehens an (Ort, Zeit, Grund, Art und Weise) und haben die Untermengen "notwendige Ergänzungen" und "weglaßbare Ergänzungen"; letztere werden auch "Angaben" genannt.

Bei den immer wieder neuen Bezeichnungen für dieselben alten Sachen habe ich den Eindruck, die Eltern sollen ihren Kindern nicht helfen können. Das verstärkt die Aufspaltung in Eltern, die nicht dauernd umlernen können, und Eltern, die aufgrund ihrer besseren Ausbildung immer wieder umlernen können. Die Aufspaltung in schlechtere und bessere Schulbildung vererbt sich, außer bei wirklichen Genies. Cui bono? (wem nützt es?)
 
 

Kommentar von Y. Nakayama, verfaßt am 24.10.2007 um 16.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10505

Lieber Herr Riemer, Sie glauben mir mit Recht den Satz nicht. Ich kann mir nämlich die Reise in die Schweiz nicht leisten und schlafe im Futon.
Bei Herrn Germanist bedanke ich mich für die Ergänzung zu meinem Ergänzungsbegriff, ich hatte die Gleichsetzungsergänzung zu erwähnen vergessen, die bei mir Prädikativum heißt, das adjektivisch, im Nominativ, im Akkusativ oder mit Partikel "für" oder "als" auftritt: Manche RSR-Mitläufer sind nur blauäugig und keine Lügner, man kann jedoch manche Betreiber Lügner nennen oder sie für Lügner halten bzw. als Lügner betrachten.
Sehr geehrter Herr Germanist hat seinerseits das Präpositionalobjekt vergessen. Dies nur zur Ergänzung seiner klaren Definition, die mit meiner durchaus kompatibel ist.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 24.10.2007 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10506

Was ist der Unterschied zwischen einem "präpositionalen Objekt" und einer "adverbialen Ergänzung"? Das Präpositionalobjekt ("auf jemanden oder etwas warten, sich auf jemanden oder etwas verlassen") fällt nicht unter die Umstandsbestimmungen des Ortes, der Zeit, des Grundes, der Art und Weise ("warten auf dem Spielfeld")? Demnach gibt es das einfache Verb "warten" und das "Präpositionsverb" "warten auf ..."? Ähnlich: "glauben an ...", "vertrauen auf ..." usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2007 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10507

In herkömmlichen Grammatiken geht meistens ein Riß durch die Ergänzungen: die einen sind formal definiert, also durch Kasus oder Präposition+Kasus, die anderen semantisch, z. B. Lokativergänzung (etwa zum Verb "wohnen"). Die Ergänzungsbedürftigkeit ("Leerstelle") bei "wohnen" ist gegeben, aber die Form der Ergänzung ist variabel.
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 24.10.2007 um 18.43 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10508

„Getriebeschaden“

Auch wenn es in diesem Leitfaden um den Germanistennachwuchs geht, möchte ich einige Bemerkungen machen, die von der Froschperspektive her (für das Lehramt an allgemeinbildenden Schulen) von Bedeutung sein könnten.

Bei der Vermittlung von grammatischem Wissen erscheint es mir wichtig, daß in Grund- und Hauptschulen eine einfache, partnergerechte Sprache verwendet wird. Die Begriffe „Satzgegenstand/Satztäter“, „Satzaussage/Satzkern“ sowie „Satzergänzung“ halte ich dabei für gegenstands- und schülerangemessen. Ein alter pädagogischer Lehrsatz fordert nämlich: „Man muß den Schüler dort abholen, wo er gerade ist.“
Deshalb spricht nach meinem Dafürhalten nichts dagegen, wenn man sämtliche Zusatzinformationen eines Satzes als Objekt/Ergänzung bezeichnet, unabhängig davon ob es sich um eine Wessen-, Wem-, Wen-, Wo-, Wann-, Warum-Ergänzung oder ggf. eine Wie-Bestimmung handelt.

Eine andere pädagogische Leitidee allerdings postuliert, daß der Ausbilder seinem Schützling immer einen Schritt vorausgehen sollte; und von daher ist es doch absolut wichtig und richtig, daß sich der Deutschlehrer (ungleich „Germanist“) in der Fachterminologie zurechtzufinden hat. Insofern muß man den Begriff „Präpositionalobjekt“ einfach verstehen, zumal es Bücher, Großrechner und moderne Lehr- und Lernmethoden gibt.

Ein Vergleich mag die Gedanken abrunden. Die Situation des Lehrens und Lernens gleicht dem Modell eines Getriebes. Die höchsten Gänge liegen ganz weit oben, und die da unten kommen bei der rasanten Fahrt schon lange nicht mehr mit.
Ob für diese Fehlentwicklung Mängel in der Übersetzung (sog. Tuningmängel) oder Schwächen im Leistungsvermögen (sog. Dopingschäden) verantwortlich sind, ist unbedeutend.
Es genügt heutzutage die durchaus treffende Diagnose: „Getriebeschaden“!
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 27.10.2007 um 15.11 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10516

Theodor Ickler macht zu Recht darauf aufmerksam, daß die einen Satz und damit einen Sachverhalt konstituierenden Ergänzungen (Subjekt, Kasusobjekte, Präpostionalobjekte) meist allein nach ihrer Form definiert werden:
„In herkömmlichen Grammatiken geht meistens ein Riß durch die Ergänzungen: die einen sind formal definiert, also durch Kasus oder Präposition + Kasus, die anderen semantisch, z.B. Lokativergänzung (etwa zum Verb wohnen). Die Ergänzungsbedürftigkeit („Leerstelle“) bei wohnen ist gegeben, aber die Form der Ergänzung ist variabel.“

