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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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03.12.2006
 

Legendenbildung
Seltsames über den Rechtschreibrat

Auf der Internetseite des österreichischen Schulministeriums liest man: "Über die noch offen gebliebenen vier Teilbereiche hat der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Beratungen nun abgeschlossen."

Aber es gab keine "offen gebliebenen vier Teilbereiche", sondern die gesamte Reform war und ist dem Rat zur Überarbeitung aufgegeben. Wenn man die Lüge oft genug wiederholt, wird sie schließlich geglaubt.

Außerdem bedankt sich das Ministerium ausdrücklich bei Helmut Zilk für seine "engagierte Mitarbeit" im Rat. Zilk ist niemals im Rat aufgetaucht, sondern hat sich immer von Senatsrat Scholz vertreten lassen.



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Kommentare zu »Legendenbildung«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.12.2006 um 09.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=735#6861

Das österreichische Schulministerium stellt auch eine vom Altreformer Jakob Ebner verfaßte Broschüre bereit, auf die man einen Blick werfen sollte.

Ebner lehrt die Volksetymologien ohne jeden Vorbehalt. Die ganze Wahrheit ist anscheinend den Lehrern und Schülern nicht zuzumuten, sondern bleibt etwas für die Eingeweihten: Rechtschreibunterricht mit Augurenlächeln.


"Manche Ausdrücke können eine Wortgruppe oder eine Zusammensetzung sein.
danksagen (sie danksagt)/Dank - sagen (er sagt Dank)
marathonlaufen/Marathon laufen (sie läuft Marathon)
gewährleisten/Gewähr leisten
brustschwimmen/Brust schwimmen (ich schwimme Brust)
staubsaugen (er staubsaugt)/Staub saugen (ich sauge Staub)
"

Er kommt also mit der Eisenbergschen Revision offenbar auch nicht zurecht, daher die ungleiche Ausgestaltung der Beispiele.

"In folgenden Fällen ist der erste Wortteil ein ehemaliges Nomen. Es wird mit dem Verb zusammen- und in getrennter Stellung kleingeschrieben. (...)
leidtun – Ich sehe, wie leid es dir tut.
nottun – Hilfe tut not
.“

Hundert und tausend können auch eine unbestimmte Menge ausdrücken (man kann sie dann nicht mit Ziffern schreiben). In diesem Fall können die Wörter als Nomen oder Adjektiv aufgefasst werden und sowohl groß- als auch kleingeschrieben werden.
Es kamen tausende/Tausende von Zuschauern.
Sie kamen zu hunderten/Hunderten zur Demonstration.
zigtausende/Zigtausende, aberhunderte/Aberhunderte, außerdem:
viele dutzend/Dutzend Mal
(...)

Manche Zahlenangaben sind eindeutig Nomen, die natürlich
großgeschrieben werden.
eine Million Einwohner
zwei Milliarden fünfhunderttausend Menschen
ein Dutzend Eier
"

Laut Regelwerk kann auch das gebeugte Dutzend klein geschrieben werden: Der Fall war angesichts Dutzender/dutzender von Augenzeugen klar.

Aus Ebners Zusammenstellung wird man auch nicht schlauer.

Ebner lehrt ausdrücklich die (fakultative) Großschreibung in gestern Früh.

Fakultativ soll auch geschrieben werden: Du hast vollkommen Recht.

Ebner hat auch neben dem Urinstinkt noch ein paar hübsche "irreführende" und daher zu vemeidende Worttrennungen gefunden: nicht Schulter-rarium, sondern Schul-terrarium; nicht Anden-ken, sondern An-denken; nicht Autoren-nen, sondern Auto-rennen, nicht Hörner-ven, sondern Hör-nerven.

Ebner meint, die Schreibweise Scharm sei in Deutschland üblich, werde aber in Österreich viel seltener verwendet.


Im Vorwort heißt es: „Der lange Weg zu einer Reform der deutschen Rechtschreibung ist fürs Erste abgeschlossen.“ - „Fürs Erste“! Man will ja auch in Zukunft noch etwas verdienen. Die nächste Gelegenheit bietet sich nach dem Juni 2007, wenn der Rechtschreibrat diejenigen Schreibweisen, die sich nicht bewährt haben (das sind die Augstschen Einfälle Stängel, platzieren usw.), aus dem Regelwerk entfernen wird. Es ist also gerade die Hausorthographie der Zeitungen, die wiederum eine Neubearbeitung sämtlicher Rechtschreibmaterialien erforderlich macht, alles im Namen der Einheitlichkeit.

