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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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28.03.2006
 

Aufruf
Kinderbuchautoren werden von Verlagen schon lange unter Druck gesetzt

Neuerdings hört man aber auch von Zwang bei Texten, die gar nicht für Kinder oder für die Schule gedacht sind.
So wird berichtet, daß Verlage wie Fischer, Rowohlt und dtv Druck auf ihre Autoren ausüben, Texte nur noch in Reformschreibung einzureichen bzw. deren Konvertierung zuzustimmen. Nur sehr namhafte Autoren können sich noch ein Weilchen dagegen wehren.
Wer ähnliches erlebt oder davon gehört hat, möge sich melden, eine Dokumentation ist dringend erforderlich. Vertraulichkeit und Anonymisierung werden auf Wunsch zugesichert.



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Kommentare zu »Aufruf«
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Kommentar von Jürgen Langhans, verfaßt am 28.03.2006 um 10.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3525

Rowohlt? Das verstehe ich nicht: Rowohlt hat sich doch der Initiative des Deutschen Elternvereins für gutes Schreiben etc. angeschlossen.

 
 

Kommentar von Lukas Berlinger, verfaßt am 28.03.2006 um 11.10 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3526

Es herrschen zum Teil sehr eigenartige Einschätzungen bei Buchverlagen. So bekannte jüngst eine Dame des Rohwohlt-Verlags mir gegenüber, die reformierte Rechtschreibung sei bei Schulen ja "Gesetz". Auf meine Frage, welches "Gesetz" denn, es sei ja nicht einmal eine Verordnung, bekam ich keine Antwort mehr.

Will sagen: Den Verlagen fehlt nicht nur der Mut zur bewährten oder wenigstens zur vernünftigen und nicht sinnentstellenden Rechtschreibung, es fehlt vielfach auch das Wissen.

Die besten Indikatoren über die Qualität eines Buches sind übrigens die Klappentexte. Diese werden ja meist von den Lektoren höchstselbst geschrieben und geben somit unfreiwillig Auskunft über deren Sprachkompetenz. Sind Klappentexte schlecht, kann man davon ausgehen, dass mögliche Fehler und Schludrigkeiten des Autors nicht korrigiert worden sind und sich eins zu eins im Buch wiederfinden.

Meine Beobachtung: Jeder dritte, wenn nicht gar jeder zweite Klappentext enthält Kommafehler, und in schätzungsweise jedem dritten Klappentext finden sich falsche Konjunktive.

Gute Korrektoren, die es zuhauf gibt, sind ja soooo teuer. So schaufelt sich die Buchindustrie ihr eigenes Grab.

 
 

Kommentar von Konrad Schultz, verfaßt am 28.03.2006 um 17.02 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3532

Ob nun ein Gesetz oder ein ministerieller Erlaß die Rechtschreibung in den Schulen regelt, ist für den juristischen Laien ziemlich gleichgültig, hat es für ihn auch etwa die gleichen Konsequenzen. Das ökonomische Ergebnis für den Buchproduzenten ist allemal wichtiger. Auch das Wirken von Seilschaften ist, auch über die Ökonomie, wohl wichtiger als ein formaler Erlaß.

 
 

Kommentar von Lukas Berlinger, verfaßt am 28.03.2006 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3534

Ich bezweifle das positive ökonomische Ergebnis. Ich denke, die Verlage – Schulbuchverlage ausgenommen – tun sich mit ihrem vorauseilenden Gehorsam keinen Gefallen. Wer den Lesegenuss sucht, belastet sich nicht mit fehlerhaften Texten, sucht sich nicht die Satzteile selbst zusammen und akzeptiert auch keine sinnentstellenden Schreibweisen. Der lässt den Kauf eben sein. Und diese Gruppe ist ein nicht zu vernachlässigender Prozentsatz der Verlagskundschaft. Die Verlage schießen ein Eigentor und merken es nicht einmal.

 
 

Kommentar von Karin Pfeiffer-Stolz, verfaßt am 28.03.2006 um 20.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3535

