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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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01.04.2005
 

Ohne Ostdeutsche

Jemand hat bereits bemerkt, daß im Rat für deutsche Rechtschreibung keine ostdeutschen Experten mehr sitzen, obwohl die doch eigentlich die theoretischen Köpfe der Reform gewesen sind.
Die tiefe Abneigung der beiden Schweizer gegen Nerius kann nicht der einzige Grund sein.
In diesem Zusammenhang ist mir noch folgendes aufgefallen:
Petra Ewald vertritt pro forma den Standpunkt ihres Lehrers Dieter Nerius, daß der Staat das Recht und auch als einziger die Möglichkeit habe, die nun einmal in staatliche Regie genommene Rechtschreibung weiterhin zu ändern. Einen Blick auf andere Staaten gestattet sie sich nicht. (Gisela Schmirber, hg.: Sprache im Gespräch. Hanns-Seidel-Stiftung 1997)
Sie behauptet auch, daß Sprachwandel am Duden vorbei nur in ganz peripheren orthographischen Bereichen stattgefunden habe. Wenig später kommt sie dann jedoch zu ihren eigenen Untersuchungen, in denen sie festgestellt hat, daß weit über den Duden hinaus Großschreibung von festen Begriffen (Nominationsstereotypen) eingetreten sei. Also doch! Einerseits verteidigt sie die Reform (wie Nerius), andererseits kritisiert sie sie vernichtend (wie Nerius). Man sehe sich nur einmal Stellen wie diese an:
„Der vermehrte Majuskelgebrauch erscheint z. T., man denke an künftige Großschreibungen von Adverbien und Adjektiven, wie in heute Abend, morgen Nachmittag, Leid tun, Schuld haben usw., aus linguistischer Sicht problematisch, da der Großbuchstabe nun auch außerhalb des substantivischen Bereiches verwendet wird.“ Ähnlich verklausuliert über die volksetymologischen Schreibungen usw. – Kann man in der Sache schärfer urteilen? Das ist im Grunde dasselbe wie Eisenbergs Botschaft: Die Reform muß sein, auch wenn sie eigentlich auf den Müll gehört.
Inzwischen ist Frau Ewald selbst Professorin, und ich habe überhaupt den Eindruck, daß sie selbst wie auch Nerius verhältnismäßig leicht die ganze Reform aufgeben würden, da sie ja die gewünschte Kleinschreibung nicht gebracht hat und sonst lauter Neuerungen enthält, an denen das Herz der ostdeutschen Orthographen nicht gerade hängt (um es milde auszudrücken).

Solche vernünftigen Leute kann ich mir schwer im "Rat" vorstellen - was sollten sie denn zur Verteidigung der Reform noch vorbringen?

Die deutschen Mitglieder aus der ehemaligen Zwischenstaatlichen Kommission sind alle ausgemustert worden - bis auf Hoberg, denn auf den sechsten Posten hatte die KMK keinen Zugriff.



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