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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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10.03.2005
 

Aus dem Rat:

Einige Mitglieder fordern Zweidrittel- oder sogar Dreiviertelmehrheiten für die Beschlüsse des Rates. Aus der Begründung:

„Entscheidungen mit womöglich knapper einfacher Mehrheit oder solche, bei denen lediglich die Stimme des Vorsitzenden ausschlaggebend war, können nicht für den von den deutschen Kultusministern angestrebten breiten Konsens stehen und werden zwangsläufig zu Sondervoten führen.“

Selbst einstimmig gefaßte Beschlüsses des Rates haben nichts mit dem Konsens der betroffenen Bevölkerung zu tun. Schon früher fiel auf, daß „demokratische“ Mehrheitsentscheidungen innerhalb der eingesetzten Gremien ohne weiteres als „demokratische“ Legitimation des gesamten Reformunternehmens interpretiert wurden. Bedenkt man das Verfahren der Rekrutierung solcher Gremien, kann von demokratischer Legitimation keine Rede sein. Es ist daran zu erinnern, daß die gewählten Parlamente nicht beteiligt wurden, und selbst dann stünde noch nicht fest, ob der Staat überhaupt legitimiert ist, die Schriftsprache selbst und nicht nur den Schreibunterricht zu regeln (ungeachtet des auf irrtümlichen Annahmen beruhenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts).

Während der zweiten Ratssitzung wurde gefordert, daß „die Diskussion ergebnisoffen geführt wird“. Dafür sei es „unabdingbar, Extrempositionen aufzugeben und im Dialog aufeinander zuzugehen“.

Aber was ist „extrem“? Ist es Extremismus, wenn man es für richtig hält, weiterhin so zu schreiben wie bisher?

Die Ergebnisoffenheit ist laut Statut nicht zulässig. Dort ist festgelegt, daß die Neuregelung als Grundlage der Beratungen nicht verlassen werden darf. Der Entwurf der Geschäftsordnung übernimmt diese Bestimmung.

Hartmut von Hentig kritisiert, daß der ursprünglich angekündigte Auftrag des Rates, die Schreibentwicklung zu beobachten und das Regelwerk an den allgemeinen Sprachwandel anzupassen, von der damaligen KMK-Vorsitzenden Doris Ahnen sogleich umgedeutet wurde: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung soll die Entwicklung der Schreibpraxis beobachten und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks im notwendigen Umfang weiterentwickeln.“ Diese Formulierung ist bekanntlich fast wortgetreu in das Statut aufgenommen worden.

Hartmut von Hentig kommentiert:
„Für die Kultusministerkonferenz ist der Ausgangspunkt das umstrittene Regelwerk der Reform, die nun nicht etwa korrigiert, sondern weiter vorangebracht werden soll. Was der Kern der bisherigen Kontroverse war, wird als gelöst vorausgesetzt. Das kann dem Rat für deutsche Rechtschreibung nicht zugemutet werden., genauer: Ein Rat für deutsche Rechtschreibung, dem eine Entscheidung über den Ausgangspunkt entzogen ist, ist den gedachten Mitgliedern nicht zuzumuten.“ (Hartmut von Hentig: 14 Punkte zur Beendigung des Rechtschreib-Krieges. Göttingen 2005, S. 37)

Die Beratungen sind also keinesfalls ergebnisoffen. Zusammen mit dem Vorschlag einzelner Mitglieder, Zweidrittel- oder gar Dreiviertelmehrheiten vorzuschreiben, ergibt sich der Wunsch, möglichst wenig oder gar nichts an Veränderungen zuzulassen, damit die Durchsetzung der Reform ungestört weitergehen und lediglich propagandistisch auf die Beteiligung der „Betroffenen“, ja sogar einiger Kritiker hingewiesen werden kann.

Der Rat sollte sich solchen Plänen widersetzen, um nicht in den Geruch einer reinen Alibiveranstaltung zu geraten, wie es den bisherigen Beiräten zu Recht widerfahren ist.



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