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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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31.03.2006
 

Auszusondern
Wird nun wieder eine große Buchvernichtungsaktion einsetzen?

Die Änderungen sind gravierend genug. Wir erinnern uns, wie viele Leihbüchereien, von den Schulen ganz zu schweigen, seinerzeit tadellose Bücher verschenkten oder wegwarfen, weil die klassische Rechtschreibung den jungen Menschen nicht mehr zuzumuten war.
Inzwischen könnte man zu der Auffassung gekommen sein, daß angesichts des allgemeinen orthographischen Wirrwarrs mehr "Toleranz" geboten sei. Die FAZ scheint ja auch zu meinen, daß eine Hausorthographie den jungen Lesern nicht schaden werde. Manche Reformer haben das Durcheinander von vornherein mit dem Argument begrüßt, daß man daran gerade die Wandelbarkeit der Sprache erkennen könne. Meiner Ansicht nach kann man daran etwas ganz anderes erkennen.
Auszusondern sind sämtliche Rechtschreibwörterbücher und die Unmasse der daran hängenden didaktischen Literatur. An sich ein gutes Geschäft für den Dudenverlag (die anderen japsen nur noch hinterher, außer Bertelsmann wird ihnen wohl die Luft ausgehen), aber der zusätzliche Umsatz dürfte aufgezehrt werden durch den Mehraufwand für Redaktion und Werbung. Der letzte Duden liegt zwei Jahre zurück, der letzten Wahrig noch nicht einmal ein Jahr. Und Zehetmair hat immerhin angedeutet, daß weitere Änderungen nicht auszuschließen sind. Sie werden dann natürlich jedesmal "endgültig" sein, aber die Öffentlichkeit wird das zu interpretieren wissen.
An den Schulen dürften eigentlich ab 1. August 2007 keine "alten" Rechtschreibmaterialien mehr geduldet werden. Welche anderen Anschaffungen wird man zurückstellen? Immerhin hilft dem Staat das von der Schulbuchlobby durchgesetzte "Büchergeld" aus der Patsche, die von der Lobby angestrebte vollständige Abschaffung der Lernmittelfreiheit wäre jetzt noch erwünschter und wird kommen. Die leeren Kassen werden aber vielleicht doch die vergleichsweise bescheidene Summe hergeben, die Eisenberg und Zehetmair fordern, um dem Rat für deutsche Rechtschreibung die Rolle zu verschaffen, die bisher der Dudenverlag hatte, so sonderbar diese Vorstellung im Augenblick auch anmutet.



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Kommentare zu »Auszusondern«
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 01.04.2006 um 02.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3609

Herr Nies: "Dort müsste es - konsequent in vorreformerischer Denke - eigentlich daranhängenden statt daran hängenden heißen."

Das ist nicht richtig. Kaum jemand hat vor der Reform in dieser Weise "konsequent gedacht". Wenn überhaupt, dann haben nach der Reform alle möglichen Schreiber sich angestrengt, konsequent abstrakte Regeln anzuwenden, um die vermeintlich richtige Schreibweise zu ermitteln. Richtiger wäre also ein Ausdruck wie "konsequent nach Duden vor der Reform". Aber das trifft ebenfalls die Sache nicht, denn auch nach Duden war die Unterscheidung von wörtlicher und übertragener Bedeutung nur eines von mehreren Kriterien, die solche Schreibungen bestimmten. Hier vor allem auch die Betonung, und diese hat in der Schreibwirklichkeit, wo das Denken oder vielmehr die intuitive Entscheidung tatsächlich stattfand (anders als beim Duden), in aller Regel bereits den Ausschlag gegeben. Das hat Glasreiniger bereits richtiggestellt.

Überhaupt kommt mir der Beitrag von Herrn Nies konstruiert vor. Daß er erst nach zehn Jahren erkannt haben will, daß die neue Schreibung nichts taugt, kann ich nicht glauben.

Also, man sollte nicht irgendeinen speziellen Duden-Krampf herauspicken, ihn verabsolutieren und dann auch noch mit dem "vorreformatorischen Denken" gleichsetzen, um dann dramatisch ein Schreibproblem daraus ableiten zu können. Viel interessanter ist doch das Thema des Tagebucheintrags: Wird nun wieder eine große Buchvernichtungsaktion einsetzen? Ich meine: Natürlich werden abermals alle möglichen Bücher ausgesondert, vor allem Rechtschreibmaterialien. An allen möglichen Schulen, vielleicht auch in Bibliotheken, nicht zu vergessen auch viele einzelne Haushalte und Büros. Im Einzelfall wird das nicht als großartige Aktion ablaufen, aber insgesamt handelt es sich natürlich um eine neue große Vernichtungsaktion, auch wenn sich viele dessen nicht bewußt sind.

