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30.01.2006
Grammatik (NRW)
Zu einer Todesanzeige
Landtag und Regierung von Nordrhein-Westfalen gedenken des verstorbenen Johannes Rau.
In der Todesanzeige (FAZ von heute) heißt es "über alle Rückschläge wie dem (!) Brandanschlag von Solingen hinweg". Der Text ist außerdem in Reformschreibung abgefaßt, also: "wie kein Zweiter kannte er die Menschen". Es ging aber nicht darum, Zweiter in Menschenkenntnis zu sein, sondern nur um ein Synonym für "kein anderer". Deshalb wird in Erwachsenenorthographie hier zweckmäßigerweise klein geschrieben; manche wollen umgekehrt nun auch "kein Anderer" schreiben, damit es keine Ausnahmen mehr gibt (wie sie sie verstehen). Raus Tun war "von tiefem christlichen Glauben geprägt". Das geht gerade noch, obwohl die Parallelflexion heute üblicher ist ("tiefem christlichem").
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 30.01.2006 um 17.44 Uhr
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Raus Tun war "von tiefem christlichen Glauben geprägt". Das geht gerade noch, obwohl die Parallelflexion heute üblicher ist ("tiefem christlichem").
Hm, spielt da das Komma nicht auch mit?
Z.B.:
Wir sind mit gutem bayerischen Bier versorgt.
Wir sind mit gutem, frischem Bier versorgt.
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 30.01.2006 um 18.02 Uhr
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Ich würde da kein Komma setzen: Wir sind mit gutem frischem Bier versorgt.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 30.01.2006 um 18.05 Uhr
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De mortuis nihil nisi bene, im übrigen glaube ich, daß der Rechtschreibreform-Eiferer Rau mit dieser Form der Todesanzeigen nicht nur fair bedient ist, sondern sie sich wohl so auch gewünscht hätte.
Am besten schreibt man sich sowas schon zu Lebzeiten selbst.
Was vielleicht auch der Fall war.
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Kommentar von Bernhard Berlinger, verfaßt am 30.01.2006 um 18.15 Uhr
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"Erwachsenenorthographie" ist ein schönes Wort. Das werde ich ab jetzt benutzen. Vielleicht augenfreundlicher geschrieben: Erwachsenen-Orthographie.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 30.01.2006 um 20.24 Uhr
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Ich würde eins setzen, und wenn nicht, "mit gutem frischen Bier" sagen, aber nur, weil ich es so in der Schule gelernt habe und es ja auch schlechtes frisches Bier gibt, — wo ich jedoch (im Nominativ und Akkusativ also) beide Adjektive stark dekliniere (und im Genitiv Singular übrigens beide schwach: der Geschmack guten frischen Bieres). Ob ich wirklich von Natur aus das Dativmerkmal im zweiten Adjektiv stark (-em) oder schwach (-en) aussprechen würde, weiß ich nicht einmal mehr; dazu gehe ich heute an diesen Fall, tritt er denn ein, viel zu bewußt ran. So höre ich auch meist "wir dummen Deutschen", und es stört mich nicht, obwohl die Parallelität zu "du dummer Deutscher / du dumme Deutsche" nur ein starkes "wir dumme Deutsche" zulassen würde (und so war's, wenn ich mich recht erinnere, in meinem Heimatdialekt!). Ich würde nicht mal in "Standard"-Nähe bringen wollen, was "heute üblicher" ist, einfach, weil zu diesen Adjektivreihen den Menschen bei uns der Schnabel eben sehr verschieden gewachsen ist. (Aber beim anerzogenen "Sehr geehrte gnädige Frau" auf jeden Fall kein Komma! Man hat ja schließlich noch ein Abitur aus Zeiten, wo das Abitur noch ein Abitur war! Und mit gutem bayerischen Bier: Prost! Denn das schlechte bayrische Bier, gäbe es denn welches, das ließen die doch gar nicht auf den Markt. Das schreibt Ihnen wer aus Amerika, wo wir mit gutem frischen Bier ja nicht gerade aufs beste versorgt sind.)