Bei den (konstitutiven) adverbialen Ergänzungen und den (nicht-konstitutiven) adverbialen Angaben indessen blendet man umgekehrt die Art ihrer Repräsentation, d.h. ihre „Form“ samt der Frage der Satzform, aus. Wenn die Nomen in Verbalgefügen / Funktionsverbgefügen (FVG) „inneres“ Objekt genannt werden, ist das irreführend, weil Subjekt und Objekte satz- und sachverhaltskonstituierende Größen (oder Sachverhalte) nennen, während das Gefügenomen eines Verbalgefüges bzw. das Funktionsnomen eines FVG keine Größe und folglich auch kein Relat repräsentiert. Eine Lokalangabe oder -ergänzung führt eine Größe ein, zu der das Subjekt und die Objekte in Relation stehen. Eine Temporalangabe oder -ergänzung führt keine Größe ein, weil die Namen von Zeitpunkten oder -räumen keine Größen repräsentieren. Eine Modalangabe oder -ergänzung wie mit Vergnügen führt keine Größe ein. Der semantischen Klassifikation der Adverbialia müßte also eine ontologische vorausliegen, um von vornherein folgende Frage zu entscheiden: Stiftet das gegebene adverbiale Satzglied eine Relation zu Subjekt und Objekten (gleich welcher Gestalt), weil es eine Größe repräsentiert, oder stiftet es keine solche, weil es keine Größe repräsentiert? Abgesehen davon, daß die in den meisten Grammatiken genannten semantischen Subklassen der Adverbialia bei weitem nicht hinreichen, um (nur scheinbar einfache) Texte wie die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm vollständig zu analysieren. Nach gemeinem Brauch wird daher alles, wofür die gegebene Grammatik keine adverbiale Subklasse hat, als Modalangabe gehandelt. Grammatiken, die z.B. keine komitative Angabe kennen, halten Adverbialia wie in Er kommt mit seiner Tante für den Modus des Kommens und Angaben wie in Nach Adam Riese ist zwei und zwei vier wahrscheinlich für den Modus des Seins. Was bleibt ihnen auch anderes übrig.

Einige Spielarten der Valenzgrammatik haben den Begriff der Ergänzung bzw. den Bezug des grammatischen Terminus Ergänzung weitgehend aufgelöst. Je nach Ausführung des Modells gibt es zwischen 17 und 27 durchnumerierte (und namenlose) Ergänzungen. Als "Ergänzung" gilt alles, was in der Verbrektion „angelegt“ ist, unabhängig davon, ob für die Satzkonstitution notwendig. Bei kaufen sind das – je nach Geschmack – locker sieben bis zehn so verstandener Ergänzungen. Dem definitorisch verwendeten Ausdruck "angelegt sein" blieb bisher allerdings eine hinlängliche Bestimmung seiner Bedeutung versagt.

Auch der Name "Gleichsetzungsnominativ" und ihm verwandte ist eher irreführend. Mit ihm ist ein nominales Prädikativ im Nominativ gemeint (es gibt nominale Prädikative in allen Kasus und Prädikative aller Wortklassen außer dem Verb). Aber sogar in der 4. Auflage der Duden-Grammatik, die auch ihren "Gleichsetzungsnominativ" hat, wird recht genau differenziert, daß dieser der Bestandteil von Identifikations- (Jacobus Gallus war eigentlich Jakob Handl), Einordnungs- (Paul ist Rentner / Rentier) und Zuordnungsprädikaten (Egon ist sein Onkel) sein kann, was den Namen ad absurdum führt, denn "gleichgesetzt" wird nichts (gleich ist nur der Kasus von Subjekt und Prädikativ).

Das Verb wohnen ist übrigens ein gutes Beispiel für die Phantasielosigkeit valenzorientierter Verbbeschreibungen, die einmütig behaupten, es verlange (generell) eine Lokalergänzung und damit eine größenbezogene Ergänzung, durch die eine Relation zwischen Subjekt und der Ortsgröße zustandekommt. Damit liegen Sätze wie Wir wohnen zur Untermiete, Paul wohnt mietfrei, Sie wohnen verkehrsgünstig etc. außerhalb solcher (Valenz)grammatik. Falls sie aber – alle Valenzen überraschend – doch grammatisch sein sollten, müßte unbedingt auch gesagt werden, daß das Verb wohnen in solchen Sätzen keine Relation stiftet, weil solche Ergänzungen keine Größe einführen. "Relationale" Grammatiken setzen in solchen Fällen eine Relation des Subjekts "in sich selbst", "mit sich selbst", "mit seinem Eigenpendant", eine "zirkuläre Relation" etc an. Die Eignung solcher Relationen-Äquilibristik für Schulen bleibe dahingestellt.

Zur Scheidung von Angabe und Ergänzung in einem Satz wie Viele Leute wohnen in Tokio in kleinen Häuschen kann man sich auf die Regel stützen, daß immer das am weitesten rechts im Mittelfeld bzw. dem (evtl. nicht vorhandenen, aber einführbaren) zweiten Prädikatsteil am nächsten stehende Adverbiale die vom Verb verlangte Ergänzung ist. Ein Verb oder Kopulaprädikat (z.B. scharf sein auf) kann nur eine (Prädikats-)Ergänzung verlangen, so daß weitere Adverbialia (so etwa weitere lokale oder andere) als (weglaßbare) Angaben gelten. Als Subjekt oder Objekt (gleich welcher Gestalt) sollten nur nominale Satzglieder bezeichnet werden, die Größen (oder Sachverhalte) repräsentieren. Damit wird leicht erklärbar, daß in Sätzen wie Sie schwamm dreißig Bahnen, Wir wanderten einen Monat, Paul hält einen Vortrag, Egon dreht seine Runden, Hasso macht einen Mordslärm das Glied im Akkusuativ kein Objekt ist, denn es repräsentiert keine Größe. Bis zur Deformation der deutschen Graphie per Staatsmacht folgte die Entwicklung der Schreibung sichtlich der Tendenz, in Adverbialia die Nomina kleinzuschreiben, die keine Größen einführen ("im großen und ganzen"). Das war den Deformern der deutschen Graphie freilich entgangen. Sie entdeckten indessen auch dort Nomina, wo nie welche waren ("Leid tun"). So wurde – wenn auch phasenverschoben – Rustens Programm der GG-Schreibung doch noch durchgesetzt.

Daß die im 5. Schuljahr beginnende grammatische Unterweisung begrifflich mit anderen Bezeichnungen operieren muß als die im 8. Schuljahr, sollte außer Zweifel stehen. Zweifel bestehen jedoch darüber, ob nach dem 6. Schuljahr überhaupt noch eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit der Grammatik der Muttersprache stattfindet, so daß in der 8. Klasse überhaupt von "Präpositionalobjekt" u.ä. gesprochen werden kann, weil später das Wort Grammatik ohnehin nie mehr fällt. Es ist ungewiß, ob man die "Grammatik" ab der 5. Klasse den Fremdsprachenlehrern überläßt, um sich gänzlich weniger Profanem widmen zu können, also Ästhetischem oder Ideelichem mit seinen Wesenheiten.
 
 

Kommentar von Florian Bödecker, verfaßt am 27.10.2007 um 19.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10517

Eine Nachfrage dazu:

Sie sagen, von Subjekten und Objekten soll man nur sprechen, wenn damit "Größen" bezeichnet werden. Das entspricht meiner Intuition. Sie sagen auch, Lokaladverbialien würden auch Größen entsprechen.

Wie läßt sich dann die Unterscheidung zwischen Objekten und obligatorischen Adverbialien treffen?

Ich stehe auf dem Tisch.
Ich schlage (mit der Faust) auf den Tisch.