Unternehmen wie Duden und Bertelsmann werden das realistischer sehen und sich über die Vernichtungsaktionen freuen. Der Vorgang ist vergleichbar mit einer Serie von Rückholaktionen (bekannt vor allem bei Kraftfahrzeugen), die jeweils von den Kunden bezahlt werden müssen. Sehr einträglich für die Industrie, die sich nur bemühen muß, mit der Nachlieferung korrigierter Modelle noch nachzukommen und mit den rasant sich ändernden "Technologien" (Regelwerken) Schritt zu halten.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 01.04.2006 um 01.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3607

"Sprachsemantische Feinheiten". Ich lasse mich gerne belehren: Wo, bitte, gibt es nichtsprachliche semantische Feinheiten? Einem Schreiber, der sich für dergleichen in "keinster Weise" interessiert, sehe ich die Eselei ja nach. Aber das ist noch kein Grund, sich auf eine Diskussion mit ihm einzulassen.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 01.04.2006 um 00.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3606

Ich meine ja nur, die Sache ist betrüblich und schlimm genug. Wenn man sie aber durch Übertreibungen in apokalyptische Dimensionen emporklagt, die sie nun auch wieder nicht hat, machen wir uns den Umgang mit dem Problem nicht leichter. Das 19. Jahrhundert zeichnete sich ja mit der Orthographie, die jetzt in großen Teilen wieder praktiziert werden soll, nicht gerade durch Sprach- oder Gedankenarmut aus.
Jetzt kommt es darauf an, daß wir, die Sprachgemeinschaft, das leisten, was alle staatlichen Institutionen nicht geschafft haben und kaum aus eigener Kraft jemals schaffen werden, nämlich für eine Wiederherstellung einer den Anforderungen unserer Sprache angemessene Orthographie zu sorgen. Wie die aussehen wird eines Tages, ist in der heutigen verworrenen Situation sicherlich nicht vorhersehbar. Aber Unhaltbares hat nun einmal die Eigenschaft, unhaltbar zu sein. Der sprachlichen Eigendynamik werden sich auf Dauer weder staatliche Sprachinstitutionen noch Schulen widersetzen können. Die Eiertänze des Rechtschreibrates brachten zwar nur Halbherzigkeiten und neuen Unsinn hervor, aber die Richtung war doch deutlich - zum Bewährten.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 31.03.2006 um 23.50 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3604

Ich kann den Optimismus von Herrn Lachenmann leider nicht ganz teilen.
Das Sprachgefühl bildet sich in der Tat von selbst - aber in erster Linie an der gesprochenen Sprache. Die Wiederspiegelung der mündlichen Ausdrucksmöglichkeiten in der Schriftsprache beruht dagegen auf Konvention, die erlernt werden muß. Ich befürchte, es wird schwer werden, den angerichteten Schaden wieder gutzumachen, vor allem das gewaltsame Auseinanderreißen von Worten durch die Rechtschreibreform. Die Praxis ging ja vielfach durch Übergeneralisierung noch weit über die Reform hinaus. Daß die Änderungen durch den Rechtschreibrat wieder mehr Zusammenschreibung erlauben, wird daran - fürchte ich - nicht viel ändern. Es kommt hinzu, daß die Rechtschreibkorrektur der Textprogramme systembedingt die Getrenntschreibung bevorzugt.

Angesichts des gewaltigen Drucks auf die Kinder- und Jugendbuchverlage, die "Reform" umzusetzen, ist zu befürchten, daß unsere Kinder und Enkelkinder erst in fortgeschrittenem Alter zu "vielem Lesen guter Bücher" kommen werden. Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät.

Entscheidend wird es darauf ankommen, wie die Wörterbücher und die Schul-, Kinder- und Jugendbuchverlage die durch die Unklarheiten und die zahlreichen Varianten der reformierten Reform geschaffenen Freiräume nutzen. Man kann nur hoffen (sicher bin ich mir nicht), daß sie systematisch im Zweifelsfall die herkömmliche Schreibweisen bevorzugen. Darauf hinzuwirken(,?) sollte daher vorerst unser Hauptziel sein, und nicht das - noch so berechtigte - Wehklagen über die vergossene Milch.

