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25.05.2006
Willfährigkeit
Erfahrungen mit dem Goethe-Institut
KuBus 3 (Goethe-Institut Internet 1997)
Die Rechtschreibreform
Kurzinhalt
Der KuBus-Beitrag über die "Rechtschreibreform" gibt die Entwicklungsgeschichte der deutschen Rechtschreibung wieder. Es werden die wichtigsten Änderungen durch die aktuelle Reform beleuchtet. Darüberhinaus werden die teilweise heftigen Diskussionen thematisiert, die in Deutschland um die Einführung der Rechtschreibreform entflammten.
Hintergrundinformation
Die Menschen im deutschsprachigen Raum müssen neu schreiben lernen. Denn zum erstenmal seit 95 Jahren wurde die deutsche Rechtschreibung reformiert. Neue Regeln sollen ab August 1998 die Schriftsprache logischer und damit einfacher machen. Verbindlich wird dieses neue Regelwerk dann im Jahre 2005.
Nach der Verabschiedung der Reform im Sommer 1996 ermittelte eine bundesweite Umfrage, was sich dreiviertel aller Deutschen, viele Schriftsteller und Verleger wünschen: einen Stopp der Rechtschreibreform. Lächerlich, überflüssig, zu teuer, verwirrend, unsinnig - so wird hierzulande gescholten.
Historie der deutschen Rechtschreibung
Seit dem frühen Mittelalter verging im deutschsprachigen Raum kein Jahrhundert, kaum ein Jahrzehnt ohne Rechtschreibvorschläge. Und eifrige Neuerer bekamen schon immer Gegenwind zu spüren.
Schreiben und Lesen wurde im 14. Jahrhundert in den Klosterstuben und Kanzleien gelehrt, allerdings nur Mitgliedern des Adels und der Kirche. Der Lehrstoff war von biblischen Texten geprägt, meist in lateinischer Sprache.
Auch Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks brachte im 16. Jahrhundert trotz großer Verbreitung der Druckerzeugnisse keine einheitliche deutsche Rechtschreibung nach verbindlichen Regeln.
Die volkssprachlichen Veröffentlichungen nahmen einen kleinen Raum ein, denn die meisten Schriftsteller bevorzugten noch immer Latein.
Entscheidend für die Gleichberechtigung des Deutschen als Schriftsprache neben Hebräisch, Griechisch und Latein wirkte schließlich der Schriftsteller und Reformator Martin Luther. Seine deutschen Schriften, nicht zuletzt die Bibelübersetzung, verhalfen der Muttersprache - ein Wort, das erstmals bei Luther 1523 belegt ist - zu wachsender schriftlicher Verbreitung und Anerkennung. Im 17. Jahrhundert wurde Hieronymus Freyer Wegbereiter einer einheitlichen Schreibweise. Auf ihn geht die Großschreibung zurück. Doch noch bis weit ins 19. Jahrhundert entwickelte sich die deutsche Schriftsprache ohne übergreifende Regelung.
Dieser Mißstand geriet nach der Reichsgründung 1871 in den öffentlichen Blickpunkt. 1880 erschien endlich ein "Orthographisches Wörterbuch", verfaßt von Konrad Duden. Innerhalb des folgenden Jahrzehnts setzte sich die Rechtschreibung nach diesem Wörterbuch im deutschen Sprachraum durch. Die offizielle Anerkennung als erste verbindliche Rechtschreibregelung nach Duden erfolgte jedoch erst im Jahre 1902.
Nun stand noch die Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung aus. Dies blieb das Ziel zahlreicher Tagungen der folgenden Jahrzehnte. Erarbeitete Reformvorschläge wurden in allen deutschsprachigen Staaten veröffentlicht und heftig kritisiert. So nannte der berühmte Schriftsteller Thomas Mann einen Entwurf der 50er Jahre eine "Verarmung, Verhäßlichung und Verundeutlichung des deutschen Schriftbildes".
