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02.09.2007
Labskaus
Vermischte Urlaubsnotizen zum Thema Rechtschreibung
Die "Informationen Deutsch als Fremdsprache" sind jetzt auch auf Reformschrieb umgestellt. Höchste Zeit, den Fachverband DaF zu verlassen.
Annette Schavan hat ein Programm gestartet, dass die geisteswissenschaftliche Forschung in Deutschland stärken soll. (Süddeutsche Zeitung 6.8.07)
Im oberelsässischen Colmar, dass nach Straßburg die größte Judengemeinde im Elsass besaß ... (ebd. 9.10.07)
Eine Studie ergab, das viele Ballaststoffe mit weniger Darmkrebserkrankungen einhergehen (ebd. 16.8.07)
Erst in diesem April wurde bekannt, das Becker ausgesagt hatte ... (ebd. 17.8.07)
Auf der Insel Juist gibt die Kurverwaltung den Gästen die Möglichkeit, die Juister Kaufleute Kennen zu Lernen.
In einem Artikel der FAZ-Sonntagszeitung lese ich: Akkupunktur, Kost und Logie (17.8.07)
Das hübsche kleine Langenscheidt-Universalwörterbuch Chinesisch-Deutsch soll in reformierter Schreibung gesetzt sein und verweist tatsächlich von rauh auf rau. Es schreibt aber schneuzen und Stengel (unter jing und im deutschen Teil).
Das Duden-Universalwörterbuch trennt traditionell Pro-blem, Em-blem, der Rechtschreibduden gibt außerdem die reformierte Trennung an, und das Langenscheidt-Größwörterbuch DaF kennt überhaupt nur noch Prob-lem, Emb-lem. Das ist sehr bezeichnend: für Ausländer ist das barbarische Deutsch allemal gut genug.
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Kommentar von David Weiers, verfaßt am 02.09.2007 um 16.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10062
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Was mich wirklich einmal interessiert: Gibt es im Ausland nicht schon längst namhafte Germanisten, die der RSR und all dem, was in ihrem Kielwasser schwimmt, ein deftiges Armutszeugnis ausgestellt haben?
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Kommentar von ppc, verfaßt am 03.09.2007 um 09.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10063
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> Das ist sehr bezeichnend: für Ausländer ist das barbarische Deutsch allemal gut genug.
Ich habe vor kurzem gelernt, daß man nach dem Doppelpunkt groß weiterschreiben soll, wenn ein vollständiger Satz folgt. War das auch Neuschreib?
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 03.09.2007 um 12.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10064
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An Herrn Weiers: Aus traditioneller Sicht ist nach dem Doppelpunkt ein vollständiger Satz klein zu schreiben, wenn gefolgert oder zusammengefaßt wird. Ich zitiere die Dudenbeispiele aus meiner Erinnerung:
– Der Wald, die Felder, die Gutshäuser: all das wird einmal dir gehören.
– Du rauchst wie ein Schlot, arbeitest rund um die Uhr und schüttest literweise Kaffee in dich hinein: du machst dich kaputt, mein Lieber.
Angekündigte, eigenständige Sätze sollen hingegen nach dem Doppelpunkt groß begonnen werden:
– Ein Sprichwort lautet: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
– Das Rezept für Pfannkuchen: Man nehme 4 Eier, 1/2 TL Satz, . . .
In der Praxis fällt es allerdings häufig schwer, zwischen eigenständigen und gefolgerten Sätzen zu unterscheiden, und wenn man traditionell geschriebene deutsche Belletristik aufmerksam unter diesem Gesichtspunkt liest, stellt man fest, daß da eigentlich jeder Schriftsteller oder Lektor sein eigenes Süppchen kocht. Manche schreiben im Zweifel lieber klein, wie offenbar Herr Ickler, andere im Zweifel lieber groß. Ich selbst habe da für mich auch noch nicht das Ei des Kolumbus gefunden.