Zu Herrn Glasreiniger:
Bei der Getrenntschreibung von "daran hängen" würde ich - insbesondere bei der Formulierung von Prof. Ickler - dazu neigen, den Hauptton auf die erste Silbe zu legen.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 31.03.2006 um 23.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3603

Lieber Herr Nies,

zum Thema "daranhängen"/"daran hängen" scheint mir das Notwendige gesagt worden zu sein.

Mit Ihrer übrigen Argumentation habe ich, wie Sie sich vielleicht denken können, erhebliche Schwierigkeiten. Alleine die Verwendung des Wortes "Versagensrisiko" bereitet mir Bauchschmerzen. Wenn die "Richtigkeit" einer Schreibweise in einer gegebenen Situation nur schwer zu bestimmen ist, wie kann man denn dann von "Versagen" reden? Doch wohl nur, wenn man klassischen Duden-Fetischismus betreibt, der auf diesen Seiten wohl ebenso abgelehnt wird wie die Reformschreibung.

Erst recht befremdlich erscheint mir Ihre Einstellung zur Reformschreibung. Einerseits haben Sie eingesehen, daß "sie nichts taugt". Wenn etwas nichts taugt, verwendet man es nicht, ob es sich um ein Handbuch, ein Werkzeug oder eine Software handelt. Nur im Falle der Reformschreibung scheinen viele der Meinung zu sein, man müsse sie verwenden, obwohl sie minderwertig ist, in ihrem Fall sogar mit "geballten Fäusten in der Tasche". Das ist doch absurd!

Und wenn Sie als Begründung angeben, nicht zu den "Ewiggestrigen" (ewig Gestrigen?) gehören zu wollen, dann legitimieren Sie auf diese Weise erst recht die faulen Tricks der Reformbetreiber, die ihrem orthographischen Rückschritt ins 19. Jahrhundert so gerne das Mäntelchen der Modernität umhängen. Das erinnert fatal an die Verhaltensweisen von Menschen in totalitären Regimen, die auf Grund obrigkeitlich erzeugten Druckes, wenn auch "mit geballter Faust", Abstand von dem Regime mißliebigen Personen nehmen, auch wenn es sich dabei um Freunde oder Verwandte handelt.

Und so unähnlich sind die Mechanismen auch nicht. Die Rechtschreibreform wurde von Personen ins Werk gesetzt, deren Verhältnis zur geschriebenen Sprache rein technokratischer Natur ist; die deren Eigengesetzlichkeit, deren Ästhetik und die emotionale Bindung vieler Menschen daran in keinster Weise nachvollziehen können. Es ist der gleiche Menschenschlag, der Denkmal- oder Landschaftsschutz für überflüssig hält, der am liebsten historische Gebäude zugunsten "moderner", funktionaler Gebäude abreißen lassen möchte, der Alleen als unzweckmäßig ansieht oder die Trockenlegung von biologisch höchst bedeutsamen Feuchtgebieten befürwortet, um dort Gewerbegebiete auszuweisen. In all diesen genannten Fällen sind entschieden vertretene Gegenpositionen unverzichtbar, es sei denn, man hält eine Schriftsprache, die diesen Namen auch verdient, für ebenso verzichtbar wie schöne Altstädte oder intakte Ökosysteme. Und wie im Fall des Kampfes gegen die Abrißbirnen oder die Bagger in Biotopen wird es nicht sehr lange dauern, bis auch die Politik den Widerständlern dankbar ist, weil diese sie davor bewahrt hat, nicht wiedergutzumachende Fehler zu begehn. Welcher Politiker läßt sich nicht gerne vor einem restaurierten Altbau oder bei der Eröffnung eines Naherholungsgebietes fotografieren?

