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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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06.01.2007
 

Aus der „Süddeutschen“
Ungereimte Kritik der Sprachpflege

Jens Bisky macht sich (SZ 4.1.2007) mit Recht über den „Kult der bedrohten Wörter“ lustig, denn Wortschatzwandel ist etwas ganz Natürliches. Anders steht es mit den staatlichen Eingriffen.

Das Wort „jedesmal“ darf in Schulen nicht mehr benutzt werden, aus amtlichen Texten ist das Wort „insonderheit“ zu entfernen. Die SZ macht seit Jahren mit und darf nicht einmal darüber sprechen.

In einem Artikel über Burgen (Playmobil usw.) wird ständig von „Verließ“ geredet, ein Fehler, den es freilich auch vor der RSR schon oft gab. Aber wenn der Burgenforscher Otto Piper sogar mit einem „Verliess“ zitiert wird, kann ich mir nicht vorstellen, daß es wirklich so in der Quelle steht.



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Kommentare zu »Aus der „Süddeutschen“«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.02.2013 um 07.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22718

Titelzeile und Vorspann sind eben nicht nur orthographisch eine Größenordnung einfältiger als die Texte selbst.

Übrigens titelte die Libération zum Papstrücktritt: Papus interruptus, was ja auch grenzwertig ist. Das Hamburger Abendblatt war richtig witzig: Iam vero absum (Ich bin dann mal weg). Das hat fast BILD-Kaliber (Wir sind Papst – das war schon genial). Konsequent wäre nun Wir können alles. Außer Papst. Vielleicht greift's jemand auf.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.02.2013 um 19.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22717

Heute soll die »Südseuche« auf S. 3 »Lecko mio« getitelt haben. Also ganz so, wie man es von einer anspruchsvollen Zeitung erwartet.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 27.02.2013 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22716

Die Überschriften werden bekanntlich von bezahlten Spaßvögeln getextet, nicht von den Autoren der Beiträge.

Da spricht ein leidgeprüfter freier Mitarbeiter. Mitunter stammen die Texte aber auch von den bezahlten Spaßvögeln selbst. Für diese gilt bei der "Süddeutschen" die Regel, die Überschrift über ihre Texte von einem Kollegen machen zu lassen. Formal bleibt die Aussage natürlich trotzdem richtig. Mein Tip: Die ursprüngliche Überschrift lautete "Im Verlies", vom Autor wahrscheinlich nicht selbst ausgedacht, aber so abgenommen. Dem Schlußredakteur ist die Schreibung unangenehm aufgefallen, und er hat den vermeintlichen Fehler dann wenigstens in der Überschrift ausgebügelt, ohne ihn auf die Schnelle auch im Fließtext zu finden.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.02.2013 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22715

Die Überschriften werden bekanntlich von bezahlten Spaßvögeln getextet, nicht von den Autoren der Beiträge.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 27.02.2013 um 13.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22714

Vielen Dank, Herr Metz!

Das sieht dann ja wohl so aus, als wenn die Zeitung das Wort nicht mehr richtig schreiben kann. Auch wenn das "Verlies" gar nicht vom Reformschrieb betroffen ist. Es ist eben eines der echten "schwierigen Wörter".

Zu diesem Wort gab es hier übrigens vor geraumer Zeit schon mal einen Eintrag mit Diskussion: www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=311.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 27.02.2013 um 12.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22713

In meinem Exemplar lautet die Überschrift »Im Verließ«. Im Text dann »Verlies«.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 27.02.2013 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22712

Steht heute (27.2.2013) in der gedruckten Ausgabe der "Süddeutschen" wirklich als Überschrift "Im Verließ"?

Es geht um die Verfilmung der Gefangenschaft von Natscha Kampusch. Die Netzausgabe zitiert die gedruckte Ausgabe: »Doch „3096 Tage“ findet keinen Standpunkt, mit dem Wahnsinn umzugehen.« Sollte das "Verließ" wirklich so da stehen, könnte man die Infinitivkonstruktion natürlich auch gut auch auf die Zeitung beziehen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.02.2013 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#22672

Hermann Unterstöger schreibt in einem Beitrag über Kaspar Hauser vom „Verließ“. (SZ 20.2.13)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 05.02.2007 um 13.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7598

Stehen genügt nicht!
"Eltern sollten immer dabei sitzen, wenn ihre Kleinkinder fernsehen." rät angeblich Prof. Michael Carlton, Uni Freiburg, in der Süddeutschen, Panorama, Die Frage, vom 5.2.07. Er hat bestimmt "dabeisitzen" gesagt. So verdreht das gedruckte Reformdeutsch den Sinn.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 12.01.2007 um 23.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7243