Wie weit ist Herrn Karsten Bolz' "m" in "frischem" ein Assimilations-"m" wegen des folgenden "Bier"? Bei Icklers Parallelflexion im vorliegenden Falle frage ich mich auch, wieweit — bei diesem ja doch feierlich-getragenen Ton — "tief" hier "christlich" näher bestimmt oder ob es sich hier nicht doch um eine Aufzählung handelt oder wenigstens handeln könnte.
Dazu gleich noch eine andere Kommafrage: Ich setze bei Nebensätzen, die durch "und" oder "oder" verbunden sind (wie im vorausgehenden Satz) kein Komma, auch bei erweiterten Infinitven nicht, wenn sie durch "und" oder "oder" verbunden sind. Aber ich sehe in diesen Situationen manchmal eins. Wie halten es Kenner hiermit, und warum?
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 30.01.2006 um 20.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2372
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Zu Grabe getragen
„Wir trauern um eine Persönlichkeit, die weit über die Grenzen unseres Landes hinaus höchstes Ansehen genoss.“
So beginnt die Deutsche Lufthansa ihren Nachruf auf Johannes Rau in der F.A.Z. von heute.
Der so Bedachte war Mitglied im Aufsichtsrat.
Für mich persönlich führt jenes „genoss“ zum Innehalten in der Trauer, auch wenn ich jedem (vor allem jedem gewissenhaften) Genossen – und insbesondere dem Landesvater und Bundespräsidenten Johannes Rau – höchste Lebensverdienste bescheinige und ihm wahrlich post mortem keine Unterlassungssünden ankreiden möchte.
Eine Flagge gesetzt zu haben, mitten im „Feindesland“ (Neuschreibung in der F.A.Z.) ist zumindest indirekt ein Verdienst des „Menschenfischers“ Rau.
Darüber sollte man schweigen – aber man kann es nicht aufgrund der Tragweite. Auch post mortem muß eine Diskussion über fehlerhafte Lösungsansätze möglich sein. Nichts darf durch den Tod besiegelt werden.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.01.2006 um 21.49 Uhr
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Laut Duden-Grammatik (1988): "Bei solchen Adjektivverbindungen wurde früher (?) im Dativ Singular das erste Adjektiv stark, das zweite dagegen schwach dekliniert. Diese Regel gilt nicht mehr. Es heißt also z.B.:
nach 'gültigem deutschem' Recht (nicht mehr: nach 'gültigem deutschen' Recht); mit 'gutem französischem' Rotwein (nicht mehr: mit 'gutem französischen' Rotwein).
Vielleicht weiß jemand, bis wann "früher" galt.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 30.01.2006 um 23.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2374
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Eine Suche nach "gutem französischem" vs. "gutem französischen" und "gültigem deutschem" vs. "gültigem deutschen" ergibt, daß die hyperkorrekte, laut Duden gar einzig korrekte Parallelflexion de facto deutlich seltener verwendet wird.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 31.01.2006 um 01.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2375
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Eine Suche nach "gutem französischem" vs. "gutem französischen" und "gültigem deutschem" vs. "gültigem deutschen" ergibt, daß die hyperkorrekte, laut Duden gar einzig korrekte Parallelflexion de facto deutlich seltener verwendet wird.
Genauer: ... deutlich seltener geschrieben wird.
Es gibt gewisse Marotten im allgemeinen Schreibverhalten: Die Leute tendieren in großer Zahl beim Schreiben zu einigen Absonderlichkeiten, die ihnen beim natürlichen Sprechen nicht oder viel seltener unterlaufen. Dazu gehört die Aversion gegen eine wiederholte Adjektivendung auf -m. Man fragt mich sogar oft bei Fällen ohne Wiederholung: "Da steht zu etwas Besonderem" oder "... mit gutem Wein: Stimmt das -m überhaupt, muß das nicht vielleicht auf -n lauten?" Ich bilde mir ein, beim Sprechen gibt es diese Unsicherheit kaum, außer im Rahmen mancher Dialekte. Entsprechend häufig muß ich korrigieren und -n durch -m ersetzen.