Unglücklich ist allerdings die Reformregel, daß nunmehr jeder vollständige Satz nach einem Doppelpunkt groß zu schreiben sei, da die so erzwungene Großschreibung häufig Sätze optisch auseinanderreißt, die inhaltlich ein Ganzes bilden.
Man lese dazu einmal irgendetwas von Heinrich Böll, einen Virtuosen des Doppelpunkts, der das Kolon häufig als eine Art »folgerndes Semikolon« verwendet, was zu recht ansehnlichen Sätzen führt. Hier die reformierte Großschreibung anzuwenden, hieße, Bölls Satzrhythmus zu zerstören.
Ein typischer Zweifelsfall ergibt sich für mich bereits, wenn eine Ankündigung lediglich aus einem oder sehr wenigen Worten besteht:
– Zudem: was/Was wäre aus dieser Erkenntnis zu schließen?
– Hingegen: dem/Dem kann ich nicht zustimmen.
Vielleicht könnte Herr Ickler ja einmal kurz erläutern, wie er es mit dem Doppelpunkt hält.
Ich hoffe mit diesen Ausführungen die Verwirrung nur noch vergrößert zu haben. :)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2007 um 16.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10065
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Wenn man die "Eigenständigkeit" des auf den Doppelpunkt folgenden (aber auch des vorangehenden) Satzes grammatisch definiert, kommt man auf unbeherrschbare und der Intuition widersprechende Schreibweisen, deshalb halte ich es so, wie es mir gerade am besten gefällt ("eigenes Süppchen", ganz richtig!). Leider fehlt in meinem Rechtschreibwörterbuch unter § 22 etwas, worauf ich eigentlich hinweisen wollte (daher auch der leere Verweis unter § 14). Es ist aber nicht wichtig. Ich möchte also hier, kurz gesagt, überhaupt keine strikte Regel.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 03.09.2007 um 19.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10069
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Zur Frage von Herrn Weiers (887#10062):
Es gibt sie weltweit, und sie haben über die Zeit hin entsprechendes Zeugnis vielfach ausgestellt. Allerdings wird das im Ausland zu diesem ärgerlichen Gegenstand von germanistischen Linguisten, Schriftstellern und Liebhhabern des Deutschen und seiner Literatur Gesagte oder Geschriebene ausgeblendet, da ja alles in irgendwelchem Ausland zu diesem Ärgernis Bemerkte in diesem erhabenen Lande insgesamt als irrelevant gilt, sowohl dem oberstudienrätlichen RfdR in seinem Glanze als auch der "objektiven" Presse, von der Journaille zu schweigen.
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Kommentar von David Weiers, verfaßt am 03.09.2007 um 22.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10072
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Das ist doch schon was Seltsames... Wenn es z.B. darum geht, welchen Abschluß man an der Uni machen soll, ist nichts besser als das amerikanische System; ob es sinnvoll ist oder nicht: es wird eingeführt, eben weil es aus dem Ausland kommt. (Und dann auch noch aus Amerika... Uiuiuiui! Auf der Kirche hacken se alle rum, aber die "one nation under God" ist natürlich ein Vorbild...)
Wenn es darum geht, das doch von Natur aus so furchtbare deutsche Schulsystem zu ändern, dann ist auf einmal Deutschland genauso dünn besiedelt wie Finnland, das ja sowieso in Sachen Bildung "und so" absolut passend für einen jedweden Vergleich ist. ("Buddelt sofort mehr Seen, dann steigt der Bildungsstandard!")
Wenn man einen x-beliebigen Menschen auf der Straße anspricht und fragt, was er gerne ißt, dann wird wohl kaum kommen "Deutsche Küche!", sondern eher "Italienisch, ist doch klar!" usw.
Wenn man unter den Bundesbürgern mit einer Umfrage ermitteln möchte, was man denn so als "typisch deutsch" auffaßt, dann werden wieder alle Register in Sachen "deutsche Selbstverachtung" gezogen. (Und zum Schluß der medienwirksamen Präsentation der Umfrageergebnisse – bei RTL, wo auch sonst – wird durch einen "Comedian" dann groß kundgetan, daß es ja sooo schlimm, peinlich, ja nachgerade ekelhaft sei, daß "die Deutschen" immer an sich selbst rummäkelten...Nun denn...)
