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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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28.12.2006
 

Rheinland-Pfalz und Duden
Womit sich Regierungsstellen beschäftigen müssen

Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz (20.9.2006)

Ministerratsvorlage zur Änderung des Merkblatts des Ministeriums der Justiz für die Aufstellung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen (Anhang 4 GGO)


(…)
Mit Nummer 1 werden Anpassungen an das zuletzt im Früjahr 2006 überarbeitete amtliche Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung vorgenommen. Nummer 1.3.1. stellt klar, dass das amtliche Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung in der jeweils aktuellen Fassung zu beachten ist. Verbleiben danach nicht in anderer Weise auszuräumende Zweifelsfälle, kommt ergänzend die Einholung einer Auskunft der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. (Geschäftsstelle Wiesbaden, Spiegelgasse 13, 65183 Wiesbaden, Tel: 0611/99955-0, E-Mail: sekr@gfds.de) in Betracht. Nach Nummer 1.3.2. ist im Falle gleichwertiger Schreibweisen zur Sicherung einer einheitlichen Schreibung die vom Ministerium der Justiz empfohlene Schreibweise zu verwenden. Es ist beabsichtigt, grundsätzlich auf die von der Dudenredaktion bevorzugte Schreibvariante zurückzugreifen, weil sie – anders als das vom Bundesministerium der Justiz bevorzugte Festhalten an der „hergebrachten“ Schreibweise, soweit sie zulässig bleibt – am ehesten die Weiterentwicklung der deutschen Sprache ermöglicht und gleichzeitig in hohem Maße Gewähr bietet, dass der Rechtsanwender (gegebenenfalls mit Hilfe des Duden) dieselbe Schreibweise verwenden würde. Außerdem wird die vom Duden vorgeschlagene Schreibweise oftmals auch die „hergebrachte“ sein.


(Die Vorlage wurde angenommen.)



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Kommentare zu »Rheinland-Pfalz und Duden«
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 29.12.2006 um 19.49 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7107

Irrtum vom Amt

Was hat die verbogene oder auch die gewachsene Schreibung damit zu tun, die "Weiterentwicklung der deutschen Sprache" zu ermöglichen? Daß Juristen sie gern unmäßig verbiegen, statt ihr zu dienen, ist ein ohnehin bekannter, wenn auch bedauernswerter Umstand.
Seit wann sind Juristen kompetent in Fragen der Sprachentwicklung? Die Sprache entwickelt sicher immer den Anforderungen ihrer Sprachgemeinschaft entsprechend, solange nicht irgendein staatlicher Demiurg dreinpfuscht. An der Sprachentwicklung haben – wahrscheinlich auch in Deutschland – auch Analphabeten Einfluß, was dem Ganzen keinen Abbruch tut. Gefährlich wird es immer erst dann, wenn der Staatsapparat bzw. seine Mächtigen einzugreifen sich erdreisten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2006 um 17.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7105

Da wir gerade bei Rheinland-Pfalz sind, scheint es mir nützlich, an diesem Beispiel exemplarisch zu zeigen, warum die Kultusministerien sich entschuldigen sollten:

Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung des Landes Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 1996
(1541 A - Tgb. Nr. 1583/96)