In beiden Sätzen sind die Präpositionalphrasen doch obligatorisch. Beide bezeichnen "Größen". Wann kann man dann von einem Objekt sprechen und wann von einem Adverbiale, also Umstandsergänzung? Im ersten Satz würde man doch schlicht ein Lokaladverbiale vermuten, im zweiten vielleicht ein Präpositionalobjekt?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.10.2007 um 22.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10518

Der Begriff "Größe" bedarf eines Attributes, den es gibt viele Arten von Größen. Grammatische oder syntaktische oder was für Größen? Linguisten-Chinesisch wird hier nur von Wenigen verstanden und deprimiert die Übrigen.
 
 

Kommentar von Florian Bödecker, verfaßt am 28.10.2007 um 02.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10519

Das stimmt. Aber unter "Größe" scheint hier doch einfach eine Entität, also eine in der Realität vorkommende Größe gemeint zu sein.
 
 

Kommentar von Linguistischer Chinese, verfaßt am 28.10.2007 um 06.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10520

@ Germanist: Ob's Viele oder Wenige verstehen, mich betrüben die Einen wie die Anderen, die armen Übrigen ohnehin – also eigentlich Alle.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.10.2007 um 08.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10521

Größe durch Entität zu ersetzen, bringt nichts, weil auch Entitäten Attribute brauchen (bisher: Informatik, Politik, Medizin, Systemtheorie, nun wohl auch Grammatik oder was?) Nur Donald Duck braucht kein Attribut, weil jeder weiß, daß er eine Entität und in Entenhausen eine Größe ist. Franz Gans ist vielleicht eine Größe, aber keine Entität, weil er keine Beziehungen hat.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 28.10.2007 um 12.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10522

Sobald eine Entität ein Attribut hat, spricht man nicht mehr von Entität. Daß sie trotzdem nicht ohne auskommt, steht auf einem anderen Blatt.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 28.10.2007 um 15.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10524

Die Rede war ausschließlich von außersprachlichen Größen, also nicht von solchen der Sprache selbst oder von solchen ihrer Beschreibung oder gar der Metalinguistik. M.a.W.: Die Rede war nicht von Größen der linguistischen Wirklichkeit, sondern von solchen der außerlinguistischen und außersprachlichen Wirklichkeit. Diese besteht nicht nur aus physischen Größen ("der objektiven Realität" bei Marx und Nerius), sondern – man glaubt es kaum – auch aus mentalen, die dank sprachlicher Fixierung weniger flüchtig sind.
Adverbialangaben sollten in solche geschieden werden, die Größen einführen, und solche die keine einführen. Instrumentalangaben führen offenbar Größen ein, weshalb sog. Instrumentalsätze wie auch Lokalsätze und einige weitere linguistische Konstrukte sind, in deren Extension nichts fällt. Sachverhalte lassen sich sprachlich als Größen fassen (z.B. "der Unfall"), während Größen nicht zu Sachverhalten (sprich: Sätzen) "expandierbar" sind, wie einst den Generatoren der GTG schien [GTG: Generative Transformationsgrammatik; siehe z.B. Chomsky 1965. – Red.].
In Florian Bödeckers zweitem Satz repräsentieren sowohl der Tisch als auch die Faust eine Größe in der Gestalt einer Präpositionalphrase. Daraus ergibt sich, daß diese Gestalt nicht nur Präpostionalobjekte repräsentieren kann, sondern manches andere auch. Was sie repräsentiert, ermittelt die syntaktische Analyse. Konstitutiv für die Handlungsbeschreibung (nicht -nennung) "Ich schlage mit der Faust auf den Tisch" sind nur ich und Tisch. Der Satz enthält also zwei Adverbialia in Gestalt einer Präpositionalphrase, unter denen die das Instrument einführende nicht konstitutiv ist. Florian Bödeckers erster Satz "Ich stehe auf dem Tisch" indessen ist ein Minimalsatz (Zustandsbeschreibung), in dem das Verb stehen im Gegensatz zum Positionsverb stehen eine lokale Ergänzung verlangt. Anders in "Die Uhr / die Flasche / der Vertrag / der Bau / das Gerüst steht" wie auch in "Der Franzl steht auf Weißwurst / Gummbärchen / junge Möhrchen" oder in "Das X steht für ein U" – Präpositionalobjekt! Die Sätze "Er steht uns bei" und "Er steht bei uns" sind zwar einander etwas ähnlich, aber doch ein wenig verschieden.

Natürlich könnte man Größen auch Entitäten nennen. Mir wurde aber vor etwa 25 Jahren beschieden, daß diese Benennung eher in ontologische denn linguistische Kontexte gehört. Vielleicht ist es anders. Auf alle Fälle klingt Entitäten entschieden gelehrter. Und falls Grammatik unbedingt so zu klingen hat, dann soll sie Größen halt Entitäten oder auch Onta nennen. Die Nicht-Linguisten werden das begrüßen, vielleicht aber auch nicht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.10.2007 um 15.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10525

Wenn der Satz aber kein Prädikat hat, wie im Russischen korrekt: "Man gut"; "Frau zuhause" ("ist" gibt es nicht, aber "war")?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 28.10.2007 um 15.41 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10526

Im Russischen entfällt im Präsens obligatorisch das Finitum der Entsprechung des deutschen Kopulaverbs "sein", im Latein oder im Polnischen kann es entfallen. Entsprechende Äußerungen sind dennoch keine satzförmigen Strukturen "ohne Prädikat", denn Finitum sollte nicht mit Prädikat gleichgesetzt werden. Das Kopulaprädikat besteht in den angeführten Sätzen aus Kopula und Prädikativ. Entsprechend genau ausgerichtet sind auch die Definitionen satzförmiger Strukturen in der Grammatikschreibung des Russischen usw.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 28.10.2007 um 16.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10527

"Größe" ist der mathematische Ausdruck für "Entität" (Herr Wagner möge mich erforderlichenfalls bitte korrigieren). Ich verstehe nicht ganz, welchen Unterschied es machen soll, ob die Linguistik ihre Begriffe (oder Metaphern) bei der Mathematik oder der theoretischen Philosophie ausleiht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.10.2007 um 18.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10528

Was hier gerade diskutiert wird, gehört unter den Oberbegriff "Theoretische Grammatik" und hat für den richtigen Gebrauch der deutschen Sprache genauso wenig Nutzen wie es die Theoretische Physik für die Anwendung der physikalischen Gesetze im Alltag hat.
 
