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22.01.2006
Warum einfach?
Groß- und Kleinschreibung mit und ohne Präposition
»§ 58 E2: Substantivierungen, die auch ohne Präposition üblich sind, werden nach § 57(1) auch dann großgeschrieben, wenn sie mit einer Präposition verbunden werden.«
Wie kann man auf die Idee kommen, der Bevölkerung solche Rechtschreibregeln zuzumuten und das Ganze auch noch als Vereinfachung zu preisen? Hier muß zuerst ermittelt werden, ob es sich überhaupt um eine Substantivierung handelt, dann muß der Test durchgeführt werden. Aber es ist weiterhin unklar, warum es heißt schwarz auf weiß, grau in grau (nach § 58 3.1), aber auf Rot, in Grau (nach § 58 E2) usw. In Wirklichkeit hat die Groß- und Kleinschreibung nichts mit der Präposition zu tun. Der Test ist daher ebenso sachfremd und kontraintuitiv wie die berüchtigte Probe auf Steiger- und Erweiterbarkeit oder das Kriterium des Wortausganges auf -ig, -isch oder -lich.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 22.01.2006 um 20.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=367#2276
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Was ich schon immer gern wissen wollte: Wie sind die Reformer wohl auf die -ig/-isch/-lich-Regel gekommen? Irgendeine Begründung muß es doch geben, auch wenn sie selbst sich nie offenbart haben.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.01.2006 um 21.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=367#2278
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Die "Logik" war doch folgende: Manchmal ist es nicht ganz einfach, die Frage der Zusammenschreibung nach einem Adjektiv mit einer dieser Endungen zu entscheiden. Zum Beispiel: winzig klein oder winzigklein, fertig machen oder fertigmachen? Die Reformer wollten Regeln erfinden, nach denen solche Zweifelsfälle ohne Nachdenken oder Nachschlagen entschieden werden können. Meistens folgt nach -ig, -isch, -lich Getrenntschreibung. Nun die Idee: Zweifelsfälle werden beseitigt, indem die Ausnahmen abgeschafft werden. Folglich lautet die Regel: Nach -ig, -isch, -lich folgt immer Getrenntschreibung mit einem Adjektiv, Partizip oder Verb.
Eine schöne Überlegung, die leider von der irrigen Annahme ausging, "Ausnahmen" von dieser Regel seien ärgerliche Verirrungen der Schreibgewohnheiten.
Genausogut hätte man argumentieren können: Adjektive und Verben werden meistens klein geschrieben, nur ausnahmsweise groß: gut, aber manchmal Gut; schreiben, aber manchmal Schreiben. Vereinfachung durch Vereinheitlichung: Adjektive und Verben werden immer klein geschrieben. Oder am besten gleich: Substantivierungen werden klein geschrieben. Das wäre offensichtlich viel einfacher als die im Tagebucheintrag zitierte Regel: "Substantivierungen, die auch ohne Präposition üblich sind, werden nach § 57(1) auch dann großgeschrieben, wenn sie mit einer Präposition verbunden werden."
Diese Art von Rechtschreibreformen kommt mir vor, wie wenn ein Trupp von Chemikern den Schülern zuliebe die Anzahl der Elemente auf zehn begrenzen will. Kann man ja durch entsprechende Definitionen machen, zum Beispiel könnten die Elemente mit den bisherigen Ordnungszahlen 6, 16, 26, 36 usw. zu einem einzigen Element Nr. 6 zusammengelegt werden. Das wären in diesem Fall unter anderem Kohlenstoff, Schwefel, Eisen, Krypton und Palladium. Entsprechend bei den anderen Elementen. Eine gewaltige Vereinfachung des Schulunterrichts, auch der Laie kann sich nach einer solchen Chemiereform nicht mehr so leicht vertun. Vielleicht täten es auch zwei Elemente - oder vier, wie in der Antike. Das wäre letztlich eine Entscheidung der Kultusminister.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2006 um 08.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=367#2279
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Mir scheint, daß Herr Wrase den Gedankengang zutreffend dargestellt hat. In einem zweiten Schritt wurden dann auch die Verbzusatzkonstruktionen wie "fertigstellen" in diesen Strudel gezogen.
Wer sich fast ausschließlich mit Rechtschreibung beschäftigt, wird die -ig-Regel für keine besondere Zusatzbelastung halten, auch wenn sie nicht im Zuge der Sprachentwicklung liegt. Für normale Menschen ist sie jedoch nicht nur ein Stachel im Fleisch, weil kontraintuitiv, sondern eine weitere lästige Ausnahmeregel, die zudem nur ziemlich selten bemüht wird und daher immer wieder aus dem Bewußtsein verschwindet. Es gab und gibt ja schon genug davon, man denke nur an die ziemlich künstliche Unterscheidung von "Widerhall, Widerspiegelung" und "Wiederholung". Bei Eduard Engel (1911) heißt es immer "Wiederspiegelung", ein Mißverständnis ist nicht möglich. Wie wenig die Reform an die wirklich schwierigen Wörter rührt, wurde mir neulich klar, als ich auf "Rallye" stieß.
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