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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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01.06.2007
 

Anmaßung
Grammatik aus der Hand der Orthographen?

„Die früher als Adverbien angesehenen Bezeichnungen für Tageszeiten in Verbindung mit gestern, heute und morgen werden den Substantiven zugeordnet und deshalb großgeschrieben: heute Morgen (...)“ (Duden 9: Richtiges und gutes Deutsch 2007, S. 50)

Außer der Rechtschreibreform, die hier durch Erlaß Großschreibung eingeführt hat, ist keine grammatische Diskussion über die Frage der Wortart geführt worden. Die Reformer haben später das Argument nachgereicht, daß die Wortart der Tageszeitenausdrücke unklar sei und man sich daher nach dem nächstliegenden Homonym (der Abend usw.) richten müsse.
Es ist seltsam, daß hier (wie auch in den neuen Wortbildungslehren) die Rechtschreibreformer zugleich als grammatisch-syntaktische Orakel höchster Autorität betrachtet werden.
Nochmals möchte ich erwähnen, daß die traditionelle Kleinschreibung der Tageszeiten keineswegs von der Richtigkeit der Dudenbemerkung abhing, daß es sich um Adverbien handele. Es sind jedenfalls – nach der eigenen Definition der Reformer – keine Substantive, daher müßte „im Zweifel klein“ gelten.
Daß entgegen der amtlichen Regelung auch heute Früh als richtig dargestellt wird (wenn auch nur fakultativ), habe ich schon in der ausführlichen Besprechung erwähnt.



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Kommentare zu »Anmaßung«
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Kommentar von J. Hohenembs, verfaßt am 03.06.2007 um 19.38 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#8813

Neigt der simple Mensch, hier durch meine Person vertreten, nur aus Unkenntnis zu Vereinfachungen, oder verbirgt sich in einem derartigen Dilettieren nicht doch manchmal auch Richtiges?
"heute", "gestern" sind Adverbien, demnach kann das nachfolgende "abend" ("morgen" usw.) kein Substantiv oder zumindest kein substantivisch gebrauchtes Nomen sein. Braucht es ein Mehr an Erklärungen?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 03.06.2007 um 19.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#8814

J. Hohenembs sieht genau und nüchtern das syntaktische Wunder eines Nomens als Dependens eines Adverbs. Man kann auch noch einmal nachlesen, was in "Die Wortarten des Deutschen" von Burkhard Schaeder und Henning Bergenholtz (Klett 1977) im Abschnitt "Adverb" unter "(4) Abgrenzung gegen andere Wortarten" (S.111f.) zu lesen steht. Von der Abgrenzung gegen das Nomen ist dort jedenfalls nicht die Rede. Dies nur als historischer Nachtrag zur verordneten Großschreibung von "früh" in "heute früh" etc.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.06.2007 um 22.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#8817

Die Groß-/Kleinschreibung stellt die Frage nach der Wortart: Substantiv – ja oder nein? Und bei der Getrennt-/Zusammenschreibung erhält man entweder ein Wort oder mehrere Wörter der gleichen oder verschiedener Wortarten. Daß man in beiden Themenbereichen nicht die eine Möglichkeit beliebig durch die andere ersetzen kann, ohne dabei grundlegende Fragen der Grammatik zu berühren, ist sowas von selbstverständlich ...
Bei der GZS sind außerdem in vielen Fällen Fragen der Betonung, also der Aussprache betroffen.
Die Reformer gaben vor, "nur" die Rechtschreibung ein klein wenig verbessern zu wollen. In Wirklichkeit maßen sie sich an, auch die Grammatik auf den Kopf zu stellen und uns vorzuschreiben, wie wir zu sprechen haben.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 04.06.2007 um 12.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#8827

Gegen Schreibungen wie "heute Abend" bin ich schon fast vollständig desensibilisiert. Es passiert mir auch nicht, daß ich – wie bei anderen Verschlimmerungen – den Text beim ersten Durchlesen falsch erfasse. Insbesondere bei "heute Morgen" sehe ich sofort, daß es nicht "heute (und) morgen ist". Unabhängig von der Wortart und unabhängig von der "korrekten" Schreibweise ist diese Änderung für mich verständnisneutral, d.h. ich kann alte und neue Texte gleich gut erfassen.

Anders sieht es für mich aus bei:

"vor Kurzem (Isaak Kurzem: Erfinder der Brillenputzmaschine) mußte man seine Brille noch selber putzen"

analog zu

"seit Langem". Wer zum Kuckuck ist "Langem"?!?

Die Hannoversche Allgemeine (HAZ), die zu lesen ich gezwungen bin, verwendet hier penetrant Großschreibung, und jedesmal stolpere ich beim Lesen darüber. Ähnlich grausam: "fürs Erste (d.h. nicht das ZDF?)" oder "beim Alten (also beim Ehemann)" usw. usf..