Die Deutschsprachige Gemeinschaft des Königreichs Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, die Autonome Provinz Bozen-Südtirol der Republik Italien, das Fürstentum Liechtenstein, die Republik Österreich, die Republik Rumänien, die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Republik Ungarn haben am 1. Juli 1996 in Wien erklärt, daß sie beabsichtigen, sich innerhalb ihres Wirkungskreises für die Umsetzung des auf der Grundlage der Dritten Wiener Gespräche vom 22. - 24. November 1994 entstandenen und als Anhang beigefügten Regelwerks "Deutsche Rechtschreibung, Regeln und Wörterverzeichnis" einzusetzen.
Auf der Grundlage des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 1. Dezember 1995 wird für Rheinland-Pfalz folgende Regelung getroffen:
1. Ab dem 1. August 1998 ist die Neuregelung (Regelwerk und Wörterverzeichnis) für alle Schulen verbindlich.
2. Ab dem 1. August 1998 bis zum 31. Juli 2005 sind für Schülerinnen und Schüler Schreibungen, die nach der Neuregelung nicht mehr zulässig sind, nur als nicht mehr den Regeln entsprechend zu markieren, aber nicht als Fehler zu werten.
3. In Zweifelsfällen der Rechtschreibung dürfen ab 1. August 1998 nur noch Wörterbücher zugrunde gelegt werden, die der Neuregelung entsprechen. Für Schulen, die die Neuregelung früher einführen, gilt dies ab dem Einführungszeitpunkt.
4. Für Schülerinnen und Schüler, die die Rechtschreibung nach den bisher geltenden Regeln erlernt haben, ist spätestens ab 1. August 1998 eine altersgerechte Information über die Neuregelung zu geben.
5. Die Unterrichtung der Schülerinnen und Schüler über die Neuregelung kann bereits ab dem Schuljahr 1996/97 erfolgen, wenn die Gesamtkonferenz nach Anhören des Schulelternbeirats und der Schülervertretung dies beschlossen hat. Aufnehmende Schulen sind über die Beschlüsse zu informieren.
6. Neueinführungen von Schreibungen und Rechtschreibregeln sollen, insbesondere im 1. Schuljahr, im Interesse der Schülerinnen und Schüler nach Möglichkeit ab dem Schuljahr 1996/97 auf der Basis der Neuregelung erfolgen. Ab dem Schuljahr 1997/98 ist die Neuregelung für Neueinführungen von Schreibungen und Rechtschreibregeln in der Grundschule verbindlich.
7. Für Schulabgängerinnen und Schulabgänger ist eine gesonderte Information vorzusehen.
8. Ab sofort dürfen bei schriftlichen Leistungsnachweisen nur noch solche Schreibungen als Fehler gewertet werden, die auch nach der Neuregelung nicht zulässig sind; dies bedeutet insbesondere, dass
ein fehlendes Komma vor und nur dann als Fehler gewertet werden darf, wenn es der 2. Teil eines paarigen Kommas ist,
vor Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen ein fehlendes Komma nicht mehr als Fehler gewertet werden kann,
Trennungen nach Sprechsilben auch bei Fremdwörtern zulässig sind,
Eindeutschungen von Fremdwörtern mit den Silben -fon, -fot und -ziell nicht mehr als fehlerhaft markiert werden dürfen.
9. Im Schuljahr 1997/98 sollen nach Möglichkeit nur Lehrbücher neu eingeführt werden, in denen die Neuregelung bereits berücksichtigt ist. Fibeln und Sprachbücher für den Deutschunterricht dürfen ab dem Schuljahr 1997/98 nur dann neu eingeführt werden, wenn sie der Neuregelung entsprechen.
10. Ab dem 1. August 1998 dürfen an Schulen nur noch Lehrbücher neu eingeführt werden, die in ihren Texten die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung beachten.
11. Eingeführte Lehrwerke dürfen mit Ausnahme von Fibeln und Sprachbüchern der Eingangsklassen (1. und 5. Klasse) auch nach dem 1. August 1998 weitergeführt werden, doch sollte die Umstellung auf Bücher mit neugeregelter Rechtschreibung baldmöglichst erfolgen. Bei allen Entscheidungen über die Einführung und den Wechsel von Lehr- und Lernmitteln - vor allem Schulbüchern - sind unnötige Kosten zu vermeiden (vgl. Nummer 7.1. Satz 1 der Verwaltungsvorschrift über die "Genehmigung, Einführung und Verwendung von Lehr- und Lernmitteln" vom 25. Mai 1993, Gemeinsames Amtsblatt 1993, S. 436, und 1996, S. 194).
12. Werden bei eingeführten Lehrwerken Bücher mit neuer und alter Rechtschreibung angeboten, sollen auch für Nachlieferungen Bücher mit neuer Rechtschreibung beschafft werden. Gegen die parallele Verwendung dieser Bücher im Unterricht bestehen keine Bedenken. Beim Einsatz von Büchern, die noch nicht der Neuregelung entsprechen, sind die Schülerinnen und Schüler auf die erfolgten Änderungen hinzuweisen.
13. Alle Schulen sollen Informationen zur Neuregelung der Rechtschreibung für alle Fächer zum Thema einer Gesamtkonferenz oder einer schulinternen Fortbildung machen. Alle Lehrkräfte sollen rasch einen sicheren Umgang mit den Neuregelungen anstreben und diese an Einführung der Neuregelung an der Schule in allen Texten anwenden, die sich an Schülerinnen und Schüler richten.
14. Die Eltern sind rechtzeitig vor Einführung der Neuregelung der Rechtschreibung an der Schule entsprechend zu unterrichten.
15. Die Verwaltungsvorschrift tritt am 1. August 1996 in Kraft.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.12.2006 um 00.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7104