Der langen Rede kurzer Sinn: Ihre Verantwortung gegenüber Ihrem Sohn besteht darin, den Unfug nicht, und erst recht nicht mit geballter Faust (das ist ungesund!), mitzumachen. Er wird es Ihnen eines Tages danken, genauso wie er den Denkmal- und Naturschützern für ihre Standhaftigkeit danken wird.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 31.03.2006 um 21.55 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3601

Sprachgefühl kann man auch nicht verhindern. Es bildet sich von selbst, u.a. im Umgang mit Menschen, die sowohl inhaltlich als auch formal mit Sprache ordentlich umgehen, am besten fängt das bei heranwachsenden Kindern bei vielem Lesen guter Bücher und in den Gesprächen schon in der Familie an. Da muß man sich um Herrn Nies‘ Sohn wohl keine Sorgen machen. Was die durch die Reform bedrohte Ausdrucksvielfalt der schriftlichen Sprache betrifft, so hat die Diskussion auf unseren Seiten deutlich gezeigt, daß von den Möglichkeiten der herkömmlichen Rechtschreibung, eine Aussage durch die eine oder andere orthographische Behandlung zu nuancieren oder gar zu präzisieren, schon immer sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht wurde. In einigen Fällen scheinen Übereinkünfte zu bestehen, in andern nicht, in vielen Fällen ist ein Bedeutungsunterschied überhaupt nicht gegeben oder wird nicht eindeutig wahrgenommen. Sofern solche Nuancierungen sinnvoll sind und funktionieren, werden sie sich auch nach der Beschädigung der Orthographie durch die Reform wieder herausbilden. Es ist durch die Reform ein großer Schaden angerichtet worden, aber nichts ist unwiederbringlich verloren gegangen (oder verlorengegangen? Ist mir ein zu langes Wort, nicht leserfreundlich, für mich ein Argument für die Auseinanderschreibung). Die Sprachentwicklung ist eben um ca. 100 Jahre zurückgeworfen worden und muß den ganzen bereits zurückgelegten Weg wieder von dort aus neu beginnen - das Spiel heißt bekanntlich „Mensch ärgere dich nicht“ - keiner verliert es gern.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 31.03.2006 um 20.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3600

Es scheint mir nicht richtig, daß die Unterscheidung zwischen den Schreibungen "daran hängenden" und "daranhängenden" großes Interesse an Feinheiten oder komplizierte Überlegungen voraussetzt. Wer einen solchen Satz sprechend zum Ausdruck bringen kann, entscheidet sich ja auch spontan zwischen den möglichen Betonungen dieser Phrase (2. oder 3. Silbe mit Hauptton).
 
 

Kommentar von Mika Sander, verfaßt am 31.03.2006 um 20.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3599

Lieber Herr Nies,

verzeihen Sie einen kleinen Widerspruch: Der Autor des obigen Artikels ist - soweit ich das überschaue - recht immun gegen die Rechtschreibreform, und es erscheint mir nicht sehr wahrscheinlich, daß sie bereits unkorrigierbare Spuren an ihm hinterlassen hat. Es handelt sich meines Wissens durchaus um einen an sprachsemantischen Feinheiten überdurchschnittlich interessierten Schreiber, der die Herausforderung solcher komplizierten Überlegungen, wie Sie sie anstellen und wie sie ihm bei der Niederschrift seiner Gedanken abverlangt werden, einigermaßen zu meistern versteht.

Sie hingegen werden auch im Rahmen vorreformerischer Denke nicht so leicht ein Prinzip nachweisen können, das bei figurativer Verwendung zwingend Zusammenschreibung erheischt. Ein kleiner Google-Suchtest ergibt z. B. 70 Fundstellen für die Schreibung "daranhängend" und 108 000 für "daran hängend" - auch bei großzügiger Bereinigung der Ergebnisse scheint die Sprachgemeinschaft demnach eher nicht zu "daranhängend" zu tendieren. Selbstverständlich ist die Zusammenschreibung möglich - nur eben nicht üblich. Sie haben hier die Regel R 205 im vorreformerischen Duden wohl etwas allzu kühn überinterpretiert: "... schreibt man in der Regel dann zusammen, wenn durch die Verbindung ein NEUER BEGRIFF entsteht, den die bloße Nebeneinanderstellung nicht ausdrückt" - davon kann bei diesem Beispiel natürlich keine Rede sein: Zwischen "daranhängend" und "daran hängend" eine radikal neue, unterschiedliche Begrifflichkeit auszumachen, dürfte einigermaßen schwerfallen. Sie verwechseln das wohl mit Schreibungen wie "darangeben, daransetzen, daranmachen", etc..