Hochverehrte, geschätzte Frau van Thiel, Sie haben ja so recht, das ist wirklich ganz, ganz schauderhaft. Immer diese schlimmen Verwechslungsmöglichkeiten! Vielleicht weiß Ortho Graf Lambsdorff Rat.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.01.2007 um 22.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7241

"Profeten" kommt von "Pro-Feten". Ein Geograf ist ein Landgraf, so wie ein Geometer ein Landmeter ist.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 12.01.2007 um 19.20 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7238

In mathematischen Texten herumirrende Angehörige des niederen deutschen Adels können ganz schön irritieren. Aus diesem kühlen Grunde werden sich selbst monarchistisch eingestellte Mathematiker nur schwerlich von den Graphen zu den Grafen bewegen lassen.

In "Die Welt" online war Ende des Jahres 2006 – allerdings im Satire-Regal – schon von einem Profeten die Rede, womit man dessen Profession ziemlich profanierte. Aber Augst könnte das anders sehen und den Propheten von profan herleiten.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 12.01.2007 um 18.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7236

Mich irritieren immer wieder Bibliograf, Biograf und Pornograf. Der Grafiker hat mich nicht gestört, da er trotz eindeutschender Schreibweise eindeutig war. Aber diese ganzen "Grafen": der eine ein Adliger, der offenbar ökologische Landwirtschaft betreibt, der letztere ein Adliger, der sich gar nicht edel verhält und sich unerfreulichen Schmuddeleien verschrieben hat.
(Oder ist da inzwischen etwas geändert worden? Ich besitze die allerneuesten Versionen der Schlechtschreiblexika nicht.)
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 12.01.2007 um 17.55 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7233

crêpe – crẹpe — Krepp – Krepp

Die von Theodor Ickler erwähnten Empfehlungen zum Pfannkuchen im Duden und im Wahrig zeigen ein weiteres Mal, daß mit dem Neuschrieb graphemische Differenzierungen des Deutschen mit allen Mittel plattgewalzt werden (sollen?). Wenn man besagten Kuchen französisch benennen "sollte", warum dann nicht in französischer Schreibung (evtl. ohne Diakritikon), um die Kollision mit dem bereits vorhandenen Krepp zu vermeiden? Offenbar haben sich die Neuschriebrevolutionäre nicht einmal flüchtig im deutschen Lexikon umgeschaut, bevor sie ihren Neuschrieb ganz demokratisch durchprügelten.
 
 

Kommentar von Herr Dalai Lama, verfaßt am 12.01.2007 um 16.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7230

Sehen Sie, das ging mir mit den Maoisten damals genauso.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 12.01.2007 um 16.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7229

Der Zorn in dieser Liste, Heiligkeit, richtet sich gegen die, die durchgesetzt haben, was nicht recht ist, und das auch noch ohne Begeisterung, sogar ohne Liebe zum Rechten und gegen besseres Wissen.
 
 

Kommentar von Herr Dalai Lama, verfaßt am 12.01.2007 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7228

Gegen wen richtet sich Ihr Zorn?
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 12.01.2007 um 14.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7227

Spurrillen (#7220) haben mit der Rechtschreibreform nichts zu tun.

Dieses Wort gab und gibt es eben; und Wörter, die zu Irritation führen können, kann man vermutlich viele finden.

Hier geht's aber um die Auswirkung der Reform; und viele neue Wörter, die heute zu Irritation führen, wurden eben erst durch die Reform eingeführt, die gab es früher nicht. Etwa auch das Wort 'bisschen' welches eine Aussprache wie 'bis-schen' suggeriert, da 'sch' im Deutschen üblicherweise als ein Laut gesprochen wird.

Stünden diesen Unschönheiten auf der anderen Seite wesentliche und anerkannte Vorteile gegenüber, würde man das vermutlich in einem anderen Licht sehen, nur diese Vorteile scheint es nicht zu geben, wie die unglaubliche Zunahme an Schreibunsicherheit zeigt. Scheinbar gibt's aber etliche, die das Ergebnis nicht als Kumulation von Nachteilen sehen, sondern es sich wie des Königs neue Kleider in den schillerndsten Farben verkaufen lassen (wollen).

Ich kenne jedenfalls niemanden, der die jetzige amtliche Regelung in Allerweltstexten aus Intuition regelkonform anwenden könnte.
 