Die parallele Konstruktion wird also nach meinem Eindruck nur beim Schreiben vermieden, beim Sprechen nicht oder jedenfalls viel weniger. Insofern kann Google nur eingeschränkt Auskunft geben.
Im übrigen spielt in der Tat das Komma eine Rolle, das heißt, ob die Adjektive auch inhaltlich parallel gestellt sind:
mit ungewöhnlichem und kräftigem Geschmack
--> mit ungewöhnlichem, kräftigem Geschmack
Wenn die Klassifizierung durch die Adjektive nicht parallel läuft, sondern einer Hierarchie entspricht (schrittweise nähere Bestimmung), rückt die Konstruktion in die Nähe der Kombination Pronomen + Adjektiv:
Einfache Klassifizierung: mit deutschem Paß
Genauere Bestimmung: mit gültigem deutschem Paß
Das liegt in der Nähe der pronominalen Konstruktion:
mit was für einem deutschen Paß, mit welchem deutschen Paß?
Deshalb gibt es eine Tendenz zu:
mit gültigem deutschen Paß
So wie: mit diesem, mit jedem, mit keinem deutschen Paß
Das ist der von Professor Ickler zitierte Fall:
von tiefem christlichen Glauben.
Ich bilde mir ein, auch hier sei die parallele Konstruktion häufiger, also: von tiefem christlichem Glauben. Dieser Eindruck bezieht sich jedoch nur auf das Sprechen, wie gesagt, nicht auf das Schreiben, wo sich die merkwürdige Aversion gegen zweifaches oder sonstwie hervorstechendes -m auswirkt. Fazit: Die parallele Konstruktion ist in jedem Fall besserer Stil, auch bei einem abhängigen Verhältnis der beiden Adjektive. Dies kann man mit Google aber nicht verifizieren.
Beim Hinhören ist es leider schwierig, die unbetonten Endungen -m und -n zu unterscheiden. Zudem wird zu einem gewissen Anteil -n nur im Sinne einer schlampigen Aussprache gewählt, weil die Bewegung der Zungenspitze leichter zu bewältigen ist als der vollständige Verschluß der Lippen. Inwiefern sich das auf eine veränderte subjektive Auffassung der richtigen Flexion oder mit der Zeit auf einen anerkannten Wandel der Grammatik auswirkt, kann ich nicht beurteilen.
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Kommentar von Nikolaus Lohse, verfaßt am 31.01.2006 um 10.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2378
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Die auch vom Duden empfohlene Parallelflexion von mehreren attributiven Adjektiven (bei dunklem bayrischem Bier, mit gutem trockenem Wein) ist einer der Punkte in der neueren Grammatik, mit denen man sich im Einzelfall doch nur widerwillig arrangiert. Es ist ein kleiner, aber feiner und durchaus bedeutsamer Unterschied, ob es sich um eine Aufzählung von Eigenschaften handelt, der Wein also erstens gut und zweitens trocken ist (dann parallel und mit Komma), oder ob man unter den trockenen Weinen einen besonders guten erwischt hat. In anderen Fällen (bei anhaltendem sonnigem/n Wetter) stellt sich die Frage gar nicht mehr. -- Die ältere Grammatik hatte ein ganz sicheres Gespür dafür, daß bei der Reihung das erste Adjektiv die Funktion des Artikels oder Pronomens übernimmt, so daß das folgende dann schwach gebeugt werden kann. Das ist keineswegs, wie Herr Wrase meint, schlechter Stil, im Gegenteil, es ist sicher die anspruchsvollere und elegantere Lösung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.01.2006 um 10.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2379
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Die Tendenz zur "Monoflexion" (nur einmal innerhalb der Substantivgruppe wird der Kasus und Numerus angezeigt) ist bekannt, aber es scheint auch gegenläufige Entwicklungen zu geben. Der Befund ist uneinheitlich. Man suche mal nach "gutem deutschem/deutschen" oder "gutem altem/alten". Die Sprachratgeber würden es nicht seit langem diskutieren, wenn es hier nicht etwas Neues gäbe, das man aber kaum "hyperkorrekt" nennen kann, lieber Herr Markner, und das ich keinesfalls für eine Kopfgeburt der Grammatiker halten möchte. Vielleicht muß man die Adjektive erst einmal genauer unterscheiden in Bezugsadjektive und andere. Interessante Frage, werde das Thema an Magisterkandidaten vergeben, falls nicht zwischendurch neuere Literatur auftaucht.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 31.01.2006 um 11.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2381
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--> Schäbler:
Ich stimme Ihnen völlig zu, ich würde z. B. auch dem Herrn Weizsäcker posthum noch ankreiden, daß er einer der tätigen Haupt-Giftgas-Lieferanten im Vietnamkrieg war, was hunderttausenden Kindern die Haut vom Körper schmelzen ließ, und auch bei Strauß darf und muß man noch heute auf seine schräge Demokratieauffassung hinweisen. Es könnte im Falle Rau aber darauf hinauslaufen, daß man jetzt das Gefühl trauernder Westfalen verletzt, und das wäre sicher kontraproduktiv.
