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06.10.2007
Was geschah im Sommer 2004?
Eine Erinnerung
Wenn man noch einmal die starken Worte nachliest, mit denen damals einige Politik er und die großen Herren Verleger, Herausgeber und Chefredakteure das Ende des Experiments Rechtschreibreform verkündet (und auch sehr gut begründet!) haben, dann fragt man sich, was hinter den Kulissen vorgefallen sein muß, damit sie ihr Vorhaben kurz darauf sang- ud klanglos aufgeben konnten.
Manche haben die Begründung nachgeliefert, die Reformer hätten ja nun die schlimmsten Fehler beseitigt, aber zwei Jahre später wurden dann schon wieder die schlimmsten Fehler beseitigt, das kann es also nicht gewesen sein.
"Relativ gelassen verfolgt dagegen der Duden-Verlag die Debatte. Im Gegensatz zur Diskussion um die Rechtschreibreform vor acht Jahren zeigten sich die Konsumenten nicht verunsichert und kauften eifrig die derzeit gültige Duden-Ausgabe, sagt der Leiter der Duden-Redaktion, Matthias Wermke."
Die eifrigen Käufer von 2004 mußten schon zwei Jahre später erkennen, daß sie ihr Geld umsonst ausgegeben hatten. Wermke wußte damals schon, daß es den Rat für deutsche Rechtschreibung und damit weitere Änderungen geben würde.
Ein sogenannter Philosoph namens Sloterdijk, der auch sonst mit unerträglichem Geschwätz zu Ruhm gekommen ist, äußerte sein „Unverständnis“: „Die Verlage sind genauso wenig befugt eine Rechtschreibreform durchzuführen wie die Kommission, die das seinerzeit beschlossen hat. Das war bei der Reform, wie auch jetzt, die Gremien-Erotik von Männern in gehobener Stellung.“ Tatsächlich könnten dies nur die Schreibenden selbst entscheiden - „die Schriftsteller und das alphabetisierte Volk“.
Er hat keine Ahnung von den Tatsachen, schwadroniert aber sehr originell (das ist immer die Hauptsache!) von „Gremien-Erotik“. Außerdem führen Verlage keine Rechtschreibreform durch, sondern bedienen sich einer selbstverständlichen Entscheidungsfreiheit, ebenso wie „die Schriftsteller und das alphabetisierte Volk“.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 06.10.2007 um 19.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=904#10376
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Auch wenn mir dieser Artikel bereits bekannt ist – der letzte Satz von Herrn Augst ist zitierenswert: »Man will vielmehr den ganzen Unwillen gegen die anstehenden Sozialreformen auf der Rechtschreibung symbolisch abladen.« Das erinnert doch stark an Herrn Jochems, der auf diesen Seiten einmal irgendwo schrieb, die Rechtschreibreform tauge nicht zum Gegenstand, an dem sich die allgemeine Politikverdrossenheit stellvertretend entladen könne.
So werden ständig Sündenböcke gesucht, nur Selbstkritik kommt dabei natürlich nicht in Betracht. Die Schüler schreiben schlechter als früher? Daran sind Fernsehen, Computerspiele und Internet schuld. Schreibkundige Menschen ereifern sich nach wie vor über das Reformregelwerk? Das sind ewige und ewgiggestrige Nörgler, die nicht umlernen können oder wollen. Die Zeiten ändern sich, also muß auch unsere Schrift sich ändern – egal wie, Hauptsache, sie tut's.
Schön wäre, wenn die Verantwortlichen als ersten Schritt wenigstens dies zur Kenntnis nehmen könnten: Die Kritik an der Rechtschreibreform entzündet sich ausschließlich an der ungenügenden Qualität der neuen Regeln, daran, daß sie unsere Schrift ohne jede Not so erheblich verpfuscht und verunstaltet.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 07.10.2007 um 16.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=904#10381
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Was ist nach 2004 passiert?
Was eigentlich hat das allgemeine Umfallen der noch 2004 so Großsprecherischen bewirkt? Dem wäre noch nachzugehen, z.B. von Soziologen.
Mit dem Satz »Man will vielmehr den ganzen Unwillen gegen die anstehenden Sozialreformen auf der Rechtschreibung symbolisch abladen« bestätigt sich Augst lediglich als ideologiefixiert. Selbst von Stamokap-Jüngern ausgedachte Sozialreformen wären nie so verrückt ausgefallen wie die von ihm vehement betriebene Orthographie"reform".
Hätte sich Augst doch als Sozialreformer engagiert! Dem weniger schriftfernen Teil der Nation wäre vieles erspart geblieben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.01.2009 um 11.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=904#13700
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Daß es sich bei den starken Äußerungen des Pop-Philosophen Sloterdijk nur um eine Masche handelt, zeigt auch ein Interview der Süddeutschen Zeitung vom 3.1.2009:
„Der eigentliche Held des Neoliberalismus ist Harry Potter.
SZ: Wie bitte das?
Weil die Potter-Romane die Fibel einer Welt ohne Realitätsgrenze darstellen. Sie überredeten eine ganze Generation, den Zauberer in sich zu entdecken. Das englische Wort 'Potter' bedeutet übrigens 'Töpfer', einen Handwerker, der Hohlkörper verfertigt.“ (usw.)
Das ist nun mal sein Stil: die Leute verblüffen, und bevor sie sich erholt haben und vielleicht genauer nachfragen, geht es schon zur nächsten Geistreichelei.
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