 

Kommentar von Herr Dalai Lama, verfaßt am 12.01.2007 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7225

Lao Tse sagt:

Besser als einer, der weiß, was recht ist, ist einer, der liebt, was recht ist; und besser als einer, der liebt, was recht ist, ist einer, der Begeisterung fühlt für das, was recht ist.

Das sei meine Antwort.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 12.01.2007 um 10.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7223

Frage an Seine Heiligkeit, den Herrn Dalai Lama: Hat die Reform eine Verbesserung gebracht?
 
 

Kommentar von Herr Dalai Lama, verfaßt am 12.01.2007 um 08.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7220

Das war aber auch schon vor der Reform ein Witzfeld, etwa bei den "Spurrillen", die man durchaus für Krankheitserreger halten könnte.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 10.01.2007 um 18.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7215

Ich kann borella und Frau Pfeiffer-Stolz nur beipflichten. Mir ist einfach nicht klar, wo die Vorteile der ss-Reformschreibung liegen sollen, obwohl gerade sie so "inbrünstig" praktiziert wird. Um eine bessere Lesbarkeit zu erzielen, muß man sich immer wieder mit dem Bindestrich behelfen, was vorher einfach unnötig war. Neben vielem anderen stieß ich neulich auf Nuss-Elisen. Nusselisen hätten ja auch wirklich so ähnlich wie Dussel oder Dusselliesen ausgesehen, genauso dämlich wie die von mir schon einmal zitierten Fluss-Auen, in denen sich ohne Bindestrich optisch Sauen getummelt hätten.
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 10.01.2007 um 08.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7208

Eine neue Einheitlichkeit auf ss-Grundlage ist nicht zu erwarten, teils wegen der von vielen empfundenen Häßlichkeit, teils wegen der aufdringlichen Doppelrunen-Konnotation. In dieser Sachlage können Schüler gar keine korrekte Schreibung lernen, schon jetzt breitet sich Gleichgültigkeit aus. Am Ende könnte auch eine neue Lösung nach Art des gordischen Knotens stehen, und zwar daß man ss nur noch an der Wortfuge schreibt, ansonsten immer nur s. Dann gäb's auch kein sss mehr. Die Korrelation mit der Aussprache würde leiden, aber irgendwo muß man ja Kompromisse machen. Beim Englischen lebt man mit weitaus geringerer Korrelation, beim Chinesischen gänzlich ohne, das Französische besticht mit seiner Vielfalt, das Unausgesprochene zu schreiben.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 10.01.2007 um 03.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7207

Die dümmsten Trennprogramme kriegen alles klein: Messs- tiftungen – siehe http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/255.pdf, S. 2, rechte Spalte Mitte.
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 09.01.2007 um 19.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7206

ss vor t

Jedesmal, wenn ich ein Wort mit sst lese - z.B. 'musste' -, stolpere ich ein wenig. Offenbar hängt das damit zusammen, daß man eine Kombination st als zusammengehörig empfindet, die Kombination ßt aber nicht. Vermutlich erfasse ich ein sst als einzel s mit nachfolgendem st, und diese Interpretation führt bei 'musste' dann auf den Holzweg. Abgesehen davon verleitet diese Schreibweise noch zur falschen Trennung mus-ste.
Die behaupteten Vorteile dieser Art von s-Schreibung halten sich sehr versteckt, wenn es sie denn überhaupt wirklich geben sollte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2007 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7204

Beim ss bin ich mir nicht so sicher. Die Neuregelung ist zwar schwieriger als die alte, aber es kann sehr lange dabei bleiben, daß die Schüler nun mal hier besonders viele Fehler machen. "Warum sollen unsere Kinder es leichter haben?"

Etwas anderes: Die Wörterbücher können noch so sehr Trennungen wie "Metas-tase" propagieren - der neue Wahrig führt diese Trennung nicht einmal als Empfehlung an, sondern als einzige überhaupt mögliche -, sie werden dennoch keinen Erfolg haben. Denn die Fachleute, die es angeht, werden nicht mitmachen. Es gibt zwar unzählige Sprachwissenschaftler, die der Verhunzung ihrer Bücher zugestimmt oder dabei mitgewirkt haben, aber die Mediziner schätze ich anders ein. Außerdem ist es in der Medizinerausbildung eine Erschwernis, die vielseitig gebrauchten Morpheme derart zu verunklaren. Sowohl "meta-" als auch "Stase" gibt es ja in veschiedensten Zusammenhängen, was sollen da die "Tasen"?
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 09.01.2007 um 16.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7203