Es dauerte noch bis November 1994, um eine Einigung zur Neuregelung der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu erreichen. Künftig wird allerdings für Weiterentwicklungen nicht mehr die Duden-Redaktion maßgebend sein, sondern eine internationale Kommission. Sie ist angesiedelt im Mannheimer Institut für Deutsche Sprache.
Inhalt der Rechtschreibreform
Zwingend verbindlich werden soll die neue amtliche Rechtschreibung allein in Behörden und Schulen. "Keine Revolution, sondern eine sanfte Reform", so bezeichnete ein Vertreter des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums als einer der zahlreichen Tagungsmitglieder die vorgesehenen Änderungen. Von den 212 Rechtschreibregeln für das Deutsche sollen nur noch 112 bestehen bleiben. Von den 52 Kommasetzungsregeln bleiben neun übrig. Grundsätzlich soll eher getrennt als zusammen geschrieben werden, mehr groß als klein. Von den 12 000 Wörtern des Grundwortschatzes werden 185 anders geschrieben als bislang. Grundgedanke ist dabei die Übereinstimmung von einem Wortstamm und allen daraus abgeleiteten Wörtern: belämmert statt belemmert - wegen Lamm; Stängel statt Stengel - wegen Stange; Bändel statt Bendel - wegen Band. Bei zusammengesetzten Wörtern bleiben die Wortstämme künftig vollständig erhalten: Stofffetzen statt Stoffetzen; Tollpatsch statt Tolpatsch. Die im deutschen Schriftbild auffälligste Änderung betrifft den Buchstaben Eszet. Künftig soll nach kurzen Vokalen generell ein Doppel-S geschrieben werden: Fluss; Kuss; muss; nass. Mit langem Vokal gesprochene Wörter bleiben dagegen unverändert: Fuß; Maß. Die in zahlreichen vorigen Entwürfen geforderte gemäßigte Kleinschreibung wird mit der Reform nicht eingeführt. Neben einigen wenigen Änderungen soll künftig lediglich die Anrede "Du" kleingeschrieben werden. Damit werde auch das Problem von Anweisungen an Schüler in Lehrbüchern gelöst, hieß es zur Begründung.
Auswirkungen der Rechtschreibreform
720 000 Bücher sind zur Zeit in Deutschland lieferbar, darunter etliche, die vor der Rechtschreibnormierung von 1902 erschienen sind.
So werden sogar Märchen zum Problem - das fürchten zumindest Buchhandel und Buchverlage. Da besonders Eltern künftig darauf bestehen werden, daß Bücher nach den neuen Regeln gedruckt sind, bedeutet die Reform für die Verlage vor allem eine erhebliche Kostensteigerung. Dasselbe gilt für Klassiker, die häufig als Schullektüre verwandt werden. Und allein der Verband der Schulbuchverlage rechnet mit einem Kostenaufwand von 300 Millionen Mark für die Korrektur der 30 000 Schulbuchtitel - 10 000 Mark pro Band. Drei Monate nachdem die Rechtschreibreform definitiv beschlossen war, gingen die Schriftsteller und Intellektuellen gegen die Neuregelung auf die Barrikaden. Kernpunkt ihrer Kritik sind die Kosten der Reform. Viele Buchtitel seien schon jetzt überholt, meinen sie. Und solche, die nur eine Minderheit interessierten, würden nicht mehr neu aufgelegt. Das sei ein Verlust an Kultur, der nicht mehr auszugleichen sei. Und erst jetzt, nach Erscheinen der ersten neuen Regelwerke und Lexika, seien die Folgen der Reform im ganzen Ausmaß erkennbar. Vorher habe man noch geglaubt, es gehe nur um Minimalveränderungen wie "Gemse" und "Gämse".