 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 03.12.2006 um 10.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=735#6862

Die nächste Gelegenheit bietet sich nach dem Juni 2007, wenn der Rechtschreibrat diejenigen Schreibweisen, die sich nicht bewährt haben (das sind die Augstschen Einfälle Stängel, platzieren usw.), aus dem Regelwerk entfernen wird. Es ist also gerade die Hausorthographie der Zeitungen, die wiederum eine Neubearbeitung sämtlicher Rechtschreibmaterialien erforderlich macht, alles im Namen der Einheitlichkeit.

Es dürfen Wetten abgeschlossen werden: Wird es diese Revision geben? Das ist ein guter Tip(p), also: ja. Aber in welcher Form? Ich tippe darauf, daß die Augstschen Einfälle Stängel, platzieren usw. zunächst als Varianten erhalten bleiben, neben den besseren traditionellen Schreibungen Stengel, plazieren (placieren bei Aussprache mit s-Laut) usw. Sodann stellt sich die nächste Preisfrage: Werden bestimmte Varianten im Regelwerk, in den Wörterbüchern oder von den Zeitungen bevorzugt? Vermutung: Das Regelwerk stellt die Varianten gleichberechtigt zur Wahl, Duden empfiehlt (überwiegend) die Augstschen Reformschreibungen Stängel, platzieren usw., während die Zeitungen (teilweise) die besseren Schreibungen Stengel, plazieren usw. verwenden. Nächste Phase: Die Bevorzugung der besseren Schreibweisen setzt sich durch: vielleicht zuerst als Agenturschreibung bzw. in der Presse, vielleicht zuerst im Rat für Rechtschreibung und damit im Regelwerk, vielleicht auch vom Duden ausgehend (unwahrscheinlich). Vielleicht stimmen sich alle Beteiligten im Vorfeld diesmal besser ab (eher unwahrscheinlich). Nächste Phase: Irgendwann werden die Augstschen Reformschreibweisen Stängel, platzieren usw. aufgegeben.

Nächste Frage: Gilt das zum Beispiel auch für rau, wird rauh wieder offiziell zugelassen, wird sich rauh durchsetzen? Was ist mit den unangemessenen Großschreibungen heute Abend, u. Ä. etc. – kommen die im Jahr 2009 an die Reihe oder erst 2016? Und so weiter.

Fazit: Die Reform geht munter weiter. Gerade so, wie wir es immer vorausgesagt haben. Je länger, desto verwirrender wird alles sein, was seit 1996 geschrieben, gedruckt, verkauft, gelernt und gelehrt wurde.
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 03.12.2006 um 19.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=735#6863

Wetten, daß ...

der Orthographierestitution ein langes Leben beschieden ist. Schon deshalb, weil die Deformer jede der von ihnen durchgeboxten Absurditäten so lange verteidigen wird, wie es geht, bzw. bis jede einzelne von diesen sich durch ihr Hinscheiden selbst erledigt hat. Für Abkürzungen wie "u.Ä." und Unsägliches wie "selbstständig" werden sie wahrscheinlich besonders hartnäckig eitreten bis zum letzten Gefecht (Gefächt?). Die Verlage werden prächtig verdienen an ewig der orthographischen Wetterlage angepaßten Lehrbüchern, Handreichungen u.a.m. Die Kultusminister können über Jahre endlich einmal Durchsetzungsvermögen zeigen, zumindest an dieser katastrophalen Reform. Und Herr Zehetmair wird noch viele ergebnislosen Ratssitzungen zelebrieren und erheiternde oder auch deprimierende Kommuniqués absondern dürfen.

Es war vorauszusehen, daß die Reform und ihr Rückbau zum Dauerunternehmen der ersten orthographischen Verunsicherung der Deutschen wird. Ob die einst als Benefizienten des überflüssigen Unternehmens vorgeschobenen (und als Geiseln genommenen) Schüler (z.B. an den Hessischen Gesamtschulen) etwas davon haben werden, steht arg zu bezweifeln. Den Lehrern indessen ist über Jahre ein echtes Gaudi gesichert.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 04.12.2006 um 06.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=735#6865

Kaum schickte sich der Rat an, sein „Paket zu schnüren“ (Kerstin Güthert), versank Herr Zilk für mehrere Wochen ins Koma: Wer schläft, sündigt bekanntlich nicht. Wir wünschen einen auch weiterhin günstigen Genesungsverlauf.
 
 

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