Auch beim ß wird sich das Bewährte durchsetzen, und sei es durch den Wegfall. Denn die Schweizer Orthographie ist zwar (als Sonderweg) nicht gut, ist aber der richtigen Schreibung des Deutschen nicht so wesensfremd wie Pseudo-Heyse.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2007 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7201

Manches erledigt sich gleichsam von selbst. Keinem Wörterbuch fällt es ein, den feinen Pfannkuchen anders als "Crêpe" zu nennen (Empfehlungen bei D und W). Nur die Schüler dürfen "Krepp" schreiben, aber was haben sie davon? Man erzieht sie gegen die Erwachsenenwelt, in der sie dann doch leben und arbeiten müssen.
Die "Süddeutsche" schreibt immer wieder "spazierengehen" und manches andere. Bis auf das ss setzt sich das Bewährte wieder durch.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 09.01.2007 um 08.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7200

Lieber Herr Eversberg,
vielleicht ergeht es Ihnen wie mir: zuweilen ist man vom Inhalt eines Textes so gefangen, daß man gar nicht merkt, ob ss oder ß. Für eine Weile. Denn in jedem Text steht irgendwo einmal ein Wort mit sss. Diese "Plattheit" steigt vom Herzen in den Kopf, und schon knallt das Wort "Rechtschreibreform" mit all seinen häßlichen Assoziationen in den Gedankenfluß.
Und in fast jedem Text mit ss – auch wenn der Urheber sich, abgesehen vom ss, um ordentliches Deutsch bemüht – nisten sich Kollateralschäden ein. Stößt man beim Lesen auf ein rechtschreibverstümmeltes Wort, wird der Geist vom Textinhalt fortgeschwemmt und in die Niederungen der Orthographie gespült.
Ich habe jahrelang selbst "dass" geschrieben. Man kann es wirklich lernen und fast verdrängen. Aber eben nur fast.

Damals wie heute mache ich immer wieder die Erfahrung, wie überraschend angenehm ein in klassischer Orthographie präsentierter Text beim Lesen wirkt – unwillkürlich fühle ich mich plötzlich wie von einer stürmischen Winternacht ins wohlig geheizte Stübchen verfrachtet. (Ich höre schon die Reformfreunde angesichts dieser Metapher lauthals schmunzeln ... aber schmunzelt nur, mir ist das egal.) Es fällt mir also nicht unbedingt auf, wenn ich einen (guten) reformierten Text lese, aber es wird mir IMMER auf angenehme Weise bewußt, wenn ich einen "klassischen" Text lese – und zwar schon nach den ersten Zeilen. In solchen Texten kann man vorbehaltlos "versinken".
 
 

Kommentar von B. Eversberg, verfaßt am 09.01.2007 um 08.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7199

Nachteilige Außenwirkungen der -ss-Reform wurden nicht vorhergesehen: Das Erlernen der deutschen Schriftsprache wurde erschwert statt erleichtert. Denn auch Ausländer lernten prima durch fleißiges Lesen deutscher Texte, und zwar beliebiger Texte, wodurch jemand Unterhaltung und Bildung schmerzlos und zeitsparend mit dem Lernen der Orthographie verbinden konnte. Ist das vorbei?

Ist es nicht! Schon Anfänger können OHNE alle Kenntnis deutsche Alt- und Neutexte leicht auseinanderhalten und dadurch pfiffig selektiv lesen: Das Zeichen ß, ein Alleinstellungsmerkmal deutschen Textguts, tritt immer auf, die Wortendung -ss aber NUR in Neutexten, und da auffällig oft. Das Buchstabenpaar ss als prägendes, augenfälliges Signal moderner deutscher Texte – das ist extrem leicht zu lernen.
 
 

Kommentar von Parabellum, verfaßt am 09.01.2007 um 06.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7198

Es braucht gewiß kein Sujet des schmallippigen Kulturpessimismus zu sein, unser "daß". Die Reformer stützen ihr Machwerk am eifrigsten, wo es am schwächsten ist. Gelänge es, das "ss" einzureißen, so fiele der ganze schiefe Turm zusammen.
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 07.01.2007 um 07.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7178

Immer wieder geht mir durch den Kopf, wie es die Schweizer schaffen, dass/das auseinanderzuhalten. Die Fehlerquote scheint dort zwar höher zu sein als bei uns vor 1996, aber wiederum nicht so hoch wie nach der Reform in Deutschland.
Vielleicht trägt dazu bei, daß
• heute in der Schule insgesamt weniger gelesen und geschrieben wird (dann müßte es auch in der Schweiz allmählich schlechter werden)
• das Regelpauken (ss nach kurzem Vokal) gerade in Deutschlands Schulen zu vermehrten Irritationen geführt hat (in der Schweiz ist vor 1996 die s-Schreibung sicher nicht auf diese einseitige Weise trainiert worden)
• die Vorbildfunktion des daß fehlt – bis 1996 war „daß“ nach Aussagen von Personen, die es wissen müssen, auch in der Schweiz ein immer präsenter Buchstabe, an dem sich Auge und Schreibgefühl schulen konnten.