 

Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 28.10.2007 um 19.07 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10530

"Unverhofft kommt oft"

Solch eindeutige Antworten hatte ich keineswegs erwartet.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 03.11.2007 um 17.26 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#10591

Germanist hat einsam entschieden, wo das hingehört, was hier diskutiert wird. Grammatiktheorie ist jedenfalls etwas anderes. Die angeführte "Theoretische Grammatik" muß so etwas wie Universalgrammatik sein.

Es hat recht wenig mit Theoretischem zu tun, wenn man ermittelt, ob ein Satzglied sich auf eine Größe bezieht oder nicht (s. das Postulat von Instrumentalsätzen). Es führt hin zu genauerem Satzverständnis und zu einigen syntaktischen Einsichten, von denen die Defomer der deutschen Schreibung einige nicht präsent zu haben scheinen. Analytisches Satzverständnis kann ganz praktisch sein und ganz ohne das arg theoretieträchtige Wort "Semantik" zustandekommen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2009 um 18.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#14393

Erstes Staatsexamen fürs Lehramt im Fach Deutsch. Selbstgewähltes Spezialgebiet: Martin Luther und die deutsche Sprache. Eine gewisse Unklarheit veranlaßt mich zu der Zwischenfrage: "Aus welchen Sprachen hat denn Luther die Bibel übersetzt?" Nach einigem Zögern kommt die Antwort: "Aus dem Mittelhochdeutschen."
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 06.05.2009 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#14394

Der Proband war vermutlich sehr nervös. War es vielleicht einfach ein Blackout aus der Prüfungsangst heraus? Oder wußte er es wirklich nicht? Das läßt sich doch möglicherweise aufklären, wenn man behutsam nachhakt.

Ich habe mir das Video von Susan Boyle angesehen, die bei "Britain's Got Talent" mit ihrem Gesang das Publikum faszinierte. Als sie sich der Jury vorstellte, wirkte sie nicht sonderlich nervös. Gefragt, ob ihr Wohnort eine größere Stadt sei, mußte sie unglaublich kämpfen, um das Wort "village" in ihrem Gehirn aufzufinden. Danach sang sie, und die Welt schmolz dahin.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2011 um 09.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#18326

Die sklavische Abhängigkeit der deutschen Germanisten von der amerikanischen Linguistik (Chomsky usw.) erkennt man auch daran, daß ohne weiteres "Wh-Konstruktionen im Deutschen" usw. bearbeitet werden, obwohl ja die deutschen Fragewörter gar nicht mit wh- beginnen. Es gehört eigentlich zu den Grundregeln der Sprachwissenschaft, eine Sprache nicht mit den Kategorien einer anderen zu beschreiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.05.2011 um 06.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#18677

In einer Dissertation von 2007 (!) liest man:
„Die Orthographie richtet sich, soweit es mir sinnvoll erscheint, nach der neuen Rechtschreibung von 1996.“ (Mareike Riegel: Sprachberatung im Kontext von Sprachpflege und im Verhältnis zu Nachschlagewerken. Diss. Freiburg [bei Ulrich Knoop]) Online-Version

Komisch. Es handelt sich ja inzwischen sozusagen um eine Privatorthographie, die sogar von ihren Erfindern verleugnet wird.

Es geht hauptsächlich um die Substantivgroßschreibung. Vgl.
Das Material stammt hauptsächlich vom Wissen Media Verlag. Sabine Krome hat die Verfasserin unterstützt.

Tageszeiten in Verbindung mit heute usw. werden groß geschrieben. „Einzig bei früh wie in heute früh kann auch kleingeschrieben werden.“ Das stellt die Dinge auf den Kopf.

Wer sehr viel Zeit hat, kann ja mal reinsehen. Mehr ist nicht zu sagen.

Die Verfasserin ist heute Leiterin der Wahrig-Sprachberatung. Die Zusammenarbeit hatte also Sinn. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=535#4394
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2012 um 16.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21170

Bei einem jungen Germanisten liest man:

„Sprachwandel ist nach Lightfoots Auffassung vor allem Resultat der vereinfachenden Lernmechanismen des Erstspracherwerb. Demnach versuchen Kinder dem aufgenommenen Input die einfachste Struktur zu unterstellen, die anhand ihres bisherigen Regelwissens möglich ist. Auf diese Weise erwerben Kinder im Laufe der Zeit zwar eine Grammatik, die einerseits in etwa in der Lage ist, Sätze nach einem Muster zu generieren, das jenem der Eltern sehr ähnlich ist, die aber andererseits keineswegs mit der Grammatik der Elterngeneration vollkommen identisch ist. Dementsprechend sieht Lightfoot (1979: 375) den Erstspracherwerb als eigentlichen Ort des Sprachwandels an. Vereinfacht ließe sich diese These als eine Art ”Stille Post”-Spiel darstellen, in dem eben nicht nur für ein Wort, sondern für eine gesamte Sprache von jedem Teilnehmer aufs Neue eine Analyse und deren Weitervermittlung versucht wird.“

Haben die Junggrammatiker des 19. Jahrhunderts, haben Jespersen und eigentlich alle anderen älteren Linguisten das je anders gesehen? Dazu muß man doch nicht einen Theoretiker der neuesten Moderichtung anführen. Aber so ist das heute: es wird praktisch nur noch intra muros diskutiert.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 31.07.2012 um 17.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21179

Ich bin etwas irritiert ob der leichtfüßigen Thesen. Diese scheinen mir sehr auf den Mythos der Regularisierung, der immer wieder herumspukt, zu setzen. Unsere Sprache wandelt sich ja nicht, weil kleine Kinder lallen "Er hat mir die Kiste gebringt", sondern weil Erwachsene die kontrahierte Form "wir/sie hamm" (statt "haben") in immer weiteren Sprechsituationen und auch schon schriftsprachlich verwenden. Erwachsene bringen die Form bräuchte mit Umlaut in Umlauf und das nach dem Muster der Präteritopräsentia gebildete er brauch'. Auch die immer weitere Ausbreitung von gewunken ist keine Anwendung eines minimalistischen Grammatikprogramms, sondern setzt umfassendere Kenntnisse der Stammbildung von Verben voraus. Wenn Leute heute nicht mehr wissen, was ein Hubschrauber ist, sondern stattdessen die anglo-griechische Bezeichnung verwenden, ist das sicher kein Erstspracherwerb. Auch daß es im heutigen Englisch sky neben heaven gibt und commence neben begin, liegt sicher nicht daran, daß irgendwelche angelsächisische Blagen ihre Muttersprache nicht richtig verstanden haben.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 31.07.2012 um 17.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21180

Ich erinnere mich aus Studienzeiten, daß Kommilitonen in einem Referat erzählten, Sprachwandel gehe in der Regel von der Hauptstadt aus. Anscheinend von irgendwelchen französischen Sprachwissenschaftlern nachgebetet. Gemeint war aber wohl kaum, daß Hauptstadtkinder besonders unfähig sind, die Sprache ihrer Eltern und der anderen Erwachsenen zu durchschauen...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2012 um 17.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21181

Die generativistische Besessenheit mit den "Regeln" muß man natürlich abstreifen. Außerdem gibt es noch andere Einflüsse (Sprachkontakt, Euphemismen und Kraftausdrücke), da haben Sie recht, es ist aber in der Formulierung auch schon berücksichtigt.

