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10.10.2006
Möglichst nicht
Vom deutschen Wesen
Aus Gerhard Stickels Memorandum: Politik für die deutsche Sprache:
»Zur Erhaltung der europäischen Sprachenvielfalt wie mittelbar zum Verständnis der eigenen Sprache trägt auch der Fremdsprachenunterricht bei. Dieser soll in der Grundschule einsetzen. Ziel ist die mündliche und schriftliche Handlungsfähigkeit möglichst vieler Deutscher in zwei europäischen Fremdsprachen sowie Lesekompetenz und Hörverständnis in weiteren Sprachen. Eine der Fremdsprachen sollte Englisch sein, möglichst aber nicht die erste. Generell sollten Nachbarschaftssprachen im schulischen Sprachenangebot Vorrang haben.«
Die wohlklingende Rede von den „Nachbarsprachen“ verschleiert, daß es keineswegs um Tschechisch oder Dänisch, sondern um das Französische geht. Romanisten haben diese Idee aufgebracht, und dahinter steht handfeste Verbandspolitik, natürlich auch der Kampf um die Stundentafel der Schulen.
Das Englische aus dem Rang einer ersten Fremdsprache hinausdrängen zu wollen, dazu haben auch die Politiker, an die sich dieser Appell ja nur richten kann, kein Recht. Die betroffenen Schüler und deren Eltern werden nicht gefragt. Auch die „Tutzinger Thesen“ von 1999 wollten das Englische zugunsten der „Nachbarsprachen“ zurückdrängen:
»SPRACHNACHBARSCHAFTEN. In den Grenz- und Übergangszonen zweier Sprachräume hat schon immer die jeweilige Nachbarsprache den privilegierten Status der wichtigsten, weil nächstgelegenen Fremdsprache gehabt. Es wäre wahrscheinlich weder für die Menschen noch für ihre Kultur gut, wollte man etwa im Oberrheingraben die Deutsch- und die Französischsprachigen dazu konditionieren, künftig vorrangig oder gar ausschließlich auf Englisch miteinander zu kommunizieren. Eine Option wäre die Erlernung der Nachbarsprache als erste und des Englischen als zweite Fremdsprache.« Wiederum werden die Schüler und Eltern nicht gefragt.
Englisch ist dank der Nordsee keine Nachbarsprache für Deutsche, hat daher keine Chance, auf den ersten Platz zu gelangen. Nach Stickels Idealvorstellung wäre Deutschland ein Land, in dem Englisch an keiner Schule als erste Fremdsprache unterrichtet wird: Deutschland gegen den Rest der Welt. Eine weltfremde Konstruktion, aber nach unseren Erfahrungen mit der Rechtschreibreform darf man nichts für unmöglich halten.
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Kommentar von David Weiers, verfaßt am 10.10.2006 um 12.45 Uhr
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Nun ja, das wäre zwar weltfremd, aber immerhin wäre es was, mit dessen Hilfe man sich nicht bei der ganzen Welt anbiedern kann. Ist doch auch mal was. Man muß ja fast schon über alles froh sein, was nicht dazu gedacht ist, die internationalen Trends (wie auch immer) übereifrig vorwegzunehmen.
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Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 10.10.2006 um 14.22 Uhr
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Man sollte sich den Namen "Nachbarsprachen" zunächst auf der Zunge zergehen lassen. Man merkt dann recht schnell, daß meist die Nachbarländersprachen gemeint sind, die sicher in den jeweiligen Grenzregionen eo ipso einen besonderen Status haben. Man hat in Deutschland aber auch Nachbarn, deren Muttersprache Türkisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch usw. ist. Und jeder Schüler sollte sich entscheiden können, was und wie er wählt. Aus praktischen Gründen werden die meisten - ganz ohne staatliche Nachhilfe - Englisch als die erste wählen, weil es die erste halbwegs funktionierende Lingua franca wird oder bereits ist. Die Lerner sollten sich aber nicht für Englisch entscheiden müssen, wie es in einigen EU-Ländern (u.a. Polen) bereits der Fall ist. Hinsichtlich der Wahl einer weiteren Sprache kommen bei jedem mehrere, teils recht individuelle Kriterien ins Blickfeld. Und von diesen sollte er sich leiten lassen. Die sog. Nachbarsprachen bildungspolitisch zu installieren ist zum einen recht schwierig und zum andern ein aussichtsloses Unterfangen.
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Kommentar von S.L., verfaßt am 10.10.2006 um 17.57 Uhr
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Vielleicht sollte man auch einmal darüber diskutieren, ob Fremdsprachenunterricht in der Grundschule wirklich so sinnvoll ist, wie die Politiker ständig behaupten. Inzwischen werden 25 bis 30 Prozent der Erstkläßler mit einer verzögerten Entwicklung der Muttersprache eingeschult. Viele müssen zum Beispiel die elementaren Laute des Deutschen erst erlernen. Wie die Rechtschreibreform ist auch der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule in meinen Augen nur ein Ablenkungsmanöver der konzeptlosen Bildungspolitiker.
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Kommentar von Josef Hohenembs, verfaßt am 11.10.2006 um 08.00 Uhr
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In der Grundschulklasse meiner Gemahlin sitzen 27 Schüler aus 12 Nationen, 4 davon haben Deutsch als Muttersprache. Vielleicht sollte man alle am besten gleich dieses weltumspannende Business-Kauderwelsch (pidgin-english) lernen lassen, damit sie sich den Unsinn ersparen, Deutsch können zu müssen. Auf jeden Fall haben wir Angst, als Nazis angesehen zu werden, wenn wir dennoch darauf bestehen. Interessante Meinung, Herr Ickler.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2006 um 08.58 Uhr
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Kultusbehörden können nicht wissen, was gut für unsere Kinder ist. Deshalb müssen die Eltern entscheiden - also Kundenorientierung auch hier.
Der Englischunterricht in Grundschulen leidet oft an der mangelhaften Ausbildung der Lehrer(innen). Das hat seine Parallele in den Ausspracheangaben mancher Wörterbücher. Dieselben Verlage, die dem Ratsuchenden die Aussprache [draif] (für "Drive") beibringen, haben sich in den Schulbuch- und Weiterbildungssektor eingekauft und verdienen dann wieder daran, die von ihnen verursachten Schäden zu beheben.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.10.2006 um 23.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=659#5949
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Heute bei www.heise.de: "Sprachcomputer lieben Deutsch". Deutsch eignet sich zur maschinellen Spracherkennung besser als Englisch.
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