Das „das“ gerät in die Defensive, „dass“ setzt sich durch, auch und gerade für Relativpronomen und Artikel. Während früher lediglich die Konjunktion „daß“ als „das“ verschriftet wurde, geht es nun auch umgekehrt zur Sache: „das“ wird zu „daß“. Niemand hat früher „Schau mal, daß Kind!“ geschrieben, es wäre ihm gleich als Fehler aufgefallen. Aber „Schau mal, dass Kind!“ geht offensichtlich bei vielen ohne Augenzwicken durch. Es fällt vielen Leuten schlicht nicht mehr auf, wenn sie bei der s-Schreibung Fehler machen! Wie soll sich da aber ein sicherer Schreibhabitus herausbilden?

Und diese Frage stelle ich mir immer wieder: Wird unsere kulturschaffende und politische Elite ungerührt zuschauen können, wie die Kultursprache Deutsch das eindeutige Schriftbild allmählich einbüßt (und zuerst an Wertschätzung, dann an Geltung verliert)? Ähnlich wie bei der Groß- und Klein-, Zusammen- und Getrenntschreibung herrscht auch bei der s-Schreibung grammatisches Chaos, sichtbar am „dass“. Und diese s-Schreibung ist es doch wohl, an der sie alle krampfhaft festhalten wollen.
Die fortgesetzte unsichere Handhabung von das/daß deutet nicht auf Rechtschreibschwäche, sondern auf eine des logischen Denkens hin. Diese bei vielen Leuten unvermeidliche Schwäche wurde früher aufgefangen durch ein optisches Hilfsmittel. Es war eine Krücke, dieses ß, ein herausragender und ins Auge springender Buchstabe. Man hat die Krücke zerbrochen und ins Feuer geworfen. Worauf stützen sich nun jene, die beim Gehen Probleme haben? Je mehr fehlerhafte Wörter gedruckt und veröffentlicht werden, desto schlimmer wird die Unsicherheit, desto schneller vermehrt sich „dass“. Ich bin wirklich gespannt, wie es weitergeht mit der s-Schreibung, dem Aushängefähnchen der Kulturschande namens Rechtschreibreform.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 06.01.2007 um 19.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7176

Naja, "Verlußt" wird ja jetzt auch sicher mit zwei "s" geschrieben. Denn mit "Lust" dieses Wort ja nichts zu tun, oder? — Aber wie schreibt man "Lust" jetzt? Mit einem "s"? Mit zweien? Mit dreien?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.01.2007 um 10.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7174

Danke für den "Hinweiss", Herr Stiene. Ich bin natürlich nicht besonders schockiert, weil mir eben die Erscheinung durchaus vertraut ist, nur daß ich es eben bei einem Fachmann nicht erwartet hätte. "Verlies" hatte immer einen Stammplatz in meiner Liste wirklich schwieriger Wörter, an denen die Reform nichts ändern wollte.
 
 

Kommentar von Wolf Busch, verfaßt am 06.01.2007 um 09.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7173

In den bayerischen und österreichischen Regelbüchern war neben "Verlies" auch die Schreibung "Verließ" verzeichnet. Im Rechtschreibduden gab es bis zur 13. Auflage eine entsprechende Fußnote, in der auf diese Besonderheit hingewiesen wurde, und in der 35. Auflage des Österreichischen Wörterbuchs aus dem Jahr 1979 ist "Verließ" sogar das Hauptstichwort:

Verließ das, -es/-e, Verlies:
(unterirdisches) Gefängnis (einer Burg)
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 06.01.2007 um 09.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=765#7172

Lieber Herr Ickler, Otto Piper schreibt tatsächlich immer "Verliess". Ein Beispiel mit einer weiteren Kuriosität (S. 192): "Beim Berchfrit der Rudelsburg durchquert vom Hofe aus ... ein enger Kanal die Mauerdicke und mündet im Verliess in einer aus einem grösseren Quader ausgemeisselten Nische."
 
 

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