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15.12.2006
Paradiesgärtlein
Sittas Nachfolgerin im Rechtschreibrat hat ihre Dissertation veröffentlicht
Schmellentin, Claudia (2006): PP-Extraktionen. Tübingen:Niemeyer.
Dissertation bei Gallmann. Im Vorwort bedankt sich die Verfasserin bei ihren beiden Doktorvätern Gallmann und Sitta. Außerdem bei Lindauer, der „die unvergesslichen Grammatik-Stammtisch-Abende im 'Schwänli' iniziiert (!)“ hat.
Die Arbeit hält sich strikt im Rahmen der Generativen Grammatik in einer ihrer letzten Versionen. Alle Beispielsätze sind selbstgemacht, dazu kommen Schmellentins eigene Grammatikalitätsurteile. Das Ganze nennt sie ihre „Daten“ und hält ihr Verfahren für „empirisch“.
Die Grammatikalitätsurteile sind großenteils willkürlich und nicht nachvollziehbar.
Grammatisch soll sein: Von seiner Ex-Freundin hat Rudi alle Briefe zerrissen.
Ungrammatisch: *Über Politik hat Rudi alle Artikel zerrissen.
S. 7 erklärt sie viele Artikel als Subjekt von beeindrucken für agentivisch, wenige Zeilen später ist es aber THEMA.
Ungrammatisch soll sein:
*Vom Kuchen habe ich ihm ein Stück geschenkt.
Grammatisch dagegen:
Vom Kuchen habe ich ihm ein Stück abgeschnitten und gegeben.
Bei solchem Material muß man sagen, daß die Phänomene, die S. erklären will, gar nicht existieren.
"Lindauer beobachtet, dass Eigennamen mit s-Suffix ein anderes Verhalten zeigen als 'normale' Genitive. So können im Gegensatz zu Genitivphrasen artikellose Eigennamen mit s-Suffix nicht nach Präpositionen oder Verben auftreten, die den Genitiv regieren. Zusätzlich ist ihr postnominaler Gebrauch sehr markiert, wenn nicht gar ungrammatisch:
*Wegen Annas kamen wir zu spät.
*Wir gedachten Annas.
%Die Pizzas Annas sind die besten."
Vgl. aber:
Rio gedachte Jobims als der Integrationsfigur nationaler Identität mit drei Tagen offizieller Trauer. (SZ 14.1.95)
Auch die Evangelische Jugend München gedachte Hans Leipelts ... (SZ 30.1.95)
Drei Tage im April wird in Rückblende, als Erinnerung Annas erzählt. (SZ 10.5.95)
Bei Jacques Delors genügte es, ihn als den Wunschkandidaten Kohls zu verdächtigen (SZ 3.1.95)
einer der engsten Begleiter Kohls (SZ 4.1.95)
spätestens mit dem Abschied Kohls (SZ 21.1.95)
Das Beispiel Adenauers, Schumanns und de Gasperis... (SZ 12.8.95)
und viele weitere Beispiele!
Die so verzerrten „Daten“ versucht Schmellentin dann in den Formalismus der generativistischen Simulation einzubauen. Irgendwelche Einsichten in das Phänomen werden naturgemäß nicht gewonnen. Methodisch und auch sonst fällt die Arbeit weit hinter andere zurück, etwa die ihr bekannte Abhandlung von Gabriele Kniffka (Köln 1996), die sich auf ein umfangreiches Korpus von Belegen stützt.
Wie bei Gallmann überwiegt das Interesse am Formalismus das Interesse an der Sprache, mit der entsprechend gewaltsam umgesprungen wird. Das verheißt nichts Gutes. Der enge und immer wieder bekräftigte Anschluß an die Theorien des Doktorvaters läßt erwarten, daß die von Stefan Stirnemann aufgedeckte Geschlossenheit der Schweizer Gruppe auch weiterhin Bestand haben und die Reparatur des Regelwerks behindern wird.
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Kommentare zu »Paradiesgärtlein« |
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 16.12.2006 um 18.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=748#7006
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Der ideale Sprecher-Hörer feiert Urständ
Wer hätte gedacht, daß der ohnehin jeder Grammatikographie vorausgesetzte und von Chomsky endlich beim Namen genannte ideale Sprecher-Hörer nun endlich seine Materialisierung in einer in Introspektion verliebten idealen Schweizer Sprecher-Hörerin findet. Es ist – nebenbei bemerkt – denkwürdig, daß bisher nicht einmal Luise F. Pusch die ideale Sprecher-Hörerin wenigstens virtuell installierte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.12.2006 um 09.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=748#7086
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Einen Blick hinter die Kulissen der Zürcher Germanistik gewährt Schmellentins Beispielsatz:
*Vom Spiegel zerreisst der Professor viele Artikel über die Rechtschreibreform. (S. 123)
(Der Hintergrund:
Professor Sitta hatte sich sehr über den SPIEGEL-Artikel von Christoph Schmitz geärgert, in dem sein Ausspruch wiedergegeben war, daß Post vom PEN bei ihm ungelesen in den Papierkorb wandere. Auf der vierten Ratssitzung wollte Sitta die "Indiskretion" erörtern, aber dazu kam es weder damals noch später, weil die Zeit nie ausreichte. Sitta ist auch sonst für unbeherrschte Reaktionen bekannt.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2013 um 06.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=748#24125
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Bei Lindauer selbst liest sich das so:
In einem zweiten Schritt wird das eigenartige Phänomen diskutiert, daß im heutigen Deutsch eigentlich nur artikellose Eigennamen als pränominale Genitive auftreten konnen:
(2) a. ? das Fahrrad Annas
b. Annas Fahrrad
Dieses Phänomen wird in Beziehung gesetzt zur sogenannten Genitivregel: Im Deutschen können genitivische Appellative nur dann auftreten, wenn sie zumindest eine stark flektierende adjektivische Wortform aufweisen:
(3) a. * die Temperatur Wassers
b. die Temperatur kalten Wassers
Es wird dafür argumentiert, daß pränominale artikellose Eigennamen nicht als Genitivphrasen zu bestimmen sind, sondern möglicherweise als adjektivische Wortformen.
Daß diese Genitivattribute keineswegs nur pränominal auftreten, habe ich schon gezeigt. Und wenn sie auch nachgestellt werden, ist die Erklärung als "Adjektiv" nicht gerade leicht durchzuhalten. Außerdem fällt auf, daß das Adjektiv kalten ja gerade keine "starke" Form ist. Es müßte erklärt werden, warum hier die schwache Deklination die starke verdrängt hat.
Lindauer ist aber, wie der weitere Kontext zeigt, weniger an der deutschen Sprache interessiert als an den Vorzügen des "Minimalistischen Programms" gegenüber dem "Prinzipien- und Parametermodell", also an Diskussionen innerhalb der generativistischen Schule. Inzwischen hat das Interesse an dieser Schule weiter nachgelassen. Es ist zu hoffen, daß auch das Konstruieren und Bewerten selbstgemachter "Daten" aus der Mode kommt.
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