Lukas Berlinger: Ganz meine Meinung.
Aber weil die Folgen heute noch nicht spürbar sind (das dauert), glaubt man weitermachen zu können. Dabei ist noch nicht einmal böser Wille im Spiel, sondern nur grenzenlose Naivität und der Drang, gehorsam sein zu wollen, dabei sein zu wollen, Nestwärme zu fühlen. Das kann man sogar nachvollziehen, aber es erklärt, weshalb auch bei Publikumsverlagen die unsägliche Orthographie Fuß faßt – Schulbuchverlage haben ja nun wirklich keine Wahl.
Gerade lese ich die Tagebücher von Victor Klemperer, dem jüdischen Professor, dessen Karriere und Privatleben mit der Machtergreifung Hitlers schrittweise zerstört wurde.
Er berichtet über die Tage im Juli 1933:
»Die letzten Semestertage brachten der TH noch den Geßlerhut: Zwang zum "Hitlergruß". Zwang nur innerhalb der "Dienststelle". Bloß: "Es wird erwartet, daß man den Gruß auch sonst anwende, um sich nicht dem Verdacht staatsfeindlicher Gesinnung auszusetzen!" Bisher grüßten mich kleine Beamte und Kollegen mit Kopfnicken wie sonst, und ich erwiderte ebenso. Auf Kanzleien aber sah ich die Angestellgen untereinander immerfort die Hand heben. Und Fräulein Mey erzählte uns, daß man es strikt durchführe.«

Vorauseilender Gehorsam, Planübererfüllung, damals wie heute. So ist das. Und die das tun, wissen nicht, was sie tun, auch: damals wie heute. Man kann aus der Geschichte so viel lernen, wenn man will. Aber Lernen ist anstrengend. Und es zwingt zu Verzicht und Alleinsein.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.03.2006 um 22.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3536

Es scheint nicht nur vorauseilender Obrigkeitsgehorsam zu sein, sondern auch "Umgebungsdruck", der Nichtanpassungswillige zu verspotteten Außenseitern macht. Das auszuhalten erfordert Charakterstärke, die man sich erst antrainieren muß.

 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 28.03.2006 um 23.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3537

Rowohlt hat sich der Initiative des Deutschen Elternvereins angeschlossen?

Ja, das schon, aber nicht etwa der Rowohlt-Verlag, sondern Harry Rowohlt, und das ist ein Unterschied.

Klar – der Mann kommt schon aus der Familie, aber seine Anteile hat er längst verkauft. Wer die Gelegenheit hat, Harry Rowohlt bei einer Lesung zu erleben – Pardon! gemeint ist natürlich ein "Besäufnis mit Betonung" (O-Ton H.R.) –, sollte das unbedingt tun. Eine Lesung von Harry Rowohlt ist immer wieder ein ganz außergewöhnliches Erlebnis. Wer die Gelegenheit noch nicht hatte, kann sich immerhin einen Teil der Atmosphäre eines solchen Abends kaufen, als Audio-CD "Der Paganini der Abschweifung". In aller Regel nimmt Harry Rowohlt die Frage eines neugierigen Besuchers vorweg, er mag sie nämlich überhaupt nicht: "Haben Sie eigentlich etwas mit dem Rowohlt-Verlag zu tun?" "Hatte ich mal, habe ich aber nicht mehr. So, und jetzt Schluß damit!"

 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 29.03.2006 um 10.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3540

Ich hatte noch nicht das Vergnügen. H. Rowohlt zu erleben, habe mir aber zwei seiner Aussprüche gemerkt:

1. Alkohol, mäßig genossen, ist auch in größeren Mengen nicht schädlich.

2. Als in Berlin eine Straße in Axel-Springer-Straße umbenannt werde sollte, meinte H.R., dann solle man Unter den Linden in Unter den Axeln umtaufen.

 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 29.03.2006 um 12.43 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3541

Harry Rowohlt war vorletzte Woche in der Nähe von Kiel. Er brillierte laut Kieler Nachrichten v. 20. 3. mit einem „Wortfeuerwerk bis weit nach Mitternacht“. Auf Anstoß eines Zuhörers hin soll er eine halbe Stunde lang über die „Rechtschreibreform“ hergezogen sein. Davon stand im Zeitungsbericht natürlich kein Wort.

 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 29.03.2006 um 23.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3543

Die Autoren technischer oder naturwissenschaftlicher Bücher gelten nicht als Schriftsteller und haben noch weniger Chancen, über die Rechtschreibung zu bestimmen, außer vielleicht als Nobelpreisträger. Deshalb findet man immer häufiger derartige Fachbücher in schrecklicher Rechtschreibung.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 31.03.2006 um 02.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3573

Ich glaube, wir hätten vorrangig versuchen müssen, die "neue" Rechtschreibung durchgehend (und zutreffend) als Rechtschreibung des 19. Jahrhunderts oder als altmodische Rechtschreibung zu bezeichnen. Daß niemand sich vorwerfen lassen will, er hänge an etwas Veraltetem, kann man nachvollziehen.

