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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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02.10.2006
 

„Adjektivisch gebraucht“
Noch ein Versuch, das Rätsel zu lösen

Bei der Revision der Rechtschreibreform ist weiterhin unklar, was "adjektivisch gebraucht" bedeutet. Der Begriff kommt im Originalregelwerk nur einmal vor, im revidierten zweimal, und im revidierten amtlichen Wörterverzeichnis vom November 2004 wird "adjektivisch" in diesem Sinne über 90mal vermerkt, um die entsprechende Zahl von wiederhergestellten Zusammenschreibungen zu begründen. Es ist also eine sehr wichtige Neuerung, die unbedingt geklärt werden muß.
Der Generalsekretär der KMK teilte am 10.1.2005 brieflich mit, daß es zu den Aufgaben des Rates für deutsche Rechtschreibun gehören werde, den Sinn des Begriffs "adjektivisch" in der neuformulierten Regel und im Wörterverzeichnis zu klären. Das ist im Rat trotz meiner mehrfachen Bitte nicht geschehen, die Mitglieder zeigten sich ratlos, als ich die Frage aufwarf.
An mehreren Stellen der Dudengrammatik (2005) ist von "adjektivisch gebrauchten" Partizipien die Rede.
Gallmann schreibt (S. 345): "Partizipien verhalten sich teilweise wie Adjektive: man spricht dann von adjektivisch gebrauchten Partizipien:

das umgebaute Haus, ein zitternder Grashalm, die zu erwartenden Verbesserungen"

Hier liegt zunächst einmal attributiver Gebrauch vor (zu erwartende ist allerdings gar kein Partizip I, wie Gallmann anzunehmen scheint). Auch wenn man die Beispiele S. 346 betrachtet, könnte es scheinen, daß "adjektivisch" soviel heißt wie "attributiv". Sonderbar ist allerdings das Beispiel der bellende Hund, *der bellendere Hund. Denn eigentlich ist die gleich darauf behandelte Partizipialform reizend ein Beispiel für adjektivischen Gebrauch, und gerade sie ist steigerbar. Gallmanns Aussage: "Adjektivisch gebrauchte Partizipien können nicht kompariert werden" ist also unverständlich, denn gerade diese können es. Mit dem "adjektivischen Gebrauch" kann aber auch nach Duden 2004 nicht der attributive gemeint sein, sonst wären Einträge wie der folgende unverständlich: "da bist du aber schief gewickelt, auch schiefgewickelt."

Auf S. 347 gibt Gallmann noch einmal Beispiele für "adjektivisch gebrauchte Partizipien":
"Partizip I: suchend, verschwindend, einladend, belastend
Partizip II: gesucht, verschwunden, eingeladen, belastet"
S. 840 heißt es: waren vor der Kälte geschützt ("adjektivisch gebrauchtes Partizip II")
die lachenden Kinder ("adjektivisch gebrauchtes Partizip I")

Daraus wird der Leser aber auch nicht klüger. Daß ein Gebrauch gemeint sei, der die Partizipien nicht als Teil der Verbalflexion zeigt, ist ausgeschlossen, weil es im Falle des Partizips I ohnehin ins Leere liefe, denn es ist niemals Teil des verbalen Paradigmas.

Man könnte auch noch die "Lösungen" heranziehen, die Gallmann auf seiner Universitäts-Homepage bietet, mit vielen "adjektivisch gebraucht". Wer das alles zusammen versteht, soll sich melden. Schließlich betrifft es einen zentralen Teil der deutschen Rechtschreibung.



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Kommentare zu »„Adjektivisch gebraucht“«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.10.2006 um 15.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=647#5708

Die Steigerbarkeit ist wirklich eine andere Baustelle, denn sie hängt von der Semantik ab: "tot, töter, am tötesten"?
 
 

Kommentar von Christoph Schatte, verfaßt am 02.10.2006 um 19.10 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=647#5725

Es ist natürlich unfruchtbar und eigentlich abwegig morphologisch-taxonomisch festgelegten Klassen wie Partizip einen wiederum mit morphologischen Namen bestimmten "Gebrauch" zuzuordnen, mit dem man - weil die entsprechende Termini fehlen - die syntaktische Funktion meint, d.h. wie in der Diskussion festgestellt, die pränominale Attribuierung von Partizipien, die je nach Semantik gesteigert werden können (etwa "brennendst", auch innen wie etwa "weitestgehend"). Spricht jemand von "adjektivischem Gebrauch des ..." gibt er zu verstehen, daß er auch die Syntax morphologisch bewältigen möchte. (Sprach)gebrauch ist zudem etwas anderes als Syntax bzw. Grammatik.
 
 

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