Gruß und Kuss, dein Julius - so erläutern schon jetzt Lehrer ihren Schülern die Regeln der Rechtschreibreform. Offiziell ist die Einführung zwar erst ab August '98 verbindlich, doch die Kultusminister zahlreicher Länder haben schon jetzt empfohlen, Erstkläßler nach der neuen Form zu unterrichten. Und manches von dem, womit sich Behörden oder Schriftsteller noch schwertun, hat sich in der Praxis längst eingespielt. Zwar müssen sich Lehrer und Eltern umstellen, zwar nehmen auch sie die Änderungen keinesfalls kritiklos hin. Doch müssen sie aufgrund ihrer aktuellen Erfahrungen einräumen, daß die nachwachsende Generation die Bedeutung der Rechtschreibreform anders handhabt und gewichtet. Neun statt 52 Komma- und 112 statt 212 Rechtschreibregeln, das kann für Menschen, die gerade das Schreiben oder Deutsch als Fremdsprache erlernen, eine Erleichterung bedeuten. Und doch wurde das allein in der deutschen Schriftsprache existierende Eszet nicht völlig abgeschafft. Der Forderung nach einer gemäßigten Kleinschreibung wurde ebensowenig nachgekommen. Und wo Fremdworte eingedeutscht wurden, wie im Falle "Majonäse" etwa, da wird's für Menschen, die in ihrer eigenen Sprache noch immer Mayonnaise schreiben, auch nicht einfacher.
Inter Nationes
1997
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Anmerkungen von Theodor Ickler
- „Seit dem frühen Mittelalter verging im deutschsprachigen Raum kein Jahrhundert, kaum ein Jahrzehnt ohne Rechtschreibvorschläge.“
Ist wirklich das „frühe Mittelalter“ gemeint, also die Zeit nach der Völkerwandeung, als es nach den weiteren Ausführungen noch gar keine deutsche Rechtschreibung gab? Oder eher „die frühe Neuzeit“?
- „Schreiben und Lesen wurde im 14. Jahrhundert in den Klosterstuben und Kanzleien gelehrt, allerdings nur Mitgliedern des Adels und der Kirche.“
Mitglied der Kirche war damals jeder, wahrscheinlich ist „Mitglied des Klerus“ gemeint. Aber es ist auch nur ein beliebtes unhistorisches Klischee, daß Schreiben und Lesen im Mittelalter ein Privileg der höheren Stände gewesen sei. Es war vielmehr eine untergeordnete Angelegenheit, die man gern Dienern überließ. Für Adlige war es keine Schande, nicht schreiben zu können. Man diktierte und ließ vorlesen.
- „Die volkssprachlichen Veröffentlichungen nahmen einen kleinen Raum ein, denn die meisten Schriftsteller bevorzugten noch immer Latein.“
Hier wird die große Verbreitung der deutschen Urkundensprache und der deutschen Fachprosa übersehen. Das Lateinische kam erst später wieder so richtig in Schwung (Humanismus).
- „Entscheidend für die Gleichberechtigung des Deutschen als Schriftsprache neben Hebräisch, Griechisch und Latein wirkte schließlich der Schriftsteller und Reformator Martin Luther.“
Luthers Bedeutung ist nicht gering zu veranschlagen, aber sie liegt mehr in der Vereinheitlichung des Deutschen als in seiner Anerkennung. Und wann eigentlich wären Hebräisch und Griechisch die Konkurrenten des Deutschen als Schriftsprache gewesen?
- „Im 17. Jahrhundert wurde Hieronymus Freyer Wegbereiter einer einheitlichen Schreibweise. Auf ihn geht die Großschreibung zurück.“
Die Großschreibung geht nicht auf Freyer zurück, sondern bahnt sich seit Luthers Spätschriften an und entwickelt sich eigenständig immer konsequenter bis etwa zu Gottsched.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts und erst recht gegen 1901 war die deutsche Rechtschreibung weitgehend vereinheitlicht. Der „Mißstand“ betraf eigentlich nur Kleinigkeiten. 1901/1902 wurde die einheitliche Rechtschreibung nur noch gegen Neuerungssüchtige (vor allem aus der phonetischen Richtung) abgesichert. Dieses Datum wird weit überschätzt.
- „Nun stand noch die Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung aus.“
Das war zwar die fixe Idee einiger Kreise (vor allem Volksschullehrer), aber es ist falsch, hier einen allgemein empfundenen Handlungsbedarf zu rekonstruieren. Die herkömmliche Rechtschreibung funktionierte in Wirklichkeit sehr gut und zur Zufriedenheit fast aller Deutschen, insbesondere der professionell Schreibenden.