Immerhin, ich habe oft bei Kindern schwache Verbformen gehört (pfeifte), die üblich werden könnten, wenn die Erwachsenen ihren Widerstand aufgeben. Ich glaube, viel mehr ist nicht gemeint: die Kinderstube als Laboratorium.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 31.07.2012 um 19.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21182

Da sind wir wieder bei einem meiner Lieblingsreizthemen. Natürlich könnte vieles üblich werden, wenn die Erwachsenen ihren Widerstand gegen falsche Formen aufgeben. Es sind aber durchwegs Erwachsene im Endstadium sprachlicher Prägung und Ausbildung, die gerade die ablautenden Formen wählen, wenn mal wieder ganze Regionen abgehangen werden, die Wäsche aufgehangen wird, jemand zu einer Feier eingeladen wird oder die Latte gestriffen hat, wenn der Freund zur Veranstaltung mitgeschliffen wird oder die Rassel das Wild erschrickt.
Gäbe es eine allgemeine Tendenz zur Regularisierung, müßten alle "unregelmäßigen", abweichenden Formen längst ausgestorben sein. Tatsächlich entstehen sie aber immer wieder neu. Das macht Sprache ja so interessant und lebendig (und Esperanto so langweilig).
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.07.2012 um 21.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21183

Auch für "buk" und "frug" gibt es Verbparadigmen.
Übrigens erkennt man Ausländer ganz einfach daran, daß sie in Wortendungen auf "-en" das "e" wirklich aussprechen und nicht wie die Muttersprachler verschlucken. Es fällt schon auf.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 01.08.2012 um 00.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21184

Lieber Herr Strowitzki,

zu den "Erwachsene[n] im Endstadium sprachlicher Prägung und Ausbildung" gehören nun auch solche bekannten Kämpfer für "falsche Formen" wie Gellert, Goethe und Wieland. Zumindest für das Verb einladen sehe ich daher nicht, daß die schwache Präteritumsform ladete sich (wieder) durchsetzen wird.

Der Grimm verzeichnet aus dem 18. Jahrhundert noch Rabener (wer kennt den heute noch?) und Winckelmann als Belege für die schwache Form. Die Sprachstümper Gellert, Klopstock, Wieland und Goethe bevorzugen die starke Form. Das Grimmsche Wörterbuch entschuldigt das mit dem Hinweis, daß einladen seit dem Mittelhochdeutschen für ein starkes Verb gehalten wird. Vgl. hier.

Zu den beiden Formen von laden vgl. hier.

Bei den anderen von Ihnen aufgezählten Verben besteht noch eher Hoffnung.

Bevor nun jedoch gleich noch für fragen und backen Paradigmen bemüht werden, sollte man sich die Belege genauer ansehen. Bügers bekannte Verse "Sie frug den Zug wol auf und ab, / Und frug nach allen Namen;" haben beispielsweise die starke Form um des Metrums Willen (um mal Morgenstern abzuwandeln). In der Prosa von Eichendorff, Chamisso, Fontane, Keller (für buk) und Freytag sehe ich häufig rhythmische Gründe (etwa Vermeidung des Hiatus). Die beiden starken Formen – falsch hin oder her – haben einfach den Vorteil, daß sie einsilbig sind.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 01.08.2012 um 02.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21185

Zu ab #21170: Es geht hier wohl darum, was den Sprachwandel verursacht. Dazu kurz: Wir wissen es nicht. Zu viele "Einflüsse ([darunter] Sprachkontakt, Euphemismen und Kraftausdrücke)" spielen hier eine Rolle, wobei eben schon der "geregelte" Sprachtyp, mit dem dabei verglichen wird, ein fiktiver ist ("reines Hochdeutsch"). Auch "ich habe [...] bei Kindern schwache Verbformen gehört": "Tell me: what did you do in kindergarden today?" — "We singed a song." — "You sang a song? Which one? Do you remember?" — "Yeah. We sang Never smile at a crocodile." Und ich sah daran, daß meine Tochter die schwachen Vergangenheitsformen aus sich heraus bilden konnte, bei den starken aber noch Hilfe brauchte, — aber nicht viel. Übrigens sagten beide Eltern nie "yeah", sondern als *non-native speakers* immer nur "yes". —
Seit kurzem beobachte ich hier einen Lautwechsel in den Wetterberichten am Fernsehen: Das "st" in "thunderstorm" klingt mir bei einigen Sprechern nicht mehr wie das "st" der über den s-pitzen S-tein s-tolpernden Hannoveraner vergangener Zeiten, sondern mehr wie das hochdeutsche "sch" an dieser Stelle: "thundershtorm". Angefangen hat das hier mit einer sehr hübschen Meteorologin aus Pennsylvanien, die aber durchaus "st" in "severe storm" sagt. Und jetzt meine ich das "thundershtorm" auch bei anderen Sprechern immer öfter zu hören. Ich erwähne das nur hier und frage nicht etwa bei den Wetterfröschen bei uns an; denn wenn ich das täte, würden die darauf aufmerksam, und das will ich auf keinen Fall. Ich will ja, daß die reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; nur so kann ich sehen, wie das weitergeht. Im Hochdeutschen ist das ja auch mal weitergegangen, und jetzt schpringen wir also beim schlimmsten Schneeschturm schnell ins Bett und schlafen schmerzlos ein.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2012 um 06.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21186

Veränderungen im Wortschatz sind wahrscheinlich etwas ganz anderes als Laut- und Formenwandel und sollten gar nicht damit zusammengeworfen werden.
Wie allgemein bekannt (und in neuerer Zeit von Pinker breitgetreten), ist der Kernbereich der Sprache besonders unregelmäßig, und wegen des häufigen Gebrauchs können sich die Unregelmäßigkeiten hier auch besser halten als in selten betretenen Randbereichen. Man denke an die Konjugation von "sein".
Das letzte Verb übrigens, das normgerecht stark geworden ist, soll nach Auskunft der Sprachgeschichten "preisen" gewesen sein.
Besonders schwer ist der Lautwandel zu erklären. Strukturalistische Erklärungen (wie bei Roman Jakobson) ziehen Symmetrieerwägungen über das Lautsystem heran, aber das kann wohl nicht als Ursache, sondern nur als Bedingung angesehen werden.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 01.08.2012 um 18.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21193

