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01.12.2005
Selbstfesselung
Noch immer könnte der „Rat“ ein Zeichen setzen
Auf der Website heißt es nun:
»Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat darüber hinaus die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Groß- und Kleinschreibung beschlossen. Diese Arbeitsgruppe hat den Auftrag, bis Mitte Januar eine Beschlussvorlage mit folgenden vier Punkten zu erarbeiten: (1) Schreibung des Anredepronomens du, (2) Schreibung fester Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv (z.B. gelbe/Gelbe Karte), (3) Schreibung von Einzelfällen insbesondere aus dem Überschneidungsbereich von Groß-Klein- und Getrennt-Zusammen-Schreibung (Pleite gehen, Recht haben), (4) Schreibungen im Randbereich (z.B. auf allen vieren (gehen)).
Die Groß- und Kleinschreibung bildet den letzten Komplex des Paketes an Empfehlungen, das der Rat für deutsche Rechtschreibung der Kultusministerkonferenz rechtzeitig vor ihrer Märzsitzung vorlegen wird.«
"Überschneidungsbereich" und "Randbereich" sind dehnbare Begriffe, und wenn die Arbeitsgruppe entsprechend besetzt wäre, könnte sie Nägel mit Köpfen machen. Aber das will sie natürlich gar nicht und der Rat als ganzer erst recht nicht. Es wird also wieder nur Stückwerk dabei herauskommen.
Und was den letzten Abschnitt betrifft - die Märzsitzung ist kein Datum, an dem irgend etwas hinge, jedenfalls nicht aus sachlichen Gründen. Nur die Interessenvertreter, also vor allem die Verlage, drängen auf Tempo, damit sie ungestört ihre Geschäfte machen können. Warum sollte man nicht anschließend die Laut-Buchstaben-Zuordnung in Angriff nehmen? Aber ich sehe weit und breit niemanden, der das befürworten würde.
Die KMK wird also höchstens ein paar kleine Korrekturen an der GKS zulassen (aber nicht einmal das ist sicher) und dann das Ganze aufs neue in die Schulen drücken. Noch hat sie die Macht, und deshalb versucht sie es immer wieder.
Der "Rat" ist eigentlich noch unfähiger und unwilliger, das sachlich Gebotene zu tun, als seinerzeit die Zwischenstaatliche Kommission, von der immerhin die nicht verwirklichten Reparaturvorschläge Ende 1997 kamen und dann die Revision vom Sommer 2004, die der Rat nur noch ein bißchen ausformulieren mußte. Jetzt aber spielen sprachwissenschaftliche Gesichtspunkte überhaupt keine Rolle mehr.
Wie kommt die Geschäftsführung überhaupt dazu, Fälle wie "Recht haben" und "Pleite gehen" dem "Überschneidungsbereich" von GKS und GZS zuzurechnen? Damit macht sie sich bloß die Pläne des Reformers Gallmann zu eigen, das selbstgeschaffene Problem durch (fakultative) Zusammenschreibung zu "lösen", wie es ja mit "leidtun" vorexerziert worden ist. Also sollen auch hier die bisher üblichen Schreibweisen verboten werden. Und das geschieht, bevor die Arbeitsgruppe oder gar der Rat darüber geredet, geschweige denn etwas beschlossen hat!
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 02.12.2005 um 01.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=304#1831
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Zu der Pseudofrist Sommer 2006: Kam das Gerede davon nicht auf, als Bayern und NRW ausscherten und die Teilverbindlichmachung der Reform nicht mitmachten? Was wollten diese beiden Bundesländer damit erreichen? Erst eine komplette Überarbeitung der Reform, bevor sie sich ihr anschließen? Dann sollten sie jetzt schon dafür sorgen, daß der Rechtschreibrat wirklich brauchbare Arbeitet leistet, und keinesfalls sollten sie sich schon 2006 der Reform anschließen. Wenn sie ihre Verbindlichmachungsverweigerung ernst meinen, bleibt ihnen eigentlich gar nichts anderes übrig.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 01.12.2005 um 21.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=304#1827
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Ich habe gerade ein Zitat vom frischgekürten "Europäer des Jahres" Jean-Claude Juncker geleses, welches in diesen Zusammenhang hervorragend paßt:
"Der Regierungschef von Luxemburg Jean-Claude Juncker erklärt seinen EU-Kollegen die Demokratie: 'Wir beschliessen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein grosses Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt."
So ähnlich haben es auch die Reformer und Ministerialbürokraten gemacht, nur daß sie sogar den zweiten Schritt ausgelassen haben.
Zum Vorschlag von Herrn Eversberg: Ein Film wäre wohl nur schwer zu realisieren, denn das liefe wohl auf eine Mischung aus "Schtonk" und "Der Pate" hinaus, und die Zuschauer könnten nicht mehr zwischen Satire und Ernst unterscheiden. Was wirklich helfen könnte, wäre eine Serie im SPIEGEL, welche die Hintergründe beleuchtet. Stern und Focus sind stramm auf Reformkurs, während FAZ und Springer-Medien für die zu überzeugende Bevölkerungsgruppe(n) nicht den Ruf ausreichender Objektivität besitzen dürften. Dummerweise hat der SPIEGEL aber selbst mitgemacht. Außerdem konnte sich Aust mit seiner Forderung nach vollständiger Rückumstellung im eigenen Haus nicht durchsetzen. Immerhin ist dort aber das entlarvende Interview mit Frau Ahnen erschienen, und wir haben den Redakteuren die "Wörtermörder" zu verdanken. Es gibt also noch Hoffnung. Von der Süddeutschen, der WAZ oder der FR darf man erst recht nichts erwarten, denn dort glaubt man überwiegend immer noch, "dass" und "fertig stellen" seien fortschrittlich.
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Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 01.12.2005 um 16.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=304#1821
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Man sollte die Reformstory verfilmen. Vielleicht könnte es nur so gelingen, einer Mehrheit vor Augen zu stellen, wie sie verschaukelt und zu willigen Vollziehern gemacht wurden - und daß in diesem Land nicht in solcher Weise Politik betrieben werden darf. Dabei könnte Zivilcourage kaum leichter und ungefährlicher sein als in dieser Sache.
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