Eben deshalb wäre es notwendig gewesen, die von uns bevorzugte Rechtschreibung des 20. Jahrhunderts als die moderne Art zu schreiben zu bezeichnen. Auf der Grundlage dieser Richtigstellung wird man jeden verstehen können, der das Ansinnen von sich weist, sich etwas sehr Altmodisches aufnötigen zu lassen, ob nun bei einem Roman oder einem Sachbuch oder einem Kinderbuch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.03.2006 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3574

Die Unmenge von Schul- und Kinderbüchern, die seit 1996 in reformierter Schreibweise gedruckt wurde, ist schon jetzt großenteils überholt, wird aber ab 2007 zu einer Gefahr für die Kinder. Sie dürfen ja auf keinen Fall so schreiben, wie sie es dort lesen, sonst wird ihnen ein Fehler angerechnet. Das ist es, was hinter der bejubelten Wiederherstellung einheitlicher Regeln für ganz Deutschland steckt. Die deutschen Zeitungen stellen diese wiedergewonnene Einheitlichkeit sonderbarerweise als große Errungenschaft und als Hauptziel der jüngsten Beschlüsse heraus. Die schlechte Qualität dieser Einheitsregelung zu kritisieren, überlassen sie uns ewigen Nörglern.
 
 

Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 31.03.2006 um 09.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3575

Sprachgefühl hat man, Herr Wrase, oder man hat es nicht. Für Sie und mich sind Schreibungen wie etwa "hier zu Lande (Wasser oder Luft)" Monstrositäten, die einem die Lust am Lesen vergällen. Wer Wert auf Präzision des Ausdrucks legt, sich gut überlegt, ob er ein "sogenannt" getrennt oder zusammen schreibt, weil das für ihn den Sinn des Textes ändert, der muß auf solche Dinge achten und Wert legen. Man sollte aber nicht verkennen, daß das nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung gilt. Vielen, vielen ist das schlichtweg egal.

Da steht an der Tür des Vodafone-"Shops": "Kaufen Sie neue Akkus! Wir entsorgen ihre Alten."

Selbst der "Zwiebelfisch", der sich selbst wohl als Sprachgewissen der Nation sieht, hat ganz offensichtlich kein Problem damit, einen Satz wie "Mögen Sie lieber halbe Sachen als Ganze?" in seiner Seite "http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,403601,00.html" unkorrigiert stehenzulassen. Einem Wustmann oder Engel wäre ein solcher Fehler wohl nicht passiert, und wenn ausnahmsweise doch, hätten sie einen sachdienlichen Hinweis sicherlich nicht übergangen. Der Zwiebelfisch aber hält lieber in irgendwelchen "Arenen" größte Deutschstunden ab.

Das aber ist die Stimmung im Land: "Es ist doch egal, ob etwas ganz stimmt oder nur fast ganz." Das gilt nicht nur für Sprache, das gilt generell: "99,5% Ihres Daches sind schließlich dicht, das ist doch ein guter Wert. Wollen Sie wirklich Ärger wegen dem halben Prozent Undichtigkeit machen?" Wer darauf wider Erwarten "ja" sagt, gilt (im besten Fall) als Pedant, eher aber als lästiger Nörgler.

Ich muß mir den beschriebenen Schuh (Schu?) übrigens nicht anziehen, tue ich doch mit Wortgruppen wie "hier zu Internet" oder "hier zu Stadt" das Meine dazu, daß der, der erkennen will und kann, erkennt. Ob es denn hilft?
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 31.03.2006 um 09.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=471#3576

Seid einig, einig, einig!

Ich denke, die Zeitungen, die jetzt die wiedergewonnene Einheitlichkeit der Schulschreibung feiern, wollten und mußten einfach irgend etwas Positives finden. Da war es am einfachsten und billigsten, einfach die KMK- und Zehetmair-Sprachregelung zu befolgen. Außerdem hat man das gute Gefühl, brav und staatstragend mit im Boot zu seitzen. Die reformierte Schreibung wird ja schon seit ihren Anfängen kaum einmal deshalb verteidigt, weil sie gut wäre. Erst sollte sie leichter und leichter erlernbar als die bewährte sein. Das glauben inzwischen nicht einmal mehr ihre Verfechter und Durchpeitscher. Jetzt bleibt eben nur noch der wahrhaft klägliche Trost, daß an allen deutschen Schulen in Zukunft wenigstens das gleiche falsche Deutsch, der gleiche Mist unterrichtet wird. Wird man das später einmal jemandem begreiflich machen können? - Hinzu kommt, daß in unserer konfliktscheuen Gesellschaft Konsens und das Leugnen von (unauflösbaren) Gegensätzen sowieso einen Wert an sich darstellen. Aber irgendwann einmal wird man sich der Wirklichkeit stellen müssen, da nützt dann alle Gesundbeterei nichts mehr.
 
 

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