- „Künftig wird allerdings für Weiterentwicklungen nicht mehr die Duden-Redaktion maßgebend sein, sondern eine internationale Kommission.“
Die Dudenredaktion hat die Rechtschreibung nicht weiterentwickelt, sondern lediglich festgehalten, was sich bereits entwickelt hatte. Übrigens im Auftrag der KMK. Und sie war zweifellos kompetenter als die Kommission von heute.
- „Von den 212 Rechtschreibregeln für das Deutsche sollen nur noch 112 bestehen bleiben. Von den 52 Kommasetzungsregeln bleiben neun übrig.“
Das ist ganz falsch. Es hat nie 212 Rechtschreibregeln gegeben, sondern 171 Richtlinien (der Rest betrifft gar nicht die Orthographie oder besteht nur aus Zusammenfassungen), unter denen man eine nicht näher bestimmte Zahl von „Regeln“ fand. Die Reform hat die Numerierung geändert, aber die gesamte Darstellung ist sogar umfangreicher als im alten Duden, und man hat die tatsächliche Zahl der Regeln auf weit über 1000 veranschlagt (Prof. Veith, Mainz). Es gab nie 52 Kommaregeln und es gibt jetzt nicht deren 9, sondern es gab und gibt rund 10 DIN-A4-Seiten Kommaregeln, und die neuen haben sich als unlernbar erwiesen, zugleich als sinnstörend und leserfeindlich. (Unter „Die neue Rechtschreibung“ behauptet das Goethe-Institut gar, es seien 57 Regeln auf 9 reduziert worden.) Leider werden diese sachlichen Fehler im Schlußabschnitt noch einmal wiederholt.
- „Grundgedanke ist dabei die Übereinstimmung von einem Wortstamm und allen daraus abgeleiteten Wörtern: belämmert statt belemmert - wegen Lamm; Stängel statt Stengel - wegen Stange; Bändel statt Bendel - wegen Band. Bei zusammengesetzten Wörtern bleiben die Wortstämme künftig vollständig erhalten: Stofffetzen statt Stoffetzen; Tollpatsch statt Tolpatsch.“
Belemmert kommt gar nicht von Lamm, ein kleines Band hieß auch bisher schon Bändel, und Tollpatsch hat mit der Erhaltung des Stammes bei Zusammensetzungen gar nichts zu tun.
- „Von den 12 000 Wörtern des Grundwortschatzes werden 185 anders geschrieben als bislang.“
Auch diese Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen. Von den rund 12.500 Wörtern des amtlichen Wörterverzeichnisses sind 1.032 durch ein Sternchen als Neuschreibungen gekennzeichnet. Dabei ist die neue Silbentrennung noch nicht berücksichtigt. Alle anderen Zählungen, auch an den Wörterbüchern, kamen zu ähnliche Ergebnissen: rund 8 % des Wortschatzes werden geändert, ohne die Silbentrennung, die aber auch nicht einfach übergangen werden kann, zumal die Reformer darauf sehr stolz sind (O-blate, Res-pekt, Sitze-cke usw.)
Fazit: Trotz kritische Akzente stellte sich das Goethe-Institut durch Verbreitung solcher Texte in den Dienst der Reformpropaganda. Man vergleiche auch „Die neue Rechtschreibung“ auf der GI-Homepage sowie vor allem ZV-Info Nr. 14/2000 vom 28. Juli 2000 und Rundschreiben AIZ 689/96. Aus der Rückschau im Jahre 2004 wäre eine ausdrückliche Korrektur und wohl auch ein Wort des Bedauerns über die damalige Naivität und Fahrlässigkeit am Platze.