Hoffnung darf man als Sprachwissenschaftler eigentlich gar keine haben, da ist man ganz neutraler Beobachter des Sprachgeschehens, ähnlich einem Biologen, für den auch eine Choleraepidemie nur ein ökologisches Phänomen mit verschiedenen beteiligten Lebensformen ist. Aber als Freund einer gepflegten deutschen Sprache (und Liebhaber jeder gepflegten Sprache) ist man dann eher wie der Mediziner, der angesichts der Cholera Partei ergreift (während die selbsternannten "Sprachkritiker" üblicherweise eher das Niveau von Kurpfuschern und Quacksalbern haben).
Meine Hoffnung ist also, daß die Leute sich nicht das Bewußtsein des Ablautsystems, das seit urgemanischen Zeiten unsere Sprache wesentlich mitbestimmt, von irgendwelchen Grammatikern ausreden lassen. Entgegen manchen dreisten Behauptungen der Art "die Bildung der starken Verben ist lange abgeschlossen, neue kommen nicht hinzu" (ABC der schwachen Verben) sind die ganze deutsche Sprachgeschichte hindurch immer wieder ablautende Formen neu entstanden, wenn auch vielleicht nicht immer "normgerecht".
Nach preisen, das beginnend mit dem Spätmittelhochdeutschen starke Formen entwickelte (vielleicht im Zusammenhang mit der einsetzenden Diphthongierung) kam die sehr ablautfreudige Barockzeit. (a propos: zu beginnen hat noch das Nibelungenlied die Vergangenheit begunde oder begonde, was keineswegs zu *beginnte regularisiert wurde.) Ablautende Substantive wie Hieb (neben älterem Hau) oder Schub werden zu dieser Zeit erstmals aktenkundig. Selbst ein Verb wie schrauben war drauf und dran, in die starke Flexion überzuwechseln, was uns noch die Form verschroben beschert hat. Das Verschwinden des schwachen laden in der Mitte des 20. Jahrhunderts kann man statt als Wechsel der Flexion als Verdrängung verbuchen, weil es ein nicht verwandtes, nur zufällig lautähnliches starkes Verb gibt, aber das sind eher Spitzfindigkeiten.
Tatsache bleibt, daß der Sprachgebrauch er ladet/ladete dich ein sich in er lädt/lud dich ein geändert hat – und nicht etwa umgekehrt. Ähnliches geschieht heute dem schwachen (kausativen) hängen, das bereits aus dem Sprachgebrauch vieler Leute verschwunden ist – wiederum zugunsten der ablautenden Formen. Auch wenn man etwas anfäßt oder etwas frägt zeigt sich die Lebendigkeit des Ablautschemas (und seiner Ergänzung durch den Umlaut). Selbst eine so exotische und in sich heterogene Klasse wie die Präteritopräsentia denkt nicht dran, auszusterben, sondern kann genug Analogiewirkung entfalten, um brauchen in ihren Bann zu ziehen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 01.08.2012 um 18.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21194

Und selbst im Englischen ist zumindest die erste Ablautklasse noch hinreichend präsent, daß in jüngster Zeit (ich glaube, es wurde hier schon irgendwo erwähnt) die Verbform dive – dove entstand – bei einem immer schon schwachen Verb.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.08.2012 um 20.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21195

In der englischen Sprache finden Weiterentwicklungen im Amerikanischen statt, z.B. Rückbildung der Franzismen wie" -le" oder "-our" zu Germanismen wie "-el" und "-or". Außerdem liest man oft "get, got, gotten". Die werden aber aus Prinzip nicht ins britische Englisch übernommen. Wieso eigentlich "britisches" Englisch? Die Schotten haben doch ihr eigenes Englisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.08.2012 um 09.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21196

Wie gesagt, der hochfrequente Kern des Bestandes ist eben dadurch stärker gegen Veränderungen geschützt, aber ausgeschlossen sind sie nicht. Manchmal ist der Wunsch nach Deutlichkeit die treibende Kraft (Umlaut zur Unterscheidung der Person oder des Modus).

beginnen ist untypisch, weil hier von Anfang an das Dental-Präteritum zum ablautenden Stamm trat, die Vereinheitlichung hat dann nur das Suffixe getilgt. Weitere Änderungen sind nicht zu erwarten, weil alle Welt anfangen sagt.

Selbst bei Modalverben wie sollen fand Regularisierung statt (Ausgleich zwischen Singular und Plural). Andere Präteritopräsentien sind entweder ausgestorben oder wie taugen regelmäßig geworden. Neue Verben werden fast ausnahmslos regelmäßig konjugiert, alte in technischem Gebrauch ebenfalls (senden in der Nachrichtentechnik).

Die noch vorhandenen ablautenden Verben sind eine verschwindend geringe Menge gegenüber den anderen, allerdings zum Teil sehr häufig gebraucht.

Das "Bewußtsein des Ablautsystems" kann sich nicht halten, weil dieses System mangels Masse gar nicht mehr lebendig und auch durch Sonderentwicklungen stark verdunkelt ist. Für mein Gefühl ist allenfalls die dritte Klasse (Nasal + Konsonant: binde – band – gebunden) noch lebendig und stützt gewunken, wie anderswo schon diskutiert. (Vielleicht noch süddeutsch gespiesen usw.)

Überflüssig zu betonen, daß ich die Entwicklung nur beschreibe und nicht bewerte.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 02.08.2012 um 16.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21197

Die Formulierung "Die noch vorhandenen ablautenden Verben" ist wenn nicht wertend, so doch zumindest tendenziös, weil sie einen anhaltenden Schwund des Bestandes suggeriert, der erst einmal belegt werden müßte. Gewiß sind einige althochdeutsche Verben – wie auch andere Wörter, man denke nur an den bluotar – ausgestorben, aber auch diese Phase der Sprachgeschichte ist lange vorbei. Seither hat es Bewegungen in beide Richtungen gegeben, eine eindeutige Tendenz ist nicht auszumachen. Die Sache mit beginnen ist natürlich viel komplizierter (ich wollte mich kurz fassen). Von jeher konkurrierten begunde/begonde mit began, das Nibelungenlied benutzt beides nebeneinander, je nach Reim und Metrum; es gibt ausführliche Studien über das Verhältnis dieser Formen. begunde entspricht ganz gut unserem modernen (aus dem Plural eingeschleppten) wurde (wieder so eine neu entstandene unregelmäßige Form) – aber gut, immer, wenn die ablautende Form sich durchsetzt, ist das untypisch, wenn mal die dentalsuffixiale durchdringt, ist das allgemeine Tendenz. Aber natürlich sind "weitere Änderungen (...) nicht zu erwarten", weil beginnen jetzt ein ganz reguläres Verb der i-a-o-Klasse ist. Im Gegenteil, wenn (was zu prüfen wäre) es stark hinter anfangen zurücktritt, müßte nach Ihrer These gerade eine Tendenz zur schwachen Flexion erkennbar sein. Aber nach übereinstimmender Ansicht sind Änderungen hier nicht zu erwarten.