Aber der Artikel hieß ja auch "Anmaßung" und nicht "die schlimmste Großschreiberei aller Zeiten" ...
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 04.06.2007 um 14.31 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#8835

Die letzten Wirkungen – im unwesentlichen Außen

"Die für morgen Früh anberaumte Pressekonferenz soll einige Fragen beantworten" ist – abgesehen von Ontologischem und Metaphysischem wie etwa Verantwortung – füglich ins Polnische zu übersetzen als "Na jutro ranek planowana konferencja prasowa ma odpowiedzieć na kilka pytań". Das zieht ohnehin jedem polnischen Muttersprachler die
Schuhe aus, aber so muß es sein, denn andernfalls stünde ja im deutschen Text "morgen früh" wie einst gehabt in "Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt, ...". Das indessen war, ist und bleibt vor und außerhalb des Bewußtseins der Deformer der deutschen Graphie, umso mehr, als es so stinkbürgerlich ist [und so].
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.06.2007 um 12.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#8873

Auf den Helvetismus heute Montag wurde in diesem Zusammenhang schon hingewiesen. Auf Nichtschweizer merkwürdig schroff wirken auch Anfang Woche, Ende Monat usw. Vielleicht gehen diese Ellipsen ebenso wie diesen Jahres usw. auf kontorsprachliche Usancen (schweiz. Usanzen) zurück?
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 12.06.2007 um 08.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#9016

Zum Phänomen des Herumwurstelns mit nachgereichten blumigen Erklärungen schiebe ich hier einen lesenswerten Absatz über die Erschaffung des €-Zeichens ein.

Der Schöpfer des Zeichens packt aus
Die warmen Worte, mit denen die EU ihre Vorlage preist, machen sie nicht brauchbarer. »Das grafische Symbol des Euro ähnelt einem E, das von deutlich markierten, horizontal parallel verlaufenden Linien durchquert wird. Es lehnt sich an den griechischen Buchstaben Epsilon an und verweist damit auf die Wiege der europäischen Kultur und auf den ersten Buchstaben des Wortes ›Europa‹. Die parallel verlaufenden Linien stehen für die Stabilität des Euro.«. Die Tatsache, dass Euro mit E anfängt ist als Erklärung für die Zeichenform mindestens so aufregend wie der Sachverhalt, dass die Ziffer 1000 drei Nullen enthält. Warum jedoch zwei parallele Linien für Stabilität stehen, darüber hätte man gerne mehr erfahren. Im März 1999 konterkariert eine Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) das Märchen von der bewussten Gestaltung des Eurosignets. Unter der Überschrift »An den Erfinder des Eurozeichens erinnert sich niemand mehr« berichten die deutschen Tageszeitungen, dass der Schöpfer des Eurozeichens ermittelt sei. Das dazugehörige Foto zeigt den damals 85jährigen Arthur Eisenmenger, ehemals Chefgrafiker der Europäischen Gemeinschaft (EG). Kurz bevor Eisenmenger 1974 in Rente ging, entwarf er in der Behörde für amtliche Veröffentlichungen in Luxemburg die 24 Jahre später wiederentdeckte Synthese aus den Buchstaben C und E. »Mit Tusche habe ich auf einen 20 Zentimeter breiten Zeichenkarton ohne viel zu überlegen das jetzt bekannte Logo gezeichnet.« Der Entwurf verschwand anschließend in einer Schublade. Eisenmenger, aus dessen Feder auch die Sternenkreisflagge stammt, betont gegenüber dpa, dass sein Zeichen nicht als Währungssymbol entworfen wurde: »Damals hat noch niemand an den Euro gedacht«. Über die spätere Definition des Eurozeichens als »Symbol für die Wiege der europäischen Zivilisation« durch die EU müsse er lachen: »An das alles habe ich nicht gedacht«. Mit dem Outing Eisenmengers stand fest: das Eurozeichen der EU ist tatsächlich ein Zufallsprodukt. Die Verschmelzung der Buchstaben E und C hatte Eisenmenger »ohne viel zu überlegen« gezeichnet. Kein Wunder also, daß es – ohne Anpassung – unbrauchbar für die visuelle Kommunikation im Druck und am Bildschirm ist, was unter anderem seine Verwendung in den Einführungskampagnen beweist.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.03.2014 um 08.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#25354

Zum Stichwort Helvetismen: Besonders seltsam kam mir einmal eine Wendung vor, auf die ich in einer Übersetzung gestoßen war:

Junge Kindermädchen mit gewichtigen Gesichtern kamen hinter Hecken hervor, stießen verschiedene Arten von Kinderwagen und gingen die langen gewundenen Straßen hinunter. (...) Wiederum kam ein schwarzes Kindermädchen vorbei, es stieß einen rosa-weiß-gestreiften Wagen. (Ayi Kwei Armah: Die Schönen sind noch nicht geboren. Frankfurt 1982:118f.)

Das hatte ich mir sogar notiert; heute weiß ich, daß der Übersetzer Hugo Loetscher natürlich keinen Fehler gemacht hatte. Kommt wohl aus dem Französischen und nicht aus dem englischen Original, das hier zufällig zugrunde liegt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.01.2019 um 05.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=848#40686

Noch mal zu Helvetismen. In der Liste bei Wikipedia fehlt die Konstruktion: an der Sitzung wurde beschlossen usw. Es ist mir nicht so geläufig, und ich lasse mich gern korrigieren, aber meiner Ansicht nach kommt es in der Schweiz regelmäßig vor, wo wir auf oder während sagen.
 
 

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