Sehr ungewöhnlich erscheint mir allerdings der Widerspruch, in dem Sie leben: Wenn Sie die Reform (richtigerweise) als unausgegoren bewerten und feststellen, daß sie nichts taugt, ist mir unverständlich, warum Sie ihr "mit geballten Fäusten in der Tasche und ständig unterdrücktem Aufbegehren" dennoch Vorschub leisten. Wenn Sie das Richtige erkannt haben, warum unterstützen Sie dann das Falsche? Damit Ihr Sohn Sie nicht für einen "Ewiggestrigen" hält? Verzeihen Sie - Sie werden den Sprachverstand Ihres Sohnes wesentlich besser fördern können, wenn Sie ihm als Vorbild die bessere Orthographie vorexerzieren. Wenn Sie sich aber freiwillig der Reform anpassen und sie damit fördern, so ist das eine Entscheidung, die das Bild von den zusammengeballten Fäuste in der Tasche ein klein wenig - verzeihen Sie den Ausdruck - lächerlich erscheinen läßt: Schließlich zwingt Sie ja niemand.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 31.03.2006 um 18.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3597

Esszett – sind Sie sicher? Und daß Ihr Sohn sich nicht wird wehren können – Josephine Ahrens konnte es, warum nicht auch Ihr Sohn?
 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 31.03.2006 um 17.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3595

Lieber Herr Nies,
Sprachgefühl kann man nicht vermitteln. Es bildet sich von selbst, nämlich im kontinuierlichen Umgang mit Sprachlogischem und Konsistentem. Ihr Sohn wird, wie alle Kinder, niemals in den Genuß kommen, ein Sprachgefühl entwickeln zu können. Die Konfrontation mit einer Nichtorthographie, in die sich die "Reformschreibung" aufgelöst hat, erzeugt durch ihre unzähligen Varianten Unsicherheit und Frustration. Daran ändern auch Ihre ehrenwerten Vorsätze nichts.
Es gibt Bereiche im Leben, wo auch Gehorsam zu nichts führt.
 
 

Kommentar von Rainer Nies, verfaßt am 31.03.2006 um 17.19 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=476#3593

Wie an der fleißigen Verwendung von daß mit Esszett zu erkennen ist, hängt der Autor des Artikels der alten Rechtschreibung (der von vor 1998) an. So weit, so gut. Wie stark (und ich fürchte: wie unkorrigierbar) die seit 10 Jahren auf uns einwirkende Rechtschreibreform bereits ihre Spuren hinterlassen hat, wird in der ersten Zeile des zweiten Absatzes deutlich. Dort müsste es - konsequent in vorreformerischer Denke - eigentlich daranhängenden statt daran hängenden heißen. Warum? Weil das Objekt, die didaktische Literatur, nicht an einem physisch vorhandenen Faden an den Rechtschreibwörterbüchern hängt, sondern nur bildlich gesprochen ("figurativ"), also im übertragenen Sinne von diesen Büchern "abhängt". Gemeint ist ja: Die didaktische Literatur ist keineswegs an den Wörterbüchern aufgehängt, sondern benötigt eine Umarbeitung, wenn sich der Gegenstand, auf den sie sich bezieht, verändert.

Ich gebe allerdings zu: Für den normalen, an sprachsemantischen Feinheiten in keinster Weise interessierten Schreiber sind solche komplizierten Überlegungen, die von ihm bei der Niederschrift seiner Gedanken verlangt werden, eine große Herausforderung und tragen stets ein hohes Versagensrisiko in sich (etwa 50 %). Leider macht uns hier die Rechtschreibreform wegen ihrer vielen, neuen Widersprüchlichkeiten und nur vermeintlichen Vereinfachungen das Leben nicht leichter. Heute, nachdem ich mich 10 Jahre auf das Fleißigste (neue Schreibung) mit der neuen Schreibung abgemüht habe, muss ich erkennen, dass sie nichts taugt. Und dennnoch: Mit geballten Fäusten in der Tasche und ständig unterdrücktem Aufbegehren gegen offensichtlich Unausgegorenes werde ich auch der beschlossenen Reform der Reform folgen. Schließlich will ich nicht zu den Ewiggestrigen gehören, wenn mein Sohn in die Schule kommt und sich nicht wehren kann gegen die Regeln, die ihm dort beigebracht werden. Vielmehr werde ich ihm zu gegebener Zeit Sprachgefühl ganz unabhängig von der gerade herrschenden Reform der Reform der Reform zu vermitteln versuchen, damit er seinen Verstand schärft.
 
 

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