Aber wenn mal ein unbeteiligter Beobachter aus dem Ausland fachlich versiert (und als Unbeteiligter vielleicht auch einen Tick "neutraler") ein "Nee, Ihr Lieben! So geht's aber nicht!" zur RSR äußert, dann wird das ignoriert?
Kann ich mir ja kaum vorstellen. Wo doch ansonsten die Sympathie zu im Ausland gereiften Gepflogenheiten alles im Land Gewachsene locker an die Wand drückt.
Ach, Herr Köster: Besten Dank, aber Sie meinen wohl nicht meinen Beitrag.
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Kommentar von Journalismus.com, verfaßt am 05.09.2007 um 16.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10089
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Am 1. August 2007 haben die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen ihre Rechtschreibung umgestellt. Die Nachrichtenagenturen haben sich in allen Fällen, in denen nach den Rechtschreibregeln unterschiedliche Schreibweisen zulässig sind, für eine bestimmte entschieden. Diese Agenturschreibweise gilt für diese Nachrichtenagenturen:
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.09.2007 um 17.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10095
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Auf eine Eingabe an den bayerischen Schulminister mit Hinweisen auf die Folgen der neuen Verbindlichkeit für die Schule kam nach Wochen ein Briefchen von Herrn Krimm: meine Einschätzung werde in seinem Hause nicht geteilt. Basta. Keine Spur von Eingehen auf meine Argumente und Beispiele. Das hat man dort nicht nötig, denn man ist im Besitz der Macht und läßt sie an wehrlosen Schülern aus.
Mit Befriedigung nehme ich unterdessen wahr, daß die Rechtschreibreform in der Presse fast nur noch als sprichwörtliches Beispiel für eine riesengroße Dummheit zitiert wird. Leider fehlt stets der Hinweis auf die Schuldigen, gerade auch die Ministerialbeamten. Und schon gar nicht macht sich unser ach so investigatives Journalistenvölkchen die Mühe, den Hintergründen nachzuspüren, auf die wir so lange und so deutlich gezeigt haben.
Aber die Entwicklung geht weiter, der schleichende Rückbau ...
Heute in der Süddeutschen Zeitung: Greuel, Quentchen, als erster ...
So kann man es natürlich auch machen.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 06.09.2007 um 13.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10101
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"Die Paletten sind dann schwer zu schieben, das muss Körper schonender sein", so seine Überzeugung.
Zitat aus:
tag für tag, Mitteilungslbatt der Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung, Ausgabe 4/2007
Wie lange wird rückgebaut werden müssen, bis wir solche schrillen Blüten nicht mehr bewundern müssen? Ich befürchte, manche "Reformschreiber" haben 1996 eine Erstprägung erhalten, ähnlich wie die Graugänse von Lorenz. Denen ist nicht mehr zu helfen.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 06.09.2007 um 13.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10102
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Zu »Auf der Insel Juist gibt die Kurverwaltung den Gästen die Möglichkeit, die Juister Kaufleute Kennen zu Lernen«: In der Werbung ist bekanntlich nichts unmöglich, da werden die Möglichkeiten entdeckt, was zu so merkwürdigen Empfehlungen wie Jetzt Testleasen! (Suzuki) führt. (Bei Jörg Pilawa konnte auch schon mal als mögliche Antwort ein Bitte Einsteigen! gesichtet werden.) Wen wundert's, daß inzwischen auch im Internet die Aufforderung Jetzt Anmelden! sich wachsender Beliebtheit erfreut? Die Verwirrung um die Wortarten scheint nunmehr ihrer Vollendung entgegenzustreben. Frei nach Truman Capote und einem größeren schwedischen Möbelhersteller: Tippst du noch oder schreibst du schon?