Die starken Verben waren schon immer "eine verschwindend geringe Menge gegenüber den anderen", auch in althochdeutscher und voralthochdeutscher Zeit. Das ist auch nicht anders zu erwarten, weil das große Feld der dentalsuffixialen Verben ja das der Sekundärverben (deverbal wie denominal) ist. Musterbeispiel ist ziehen - zog - gezogen (auch noch mit grammatischem Wechsel, igitt!). Davon leiten sich – teils auf etwas verschlungenen Wegen – ab: zucken, zuckeln, zücken, zügeln, (be)zeugen, zögern (habe ich was vergessen?). Ein klares 6:1 für die Dentalsuffixialen also. Die beiden Klassen stehen nicht in einfach in Konkurrenz zueinander, sie ergänzen einander. Mit der bloßen Zahl der Lexeme zu argumentieren, scheint mir wie wenn Architekten Erdgeschosse für obsolet erklären, weil die Obergeschosse ja weit in der Überzahl sind. Und wenn Häuser aufgestockt werden, wird ja nie ein zusätzliches Ergeschoß hinzugefügt, sondern nur immer neue Ober- und Dachgeschosse.

Wenn den Leuten das Ablautschema nicht präsent ist, warum erfinden sie dann Formen wie gestriffen (was ich schon mehrfach gehört habe)? Immerhin machen die ablautenden Formen nach wie vor die Mehrheit der Wörter eines Textes aus (ich hatte leider noch keine Zeit für eine genaue Zählung). Sie unterschätzen das Sprachbewußtsein der breiten Bevölkerungsmassen. Schließlich sind auch gerade ablautende Verben wie fressen, scheißen, schmeißen weniger in bildungsbürgerlichen Schichten als im sprachlich weniger gebildeten Teil der Bevölkerung gängig. Eine Verdunkelung der Zusammenhänge findet gerade durch die Grammatiken und Grammatiker statt, die mit Vorliebe lange Listen von "starken und unregelmäßigen Verben" (man ist schon froh, wenn die starken überhaupt eigens erwähnt werden) aufstellen, wo alle Klassen und die wirklich Unregelmäßigen alphabetisch wie Kraut und Rüben durcheinander aufgeführt werden. Bei einer Einteilung in die verschiedenen Klassen und einer reimenden Anordnung wird schnell klar, daß z.B. beginnen in eine Klasse mit rinnen, sinnen, spinnen, gewinnen gehört (nicht alles hochfrequente Wörter übrigens).

Auch der "technische Gebrauch" von senden ist kein Beleg für eine allgemeine Tendenz. Die Unterscheidung zwischen einem Gesandten und einer Sendung nutzt schon lange vorhandene Formen zur Differenzierung. Übrigens wird auch das "technische" laden durchweg nur – etymologisch korrekt – ablautend benutzt. Kein Mensch käme auf die Idee, zu sagen *"Die Batterie ist geladet" oder *"Ich ladete die Datei herunter".

Und auch da, wo Verben von der starken in die schwache Flexion übergegangen sind, sollte man vorsichtig sein. Bei rächen - roch - gerochen kollidieren die präteritalen Formen mit denen von riechen. Ausdrücke wie "Der Freund wird gerochen" wirken dann leicht unfreiwillig komisch. Da man aber häufiger riecht als rächt, weicht rächen in die schwache Flexion aus. (Daß es dann mit dem noch selteneren rechen und dem Adjektiv gerecht kollidiert, fällt nicht ins Gewicht.) Ähnlich bei triefen - troff - getroffen, wo zur Unterscheidung zu treffen - traf - getroffen zuerst ein schwaches Partizip und in dessen Folge auch ein schwaches Präteritum gebildet wurden (so auch ausdrücklich Pfeifers Etym. Wb.). In beiden Fällen handelt es sich also um speziell motivierte Ausweichbewegungen, in denen das jeweils niederfrequentere Verb in die schwache Flexion ausweicht und dem häufigeren das ablautende Feld überläßt.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 02.08.2012 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21198

Zu #21194: *dove* als Imperfektform wird hier von allen Schwimmern (ich schwimme zwar, über in deren Jargon bin ich kein Schwimmer!) benutzt, — mit Ausnahme meiner zwei Töchter, — wenn ich dabei bin. Wenn ich im Unterricht den Sprachgebrauch hierzu testete, bestätigte der den allgemeinen Gebrauch von "dove", — woraufhin ich aber darauf hinweisen konnte, *that so far no one has ever diven yet*. Erklärt wird die Form "dove" aber weniger als Lebensstärkebeweis der ersten Ablautklasse, sondern als "hyperkorrekte" Form (Leute wollen gebildet klingen und Mütter ihren Kindern den Schulweg ins Erwachsenenleben erleichtern).

Zum "britischen Englisch" (#21195): Diese Standardform wird der Standardform des "amerikanischen" Englisch gegenüber gestellt. Beide "angenommenen" Standarde setzen voraus, daß sie "Richtigkeit" hätten, was jedoch eine falsche Annahme ist (welche aber erfolgreich zu hyperkorrekten Formen und immer mal wieder zu Büchern führt, die einem den Weg durch Sprachschwierigkeiten erleichtern sollen [gerade vorgestern eine lange Diskussion am Public Radio dazu wegen eines neuen Buches dazu]). Und gerade gestern hörte ich eine Fernsehreporterin, die das Imperfekt "shrunk" benutzte, wo ich "shrank" benutzt hätte, welch letztere Form auch mein Wörterbuch ("Fully Revised and Updated for the 21st Century"!) nur als einzige anbietet. Man verstand aber sofort, was sie meinte. —
"Rückbildung" zu "'-el' und '-or'" würde ich nur als Versuche in Richtung vereinfachter (mehr "phonetischer") Schreibung ansehen (auch "-re" zu "-er" in "theater" gehört dazu); zu dieser vereinfachten Schreibung gab's ja hier mal eine Bewegung, die aber zu praktisch nichts führte. — Zum Perfektpartizip "gotten": Da gibt's ja noch so einige Formen, wo's starke "-en" auch "offiziell" nicht ausgefallen ist: eaten, written, bitten, forgotten, forbidden. Aber auch, wenn das Wörterbuch vor "gotten" zur Information "US" schreibt, — bei "this has got to stop" sagt hier keiner "gotten".
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 02.08.2012 um 18.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21199

