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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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10.12.2006
 

Wie geht es weiter?
Der Irrweg der FAZ

Wer jetzt nachgibt, muß zur Begründung die Legende von den wesentlichen Verbesserungen verbreiten, die der Rechtschreibrat erzielt habe. Es wird aber immer schwerer, sich auf Unwissenheit zu berufen – vor allem wenn man selbst soviel zur Aufklärung beigetragen hat.
Hinzu kommt, daß selbst der FAZ die Verbesserungen nicht reichen und sie deshalb bei den Augstschen Etymogeleien eigene Wege geht, also doch nicht so schreiben will, wie die Schüler schreiben müssen.

Die FAZ hat nicht einmal untersucht, wie sich die geplante Hausorthographie im eigenen Blatt auswirkt, sondern beruft sich auf Schätzungen (auch von mir), die dem SPIEGEL galten: alle zwei bis drei Seiten eine Änderung, die nicht das ss betrifft. Selbst dies würde schon bedeuten, daß auf jeder Seite der FAZ ein bis zwei vom Leser nicht gewünschte, zum Teil grammatisch falsche Schreibweisen zusätzlich zur symbolträchtigen s-Schreibung zu finden wären. Das glaubt die FAZ durchhalten zu können.

Es sind Varianten eingeführt worden, wo der Schreibbrauch bisher gar kein Schwanken kannte, aber in Fällen wie Tolpatsch oder Zierat, wo gelegentlich Tollpatsch und Zierrat geschrieben wurde, schließt die Reform die üblichere Schreibweise radikal aus und will von Varianten gar nichts mehr wissen. Wenn man bedenkt, daß die neue Variantenfülle die Wörterbuchverlage zu nicht weniger als 3.000 „Empfehlungen“ veranlaßt hat, mutet die Unduldsamkeit im Bereich des Dutzends von Augstschen Schreibweisen völlig unverständlich an. Hinzu kommt noch die Durchsetzung gänzlich frei erfundener Neuschreibungen wie rau. Der Rechtschreibrat hat dieses Mißverhältnis bisher nicht beheben wollen, und die Wörterbuchverlage trauen sich nicht; daher nehmen nun die Zeitungen die Sache in die Hand. Besser wäre es gewesen, angesichts der Zumutungen (s. o.) darauf zu beharren, daß man mit solchen Reformern nicht verhandelt.

Wie geht es weiter? In der FAZ vom 9.12.2006 stehen zwei Leserbriefchen zum Lob der Samstagsbeilage Bilder und Zeiten und dazu ein längerer (genau gleicher Umfang wie die anderen beiden zusammen), der sich über die Banalität beschwert: Sorgen eines gewissen Tim Mälzer beim Plätzchenbacken usw. Mit dieser „Ausgewogenheit“ könnten auch die Proteste gegen die Rechtschreibreform neutralisiert werden. Die WOCHE sel. hat es vorgemacht.



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Kommentare zu »Wie geht es weiter?«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2006 um 06.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6927

Während ich die Schreibweise "übrigends" in Druckschriften noch nie gesehen habe (soweit ich mich erinnere), hat Google angeblich eine halbe Million Belege gefunden. Ebenso viele gibt es bei "seperat", aber hier fragt die Suchmaschine wenigstens noch, ob man vielleicht "separat" gemeint habe.
 
 

Kommentar von Klotzkopf, verfaßt am 11.12.2006 um 06.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6933

In der 12. Klasse Oberstufengymnasium schrieb ich in einer Arbeit einmal "morgens".

Der Lehrer, bekennender Kommunist, hat mit mit Rotstift ein -d- reingemalt, ließ sich dann aber doch belehren.
 
 

Kommentar von Kelkin, verfaßt am 12.12.2006 um 12.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6957

Wie es weitergeht? Das deutet die FAZ selbst an in ihrer heutigen Online-Überschrift zum Prozeß im Entführungsfall 'Stephanie'; darin wird der Angeklagte mit den Worten zitiert: "Was ich getan habe, tut mir Leid". Wer ist zu bedauern?
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 12.12.2006 um 14.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6958

Jetzt kriegen wir raus, ob hier jemand von FAZ.net mitliest: In der Überschrift wurde aus Leid schon leid, aber im Text heißt es noch: Der Angeklagte Mario M. entschuldigte sich bei Stephanie und ihrer Familie. „Ich möchte sagen, daß das, was ich getan habe, mir Leid tut.“
 
