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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.09.2007
 

Betrogene Schüler
Auch Quellentexte werden verändert

Zum Beispiel in „Das waren Zeiten“ (Geschichtsbuch für bayer. Gymnasien, Bd. 4, Buchner 2007). Die Schüler sollen Quellentexte untersuchen und aus ihrer Zeit heraus verstehen.
Sie sind ausnahmslos in Reformorthographie umgesetzt, von Hitlers „Mein Kampf“ bis zu Feldpostbriefen aus dem 2. Weltkrieg. Daß auch die gegenwärtig „gültige“ Rechtschreibung vom Sommer 2006 eine historisch bedingte politische Maßnahme ist, können und sollen die Schüler nicht erkennen.



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Kommentare zu »Betrogene Schüler«
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Kommentar von Knobold, verfaßt am 14.09.2007 um 08.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10190

Naja, es ist halt auch die Fortsetzung der Rustschen Reform, nicht wahr.
 
 

Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 14.09.2007 um 11.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10191

... "in Reformorthographie umgesetzt": Ich würde eher sagen: gefälscht, denn es handelt sich um die vorsätzliche und auch böswillige Fälschung historischer Dokumente, da eine orthographische Lesehilfe wohl für mittelalterliche Texte nötig wäre, nicht aber für Texte aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Andererseits: Wenn die nachträgliche "Reform"-Schreibung zu Orwells 1984 (Newspeak) paßt, dann doch in gewisser Weise auch zu Hitlers Mein Kampf, oder?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.09.2007 um 16.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10193

Hier noch etwas aus dem famosen Geschichtsbuch:

So verzeichnete die SED stehts (!) hohe „Wahlerfolge“.

Der Leitsatz der SED wird so zitiert: Die Partei hat immer Recht!
(Ist das vielleicht sogar Originalschreibung? Bei einer so dummen Partei weiß man nie ...)

Zur Verdummung trägt auch die Silbentrennung bei:
Kons-tellation (in einem Zitat aus dem Bamberger Tagblatt von 1933)
 
 

Kommentar von Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 14.09.2007 um 17.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10195

Ob sich meine inquisitatorische "Oberlehrerin" aus Deutschlands Norden (siehe hier) wohl darüber auch so ereifern würde?

Übrigens gibt es zu der Geschichte einen Nachtrag: Ich habe das arme Wörtchen "mußte" gesucht und gefunden: in einem Text, der in Originalschreibung wiedergegeben worden ist, aus Gründen des Urheberrechts, das wir (sehr gern!) befolgen. Es gibt auch einen diesbezüglichen Hinweis in dem Druckwerk, aber den scheint die Dame, von heiligem Zorn erfaßt, übersehen zu haben.

Was die Beispiele betrifft, die Herr Ickler zitiert:
Müßten gebildete Eltern, deren Kinder mit solchen Büchern in der staatlichen Schule lernen müssen, nicht ziemlich beunruhigt sein? Es begann damit, daß der amtliche Lehrplan in einigen Bundesländern eine Art schamlosen Sexualkundeunterricht vorschreibt, worunter zahlreiche Kinder direkt oder indirekt leiden; jetzt wird mittels verstümmelter Rechtschreibung systematisch und auch auf obrigkeitliches Geheiß den junge Menschen jedes Gespür für Sprache, Sprachschönheit und -richtigkeit ausgetrieben.
 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 14.09.2007 um 23.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10197

Im Original heißt es in der zweiten Strophe

Die Partei,
Die Partei, die hat immer recht.
Und, Genossen, es bleibe dabei.
Denn wer kämpft
Für das Recht, der hat immer recht
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus leninschem Geist,
Wächst von Stalin geschweißt,
Die Partei, die Partei, die Partei!

Das Deutsche Historische Museum hat daraus gemacht, unter Zuspitzung des Fürnbergschen Wortspiels

Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!
Und, Genossen, es bleibe dabei;
Denn wer kämpft für das Recht,
Der hat immer recht.
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus Leninschem Geist,
Wächst, von Stalin geschweißt,
Die Partei - die Partei - die Partei.

 
 

Kommentar von GL, verfaßt am 15.09.2007 um 08.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10198

Rechtens fehlen jetzt nur noch die Stalinorgeln!
 
 

Kommentar von pnp, verfaßt am 15.09.2007 um 09.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10199

In Rotthalmünster bekam ein Schüler ein 20 Jahre altes Lesebuch, was für einige Aufregung sorgte, siehe: http://www.pnp.de/lokales/news.php?id=43630

Interessant ist auch der Kommentar eines Verantwortlichen:

"Im Deutsch-Unterricht in den beiden 5. Klassen wird nach Krenners Worten hauptsächlich ein Deutsch-Sprachbuch verwendet, das zwischen ein und drei Jahren alt ist - »natürlich mit neuer Rechtschreibung, [...]."

Dazu die Frage: welche Version der RSR enthalten 1–3 Jahre alte Bücher? Neu ist in diesem Fall wohl relativ zu verstehen, es wird nämlich verschwiegen, daß es die neueste, also die aktuelle, gar nicht sein kann.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.09.2007 um 11.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#10200

In "Lyrik der DDR" (Aufbau-Verlag Berlin-Weimar 1974) habe ich ein paar andere Gedichte von Louis Fürnberg (1909-57) gefunden, und die waren gar nicht mal so schlecht. Beim "Lied der Partei" sind ihm aber eindeutig die Gäule durchgegangen. Es war auch nicht in dieser Sammlung enthalten.
Obwohl die betreffende Zeile jeder kannte und sie auch ab und zu von den Parteigängern geschmettert wurde (eher ein bißchen trotzig, weil sich die meisten schon des Unsinns ein wenig bewußt waren), war sie aber in der DDR auch wieder nicht so oft anzutreffen, daß man sie als Leitsatz der Partei hätte bezeichnen können. Der Leitsatz war dann schon eher der folgende, und ich möchte ihn mal so schreiben, wie er wohl lauten würde, wenn "die Partei" noch die Jahrtausendwende erlebt hätte:
"Proletarier und Proletarierinnen vereinigt euch!"
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.09.2012 um 15.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#21477

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat 2002 eine Dokumentation von Michael Rauhut herausgegeben: Rock in der DDR. Darin sind viele Dokumente abgedruckt, Stasi-Berichte und anderes. Alle sind in reformierte Rechtschreibung (nach dem Stand von 1996) umgesetzt. Junge Leute lernen daraus einen Umgang mit Quellen, den ihnen Schule und Universität wohl kaum noch abgewöhnen können.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.09.2012 um 23.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#21481

Im Geschichtsbuch für das Gymnasium "Geschichte und Geschehen" (Klett), das im Grunde gut gelungen ist, scheinen mehrere Redakteure unabhängig voneinander zu arbeiten. Aus ein und derselben Quelle wird mal reformiert, mal unreformiert zitiert.

Hin und wieder schleicht sich ein dummer Fehler ein: z. B. Josef Goebbels. Ärgerlicher ist aber, daß in Begleitheften in Kopiervorlagen usw. bisweilen Frakturschrift angewandt wird mit "lateinischem" k und ohne langes s.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.09.2012 um 23.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=892#21482

Herr Riemer um 11.18 Uhr:
Der Leitsatz war dann schon eher der folgende, und ich möchte ihn mal so schreiben, wie er wohl lauten würde, wenn "die Partei" noch die Jahrtausendwende erlebt hätte: "Proletarier und Proletarierinnen vereinigt euch!"

Das haben Goebbels und der Führer auch schon gemacht, als sie "Liebe Volksgenossinnen und Volksgenossen!" grüßten.
 
 

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