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Kommentar von Tobias Bluhme, verfaßt am 06.09.2007 um 14.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10103
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Gestern bei RTL
Die "Super-Nanny" mußte sich gestern bei RTL um eine hilflose Mutter in Ostdeutschland kümmern. Um die manchmal genuschelten Beleidigungen usw. für das breite Publikum verständlich zu machen, mußten Untertitel her. Einige Kostproben:
"mußte" (manchmal auch "musste")
"bißchen"
"mußt" (manchmal auch "musst")
"36 Cent, dass war gerade noch ein Bier"
Muntere Mischschreibung...
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Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 06.09.2007 um 19.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10105
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Den Fundstücken von Frau Pfeiffer-Stolz ähnlich: "Kramer sieht Demokratie freie Zonen in Ostdeutschland" (gleich mehrmals in einem Text von ad-hoc-news). "Dieser Laden wird Videokamera überwacht" (an einer hiesigen Videothek).
Die Wirklichkeit überholt bald die Satire (s. auch den Beitrag von Matthias Künzer im Diskussionsforum).
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 07.09.2007 um 00.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10107
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Bei Konstruktionen wie "das muss Körper schonender sein" ist daran zu erinnern, daß sie selbst nach den Maßgaben der Hardcore-Version der Reform von 1996 (=> § 36.1) grober Unfug sind. Die Nachrichtenagenturen hatten 1998/99 versucht, das inkonsistente Ergebnis der Definitionshuberei von Möchtegernwissenschaftlern auf eine praktikable Formel zu bringen – schließlich sollte das Schreiben durch die Reform doch einfacher werden: "Verbindungen von Substantiv und Partizip werden grundsätzlich getrennt geschrieben", so lautete deshalb bis vor kurzem im Internet noch die Auskunft von dpa über die Rechtschreibung der Agenturen (witzigerweise übrigens ausgerechnet mit "Gewinn bringend" als Beispiel). Auf diesem Wege erst haben Konstrukte wie "der Muskel bepackte Boxer" (oder eben "das muss Körper schonender sein") massenhafte Verbreitung gefunden.
Bemerkenswert an dem Vorgang ist zweierlei. Die meisten Journalisten, die solchen Unsinn beförderten, haben bis heute nicht begriffen, daß sie sich damit zum Opfer von Dummköpfen machten, die ihrerseits Opfer von Dummköpfen waren. Und diejenigen, die das Desaster angerichtet hatten, haben sich gehütet, dem (auch von ihnen nicht gewollten) Unfug entgegenzutreten – dies, obwohl sie sonst um Geschrei nicht verlegen waren, wenn Reformgegner mit tatsächlich oder vermeintlich "falschen Beispielen" argumentierten. So dumm waren sie dann doch nicht.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 07.09.2007 um 07.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10110
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Man kann es drehen und wenden, wie man will. Der einzige Weg, dem fröhlich sprossenden Unsinn die »Vitalkraft« zu nehmen, ist der Einsatz des Rasenmähers, Marke »klassische Rechtschreibung«. Es ist ein Fehler gewesen, Kompromisse zu schließen. Kompromisse taugen für gewisse Unternehmungen, die Menschen gemeinsam planen. In grundsätzlichen Fragen des Daseins aber kann es keinen Kompromiß geben: ein bißchen Gesundheit, ein bißchen sterben, ein bißchen Ehe, ein bißchen Kinderkriegen, ein bißchen fliegen ... es gibt bessere Beispiele, sie fallen mir sicher im Laufe des Tages ein (haha). Kompromißlösungen richten dort, wo sie nicht funktionieren, Schaden an.