Ich wußte doch, ich habe was vergessen: zu ziehen gehören auch züchten und züchtigen. Macht also 8:1.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.08.2012 um 08.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21201

In einer neueren Wiener Diplomarbeit werden die statistischen Verhältnisse (typebezogen, nicht nach der Gebrauchshäufigkeit, die aber auch besprochen wird) folgendermaßen zusammengefaßt:

"Zu ahd. Zeit gibt es laut Augst 2440 schwache, 20 unregelmäßige bzw. gemischte und 349 starke Verben. Im Mhd. sind 41 dieser starken Verben untergegangen, 8 sind schwach geworden. 19 schwache Verben des Ahd. treten wiederum als stark auf (vgl. nîden), des Weiteren gibt es 20 neue starke Verben (vgl. glimmen).
(...)
Vom Mhd. bis zum Nhd. verringern sich die starken Verben um 50 %. 119 starke mhd. Verben sind im Nhd. untergegangen. Demgegenüber gibt es 54 starke mhd. Verben, die im Nhd. ausschließlich schwach flektieren (vgl. niesen, bellen). Es gibt überhaupt keine Neu- oder Rückbildungen mehr. Nur 3 Verben, nämlich weisen, preisen und einladen, werden im Laufe des 15. und 16. Jh. stark."

(Angelika Holl: „Zum Widerstreit von schwachen und starken Verben in der Sprache der Gegenwart“, Diplomarbeit Wien 2009, auch im Netz)

Das dürfte im großen und ganzen stimmen.

Der Ablaut ist heute weitgehend undurchsichtig und kann allenfalls punktuell noch analogische Wirkungen entfalten, der "Rückumlaut" ist ganz archaisch.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.08.2012 um 23.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21204

Und als Baier "hob i mir wos denkt" und als Saarländer "hab ich mir was gedenkt". (Das Präteritum benutzen beide nicht, an dem erkennt man die Preißn.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.08.2012 um 08.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21205

Am längsten hält sich das Partizip II (gesalzen, aber technisch bei Straßen usw. gesalzt), bildet sich sogar neu (gewunken, dialektal auch eingeschunken). Wenn das Partizip zum reinen Adjektiv geworden und damit in Hermann Pauls Sinn "isoliert" ist, ändert sich natürlich der Ablaut auch nicht mehr: verschollen u. v. a.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2013 um 14.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#23493

„Das Deutsche stellt ein Mischtyp von SVO und SOV dar, genauer: Es gibt beide Muster in Abhängigkeit von der Satzsyntax. Zunächst ist zwischen Hauptsatz und Nebensatzstellung zu unterscheiden. Im Hauptsatz liegt SVO vor, z.B. Er betritt das Haus, im Nebensatz hingegen SOV Ich beobachte ihn, während er das Haus betritt. Ändert sich der Satzmodus, kann das Verb in Spitzenposition stehen, z.B. Betritt er das Haus? Das Subjekt steht aber in allen Fällen vor dem Objekt (wie bei 99% aller Sprachen).“

(Aus dem Vorlesungsskript eines Sprachwissenschaftlers)

Im Deutschen herrscht bekanntlich nicht SOV, weshalb auch oft das Subjekt erst hinter dem Objekt steht: Vielen gefällt das nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2013 um 10.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#24382

"Die Diplomarbeit wurde in der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst (Stand 2006). Zitate, die in alter Rechtschreibung vorlagen, wurden an die neue Rechtschreibung angeglichen. In Fällen, in denen zwei Schreibweisen gültig sind, habe ich die im Original verwendete Variante belassen." (Diplomarbeit „Wortneubildungen in der Werbung“ von Charlotte Richter, Wien 2008)

Der betreuende Germanistikprofessor scheint diesen Umgang mit Zitaten richtig zu finden.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.11.2013 um 12.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#24385

Immerhin wird die Zitatummodelung wenigstens ausdrücklich erwähnt. Sonst wird ja als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es nie eine andere Rechtschreibung gegeben haben darf. ("Daß" mit "ß" ist noch giftiger und unzumutbarer als das böse "N-Wort".)
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.11.2013 um 12.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#24387

Der Eingriff in die Rechtschreibung der Zitate ist für diese Leute wohl etwas ähnliches wie eine Umschreibung von Fraktur auf Antiqua: früher hat man ja so geschrieben, aber das geht uns heute nichts mehr an...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.11.2014 um 07.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#27215

Dawkins hat gelegentlich die Überlieferung der Sprache mit der Weitergabe der Origami-Kunst nach dem Muster der Stillen Post (Chinese whispers, telephone) verglichen. "Origami steps are self-normalizing. (...) Words – at least when they are understood – are self-normalizing in the same kind of way as origami operations.“
Damit meint er: Die einzelnen Faltungen beim Origami werden bei dieser Art der Weitergabe nicht immer weiter vom Original abweichen wie eine Zeichnung, sondern wegen ihres "digitalen" Charakters immer wieder genau wie die Vorlage geraten (oder in einigen Fällen gleich völlig entgleisen und überhaupt nichts Sinnvolles ergeben). Self-normalizing sind auch die Bewegungen beim Einschlagen eines Nagels; der konstante Zweck stabilisiert das Verhalten.
Wichtig ist die Einschränkung, daß die Wörter verstanden werden müssen. Bei Entlehnungen und Eigennamen ist das oft nicht der Fall, und solche Sprachabschnitte können immer mehr abweichen und wegdriften.
Kommt es also zur getreuen Weitergabe der Wörter (über Lautwandel äußerst sich Dawkins anderswo), so muß man doch bedenken, daß dies nur die Formseite betrifft. Unter denselben Lautgebilden kann aber ein "analoger", also nicht-diskreter/digitaler Bedeutungswandel stattfinden, und das ist die eigentliche, von Humboldt gemeinte Kreativität der Sprache oder vielmehr der Sprecher. Man könnte grundsätzlich die ganze Zeit mit demselben Wortschatz und derselben Grammatik auskommen und doch ständig Neues sagen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2016 um 12.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#33338

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=911#21184

Eduard Engel verteidigt frug, führt natürlich auch Bürgers Verse an und gibt außerdem Bismarcks Erzählung wieder:

Wenn mein Vater von der Jagd kam und es gemächlich hergegangen war, so sagte er: Ich jagte; ging es aber toll her, so sagte er: Ich jug. Die Grammatiker werden diese Bildung mißbilligen, aber ich selbst möchte meinem Vater Recht geben.
 
 

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