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"Prüfungs-Unrecht"
von Theodor Ickler
(„Die Welt“ vom 26.7.2000)
Zur Durchsetzung der sogenannten Rechtschreibreform am Goethe-Institut
Daß es mit der Rechtschreibreform überhaupt so weit kommen konnte, liegt am wohlorganisierten Überrumpelungsverfahren der Reformbetreiber. Die Reform wurde bekanntlich am 1. Juli 1996 beschlossen. Einen Tag später lag die Bertelsmann-Rechtschreibung in den Buchläden, und sofort stellten die meisten deutschen Schulen auf die Neuschreibung um, obwohl sie erst über zwei Jahre später in Kraft treten und von da an eine Übergangsfrist bis Mitte 2005 gewährt werden sollte. Das war natürlich nur möglich, weil die Schulbuchverlage einander mit (ebenso schnell wie fehlerhaft) umgestellten Lehrwerken zu übertreffen suchten. Die Kultusminister und das Bundesinnenministerium taten alles, um die vorfristige Einführung mit dem Schein der Endgültigkeit zu versehen. Deshalb wurden auch alle Korrekturen der längst auch von ihren Urhebern als objektiv falsch erkannten Regeln untersagt.
Wenig bekannt ist, daß mit Schreiben der Kultusminister-Konferenz (KMK) vom 4. September 1996 auch die Auslandsschulen ersucht wurden, ab sofort auf die Neuschreibung umzusteigen. Noch wichtiger war aber wohl, daß das Goethe-Institut beschloß, ebenfalls vorfristig mit der Neuschreibung zu beginnen; Zeitschriften und Lehrwerke im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ wurden in Windeseile umgestellt. In einem Papier des Goethe-Instituts hieß es, daß die ab sofort nicht mehr zu unterrichtende bisherige Schreibung zwar noch hinzunehmen sei, jedoch nur für die Übergangszeit. Ab 2005 soll weltweit nur noch nach der Neuschreibung korrigiert werden, zum Beispiel bei der Zentralen Mittelstufen-Prüfung. So steht es jetzt auch in neuen Lehrwerken des Langenscheidt-Verlages.
Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Rechtschreiburteil vom 14.7.1998 unmißverständlich festgestellt, daß außerhalb der Schulen niemand gezwungen werden kann, sich der Neuschreibung anzuschließen. Die bisherige deutsche Orthographie ist wie die Sprache selbst ein gewachsenes Kulturgut und kann niemals durch staatlichen Eingriff „falsch“ werden. So ergibt sich die paradoxe Lage, daß einem deutschlernenden Ausländer verwehrt werden soll, was dem erwachsenen Deutschen erlaubt ist: auch über 2005 hinaus diejenige Schriftsprache zu benutzen, an der fast alle deutschen Schriftsteller und nahezu die gesamte seriöse Literatur festhalten. Ist es schon bedenklich genug, daß das Goethe-Institut diese bewährte und in Milliarden Texten verbreitete Orthographie nicht mehr unterrichtet, so begibt es sich auf gefährlichen Boden, wenn es die vielleicht außerhalb seiner eigenen Sprachkurse erworbenen Sprachfähigkeiten nicht mehr anerkennen, sondern mit Punktabzügen ahnden will. Kann man wirklich einem an Deutschland interessierten Ausländer, der so schreibt wie zum Beispiel der gegenwärtige Bundespräsident und seine Vorgänger, die Befähigung zur deutschen Schriftsprache aberkennen? Ein deshalb durchgefallener Kandidat dürfte die besten Erfolgsaussichten haben, wenn er gegen diese Praktiken vor Gericht zieht.
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Zum Text von Margareta Hauschild (Goethe-Institut) über meinen Beitrag in der „Welt“ vom 26. Juli 2000
Frau Hauschild schreibt:
„Herr Ickler suggeriert in seinem Artikel, dass die Auslandsschulen seit September 1996 generell auf die neue Rechtschreibung umgestellt haben. Dies trifft nicht zu.“
In Wirklichkeit hatte ich geschrieben:
„Wenig bekannt ist, daß mit Schreiben der Kultusminister-Konferenz (KMK) vom 4. September 1996 auch die Auslandsschulen ersucht wurden, ab sofort auf die Neuschreibung umzusteigen.“
Genau so war es; ich gebe hier das betreffende Schreiben der KMK wieder:
„Sekretariat der Ständigen Konferenz
der Kultusminister der Länder
in der Bundesrepublik Deutschland
Bonn, den 4.9.1996
An die
deutschen Auslandsschulen
und die Europäischen Schulen
Betr.: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung
Für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gelten entsprechend dem Beschluß der KMK vom 1.12.1995 folgende allgemeine Fristen:
1. Die Neuregelung tritt am 1. August 1998 in Kraft. Sie ist von diesem Zeitpunkt an dem Unterricht in allen Jahrgangsstufen zugrundezulegen.