Viele gutmütige Gegner der Rechtschreibreform waren »kompromißbereit«. Es ist in den Foren heftig diskutiert worden: Wieviel Schaden darf's denn sein? Wieviel Unsinn gestehen wir der anderen Seite zu? Man sieht, wohin das führt. Sprache kann nicht Gegenstand von Verhandlungen sein! Wirtschaft übrigens auch nicht. Politische Kompromisse – und die RSR ist eine politische Entscheidung – erfreuen sich in der Regel deshalb großer Beliebtheit, weil sie angeblich eine Art win-win-Situation herstellen: jedem soll ein wenig gedient sein. Die Reformer setzen diesen Trick bewußt ein. Sie sind beredter als der Laie. Das nutzen sie aus. Der Mann auf der Straße will seine Vernunft zeigen und neigt zum Kompromiß. Er wünscht Frieden und glaubt ohnehin, der »Fachmann« wisse es besser.
Der liberale Denker Ludwig van Mises (gestorben 1973) hatte zeitlebens den Zusammenbruch des Sozialismus vorhergesagt und dafür Spott und Hohn geerntet. Er hat leider nicht mehr erlebt, wie seine Prophetie sich erfüllte. Die Schriften Mises’ sind lesenswert. Zum Kompromiß schrieb er: »Die schädlichste Folge des Widerwillens des durchschnittlichen Bürgers, sich ernsthaft mit wirtschaftlichen Probleme zu befassen, ist seine Bereitschaft, Kompromißlösungen zu unterstützen.« Den guten Ruf, den der Begriff »Kompromiß« genießt, wird von den Ingenieuren unserer »schönen neuen Welt« bewußt als Werkzeug eingesetzt, mit dem sie ihre Pläne scheindemokratisch durchsetzen. Dies ist auch bei der Rechtschreibreform so geschehen.
Ein „bißchen“ Reformschrieb ist wie ein Virus um System. Dieser erzeugt unerbittlich immer mehr Viren, verhält sich in einer Weise, die niemand vorhersagen kann. Das kann zum Absturz des ganzen System führen. Schreiben wir also getrost klassisch, kompromißlos und mit Zuversicht!
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 10.09.2007 um 09.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10160
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Legasthenie
In meinem jüngsten Newsletter befasse ich mich mit der Rechtschreibung und schildere ein Erlebnis aus meiner Zeit als Lehrerin. Damals kam ein als „Legastheniker“ gebrandmarkter Junge in meine Deutschklasse (6. Klasse Hauptschule). Innerhalb eines Jahres konnte er zur Überraschung seiner Mutter tadellos schreiben, allein durch gezielte Schreibübungen und Minidiktate, die ich meinen Schülern damals regelmäßig „verordnete“, und die von Eltern und Schülern begeistert angenommen wurden, weil Fortschritte beim Schreiben sichtbar wurden.
Eine Leserin des Newsletters zeigte sich jetzt in einer Mail an mich „entsetzt“ über diese Geschichte. Ob ich wisse, daß es eine vererbliche Legasthenie gebe, die niemals – so wörtlich! – „heilbar“ sei und nur durch Experten behandelt werden dürfe! Verantwortungslos sei einfaches Üben, wie ich es vorschlage; einfache Lehrer oder Eltern könnten und dürften einen legasthenen Schüler nicht therapieren wollen. Daß „so ein Text“ ausgerechnet von mir komme, enttäusche sie schwer.
Da kann ich nur sagen: dies ist der Geist, aus dem Rechtschreibreformen geboren werden. Und es weht heftiger denn je in Deutschland. Arme Kinder.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 10.09.2007 um 10.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10161
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Liebe Frau Pfeiffer-Stolz,
zu der Zeit, als ich mich mit einigem Erfolg als Nachhilfelehrer betätigte, in den Jahren 1985 bis 1990, gab es all diesen pädagogischen Hokuspokus noch nicht. Es mag krankhafte Legastheniker geben, mir ist nie einer begegnet, und natürlich sind wir uns alle einig darin, daß wir Menschen, die partout nicht richtig schreiben können, nicht das Tor zum Abitur verschließen sollten, wenn sie ansonsten ganz aufgeweckt und helle sind. Meine eigenen pädagogischen Erfahrungen sind eigentlich die, daß Schüler zunächst einmal den Respekt der Lehrer benötigen, auf daß sie merken, daß Ihnen Wertschätzung entgegengetragen wird und sie nicht für dumme Lümmel gehalten werden, danach wird vieles einfacher. Dann kann man sogar noch in einer freiwilligen Unterrichtsstunde den Unterschied zwischen das und daß erläutern.
