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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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20.02.2006
 

Aus der ZEIT
Verletzung geltender Gesetze?

Die ZEIT feierte ihren Sechzigsten mit einem Tag der offenen Tür.
Dabei verblüffte Chefredakteur di Lorenzo die versammelten Gäste mit der Behauptung, die orthographisch widerspenstigen Medien verletzten geltende Gesetze. In meinem neuen Buch werden weitere derartige Fälle angeführt, sie liegen aber schon einige Zeit zurück. Daß jemand noch heute solche Irrtümer verbreiten kann, läßt einen nachdenklich werden. Die ZEIT glaubt, mit Rücksicht auf die Schüler (und wohl auch Lehrer, denn die lesen ja die ZEIT besonders gern) an der ZEIT-Schreibung festhalten zu müssen, auch wenn sie den meisten Redakteuren nicht gefällt. Aber nichts ist verwirrender als eine halbe Umsetzung. Also worauf warten Sie noch, Herr Chefredakteur?

Übrigens ist mir aus erster Hand bekannt, daß man bei GEO die Reformschreibung schon immer verabscheut und im Rahmen des (von G&J) Erlaubten vermieden hat. Beim Blick in das Märzheft sehe ich, daß man nun auch wieder "wohligwarm", "tut mir leid" und "diensthabende Ärztin" schreibt. An "so genannt" wird noch festgehalten und natürlich am Symbolwort "selbstständig". Das verdruckste Verhalten hat etwas Beschämendes, aber man kann den Mitarbeitern keinen Vorwurf machen.



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Kommentare zu »Aus der ZEIT«
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 20.02.2006 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2750

Getroffene Hunde

Es ist psychologisch interessant und verständlich, daß Zeitungsleute, auf den Gebrauch der Reformschreibung angesprochen, immer besonders gereizt reagieren. Viel heftiger auch als z.B.die meisten Kritiker. So berichtet es auch T. Lahme (F.A.Z.) von seinem Besuch bei der ZEIT und ihrem Chefredakteur G. di Lorenzo. Dieser sei nur am Ende "aus der Rolle gefallen", während sonst alle kritischen Fragen an seinem "Charmepanzer" abgeglitten seien. Da die Herren genau wissen und schmerzlich fühlen, daß sie sich ohne Not und Zwang dem Diktat der KMK unterworfen haben, müssen sie zu den abstrusesten Lügen und Vorwänden greifen, um ihr Versagen, das man wahrhaft historisch nennen kann, zu bemänteln. Mal sind es die armen Schulkinder, die man nicht verwirren will, mal ist es die angebliche Gesetzeskraft der Reform. Man darf bezweifeln, daß ein Chefredakteur vom Kaliber di Lorenzos wirklich glaubt, was er daherredet. Zu solchen Schleiertänzen kann doch eigentlich nur ein massiver argumentativer und moralischer Notstand verleiten.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 20.02.2006 um 12.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2752

»Di Lorenzo redet sich nicht heraus, betont die demokratischen Strukturen und die Streitkultur des Blattes, nennt aber die Grenzen der Unabhängigkeit, etwa bei einer kritischen Berichterstattung über ein Mitglied der eigenen Konzernfamilie (Holtzbrinck) wie etwa den Rowohlt-Verlag. Selbst eigens zum Nörgeln Angereiste durchbrechen mit ihrer Empörung über das neue Layout des Blattes, zuviel Farbe, Rechtschreibfehler und den Verweis darauf, daß unter Bucerius (also "früher") alles besser war, den Charmepanzer des Chefredakteurs nicht.

Nur am Ende fällt di Lorenzo, auf die Rechtschreibreform angesprochen, aus der Rolle. Man habe eine eigene Schreibung, eng an der Reform, entwickelt, die meisten Redakteure der "Zeit" hielten selbst die Neuerungen für wenig geglückt, aber man wolle schon um der Schüler und Lehrer willen kein Zurück. Für eine "Anmaßung" halte er den Versuch "einiger Medien", auf ein Gesetzgebungsverfahren derart massiv einwirken zu wollen. Beifall und Kopfschütteln zugleich erntet er dafür. "Anmaßung" ist ja auch vielleicht ein bißchen anmaßend.«

In dubio pro reo: Es könnte sein, daß der Begriff Gesetzgebungsverfahren vom Berichterstatter gewählt wurde. Selbst dann bliebe aber die Frage, warum sich die Medien in einer sie so unmittelbar betreffenden Sache aufs Murren (Zehetmair) beschränken sollten, statt selbst zu handeln. Von den Mängeln des Verfahrens, über welche die Zeit-Leser niemand informiert, einmal abgesehen.
 
 

Kommentar von Bernhard Berlinger, verfaßt am 21.02.2006 um 10.47 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2790

Gesetz?

Was heißt eigentlich Gesetzeskraft? Sollten gebildete Leute, auch hier im Forum, nicht zwischen Gesetz, Verordnung, Satzung, Vertrag, Vereinbarung oder was auch immer unterscheiden können?

Die Rechtschreibreform ist kein Gesetz. Es ist eine Vereinbarung unter Laienschauspielern, die zufällig Kultusminister, nicht zu vergessen Kultusministerinnen, spielen. Diese haben leider die Macht, ihre höchst privaten Vorstellungen von Schreibweisen in eine Verordnung gießen zu können, die nur für Schüler gilt. Nicht mehr und nicht weniger. Und selbst darüber lässt sich streiten.
 