 

Kommentar von b. eversberg, verfaßt am 12.12.2006 um 14.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6959

Aber im Text ist es ein Zitat – vielleicht hat er das wirklich so gesagt... Spaß beiseite – meine Kündigung tut mir angesichts solcher Possen nicht leid.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 12.12.2006 um 15.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6960

Daß die Umwandlung der Agenturmeldungen in halbwegs normales Deutsch mühsam ist, sollte hier niemanden überraschen. Erschreckend sind die Fehler in genuinen F.A.Z.-Texten, z. B. dem Bericht des Moskau-Korrespondenten Michael Ludwig, der zusammen arbeiten, hinein zu schauen und so genannten getrennt schreibt. Solche Exzesse werden vom Januar 2007 an täglich im Blatt zu besichtigen sein.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 12.12.2006 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6961

Und noch ein Beispiel: »Wovon träumt die Bundeskanzlerin? Vom Kochen, Lesen, Nachdenken und Zeit zum Blumenstrauß kaufen.« (so nur hier)
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 12.12.2006 um 21.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6966

Daß die Umwandlung der Agenturmeldungen in halbwegs normales Deutsch mühsam ist, sollte hier niemanden überraschen.

Ich speichere mir gelegentlich Seiten aus dem Internet ab. Sofern sie mir wichtig sind, ergänze ich die Bilder (wozu man in der Regel im Quelltext die Verweise ändern muß) und setze die Rechtschreibung um. Aus dieser Praxis heraus kann ich sagen, daß ein Umsetzen von Neuschreibtexten in alte Rechtschreibung kein großer Aufwand ist. Man muß es natürlich wollen und in der Rechtschreibung sicher sein.

Einfach einen Agentur-Text unmodifiziert übernehmen ist natürlich noch einfacher.
 
 

Kommentar von Tassilo, verfaßt am 13.12.2006 um 17.13 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6969

Welch ein seltsame Erklärung die FAZ für ihren Sinneswandel doch liefert: Eine abweichende Schreibweise sei den Schülern nicht zumutbar. Ich frage mich, ob dann den Schülern zugemutet werden kann, Autoren zu lesen, die nicht in der Neuen Deutschen Schlechtschreibung gedruckt werden.

Als Alternative zur Umstellung schlage ich der FAZ vor, einige Monate lang in 2 Varianten zu erscheinen und dann zu prüfen, welche Variante die Mehrzahl der Leser bevorzugt.
 
 

Kommentar von Stefan Weidle, verfaßt am 13.12.2006 um 17.29 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6970

Da jetzt alles zusammenzubrechen scheint, habe ich jedenfalls auf meiner neuen Verlagsvorschau den Zusatz vermerkt, daß unsere Bücher weiterhin in der bewährten Rechtschreibung erscheinen. Es wäre schön, wenn andere Verleger sich dem anschlössen, denn ich denke, es wird Zeit, in die Offensive zu gehen.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 13.12.2006 um 17.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6971

Da jetzt alles zusammenzubrechen scheint, habe ich jedenfalls auf meiner neuen Verlagsvorschau den Zusatz vermerkt, daß unsere Bücher weiterhin in der bewährten Rechtschreibung erscheinen.

Ihr Schritt ist jedenfalls zu begrüßen. Ein Rundgang im Buchladen neulich verstärkte bei mir den Eindruck, daß es künftig zwei Rechtschreibungen geben wird. Eine feinere (ehedem alltägliche) für die Literatur, und eine mit größeren Klötzchen für die Schule.
 
 

Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 14.12.2006 um 00.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#6976

Bravo, Weidle-Verlag!
Und jetzt Verleger- und Herausgeberkollegen mit ins Boot holen!
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 19.12.2006 um 00.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=745#7040

Was ist bloß bei FAZ.net los, daß die Anreißertexte so verhunzt werden? Man traut ja seinen Augen kaum (siehe hier):

»Deutsche Jugend ohne Gott
Nur jeder vierte Heranwachsende hierzulande ist religiös. Polen und Türken sind viel gläubiger. Das mag nicht zuletzt an der Erziehung liegen. Denn anderswo ist Eltern weit aus mehr daran gelegen, daß Kinder Glauben und Wertvorstellungen übernehmen.«
 
 

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