Mein größter Erfolg bestand darin, einem kleinen griechischen Mädchen beizubringen, wie man einen deutschen Satz schreibt. Natürlich hat sie es nicht bis zur Perfektion gebracht, ich habe bei der Gelegenheit noch etwas Griechisch gelernt, aber dank meiner Hilfe hatte sie nie wieder Fünfen in der Schule, sondern nur noch Dreien, und einmal kam sie mit leuchtenden Augen mit einer Zwei im Aufsatz unterm Arm von der Schule zurück, und solche unvergeßlichen Momente sind mir Lohn meiner Arbeit genug.
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Kommentar von Philip Köster, verfaßt am 10.09.2007 um 10.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10162
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Und ja, Frau Pfeiffer-Stolz, Sie haben völlig recht: Eine Rechtschreibung, die nur ein bißchen richtig ist, ist ein Ding der Unmöglichkeit wie eine Telefonnummer, die nur ein bißchen stimmt, oder eine Frau, die nur ein bißchen schwanger ist.
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Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 10.09.2007 um 22.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10163
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"Da kann ich nur sagen: dies ist der Geist, aus dem Rechtschreibreformen geboren werden. Und es weht heftiger denn je in Deutschland. Arme Kinder."
Ziemlich hart, aber vielleicht mußte das mal so deutlich (von einer umsichtigen HS-Lehrerin mit offenbar sicherem pädagogischen Zugriff) gesagt werden. Möglicherweise spielen Erfahrungen eine Rolle, die man generell an Hauptschulen, aber auch Gymnasien und Gesamtschulen im NRW der siebziger (!) Jahre machen konnte: Von fast jedem Klassenlehrer war zu hören, daß je nach Einzugsgebiet bis zu 25% der Schüler sog. Legastheniescheine vorlegten, eine Erscheinung, die im Laufe der achtziger Jahre wie weggeblasen schien (ohne daß die Förderstruktur, abgesehen vom vereinzelten Legastheniekursangebot für Deutschlehrer, wesentlich geändert worden wäre). Mich wundert es also nicht, daß Herr Köster diese Erfahrung dann nicht mehr machen konnte. Übrigens, Herr Köster, mit Ihrer Feststellung "Schüler (benötigen) zunächst einmal den Respekt der Lehrer, auf daß sie merken, daß Ihnen Wertschätzung entgegengetragen wird und sie nicht für dumme Lümmel gehalten werden" rennen Sie – dessen bin ich aus vielfältiger Erfahrung sicher – offene Türen ein, bei der großen Mehrheit der Grund-, Haupt- und Förderschullehrer sogar ganz sicher. Ich würde allerdings gern noch etwas ergänzen: Sie brauchen den anerkennenden Respekt der Erwachsenen, besonders der Eltern, und dann auch der Lehrer.
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Kommentar von Gast, verfaßt am 12.09.2007 um 20.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10181
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Margit Conrad, Ministerin für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz, wirbt mit großformatigen Zeitungsanzeigen für ihr Energiesparprogramm:
– "UNSER ENER belohnt Energie
sparendes Modernisieren!"
– "Von Energie sparen und Klimaschutz redet inzwischen jeder."
Wer schützt die Verbraucher eigentlich vor amtlicher Verblödung?
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 14.09.2007 um 17.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=887#10194
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Was ist aufseiten der Regierung?
Ich kenne aufsteigen, aufstehen, aufstöbern, aufstoßen, aufspüren usw., aufseiten kenne ich nicht.
Würde man sagen, ich aufseite die Regierung oder sagt man eher, ich seite die Regierung auf? Dieser Regierung hab ich aber gründlich aufgeseitet! – Klingt nicht schlecht, aber was bedeutet es?
Wie auch immer, hier muß ich ein Verständnisproblem gestehen.
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