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04.02.2006
Wolff an Merkel
„Was will die Fraktion jetzt noch erreichen als neue Unsicherheit?“
In jenem vielzitierten Brief, den die hessische Kultusministerin Wolff Mitte November 2004 an Frau Merkel schrieb, heißt es u. a.:
»Ich streite nicht in der Frage, ob die Rechtschreibreform so hätte sein müssen/dürfen, ob der Bundestagsbeschluss von 1998 weise war oder dergleichen; ich stimme durchaus der Feststellung zu, dass eine gewisse Unsicherheit eingekehrt war – kein Wunder übrigens bei einer vergleichsweise so langen Übergangsfrist bei gleichzeitig tendenzieller Unlust von uns Erwachsenen, das selbst Gelernte zu verändern, und einem Stil der Auseinandersetzung, der glaubenskriegsähnliche Züge trug.
Ich habe auch als später ins Amt Gekommene überhaupt keine Lust zu Wiederholung einer solchen Prozedur.
Also war unsere Aufgabe als Kultusminister – die Aufgabe war uns übrigens von der MPK [Ministerpräsidentenkonferenz] 1996 zugewiesen, 1998 verfassungsgerichtlich bestätigt –, ein Procedere zu entwickeln, das Korrekturen und eine dezente Weiterentwicklung der Rechtschreibung ermöglichte und, da das Dudenmonopol unwiderbringlich [!] verloren war, ein Gremium dafür zu finden, das möglichst politikfern vorzubereiten. Zudem hatten die bisherigen Gremien keine ausreichende Akzeptanz.
Es war die Idee der Unionsseite in der KMK – Hessen und Baden-Württemberg dürfen hier durchaus genannt werden –, diese Aufgabe neu zu ordnen und einem Rat zuzuordnen. Das hat die KMK übrigens längst vor der MPK im Juni d. J. beschlossen. Die näheren Einzelheiten wurden auf der Grundlage eines Präsidiumsbeschlusses vom August im Oktober beschlossen. Die diesbezüglichen Formulierungen im Antrag sind leicht schräg.
Der KMK-Beschluss, bestätigt durch die MPK, hat Klarheit geschaffen:
1. Die Reform in der (vielfach bisher ignorierten) Fassung des 4. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission gilt ab 1.8.05. für Schule und öffentliche Verwaltung.
2. Der Rat wird umgehend eingesetzt.
3. Kann er bestimmte Punkte bis Sommer leisten, gehen sie in die geltende Fassung ein.
Damit kann ein Antrag im Bundestag jetzt keinen Fortschritt mehr erbringen. Das irgend Mögliche in Bezug auf die ersten beiden Punkte haben die Kultusminister in dieser wenig komfortablen Lage geleistet. Der dritte Aspekt geht an der Sache vorbei, da die Bundesregierung keine eigene zusätzliche Funktion hat.
Was die Handlungsweise einiger Verlage angeht, äußere ich mich nicht zu dem durchaus vorhandenen Reiz, einmal zu zeigen, dass die Medien die Politik nicht nach Belieben am Nasenring durch die Arena ziehen können. Berücksichtigen Sie aber, dass die Süddeutsche Zeitung längst Abstand vom Plan ihres Chefredakteurs genommen hat; auch beim Spiegel gibt es enorme innere Verwerfungen und Andeutungen möglichen Verzichts auf den Vollzug des Angekündigten. Selbst beim Springer-Verlag lässt man Bereitschaft spüren, im Rat mitzuarbeiten.
All dies führt mich zu der Frage: was will die Fraktion jetzt noch erreichen als neue Unsicherheit? Die Strukturen, innerhalb derer die unbezweifelbar wünschenswerten Korrekturen möglich sind, sind geschaffen – jetzt geht es höchstens noch darum, die Akademie für Sprache und Dichtung zu bewegen, ihre Pflicht an der Schriftsprache in diesem Rahmen zu tun.«
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Kommentare zu »Wolff an Merkel« |
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 04.02.2006 um 20.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2428
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Zwei Begriffe fallen auf:
"glauben" heißt "nicht wissen", einen Glaubenskrieg führt, wer keine wissenschaftlichen Argumente hat oder zur Kenntnis nimmt.
"Der durchaus vorhandene Reiz, einmal zu zeigen, dass die Medien die Politik nicht nach Belieben am Nasenring durch die Arena ziehen können." Was ist wohl mit "zeigen" gemeint? Verhaftung von Journalisten wegen eines "Abgrunds von Hochverrat" ähnlich der 'Spiegel'-Affäre 1962?