2. Bis zum 31. Juli 2005 werden bisherige Schreibweisen nicht als falsch, sondern als überholt gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt.
Für die Umsetzung der Neuregelung an den deutschen Schulen im Ausland gilt im einzelnen:
1. Von Schuljahrsbeginn 1996/97 an wird den Kindern des 1. Schuljahrganges und den Schülern, die mit Deutsch als Fremdsprache beginnen, die neue Schreibweise vermittelt.
2. Innerhalb der Übergangsregelung bis zum 31. Juli 1998 wird den Schulen empfohlen, die neuen Rechtschreibregelungen in allen Fächern auch bereits vor dem Inkraftsetzungsdatum (1.8.1998) einzuführen bzw. anzuwenden, sobald der Fortbildungsstand der Lehrkräfte und die Materiallage dies ermöglichen. Dazu ist nach Beratungen mit den Eltern und den Schülern ein Beschluß der Gesamtkonferenz und die Entscheidung des Schulträgers erforderlich. Unabhängig davon gilt Punkt 1.
3.Es ist in jedem Fall sicherzustellen, daß vom Schuljahr 1996/97 an alle Schulabgänger über die neuen Regeln hinreichend informiert werden.“
Frau Hauschild schreibt:
„Es trifft nicht zu, dass das Goethe-Institut „vorfristig“ mit der Neuschreibung begonnen hat. Ebenso wenig trifft es zu, dass das Goethe-Institut Zeitschriften und Lehrwerke im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ in „Windeseile“ umgestellt hat.“
Meine Antwort: Man kann darüber streiten, was Windeseile ist. Fest steht, daß zum Beispiel die vom GI herausgegebene Zeitschrift „Fremdsprache Deutsch“ bereits ab Heft 1/1997 in Reformorthographie erschien, ebenso das Sonderheft 1996. Noch früher ging es praktisch gar nicht. Ich habe daraufhin die genannte Zeitschrift und später alle anderen Zeitschriften (zuletzt „Deutsch als Fremdsprache“) abbestellt.
Über die Lehrwerke habe ich keinen vollständigen Überblick. Das GI unterrichtet jedoch seit Jahren mit umgestellten Lehrwerken (die natürlich wegen der unterderhand vorgenommenen Änderungen der Reform alle schon wieder überholt sind, abgesehen von einer unglaublichen Fehlerhaftigkeit, über die ich seit Jahren die Verlage eingehend informiere.)
Frau Hauschild schreibt:
„Die Tatsache, dass in Deutschland auch früher unterschiedliche Schreibweisen nebeneinander existiert haben, muss besonders Herrn Ickler als Germanist bekannt sein.“
Der Hinweis auf auch früher schon beobachtbare Varianten (die übrigens erstmals in meinem „Rechtschreibwörterbuch“ zu ihrem vom Duden verweigerten Recht kommen) ist unpassend, denn heute ist eine ganz andere Dimension erreicht: In manchen Lehrwerken sind die authentischen Texte in „alter“ Rechtschreibung und sämtliche Übungen dazu in „neuer“ (zum Beispiel in „Unterwegs“, wo ich es genau untersucht habe). So etwas hat es noch nie gegeben, und es bedarf unter Fremdsprachendidaktikern keiner langen Worte, um das Monströse dieser Situation im Hinblick auf die Einprägung der fremden Sprache vor Augen zu führen. In „Unterwegs zur Vorbereitung auf die ZMP“ steht übrigens folgendes:
„Bitte beachten Sie, dass ab 2003 nach der neuen Rechtschreibung korrigiert wird.“ (S. 6)
Ich hatte über dieses ganze Prüfungsproblem einen interessanten Briefwechsel mit der Prüfungsleiterin des GI, Frau Dr. Frey – bevor ich meinen Beitrag für die „Welt“ schrieb!