--> Germanist, Wrase, Lohse, Markner:
Ich halte es mit m/n, weil man ja auch sagt: Bei einem guten Glas Wein.
Das ist hypergrammatisch vielleicht unhaltbar, vielleicht aber auch ein Schlüssel, ich weiß es nicht.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 31.01.2006 um 12.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2382
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Wir können uns wohl darauf einigen, daß einem gutem allemal hyperkorrekt ist. Womit wir wieder in NRW wären, und zwar direkt beim Ministerium für Schule, Jugend und
Kinder, dem zufolge die dortigen Schulen auf einem gutem Weg sind (Presseerklärung vom 22. 12. 2004).
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Kommentar von Norbert Schäbler, verfaßt am 31.01.2006 um 13.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2383
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Plädoyer für den linientreuen "Kult"
An „meinem gutem“ Willen soll es nicht fehlen, denn Einigung ist die „höchste alle erstrebenswerte“ Ziele.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.01.2006 um 14.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2384
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Die Tendenz zur Monoflexion läßt sich noch besser beim Adjektiv nach Personalpronomen beobachten:
In älteren Grammatiken (1952) steht: "Das Adjektiv, das einem dazugehörigen Personalpronomen folgt, dekliniert stark: 'dir armem Manne, mir als altem Handwerker'."
In neueren Grammatiken (1988) steht: "Schwankungen gibt es bei den Formen 'mir, dir, wir' und 'ihr'. Hier wird das nachfolgende Adjektiv heute (!) meist schwach (wie nach dem bestimmten Artikel) dekliniert: 'dir jungen Kerl' (neben: 'dir jungem Kerl')."
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Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 31.01.2006 um 15.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2385
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Herr Schäbler: An „meinem gutem“ Willen soll es nicht fehlen ...
Hier sagt mir mein Sprachgefühl: An „meinem guten“ Willen ...
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.01.2006 um 17.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2386
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Die Verbindung mit Artikeln ist hier nicht einschlägig, und darum ging es auch ursprünglich nicht. Wirklich interessant ist allerdings die Frage, wie weit man das Personalpronomen bereits als Artikelwort ansehen kann. Hatte ich mich nicht schon mal darüber geäußert? (Du Esel, wir beide(n), ihr beide(n) usw.) Der Befund ist uneinheitlich. Die Grammatiken drücken sich meist um das ganze Phänomen oder schlagen es der "engen Apposition" zu. Die Artikel im engeren Sinne sind der, ein, mein und kein, und alle sind ziemlich streng grammatikalisiert, was die Flexion der nachfolgenden Adjektive betrifft - jedenfalls in anspruchsvollerer Prosa.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 31.01.2006 um 17.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2387
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Ich halte es mit Norbert Schäbler: An meinem guten Willen soll es auch nicht fehlen, wenn auch Einigung in diesen Fragen hier sicher gar nicht das höchste ist. In meinem eigenen Stil versuche ich jedoch wie Nikolaus Lohse "sicher die anspruchsvollere und elegantere Lösung" zu befolgen. Und ich freue mich auf die Materialsammlung der von Ickler hierzu hoffentlich bald betreuten Magisterarbeit.