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Kommentar von GL, verfaßt am 07.02.2006 um 06.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2462
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"Versöhnen statt Spalten" und "Brücken bauen statt Gräben ziehen" sind Äusserungen der Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten. Im Streit um die deutsche Sprache ist die Bevölkerung jedoch mittlerweilen tief gespalten und die Gräben unübersehbar.
Warum nur nehmen diese beiden führenden Politiker nicht Stelllung?
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 07.02.2006 um 11.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2464
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Johannes Rau ("Versöhnen statt spalten") nimmt nicht mehr Stellung, weil er kürzlich gestorben ist. Angela Merkel nimmt nicht Stellung, weil sie offenbar mit dem pioniermäßigen Errichten einer Pontonbrücke beschäftigt ist.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 07.02.2006 um 13.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2467
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Johannes Rau hätte vor seinem Ableben noch Gelegenheit gehabt, Stellung zu nehmen.
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Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 07.02.2006 um 17.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2470
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» Johannes Rau hätte vor seinem Ableben noch Gelegenheit gehabt, Stellung zu nehmen.«
Vielleicht hatte Johannes Rau vor seinem Ableben andere Sorgen.
Jedenfalls sollten wir, die wir bei anderen Charaktergröße so gerne einfordern, so viel Großmut an den Tag legen, daß wir ihnen nicht gerade am Tag ihrer Beerdigung ihr in unseren Augen ärgerliches mangelndes Engagement in der Rechtschreibfrage zum Vorwurf machen. Das ist unsympathisch, pharisäerhaft und letzlich auch ungerecht. Wir können nicht von jedem, auch von denen, denen klar ist, daß die Reform nichts taugt, dasselbe Engagement erwarten, das wir aufbringen. Wir kennen Raus Gründe nicht, vielleicht hat er es einfach nicht für wichtig genug gehalten, um seine Kräfte hierauf zu verwenden. Das wäre sein gutes Recht gewesen. Es ist doch vorstellbar, daß es für manche Leute, auch honorige, durchaus »Wichtigeres« gibt.
Wenn wir nach solchen Maßstäben urteilen, sind wir bald wieder bei denen, die wir hofften hinter uns gelassen zu haben, die jeden, der »daß« schreibt, für einen abgefeimten Schurken halten.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 07.02.2006 um 18.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2472
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Tatsächlich hat sich Rau zum Thema geäußert, schon 1998. »Kritik und Schelte gehören zum Alltag der KMK. Bei genauem Hinsehen bleibt davon aber doch nur ein flüchtiger Eindruck auf der politischen Bühne. Diesmal war es wohl die überraschende Karriere der Rechtschreibreform, die die Kultusminister in die Schlagzeilen gebracht hat. Ich bin Ihnen von Herzen dankbar, Herr Bundespräsident, daß sie darauf hingewiesen haben, daß man in Frankfurt vor 150 Jahren "Schiffahrt" mit drei "f" schrieb. Ich habe mich bisher immer daran festgehalten, daß "Rauhfaser" jetzt ohne "h" geschrieben werden soll. Es hat mich getröstet und vorangebracht.
Ich glaube, daß unter dem Strich weder die Rechtschreibreform noch die KMK das eigentliche Problem sind. Gewiß kann die KMK hier einen Anlaß nehmen, sich als Institution mit ihren Aufgaben und Themen mehr in die Öffentlichkeit zu begeben. Sie ist ja kein Zirkel von Dunkelmännern und -frauen, die hinter den Kulissen heimlich die Köpfe zusammenstecken. Wirklich problematisch scheinen mir indes Zustand und Gemütslage dieser Republik, die wahrlich andere Probleme hat, als über die Frage von dreifach-F und doppel-S Gerichte entscheiden zu lassen. Die Rechtschreibreform ist nach meiner Meinung alles andere als ein echter Prüfstein für die KMK. Ich für meinen Teil wäre froh, wenn dieses Thema nach den noch anstehenden Beratungen und nach der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum guten Ende geführt werden könnte.«
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Kommentar von W.L., verfaßt am 07.02.2006 um 18.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=388#2473
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Der liebe Gott wird Bruder Johannes schon am Ohr zupfen. Vielleicht gibt er ihm als Strafarbeit die Bibel in neuer Rechtschreibung oder - noch besser - in »gerechter Sprache« zu lesen. Damit könnten aber auch wir dieser Seele ihre »wohl verdiente« Ruhe gönnen und uns wieder den Lebenden zuwenden. Da gibt es noch Sünder genug, denen wir auf die Sprünge helfen können.
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