Frau Hauschild schreibt:
„Das Urteil vom 14.7.1998 stellt klar, dass die Bundesländer das Recht haben, per Erlass die 1996 beschlossene Reform der Rechtschreibung durchzuführen.“
Ich hatte geschrieben:
„Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Rechtschreiburteil vom 14. Juli 1998 unmißverständlich festgestellt, daß außerhalb der Schulen niemand gezwungen werden kann, sich der Neuschreibung anzuschließen.“
Frau Hauschild unterdrückt gerade die entscheidende Einschränkung auf die Schulen. Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
„Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“ (S. 59)
Die Pointe meines Beitrags in der „Welt“ war gerade, daß jemand, der weiterhin so schreibt, wie er es gewohnt ist und wie der Bundespräsident und alle bedeutenden Schriftsteller es für richtig halten, falsch schreibt und spätestens nach 2005 bei Prüfungen des GI einen Nachteil erleiden soll.
Das Goethe-Institut ist in keiner Weise verpflichtet, die Vorgaben der Kultusminister für die Schulen zu übernehmen.
Frau Hauschild behauptet, ich ginge von der „ganz falschen Prämisse aus, dass die Orthographie für den Spracherwerb zentral ist“.
Wo hätte ich einen solchen Unsinn behauptet oder als Prämisse vorausgesetzt?
Es ist irrelevant, ob Orthographie in Prüfungen des GI eine große oder kleine Rolle spielt. Unbestreitbar geht orthographische Richtigkeit in die Bewertung der Prüfungsleistungen ein.
Es ist irrelevant, ob andere Staaten eine (niemals ganz vergleichbare) Rechtschreibreform durchgeführt haben.
Den ebenso blumigen wie arroganten Schlußteil des Schreibens von Frau Hauschild, die allen Ernstes glaubt, mich über Orthographie belehren müssen, übergehe ich.
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Gezerre um Rechtschreibreform sorgt im Ausland für Verunsicherung
Goethe-Institut bleibt bei Originalfassung der Reform
(ddp) 4.7.2005
München. Das Gezerre um die deutsche Rechtschreibreform stößt bei Lehrern, die Deutsch für Ausländer unterrichten, auf «große Verunsicherung». «Es wirkt ein bisschen komisch im Ausland, dass wir uns nicht einigen können, wie wir unsere Worte schreiben wollen», sagte die Leiterin der Abteilung Sprache am Goethe-Institut, Katharina Ruckteschell, am Montag der Nachrichtenagentur ddp. Das Institut habe daher entschieden, sich an die Originalfassung der Reform zu halten, bis endgültig Klarheit über die strittigen Punkte herrsche.
Ruckteschell sagte weiter, Übergangsregelungen nach dem Motto «das kann man so oder so schreiben» seien für Fremdsprachen-Lehrer schwierig. Lehrkräfte und Schüler müssten sich an klare Regeln halten können. Aber auch der unstrittige Punkt der neuen Regeln, die Schreibung von «ss» nach kurzem Vokal und «ß» nach langem Vokal, sei für Ausländer problematisch. Diese besäßen nicht die phonetischen Kenntnisse zur Unterscheidung. «In slawischen Sprachen zum Beispiel sind Vokale immer kurz», sagte Ruckteschell.
Nach Ansicht der Abteilungsleiterin am Goethe-Institut sind die Schwierigkeiten für Ausländer bei der Rechtschreibreform nicht berücksichtigt worden. Dies sei jedoch vor dem Hintergrund der Europäischen Union und der EU-Erweiterung wünschenswert gewesen. «Schade, dass man sich nicht an das Goethe-Institut gewandt hat», sagte sie. Dennoch sei sie froh, dass es überhaupt eine rege Diskussion über die deutsche Sprache gebe.
