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25.11.2006
Exotisch
In Niedersachsen ist die Rechtschreibleistung aufgewertet worden
Das teilt das Kultusministerium in einer (allerdings orthographisch fehlerhaften) Pressemeldung mit, s. Text im Diskussionsforum. Angesichts der verwirrenden Lage ein mutiger Schritt.
"'Rechtschreibkompetenz umfasst sehr viel mehr als das traditionelle Diktat den Schülerinnen und Schülern abverlangt. Sie umfasst die Fähigkeit, verständlich zu schreiben, Wörter nachschlagen zu können, mit Regelungen umzugehen oder auch Texte kontrollieren und korrigieren zu können', machte Busemann deutlich."
Was ist denn bisher in diesem Bundesland von den Schülern verlangt worden? Das Diktat, das übrigens auch in der Handreichung des bayerischen Schulministeriums zum Rechtschreibtest in der landesüblichen Weise abgewertet wird, war und ist die natürlichste Form der Prüfung von Rechtschreibleistungen, während "verständliches Schreiben" und Nachschlagenkönnen mit Rechtschreibung nichts zu tun haben. Die gesamte Neuregelung zielt ja ausdrücklich darauf ab, "regelgeleitet" das Gehörte in Schrift umsetzen zu können, d.h. in gewöhnlicher Rede: nach Diktat richtig zu schreiben. Leitbild ist die nach Diktat schreibende Sekretärin. Niemand wird eine solche einstellen, wenn sie lediglich ihre Fertigkeit im Nachschlagen behauptet.
Während also die Kultusminister in Wirklichkeit die gesamte Orthographie durcheinandergebracht und das Rechtschreiben an der Schule weitgehend zerrüttet haben, tut Herr Busemann in seiner vollmundigen Erklärung so, als gehe es jetzt erst richtig los mit der Schreibkultur. Eine Politik der Attrappen, wie gewohnt.
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Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 25.11.2006 um 10.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=722#6797
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Das Schreiben von Texten nach Diktat ist an Schulen mit "modernem Unterricht" nicht mehr üblich. Wer Diktate schreiben lasse, quäle die Schüler und wolle nur einseitig ihren Unterwerfungswillen testen. Diktate brächten nichts als Frustration. (Interessant, wie linke Pädagogik immer nur das Negative heraushebt.) Die Schüler mögen bitte "eigenverantwortlich" und "selbstmotiviert" schreiben lernen – was auch immer darunter verstanden werden kann. Selbstdiktate, Laufdiktate, Partnerdiktate, Büchsendiktate – natürlich alles mit "Selbstkontrolle" – diese phantastischen Verrenkungen einer Leistungsvermeidungspädagogik mögen ja gerade noch angehen, wenn es denn unbedingt sein muß. Aber ein bewertetes Prüfungsdiktat? Pfui Teufel! So etwas macht kein guter Lehrer. Das gehört in die Mottenkiste der Schwarzen Pädagogik.
Heimlich aber verlangen sie nach Diktaten, allen voran die Eltern, die wissen, daß das Diktat mehr ist als nur eine Prüfungsform. Es ist zugleich Stille- und Konzentrationsaufgabe. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf Wort- und Satzkonstruktion. Es fördert Sorgfalt und Ausdauer, erzieht zum aufmerksamen Zuhören. Ein nach Diktat schreibendes Kind übt zugleich auch Stil und Grammatik; Begriffe prägen sich ein. Wer gegen den Geist der Zeit einen Rest pädagogischen Verstandes bewahrt hat, pflegt das Diktat noch immer. Viele sind es nicht, und seit 1996 dürften auch gutwillige Lehrer angesichts des orthographischen Chaos allmählich die Segel streichen.
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Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 25.11.2006 um 17.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=722#6798
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In der Schulpädagogik scheint der seltene Fall vorzuliegen, daß die Blinden die Einäugigen führen ...
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