Jetzt haben wir schon drei Schriftdeutschformen: das Freie-Bürger-Deutsch nach Ickler und Mackensen, das Bundesjustiz-Deutsch nach Wahrig und das Rheinland-Pfalz-Justiz-Deutsch nach Duden. Gerichtsurteil-Begründungen werden von Bundesland zu Bundesland in anderem Schriftdeutsch verfaßt werden; das ist eben der real existierende Föderalismus. Zurück in die Zukunft!
 
 

Kommentar von borella ;-), verfaßt am 28.12.2006 um 23.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7103

Hab ich leider mißverstanden …
Vermutlich weil ich mir nicht vorstellen wollte, daß sich ausgerechnet bei der Justiz ein Land unter Hinweis auf Einheitlichkeit für eine vom Bund unterschiedliche Schreibweise entscheidet.
Wie halten das andere Länder?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 28.12.2006 um 21.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7102

Können Sie wirklich nicht zwischen einem Landesministerium und dem Bundesministerium für Justiz unterscheiden?
 
 

Kommentar von borella, verfaßt am 28.12.2006 um 21.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7101

Klingt irgendwie nach innerem Widerspruch...

Wieso beabsichtigt das Ministerium für Justiz, die Dudenschreibung einzuführen, wenn andererseits vom selben Ministerium eigentlich das Festhalten an der "hergebrachten" Schreibweise bevorzugt wird, wo sie zulässig bleibt?

Das Ministerium für Justiz unterwirft sich also freiwillig und gegen die eigene Überzeugung der Dudenredaktion. Man akzeptiert, daß der Sprachwandel ausschließlich von der Dudenredaktion vorgegeben wird?

Wäre interessant, wie Herr Quambusch diesen Fall sieht …

Oder ist das ein Amtsdeutsch, das mein Sinnverständnis überlistet?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.12.2006 um 18.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7100

Substantivierungen mit dem Suffix "-ung" (die "Entwicklung") machen bei den "unechten reflexiven Verben" keinen Unterschied zwischen der transitiven ("entwickeln") und der reflexiven ("sich entwickeln") Form dieser Verben und sind dann nicht eindeutig. Eindeutig sind substantivierte Infinitive (das "Entwickeln" vs. das "Sich-Entwickeln"). Die Regierung versteht unter "Sprach-Entwicklung" die transitive Verbform mit dem Staat als Subjekt und der Sprache als Objekt, das Volk die reflexive Form mit der Sprache als Subjekt. Das ist Absicht, genauso wie bei "Reform": die Regierung meint eine Verschlechterung, das Volk soll eine Verbesserung meinen.
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 28.12.2006 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7098

Es ist beabsichtigt, grundsätzlich auf die von der Dudenredaktion bevorzugte Schreibvariante zurückzugreifen, …

Na sowas! Der Duden soll also in Zukunft Richtschnur für behördliche Schreibungen sein. Wer hätte das gedacht?

Wie sagte doch der Reformer Blüml 1998 so treuherzig:

„Das Ziel der Reform waren gar nicht die Neuerungen. Das Ziel war, die Rechtschreibregelung aus der Kompetenz eines deutschen Privatverlages in die staatliche Kompetenz zurückzuholen.“
 
 

Kommentar von David Weiers, verfaßt am 28.12.2006 um 13.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=755#7095

Nummer 1.3.1. stellt klar, dass das amtliche Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung in der jeweils aktuellen Fassung zu beachten ist.

Dann muß doch ständig alles umgestellt und angepaßt werden. Was das kostet … Interessiert das den Bund der Steuerzahler eigentlich überhaupt nicht?

Also wenn ich das richtig verstehe, verstehen die unter Entwicklung nur die Entwicklung, die sich nicht von selbst entwickelt, sondern amtlich abgesegnet wird; nachdem sie sich entwickelt hat – oder auch nicht.

Also ganz ehrlich (und man verzeihe mir den Ausdruck): da kotzt mein Gehirn.
 
 

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