 

Kommentar von j.k., verfaßt am 21.02.2006 um 20.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2800

Sie werden lachen, aber dasselbe Phänomen begegnet mir auch immer wieder, der Irrglaube, die Reform sei Gesetz! Letztens habe ich mit einem etwa Gleichaltrigen über die nun wiedereingeführte Großschreibung von "Du" diskutiert. Nicht nur, daß er mir nicht geglaubt hat, daß man "Du" wieder groß schreibt, nein, er hat auch felsenfest behauptet, die Reform sei "geltendes Recht"! Zum Verzweifeln ist das.

Und überrascht bin ich nach wie vor, daß ich noch NIE einen Gleichaltrigen gefunden habe, der die Adelungsche s-Schreibung der Heyseschen vorzieht. Alle finden Heyse in Ordnung, mit der Begründung, daß man "dass" mit ss schreiben müsse, weil das a ja kurz gesprochen werde. Lustig ist, daß jemand sagte, er schreibe daher immer "Fluss", aber "Flußschifffahrt", weil das sss unansehnlich sei!
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.02.2006 um 20.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2804

Juristische Laien verwechseln wohl "die reformierte Rechtschreibung ist amtlich" mit "ist Gesetz" und "amtlich festgelegt" mit "gesetzlich vorgeschrieben".
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 21.02.2006 um 20.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2808

@ j.k.:

Die Erfahrungen mit Ihren Altersgenossen decken sich durchaus mit den meinen, wenn es um das Pro und Contra der Heyse-Schreibung geht. Sie können die Heyse-Befürworter ja gerne einmal fragen, wie sie sich mit dieser Argumentation das Wörtchen "das" erklären oder wie sie "Spaß" schreiben wollen. Im übrigen handelt es sich bei diesem häufig gehörten Argument um einen klassischen Zirkelschluß, denn ss nach kurzem Vokal schreiben sie ja, weil die Reformer es so wollen, nicht weil es in sich logisch wäre. Der Usus "ß, solange nicht getrennt werden kann" ist hingegen fast unschlagbar einfach und Schüler lernen "ss am Schluß bringt Verdruß" mühelos. Die alberne Reformschreibung scheint hingegen trotz der oberflächlichen Logik auch Erwachsenen nicht so sehr einzuleuchten, wie es sich die Reformer am grünen Tisch ausgedacht haben.

Ich weiß, es ist schon oft gesagt und geschrieben worden, aber man kann es nicht häufig genug wiederholen.
 
 

Kommentar von Anita Schühly, verfaßt am 21.02.2006 um 22.27 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2811

Schon eine einfache statistische Überlegung zeigt: Die Neuregelung der ss/ß-Schreibung muß zwangsläufig zu mehr Fehlern führen. Infolge der Auslautverhärtung im Deutschen ist ja jeder s-Laut am Wort- oder Silbenende stimmlos. Es gab früher nur die Wahl zwischen s und ß, etwa "Mus" und "muß". Die Reformschreibung verlangt am Wortende die richtige Entscheidung zwischen drei Möglichkeiten, s, ss, ß, ungeachtet der Tatsache, daß nicht alle Menschen, erst recht nicht alle Kinder, ein Ohr für den Unterschied zwischen lang und kurz gesprochenen Vokalen haben, wie mir eine erfahrene Grund- und Hauptschullehrerin versicherte. Dazu kommen regionale Unterschiede. In meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, spricht man z.B. "Spaß" kurz, und der Wenigschreiber, der ganz sicher auch ein Wenigleser ist, hatte wenigstens eine Chance von 50:50, das Richtige zu treffen. Jetzt gibt es doppelt so viele Möglichkeiten, etwas falsch zu machen.

Im übrigen sind die Regeln für die s-Schreibung in der bewährten Orthographie denkbar einfach. Was man getrennt sprechen und schreiben kann, muß mit ss geschrieben werden, und das kommt überdies nur zwischen Vokalen vor.
 
 

Kommentar von j.k., verfaßt am 22.02.2006 um 07.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#2814

Herr Schaefer,

Sie haben völlig recht, doch das Erschreckende: Der Jugend kann man größtenteils mit Logik nicht kommen! Diese fingierte Sprechregel ist für sie so einleuchtend, so logisch, so wahr, daß sie gar nichts hören wollen, was diesem Traum der Logik und Wahrheit der Heyseregel widerspricht.

Ich jedenfalls sehe keine Möglichkeit, die heutige Jugend davon zu überzeugen, daß Adelung weit besser ist. Daher bin ich davon überzeugt, daß, selbst wenn das ganze andere Reformwerk in den nächsten Jahren verschmissen wird, die Heysesche s-Schreibung bleiben wird, leider.
 
 

Kommentar von Badische Zeitung vom Samstag, 14. Oktober 2006, verfaßt am 20.10.2006 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=428#5955

»VHS-NOTIZEN
Neue Rechtschreibung

RHEINFELDEN. Die neue deutsche Rechtschreibreform ist seit 1. August definitiv in Kraft getreten und muss nun auch in Schulen, Behörden, Medien angewandt werden. Viola Thomas möchte in ihrem Vortrag am Donnerstag, 19. Oktober, 19.30 bis 21.45 Uhr die neuen Regeln näher bringen und somit den Weg durch den Rechtschreib-Dschungel erleichtern. Anmeldung und Info: 07623/7240-0.­­«
 
 

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