Interessant finde ich, daß wir hier fast nur von Dativformen als Zweifelsfällen sprechen. Wenn man "in NRW" jedoch "auf einem gutem Weg" ist, dann sind die da entweder unserer Zeit weit voraus, oder sie liegen in jeder Hinsicht falsch irgendwo an einem falschen Weg. Ich erkläre diese Adjektivformen so: In Substantivausdrücken haben Adjektive nach Der- und Ein-Wörtern die schwachen Endungen, außer nach Ein-Wörtern im Nom. mask. und im Nom. und Akk. neutr., wo (in diesen "Hauptfällen" [= Nom., Akk. also]) das Geschlecht nicht eindeutig angezeigt ist. Dann fällt nämlich dem (fraglichen) Adjektiv diese Aufgabe zu. (Der-Wörter: der/die/das, dieser, -e, -es, jeder [pl. alle], welcher [auch jener, solcher und mancher und noch ein paar selten gebrauchte]; Ein-Wörter: der indefinite Artikel [ein], der negierte indefinite Artikel [kein] und alle Possessivadjektive [mein, dein, sein, usw.], Determinatoren also.)
Zu den neueren Tendenzen ("In neueren Grammatiken [1988] steht: "Schwankungen gibt es bei den Formen 'mir, dir, wir' und 'ihr'. Hier wird das nachfolgende Adjektiv heute [!] meist schwach [wie nach dem bestimmten Artikel] dekliniert: 'dir jungen Kerl' [neben: 'dir jungem Kerl']"): Interessant ist, daß sich die schwachen Endungen bei den Dativformen "mir" und "dir" eingeschlichen haben und dann aber auch bei den damit reimenden Nominativen "wir" und "ihr". *"Sie armen Leute" habe ich jedenfalls noch nie gehört oder gelesen, — was aber nicht bedeutet, daß es das aus Muttermund nicht doch gäbe. Und im Dat. pl. haben wir "uns/euch jungen Menschen", dem der starke Akk. "uns/euch junge Menschen" halt auch leicht folgen kann. Dem Übergang von "dir jungem Kerl" zu "dir jungen Kerl" könnte also durch Dativformen bei Ausdrücken mit Der- und Ein-Wörtern der Weg gebahnt worden sein (dem jungen Kerl, der jungen Frau), und auf diesem Wege folgten ihnen dann die Nominativformen mit "wir" und "ihr", schwankend zwar, aber eben doch einem Vorbild.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.02.2006 um 05.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2390
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Auch die Sozialdemokratie gedenkt des Verstorbenen. Die Todesanzeige des Vorstands enthält zwei Kommafehler (auch nach neuer RS) und verrät außerdem, daß die Verfasser immer noch glauben, "tiefgreifend" und "wiederherstellen" müßten nun getrennt geschrieben werden. Bei Verben mit dem Zusatz "wieder" ist das von der Reform geschaffene Problem aber auch in Reformerkreisen bis heute ungelöst, weil sie sich nicht von der falschen Bedeutungserklärung im Regelwerk lösen können.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 01.02.2006 um 15.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2391
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Dat will un will einfach nich glücken!
Heute in der Ostfriesenzeitung:
Bildüberschrift: Ostfriesen gedenken Johannes Rau
Bildunterschrift: ...nutzten die Möglichkeit, dem Politiker persönlich zu gedenken
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 01.02.2006 um 16.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2392
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Der Dativ ist halt dem Genitiv sein Tod, trotz aller Anstrengung und Bemühung sogar des Glücks, auch mal Form zu wahren. Gedenken wir das auch!
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 01.02.2006 um 18.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2393
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So gesehen...
"Ich gedenke ihm einen Brief zu schreiben." - Und schon paßt´s!