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Kommentare zu »Willfährigkeit« |
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.06.2006 um 04.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=518#4245
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Noch ein praktisches Beispiel für die Willfährigkeit des Goethe-Instituts: http://www.goethe.de/dll/prj/www/spr/res/deindex.htm enthält Verweise auf das (nicht mehr unter der angegebenen Adresse liegende) amtliche Regelwerk, einen (nicht mehr existenten) Duden-Crashkurs und auf das „umfassende Informationsangebot“ aus Würzburg.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 01.06.2006 um 20.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=518#4244
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Das Archiv der „Welt“ ist gut sortiert, eine Suche nach „Ickler“ im Monat Juli 2000 liefert neben dem oben zitierten noch folgende Artikel:
25. Juli 2000:
Die deutschen Rechtschreibregeln werden erneut reformiert
Kommission plant tief greifende Änderungsvorschläge - Duden nimmt Teile der Reform zurück - Germanisten sehen gravierende Folgen (gur/DW)
http://www.welt.de/data/2000/07/25/573496.html
Die "wohl durchdachte" Reform stirbt
Die Rechtschreibkommission kehrt stillschweigend zur alten Orthografie zurück - Essay (Th. Ickler)
http://www.welt.de/data/2000/07/25/573444.html
26. Juli 2000:
"Klärung auftretender Zweifelsfälle"
Wissenschaftler, Verlage, Politiker streiten über Änderungen der Rechtschreibreform (D. Guratzsch)
http://www.welt.de/data/2000/07/26/573630.html
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 27.05.2006 um 13.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=518#4193
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Genau, deshalb ist die gerade aktuelle BND-Affaire auch so schlimm (und andere eben nicht)!
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 27.05.2006 um 10.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=518#4190
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In der "Spiegel-Affaire" fragte in einer Diskussion einmal jemand kritisch, ob sich die Medien nicht nur deshalb so fleißig aufregten, weil eben wer von ihnen hier angegriffen worden war. Bei einem Opfer anderer Art wäre wohl nicht so erregt die Machtausübung des Staates öffentlich in Frage gestellt worden. Der Sprecher bekam damals viel Beifall.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.05.2006 um 09.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=518#4188
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Sind die französischen Zeitungen vielleicht nicht so widerwärtig obrigkeitshörig wie die deutschen? Es scheint doch, daß sich in Frankreich kritische Stimmen besser Gehör schaffen können. Gibt es eine vergleichende Untersuchung? (In Deutschland hätte Cohn-Bendit niemals beinahe die Regierung stürzen können.)
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 26.05.2006 um 16.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=518#4177
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"Ein Vorstoß [beim Goethe-Institut] vor ungefähr neun Jahren verlief im Sande, ich habe keine Lust, es noch einmal zu versuchen." (Ickler)
In der Tat ist es so, daß die Goethe-Institutsleute heute herumlaufen und herumreden, als seien sie in vorderster Reihe bei der Repräsentation der deutschen Sprache und Kultur im Ausland und mit ihrer Erfahrung deshalb das Gelbe vom Ei auch in dieser Frage, — wobei bei ihnen jede echte wissenschaftliche Diskussion dieser Rechtschreibfrage aber schnell abgewürgt wird mit Sprüchen wie "Wir schreiben doch nicht so wie die Bild-Zeitung" (direktes Zitat!), und auch anders wird sehr bald sehr klar, daß diese Leute durch ihr Studium von den Prinzipien zur Verschriftung des Deutschen keine Ahnung mitbekommen haben, daß sie aber das Beamtenvokabular hierzu bestens beherrschen. Wes Brot sie essen, des Lied sie singen, — und derart vermitteln sie halt auch einige deutsche Kultur im Ausland. ("So innerlich fremd wie die Demokratie ist den Deutschen auch die bürgerliche Freiheit als höchstes politisches Gut geblieben." kratzbaum) Ein trauriger Fall fürwahr.
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