(Als grammatischer Notgroschen für kommende Schülergenerationen)
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 02.02.2006 um 09.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2395
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Immer zeitgemäß
"Dem Verstorbenen selbst bringen wir ein besonderes Verhalten entgegen, fast wie eine Bewunderung für einen, der etwas sehr Schwieriges zustande gebracht hat. Wir stellen die Kritik gegen ihn ein, sehen ihm sein etwaiges Unrecht nach, geben den Befehl aus: de mortuis nihil nisi bene, und finden es gerechtfertigt, daß man ihm in der Leichenrede und auf dem Grabsteine das Vorteilhafteste nachrühmt. Die Rücksicht auf den Toten, deren er doch nicht mehr bedarf, steht uns über der Wahrheit, den meisten von uns gewiß auch über der Rücksicht für den Lebenden."
(Aus S. Freud, Zeitgemäßes über Krieg und Tod -1915)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2006 um 13.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2397
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In der Todesanzeige der Partei wird der tiefe christliche Glaube übrigens wieder parallel flektiert.
Weniger gut finde ich, was mir eine Schülerin gerade zeigt: In einem Aufsatz hat der Lehrer zwar "daß" nur unterringelt und "ss" drübergeschrieben, aber "haltsuchend" hat er als richtigen Rechtschreibfehler angestrichen. Nach der Revision von 2004 ist das unzulässig.
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Kommentar von Demminer Zeitung, 2. 2. 2006, verfaßt am 02.02.2006 um 19.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=379#2398
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Auch Lehrer haben Probleme mit neuer Rechtschreibung
Demmin (UWH). Das Wort Schifffahrt mit drei „f“ sieht für viele Deutsche irgendwie komisch aus. Vor allem für ältere Menschen, die sowohl die alte als auch die umstrittene neue deutsche Rechtschreibung kennen. Das findet auch Anke Leu-Jahnke. „Doch für die Kinder ist die neue Rechtschreibung wesentlich durchschaubarer“, sagt die Schulleiterin der evangelischen Grundschule Demmin. Verwirrt wären eher die Älteren, gibt die Lehrerin zu und nimmt sich davon selbst auch nicht ganz aus.
„Wir bemühen uns, sie durchzusetzen, wie sie gedacht ist“, betont Roland Heiden, Leiter des Goethegymnasiums der Hansestadt. Er selbst, gesteht der Schulleiter ein, hat Probleme mit diversen Schreibweisen. Wie seine Kollegen. „Ich habe gerade Zeugnisse von Lehrern vor mir liegen, und viele verwenden in den Beurteilungen alte und neue Rechtschreibung“, berichtet Heiden am Telefon. Da werde etwa die Arbeitsweise eines Schülers immer noch als „selbständig“, anstatt als „selbstständig“ bezeichnet. Oder es schleiche sich mal ein „daß“ anstelle eines „dass“ ein.
Grundsätzlich steht Heiden jedoch hinter der Rechtschreibreform, die nun Anfang März von der Kultusministerkonferenz endgültig abgesegnet werden soll. „So viele neue Regeln sind es ja auch nicht“, unterstreicht der Schulleiter. Insbesondere die Kommata-Regeln würden bei den Schülern für Erleichterung sorgen. Und „Goethe wird keiner in die neue Rechtschreibung übersetzen“, mutmaßt der Direktor des Goethegymnasiums, so dass die Schüler auch weiterhin mit beiden Schreibweisen konfrontiert seien.
Die drei Fritz-Reuter-Schüler Laura (12), Philip (13) und Steven (15), die alle noch die alten Regeln gelernt haben, sehen das nicht ganz so. „Die alte war besser“, sagt Laura. „Besser auch für alte Leute“, fügt Steven hinzu. „Ja, und doof ist, dass wir uns umstellen mussten“, setzt Philip obendrauf. Anke Leu- Jahnke hält die Reform wiederum in den wichtigsten Punkten für sinnvoll. Nur die Eindeutschung von Fremdwörtern wie Ketschup (früher Ketchup) oder Spagetti (früher Spaghetti) sei unsinnig. „Spaghetti sind was Italienisches und sollten es auch bleiben“, betont die Grundschulleiterin.
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